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Globales
Tagebuchtexte zu unserer Solidaritätsreise nach Griechenland – Teil IX
Welche Pläne hat Syriza?
Von Rainer

Um sich selbst ein Bild von den verheerenden sozialen Zuständen zu machen, reiste im September eine Gruppe von GewerkschafterInnen zum dritten Mal nach Griechenland. Ihr Ziel: Kontakte von den ersten Begegnungen zu vertiefen und neue aufzubauen mit denjenigen, die sich seit drei Jahren gegen die von der Troika verordneten Spardiktate zur Wehr setzen. Und sie wollten den griechischen KollegInnen zeigen, dass es auch im relativ ruhigen Deutschland Menschen gibt, die sie solidarisch unterstützen. Hier der neunte und letzte Teil der Tagebuchtexte von dieser dritten Solidaritätsreise. – Die Redaktion 
 

Alexis Tsipras, Vorsitzender der
Partei SYRIZA
Quelle: wikipedia
29.9. Nachtrag: Saloniki und Lafazanis
 
Gleich nach unserem Treffen mit Panagiotis Lafazanis fuhr ich mit der Bahn von Athen nach Thessaloniki und schloss mich dort der anderen Hälfte unserer Reisegruppe an. Am Samstagabend gingen wir zum Syriza-Fest, dem Fest der Koalition der Radikalen Linken. Freudiges Wiedersehen mit Makis von vio.me. Wir saßen anschließend fast den ganzen Abend beim Stand der Gruppe.
 
Eleni, eine unserer Dolmetscherinnen in Thessaloniki, stellt mich einer Frau vor, die sich selbst als wichtige Persönlichkeit der örtlichen Syriza sieht - sie ist die Frau des Syriza-Generalsekretärs der Region Thessaloniki. Als ich ihr von unserer Begegnung mit Lafazanis erzähle, schaut sie mich an, als hätten wir uns in Athen mit dem Teufel persönlich getroffen. Ziemlich kühl fragt sie mich: "Und? Wie war Dein Eindruck?" Wahrheitsgemäß berichte ich ihr, dass ich Lafazanis für eine sehr kompetente Persönlichkeit mit einem scharfen politischen Verstand halte, worauf sie erwidert: "Lafazanis unterstützt die Solidaritätsinitiativen nicht!" - was eine klare Falschaussage war, wie wir uns in Athen selbst vergewissern konnten. Dann redet sie auf Griechisch in einem sehr resoluten Ton auf Eleni ein, die heftig protestiert. Anschließend entfernt sich die Syriza-Frau ohne ein freundliches Wort des Abschieds. Wie mir Eleni daraufhin erklärt, habe sie ihr verbieten wollen, mit ausländischen Gästen über die "internen Angelegenheiten" von Syriza zu sprechen...
 
Im Laufe des Abends komme ich mit Giorgios ins Gespräch, einem griechischen Anwalt, der sehr gut Deutsch spricht. Ihm erzähle ich ebenfalls von unserem Treffen mit Lafazanis und schildere ihm meine Sichtweise von Griechenland als Epizentrum der europäischen Krise. Er ist überrascht über meine, wie er findet, allzu optimistische Auffassung. Es ist bereits spät, als er zu mir sagt: "Schau, dort steht Despina. Sie ist eine Syriza-Abgeordnete aus Thessaloniki, die zur Strömung von Lafazanis gehört. Ich möchte sie dir vorstellen." Despina spricht nur Griechisch. Dank der Übersetzungshilfe von Giorgios können wir uns dennoch gut verständigen. Sie hat nicht viel Zeit, denn am nächsten Morgen, erzählt sie, werden Leute zu einem Solidaritätsmarsch von Thessaloniki nach Athen starten. "Wir befürchten, dass sie von der Polizei aufgehalten werden. Darum muss ich morgen früh um 7 Uhr dort sein."
 
Despina stelle ich die Frage, die ich in Athen aus Zeitmangel Lafazanis nicht mehr stellen konnte: Welche Pläne hat Syriza, um bei einer Regierungsübernahme einer möglichen Erpressung der Troika widerstehen zu können? Ihre Antwort ist schonungslos ehrlich: Die linke Strömung von Synaspismos beschäftige sich mit dieser Frage seit vier Jahren, in Zusammenarbeit mit Wirtschaftsprofessoren. "Anfänglich wurden wir deswegen von den andern belächelt. Jetzt haben auch sie begriffen, wie wichtig das Thema ist." Probleme bestünden hauptsächlich beim Erdöl und den Arzneimitteln, alles andere könnte grundsätzlich im eigenen Land hergestellt werden. Allerdings nicht sofort. "Es stimmt, wir sind von den Importen abhängig." Abschließend meint Despina noch: "Es gibt keinen andern Weg. Entweder wir nehmen den Kampf auf, auch auf europäischer Ebene, und führen ihn zu Ende oder die europäische Arbeiterbewegung wird um mehr als 100 Jahre zurückgeworfen."
 
Nach meiner Rückkehr in die Schweiz will ich mehr über Lafazanis und die Syriza-Linke in Erfahrung bringen. In einem Text von Christos zum 14. November 2012, den Manfred auf Deutsch übersetzt hat, steht: "Letzten Donnerstag [01.11.2012] sagte Lafazanis, ein Syriza-Abgeordneter, Führer des linken Flügels von Synaspismos (der größten Partei von Syriza), ein Euroskeptiker und Operaist, in einer Talkshow, dass Syriza nicht in der Lage sei, die Regierung zu übernehmen." Im Internet habe ich dann den Wortlaut der Aussagen in jenem Fernsehinterview sowie einen kurzen Lebenslauf von Lafazanis gefunden.
 
Zwei weitere Texte betreffen die Syriza-Linke, d.h. die "Linke Plattform", die sich im Wesentlichen aus der linken Strömung der inzwischen aufgelösten Synaspismos sowie drei kleinen Organisationen trotzkistischer Herkunft (Kokkino, DEA und APO), die sich als Rproject/Rotes Netzwerk zusammengetan haben, zusammensetzt. Der eine Text aus der Inprekorr 3/2013 (Mai-Juni) gibt - nebst zahlreichen Zahlen und Fakten zu Griechenland - die Sichtweise eines Führungsmitglieds der französischen NPA wieder. Aufschlussreich ist vor allem der zweite Text von Stathis Kouvelakis, Universitätsprofessor und Mitglied des Zentralkomitees von Syriza, über den Syriza-Gründungskongress vom Juli 2013:
 
"Dazu kam die außerordentlich aggressive Stimmungsmache gegen die parteiinterne Opposition (die als Linke Plattform gemeinsam aufgetreten ist), die am Abend der letzten Sitzung des Kongresses bei den Abstimmungen zu drei Schlüsselfragen des organisatorischen Funktionierens der Partei kulminierten, auf die die Auseinandersetzungen fokussiert waren (Auflösung der Gruppierungen, Repräsentierung der Strömungen und Art und Weise der Wahl des Vorsitzenden). Da gab es für einen Kongress der radikalen Linken schockierende Szenen (ausgebuhte SprecherInnen der Linken Plattform, Stinkefinger und Beschimpfungen und Beifall für Parteichef Alexis Tsipras, wann immer er ans Rednerpult trat, schon bevor er überhaupt den Mund aufgemacht hatte), die zum Auszug der Delegierten der Linken Plattform und eines nicht unbeträchtlichen Teils auch von Delegierten der Mehrheit aus dem Saal geführt haben."
 
Nach meinem Erlebnis beim Syriza-Fest in Thessaloniki kann ich mir die erwähnten Szenen recht gut vorstellen. Offenbar haben, etwas überspitzt formuliert, manche Syriza-Mitglieder, die heute die Mehrheit bilden, die Mentalität der KKE und die Politik der PASOK. Aufgefallen ist mir aber auch, dass sich die Leute der Syriza-Linken, zu denen die meisten unserer Kontakte in Athen gehören, nie negativ über Tsipras und seine AnhängerInnen geäußert haben. Stets betonen sie die Einheit von Syriza als vielfältiges Bündnis der radikalen Linken und erwähnen höchstens einmal beiläufig, dass ihre Ansichten, für die sie sich stark machen, nicht die der Mehrheit sind. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Antwort von Vassia, als ich sie gleich am ersten Tag unserer Reise auf den Syriza-Kongress vom Juli ansprach: "Wir sind sehr zufrieden. Wir haben zwar nicht die Mehrheit, aber wir sind gestärkt aus dem Kongress hervorgegangen."
 
Die Hervorhebung der Einheit und der eigenen Positionen anstelle einer gehässigen Polemik gegen die anderen Strömungen ist zweifellos eine vorbildliche Haltung, von der viele Linke auch in andern Ländern lernen könnten. Persönlich glaube ich allerdings, dass die Einheit innerhalb von Syriza vielleicht noch bis zu einem zunehmend wahrscheinlicher werdenden Wahlsieg anhalten wird. Nach der Bildung einer wie auch immer zusammengesetzten "Linksregierung" wird die "Realpolitik", wie sie der Mehrheit um Tsipras vorschwebt und die zwangsläufig auf eine "bessere" Verwaltung der Krise hinauslaufen wird, aufs Heftigste mit den Vorstellungen der Syriza-Linken zusammenprallen, die konsequent den Weg des Klassenkampfes beschreiten wollen (auch wenn sie diesen Begriff nicht ausdrücklich verwenden). Wie dann die Mehrheitsverhältnisse innerhalb von Syriza liegen werden, darüber kann man spekulieren, wobei ich die Möglichkeit, dass aufgrund der Dynamik eines sich verschärfenden Klassenkampfes die heutige Mehrheit in die Minderheit versetzt wird, für durchaus gegeben halte.
 
Nach einer Woche wieder zurück in der Schweiz staune ich aufs Neue, wie sorglos die Mehrheit der Bevölkerung hier nach wie vor lebt - und vor allem wie ahnungslos, angesichts der tiefen Krise, in der sich die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung befindet. Nach unserer Solidaritätsreise bin ich mehr denn je überzeugt, dass der vermeintliche wirtschaftliche Wiederaufschwung in Europa, wie er zurzeit landauf landab beschworen wird, nur die Ruhe vor dem Sturm ist. Ein Sturm, von dem auch die Schweiz im Herzen Europas nicht verschont bleiben wird, wenn in Griechenland sich die Erde öffnen und die Glut im Kraterherde mit Macht zum Durchbruch dringen wird....
(Rainer)
(PK)
 
Liebe Griechenland-UnterstützerInnen,
wir haben unser Tagebuch nun in Buchform vorliegen, 60 Seiten mit Fotos, einem Vorspann und Nachspann. Wir wollen es zum Spendensammeln benutzen und stellen uns Folgendes vor. Der Selbstkostenpreis beträgt 3€. D.h. wenn man mehr bezahlt, z.B. 6€, gehen die Mehreinnahmen aufs Spendenkonto. Ihr könnt bei mir Manfred.Klingele@T-Online.de Tagebücher bestellen, z.B. 10 Stück, ich schicke sie Euch per Post und Ihr überweist einen entsprechenden Betrag auf unser Solikonto mit dem Stichwort "10 Tagebücher" bzw. "X Tagebücher", wenn ihr eine andere Anzahl (=X) bestellt habt. Dann werde ich 10x30€ plus Porto von dem Konto entnehmen und der Rest bleibt als Spende.
Nachvollziehbar?
Wenn ihr bestellt, gebt bitte eure Postadresse an!
Spenden an
Konto-Inhaber: Manfred Klingele-Pape, Kto-Nr 1211478910, BLZ 200 505 50, Hamburger Sparkasse, Stichwort: Tagebücher
Liebe Grüße,
Manfred


Online-Flyer Nr. 442  vom 22.01.2014

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