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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Inland
Nach dem Scheitern von Sarkozy versucht François Hollande es noch mal
Le modèle Gerhard Schröder
Von Hans Georg

Mit lautem Beifall quittiert Berlin die Übernahme deutscher Austeritätsmodelle durch den französischen Staatspräsidenten François Hollande. Dessen Ankündigung, die Staatsausgaben zu kürzen und dafür die Wirtschaft spürbar zu begünstigen, könne "nur als gute Botschaft verstanden werden", erklärt Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Deutsche Medien weisen darauf hin, dass Hollande Maßnahmen ankündigt, die - teilweise im Detail - der deutschen "Agenda 2010" nachempfunden sind. Letztere wurde im Bundeskanzleramt der Ära Schröder vom damaligen Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier federführend entwickelt. Mit ihr ist es Berlin gelungen, seine ökonomische Vorherrschaft über Europa zu festigen.
 

Vorbild für den Genossen François
Hollande: Gerhard Schröder
NRhZ-Archiv
Ob es Paris gelingt, die deutsche Austeritätspolitik nachzuahmen, gilt als ungewiss: Bereits Hollandes Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy hatte dies versucht, hatte mit seinem Vorhaben jedoch im Frühjahr 2012 die Präsidentschaftswahlen verloren. Unabhängig davon werden in Berlin erneut Schritte zum Abbau sozialstaatlicher Errungenschaften diskutiert. Bundespräsident Joachim Gauck hat am vergangenen Donnerstag beklagt, der Begriff "neoliberal" sei negativ besetzt; das müsse sich ändern.
 
Milliardenkürzungen
 
"Sozialist" François Hollande hat am Dienstag vergangener Woche eine weitreichende Abkehr von seiner bisherigen Wirtschafts- und Finanzpolitik angekündigt. Wie er auf einer Pressekonferenz mitteilte, sollen in den kommenden Jahren die Staatsausgaben deutlich gekürzt und die private Wirtschaft mit neuen Vergünstigungen bedacht werden. Demnach entfallen ab 2017 die Familien-Sozialbeiträge, die Unternehmen bislang zu entrichten hatten; dies werde ihnen Einsparungen in Höhe von 30 Milliarden Euro einbringen. Gleichzeitig erklärte Hollande, er werde dieses Jahr im Staatshaushalt 15 Milliarden Euro einsparen; von 2015 bis 2017 kämen insgesamt weitere 50 Milliarden Euro hinzu. Was alles gestrichen werden soll, ist noch unklar.
 
Lohnverzicht als Konkurrenzvorteil
 
Der Pariser Kurswechsel ist durch massiven Druck aus Berlin und durch den wachsenden ökonomischen Rückstand Frankreichs gegenüber Deutschland erzwungen worden. Letzterer wiederum ist der aggressiven deutschen Austeritätspolitik geschuldet.
 

"Sozialist" François Hollande folgt
dem Druck aus Berlin
NRhZ-Archiv
So berechnete ein französischer Experte schon im Frühjahr 2010, dass die Arbeitskosten in Deutschland seit dem Jahr 2000 - gerade auch dank der "Agenda 2010" - um 1,3 Prozent zurückgegangen, in Frankreich jedoch um 17 Prozent gestiegen seien.[1] Zwischen 2000 und 2008 schrumpften die Reallöhne in Deutschland um 0,8 Prozent, in Frankreich hingegen stiegen sie um 9,6 Prozent.[2] Der Lohnverzicht deutscher Arbeitskräfte brachte deutschen Unternehmen Konkurrenzvorteile ein, die sich in einem starken Exportwachstum niederschlugen. So ist das deutsche Außenhandelsplus gegenüber Frankreich bis 2012 auf rund 40 Milliarden Euro gestiegen - ein klarer Hinweis auf die Aggressivität der deutschen und die Schwäche der französischen Wirtschaft, die sich auch im direkten Vergleich zeigt: Betrug die Wertschöpfung der französischen Industrie im Jahr 2000 noch 50 Prozent der deutschen, so erreichte sie 2010 nur noch 40 Prozent.[3] Da Berlin jeglichen Kurswechsel hin zu stärkerer Nachfrageorientierung hartnäckig verweigert, hat sich Paris nun entschlossen, selbst Austeritätsmaßnahmen einzuleiten - zugunsten der französischen Industrie.
 
Europäischer Reformgeist
 
In Berlin werden Hollandes Äußerungen mit lautem Beifall bedacht. Er sei "froh über die Ankündigungen aus Frankreich", erklärt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier: "Eine Neuorientierung der französischen Wirtschaftspolitik" könne "nur als gute Botschaft verstanden werden".[4] Aus dem Bundesfinanzministerium verlautet, man habe "großen Respekt".[5] Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) begrüßt den französischen Kurswechsel "ganz außerordentlich".[6] Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass Hollande faktisch Maßnahmen einleitet, wie sie in Deutschland vor rund zehn Jahren das rot-grüne Kabinett Schröder/Fischer durchgesetzt hat. Man frage sich, ob "François Hollande und seine Berater im Élysée-Palast" oder "nicht eher das Kanzleramt in Berlin" die Rede des französischen Staatspräsidenten verfasst habe, heißt es in Medienkommentaren, die von "europäischem Reformgeist" in Paris sprechen.[7] Unter Bezug auf Kanzler Gerhard Schröders "Agenda 2010" urteilen Beobachter nun, Hollandes Berater hätten "sehr genau den Ablaufplan des Agendajahres 2003 studiert": "Den Auftakt" habe damals "die Neujahrsansprache" gebildet, "in der Schröder 'grundlegende Veränderungen' in Aussicht stellte. Genau das hat Hollande nun elf Jahre später getan."[8]
 
Sarkozy, der Deutsche
 
Mit seinem Kurswechsel schwenkt Staatspräsident Hollande auf eine Linie ein, mit der sein Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy vor fast zwei Jahren die Präsidentschaftswahlen verloren hatte. Nach seiner Niederlage gegen die deutsche Kanzlerin im Machtkampf um die EU-Krisenstrategie hatte Sarkozy im Laufe des Jahres 2011 nachgegeben und eine Anpassung an die Berliner Sparmodelle in die Wege geleitet. Deutschland sei "im Diskurs der konservativen UMP" von Präsident Sarkozy "immer präsenter" geworden, hieß es etwa bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP): "Was in Frankreich als deutsches Modell vorgestellt wird, entspricht weitgehend der Agenda 2010 der Schröder-Regierung".[9] Im Dezember 2011 lud Sarkozy demonstrativ Schröder in den Élysée-Palast ein, um sich von ihm über die "Agenda 2010" informieren zu lassen. Sarkozy ließ den Germanisten Bruno Le Maire, seinen Agrarminister, das UMP-Wahlprogramm in direkter Abstimmung mit der CDU entwickeln.[10] Mit Blick auf seine US-Orientierung zu Beginn seiner Amtszeit hieß es bei der DGAP: "Aus 'Sarkozy-dem-Amerikaner', wie er sich selbst gern bezeichnete, ist 'Sarkozy-der-Deutsche' geworden."[11] Im Frühjahr 2012 hatte er damit bei den Wahlen keine Chance gegen Hollande, der auf Widerstand gegen die deutsche Austeritätspolitik setzte - und gewann.
 
Eine gewaltige Baustelle
 
Entsprechend herrscht in Berlin nun eine gewisse Skepsis, ob Hollande den jetzt angekündigten Kurs in der Praxis durchsetzen kann. Er habe "eine gewaltige Baustelle aufgemacht, die das Land in größte Unruhe versetzen wird", heißt es exemplarisch in einem Kommentar: Man werde "in Europa und ganz besonders in Berlin gespannt verfolgen", ob er seine "Wende" durchhalte.[12] Hintergrund ist nicht zuletzt die spürbar höhere Protestbereitschaft in Frankreich, die es unklar erscheinen lässt, ob die Nachahmung der "Agenda 2010" gelingt.
 
Die Wünsche des Bundespräsidenten
 
Darüber hinaus bestehen ökonomische Zweifel. So verschuldete sich Deutschland während der Durchsetzung der "Agenda 2010", um dem Projekt zum Gelingen zu verhelfen, mehrere Jahre lang mit mehr als drei Prozent neu; dass dies auch Paris zugestanden wird, muss als zumindest ungewiss gelten. Dass Frankreich durch Sparprogramme wirtschaftlich erneut mit Deutschland gleichziehen kann, ist auch deswegen unwahrscheinlich, weil es in Berlin heißt, man habe in puncto Austeritätspolitik noch längst nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Wenn Frankreich nachziehe, könne man noch weiter vorpreschen. Dazu passend hat am vergangenen Donnerstag Bundespräsident Joachim Gauck beklagt, der Begriff "Wettbewerb" sei bis heute bei vielen ebenso negativ besetzt wie der Begriff "neoliberal". Er hingegen "wünsche" sich in Deutschland größere Sympathien für Konkurrenz und mehr "Anerkennung für das breite Spektrum des Liberalismus ... bis hin zu Friedrich August von Hayek", einer Galionsfigur der Marktradikalen.[13] Der Weg, den Gauck zu bahnen sucht, dürfte es Deutschland ohne große Schwierigkeit ermöglichen, den Pariser Austeritätskurs, sollte Hollande ihn durchsetzen können, zu übertreffen. (PK)
 
[1] Non-dit franco-allemand, par Jacques-Pierre Gougeon. www.lemonde.fr 05.04.2010. S. dazu Die Frage der Führung.
[2] S. dazu Hartz IV für alle.
[3] Henrik Uterwedde: Ende der Divergenzen? Perspektiven der deutschen und französischen Wirtschaftspolitik. DGAPanalyse No. 11, November 2013. S. dazu Die Abkopplung Frankreichs.
[4] Außenminister Steinmeier: Mutige Ankündigungen des französischen Präsidenten. www.auswaertiges-amt.de 15.01.2014.
[5] Daumendrücken an der Spree. Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.01.2014.
[6] Bundesregierung lobt Hollandes Reformpläne. www.spiegel.de 15.01.2014.
[7] Monsieur Hollandes kopernikanische Wende. www.sueddeutsche.de 16.01.2014.
[8] Ein Mann erfindet sich neu. Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.01.2014.
[9] Claire Demesmay: Deutschland: Die Kandidaten und die Gouvernante. dgap.org 05.04.2012.
[10] S. dazu Sarkozy, der Deutsche.
[11] Claire Demesmay: Deutschland: Die Kandidaten und die Gouvernante. dgap.org 05.04.2012.
[12] Günther Nonnenmacher: Hollande in der Kurve. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.01.2014.
[13] Rede von Bundespräsident Joachim Gauck bei der Festveranstaltung des Walter Eucken Instituts. Freiburg, 16.01.2014.
 
Diesen Beitrag haben wir mit Dank von german foreign policy übernommen:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58776


Online-Flyer Nr. 442  vom 22.01.2014



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