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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Inland
Ursula von der Leyen und die Attraktivität der Bundeswehr
Die Mutter der Armee
Von Jürgen Rose

Von Anbeginn dieser Republik war der Stuhl des Verteidigungsministers stets ein Schleudersitz, und die Liste derer, die skandalträchtig aus dem Amt hatten scheiden müssen, ist lang. Nun amtiert erstmals eine Frau im Berliner Bendlerblock. Sollte es ihr gelingen, den dort und auf der Bonner Hardthöhe real existierenden Augiasstall erfolgreich auszumisten – erste drakonische Personalmaßnahmen vermögen durchaus diesen Eindruck zu erwecken – dann hätte Ursula von der Leyen sicherlich den Nachweis erbracht, daß sie über das Handwerkzeug für noch höhere Aufgaben verfügt. Sollte ihr dagegen das Schicksal ihrer Vorgänger im Amte beschieden sein, wäre Kanzlerin Merkel eine lästige Konkurrentin los. Soweit die parteistrategische Dimension der Personalie von der Leyen.
 

Ursula von der Leyen
NRhZ-Archiv
Wer nun erwartet hatte, daß die frischgebackene Ministerin, deren bisherige politische Karriere bekanntlich im eher konservativ und national orientierten Spektrum unserer Republik zu verorten ist, als erste Amtshandlung den Gefechtshelm überstülpen, in eine fleckgetarnte Splitterschutz- weste schlüpfen und als Kampfamazone in Stahlgewittern chargieren würde, sollte sich schwer getäuscht sehen. Zuallererst nämlich entfleuchte sie nach Afghanistan, um die Kampftruppe vor Ort ihrer uneingeschränkten Wertschätzung zu versichern und zu bekräftigen, welch unendlich wertvollen Dienst diese dem Vaterlande bei dessen Verteidigung am Hindukusch erweist, wie ein genialer Amtsvorgänger dereinst doziert hatte.
 
Zurück in der Heimat entpuppte sich die neue Chefin im Bendlerblock sodann als in der Tat fürsorgliche Mutter der Armee, indem sie mit einem wahren Feuerwerk sozialpolitischer Wohltaten für Furore sorgte. Und was sie nicht alles ankündigte: Attraktivitätssteigerung des militärischen Dienstes in der Bundeswehr, bessere Vereinbarkeit von Dienst und Familie, weniger Versetzungen von Garnison zu Garnison, Teilzeitarbeit, Kinderbetreuung in den Kasernen, kurzum viele sozialpolitische Errungenschaften, die in der zivilen Wirtschaft und Verwaltung oft schon längst gang und gäbe sind – aber eben nicht in den Streitkräften. Bei Lichte besehen sind diese Vorschläge durchaus nicht neu, sondern ein ziemlich alter Hut, denn schon zu Zeiten der mittlerweile verblichenen Wehrpflichtarmee – Gott hab‘ sie selig! – hatte der Deutsche BundeswehrVerband (DBwV) derartige Forderungen von der Leyens Amtsvorgängern auf den Tisch gelegt. Daß die ehemalige Arbeitsministerin deren essentielle Bedeutung für die Zukunft der Streitkräfte erkennt, spricht für ihren Realitätssinn. Denn nach der „Transformation“ der Bundeswehr zu einen professionellen Freiwilligentruppe kommt der Gewinnung einer hinreichenden Anzahl junger Frauen und Männer, die für den Waffendienst nicht nur in der Heimat, sondern auch auf den Kriegsschauplätzen der ganzen Welt ebenso tauglich wie willig sind, überragende Bedeutung zu.
 
Was passiert, wenn dieser Aspekt vernachlässigt wird, ließ oder läßt sich an den Zuständen in den Streitkräften des einen oder anderen Bündnispartners ablesen. Da die Armee ihren Nachwuchs nicht mehr wie in den goldenen Zeiten des Kalten Krieges aus den Reihen der Zwangsdienstverpflichteten generieren kann, ist sie gezwungen, mit der zivilen Wirtschaft um ihr Personal zu konkurrieren. Dabei sieht sie sich mit zwei Nachteilen konfrontiert: einem demographischem und einem strukturellen. Aus ersterem resultiert eine sich aufgrund des Geburtenrückgangs schon jetzt stetig verschärfende Knappheit an jungen Arbeitskräften. Der strukturelle Nachteil besteht darin, daß sich ein ziviler Job in aller Regel als weit weniger gesundheits- und lebensgefährdend anläßt, als der beim Militär. Nun läßt sich ein derartiger Attraktivitätsmalus im Grunde nur dadurch kompensieren, daß die übrigen Arbeits- und Lebensbedingungen für die tapferen VaterlandsverteidigerInnen erheblich besser ausgestaltet werden, als dies auf dem zivilen Arbeitsmarkt der Fall ist. Nicht zuletzt dieses Kalkül dürfte Frau Ministerin zu ihrem nun angekündigten Attraktivitätssteigerungsprogramm für die Streitkräfte bewogen haben.
 

Wehrbeauftragter Hellmut Königshaus
Wertvollen Flankenschutz gegen das umgehend massiv einsetzende Feuer der Kritik leisten in engem Schulterschluß der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus und der schon erwähnte Deutsche Bundeswehr Verband als organisierte Interessen-vertretung der Bundeswehrange-hörigen. Die KritikerInnen der Linken (PdL) folgten prompt dem fundamen-talpazifistischem Beißreflex derer, die ohnehin die Armee am liebsten ganz abschaffen wollen – da wirkt sich eine Attraktivitätssteigerung des militärischen Dienstes erheblich kontraproduktiv aus – und monierten, daß sich keine „Teilzeit-Kriege“ führen ließen. Auch die gehirngewaschenen Transatlantiker und Bellizisten vom rechten und nationalkonservativen Spektrum entblödeten sich nicht dieses billig-polemischen Arguments, um indes Ursula von der Leyen darüber hinaus vorzuhalten, daß sie zum einen in sozialpopulistischer Manier der notwendigen Debatte um den Sinn von Streitkräften in heutiger Zeit auswiche und zum anderen die Frage nach der Finanzierung der geplanten Wohltaten völlig ungeklärt ließe.
 
Letzteres Problem ließe sich freilich in zweierlei Hinsicht entschärfen. Zum einen, indem die Bundesregierung aufhörte, die deutschen Streitkräfte in teure und zudem völlig sinnlose Kriegsabenteuer zu entsenden – allein hierdurch entstünde alljährlich ein finanzieller Spielraum von mindestens einer Milliarde Euro, die zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von MitarbeiterInnen der Bundeswehr hierzulande investiert werden könnten. Daß alternativ hierzu Finanzminister Schäuble seiner Ministerkollegin auch nur einen müden Euro zusätzlich für die Umsetzung ihres Attraktivitätssteigerungsprogramms spendieren wird, läßt sich wohl getrost vergessen. Darüber hinaus ließen sich weitere Finanzmittel freisetzen, indem die in den letzten Jahren zwar schrittweise reduzierte, indes immer noch überdimensionierte Truppe weiter reduziert würde – auf etwa 120.000 SoldatInnen, mit denen eine Bundeswehr, die auf ihre klassische Zweckbestimmung der Verteidigung ausgerichtet und beschränkt wäre, ihren Auftrag professionell erfüllen könnte.
 
Beide Optionen treffen freilich auf den geballten Zorn der Schreibstubenbellizisten in den Redaktionen dieser Republik. Denn denen geht es um mehr, nämlich um nationale Interessen und das militärpolitische Gewicht der Berliner Republik – man will wieder Großmacht spielen, Seit‘ an Seit‘ mit der US-amerikanischen Hegemonialmacht. Und darum monieren sie den im Volke vorherrschenden Konsens der Friedfertigkeit, der kein „Militär will, das der Politik als Instrument dient“ und geifern gegen die sogenannte „Merkel-Doktrin“, d. h. gegen die Wiederentdeckung der während des Kalten Krieges so erfolgreich praktizierten „Kultur der Zurückhaltung in militärischen Angelegenheiten“ (obgleich letztere durch die in Kombination erfolgende Expansion deutscher Rüstungsexporte ein Stück weit konterkariert wird). Doch ist bei den Propagandisten des „Global War on Terror“ und der „Responsibility to Protect“ die raison d’être der nach dem Desaster zweier Weltkriege in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts neu gegründeten deutschen Streitkräfte in totale Vergessenheit geraten. Der General, Friedensforscher und Militärphilosoph Wolf Graf von Baudissin hatte jene in Gestalt seiner Konzeption der »Inneren Führung« mit dem »Staatsbürger in Uniform« geliefert. Dabei ging es ihm im Wesentlichen darum, die neue Armee menschenrechtskompatibel (für die Soldaten), demokratiekompatibel (für die Gesellschaft) und friedenskompatibel (für die Weltordnung) zu strukturieren.
 

Generalleutnant Wolf Graf von Baudissin
NRhZ-Archiv
Auf den Punkt gebracht hatte der Generalleutnant von Baudissin die zentrale Zielbestimmung der »Inneren Führung« mit der 1955 formulierten Devise, es ginge dabei um die „Entmilitarisierung des soldatischen Selbstverständ-nisses.“ Positiv gewendet bedeutet das die Zivilisierung der Streitkräfte. In diesem Lichte besehen scheinen die Ambitionen der neuen Verteidigungsministerin mit der ursprünglichen Traditionslinie der Bundeswehr und den Vorgaben Baudissins fast kongenial zu korrespondieren. Etwas pointierter formuliert muß es demnach weitaus sinnvoller anmuten, wenn das Geld der deutschen Steuerzahler dafür verwendet wird, fürderhin in den bundesdeutschen Kasernen Mutter-und-Kind-Betreuungsmöglichkeiten einzurichten, als unsere „Helden“ dafür zu alimentieren, daß sie – wie 2008 geschehen – an Checkpoints in Afghanistan Frauen und Kinder über den Haufen knallen oder sich gar wie im Herbst 2009 in Kunduz als „archaische Kämpfer“, von denen ein vormaliger Heeresinspekteur schwadronierte, gerieren. Sollte die programmatische Initiative der Ursula von der Leyen auch von solchen Überlegungen geleitet sein, läge sie damit auch militärpolitisch durchaus auf der Linie der schon erwähnten „Merkel-Doktrin“. Dergestalt mit der Kanzlerin zu harmonieren, kann strategisch kaum ein Fehler sein, auch wenn das transatlantische Frontblatt vom Hamburger Speersort giftig leitartikelt: „Oder ist etwa dies der heimliche Sinn hinter all den widersprüchlichen Signalen: Eine Armee, die ohnehin nicht eingesetzt werden soll, kann sich auch ganz auf ihre innerbetrieblichen Sorgen konzentrieren?“
 
Bleibt abschließend noch die selbigenorts gestellte Frage zu beantworten: „Wo kann die neue Bundeswehr in einer hochkomplexen Welt mit modernen, selbstbewussten Soldaten ein Instrument der Friedenssicherung sein?“ Ganz einfach: Dort, wo sie es seit ihrer Gründung schon immer war: Im Heimatland und in Europa! Und zwar defensiv, durch Abschreckung und im Notfall durch Verteidigung. In diesem Sinne wäre die durch vorgebliche nationale Interessen geleitete Parole des gescheiterten Amtsvorgängers Thomas de Maizière »Wir. Dienen. Deutschland.« schleunigst auf dem Schutthaufen der Geschichte zu entsorgen. Der neuen Verteidigungsministerin dagegen stünde die Rolle einer „Pallas Athene“ zu Berlin ganz gut zu Gesicht, auf deren Schild als neu-alte Maxime einzugravieren wäre: »Wir. Dienen. Dem Frieden!« (PK)
 
 
Der Autor war Oberstleutnant der Bundeswehr und ist Mitglied im Vorstand des „Darmstädter Signals“, dem Forum für kritische StaatsbürgerInnen in Uniform.


Online-Flyer Nr. 443  vom 29.01.2014



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