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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Inland
Diskussionsbeitrag in einer OV-Mitgliederversammlung der SPD am 4.12.13
Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD
Von Izzeddin Musa

Nachdem alles abgelaufen und unter Dach und Fach ist, veröffentliche ich hier meinen Kommentar zum GroKo-Vertrag, mit dem ich am 4. Dezember vergeblich versuchte, die wohlwollenden Genossinnen und Genossen in der Ortsvereins-Mitgliederversammlung der SPD umzustimmen. Das ist leider nicht geglückt. Gegenstimmen: meine und eine andere, die Nahles nicht mag, sowie eine Enthaltung. Das bundesweite Ergebnis ist ja bekannt. Das lässt ein Hoffen auf bessere Zeiten als sinnlos erscheinen. Wir haben es lediglich mit einer weiteren Fortsetzung des "Üblichen" zu tun. In diesem Sinne, geruhsame und entspannte Festtage und ein gutes 2014.
 

SPD-Mitglied Izzeddin Musa
Foto: Abu Haret 
Vorab: Es erübrigt sich hier auf den gesamten Inhalt des GroKo-Vertrags, der eigentlich nur eine „Absichter-klärung“ genannt werden darf, einzugehen, da dieser in den Medien und vielen TV-Sendungen zur Genüge zerfleddert worden ist. Ich werde nur einige Punkte, die fast keine Beachtung fanden, ansprechen, die für meine ablehnende Haltung den Grund liefern.
 
1.         Überschrift: "Deutschlands Zukunft gestalten"
Darunter kann ich mir nichts vorstellen, außer, allgemein daher geredetes „Wischi Waschi“, ohne Inhalt.
2.         Wir sind angetreten, um Schwarz-Gelb zu stürzen. Das ist auch gelungen. Die SPD hätte auch den Kanzler stellen können. Was die SPD allerdings daraus gemacht hat, bleibt ein Geheimnis der Berliner SPD. Sie hat eine Koalition mit den LINKEN abgelehnt, mit denen, und mit den Grünen, sozialdemokratische Politik und Inhalte durchgesetzt werden können.
3.         Die Koalitionsabsage an die LINKEN begründete Gabriel sinngemäß wie folgt: (gerichtet an Gysi, wo beide in einer TV-Talk Show anwesend waren): Wir machen mit euch keine Koalition, weil Ihr praktisch zwei Parteien seid, und wegen der antisemitischen Tendenzen bei den Linken. Was für ein Hohlgeist eines Parteivaters!?!
4.         Man erinnere sich an Gabriels Besuch in Hebron und seine Israel-kritischen Bemerkungen, die er angesichts des Schreckens, dessen er Zeuge wurde, nicht unterdrücken konnte. Die Sache endete nach dem routinemäßigen Antisemitismusvorwurf in einer demutsvollen Umkehr Gabriels, der in einer Rundmail bekannt gab, dass er sich künftig stärker mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland abstimmen würde. Für viele Beobachter hat sich Gabriel damit zum Narren gemacht.
Das kann kein Zeichen von Größe eines Parteivorsitzenden einer großen Volkspartei sein.
5.         In diesem Zusammenhang, sollte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, was im Koalitionsvertrag auf den Seiten 171 und 172 betr. Israel steht: „Wir bekennen uns zu der besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel als jüdischem und demokratischem Staat und dessen Sicherheit."
Dass Deutschland aufgrund des Genozids eine besondere Verantwortung für die Menschenrechte hat, ist verständlich. Aber, wie soll ein Staat gleichzeitig jüdisch und demokratisch sein, wenn zwanzig Prozent der Bürger nicht jüdisch sind und mehrere Millionen nichtjüdische Bewohner unter gewaltsamer Besatzung leben? Frage: Ist das sozialdemokratisch?
6.         Die Gesetze in Israel gelten nicht für alle Bürger gleich: Jeder Jude aus Brooklyn, Moskau, Kiew oder anderswoher kann israelischer Staatsbürger werden, während etwa die vertriebenen Palästinenser - mit Abstand die größte Flüchtlingsgruppe der Welt - ihr unveräußerliches und verbrieftes Recht auf Rückkehr nicht wahrnehmen dürfen. Israel bewegt sich weit außerhalb internationalem Recht und Menschenrechten.
7.         Frage: Stimmt das etwa mit sozialdemokratischen Grundwerten überein?
8.         Der Schlusssatz lautet: "Unser Ziel ist eine Zweistaaten-Lösung mit einem Staat Israel in anerkannten und dauerhaft sicheren Grenzen sowie einem unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat, die Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben." Auch dieser Satz ist bedeutungslos und anachronistisch. Inzwischen ist das palästinensische Gebiet schon so klein geworden, dass ein lebensfähiger Staat dort schon technisch gar nicht mehr möglich ist. Das ist ein Oslo-Satz aus den Osloer-Vereinbarungen und die sind längst von Israel für tot erklärt und begraben worden.
9.         Dieser Koalitionstext zu Israel ist keine Überraschung. Man erinnere sich an Merkels realitätsferne Floskel vor der Knesset, dass Deutschland und Israel dieselben Werte vertreten würden. Mit anderen Worten, mit dem Koalitionstext über Israel zeigt die künftige Bundesregierung, dass sie den Sinn für Realitäten hinter sich gelassen hat. Bestehendes Recht umzusetzen ist das Gebot der Stunde, denn nur so kann ein Frieden entstehen und nur so kann Israels Sicherheit garantiert werden. Dieser Text ist bestenfalls ein Relikt aus früheren Jahrzehnten und ein „grünes“ Licht für das israelische Militär. Daran konnte weder der Überfall und Massenmord in Gaza etwas ändern, der in keinster Weise eine Verteidigungsaktion Israels war, noch die Tatsache, dass führende israelische Geheimdienstleute inzwischen öffentlich verkünden, dass ihre Taktiken auch Nazi-Methoden einschließen – siehe den Film "Gatekeepers", auf Deutsch: "Töte zuerst!" von 2012.
10.       Der kurze Text, den man ohne weiteres als anti-demokratisch und als anti-palästinensisch bezeichnen kann, betrifft nicht nur Israel und Palästina, sondern auch das Verhalten in der deutschen Gesellschaft. Gabriel, der Hebron vor Ort als "rechtsfreien Raum für Palästinenser" bezeichnet hat und der "keinerlei Rechtfertigung" für die israelische Politik in den unrechtmäßig besetzten Gebiete gelten ließ, hat diesen Koalitionsvertrag unterschrieben. Er hat jetzt Angst davor, Israel zu kritisieren, und dieses Gefühl projiziert er auf sein Publikum (siehe Pkt. 3). (Merkel hat die Unterordnung unter die USA und Israel schon lange verinnerlicht und erkannt, wie sehr der Vasallen-Status ihre Machtposition stärkt.) Angst ist kein guter Ratgeber und auf eine Gesellschaft wirkt sie lähmend. Viele Personen hier zu Lande, aus Politik, Gewerkschaften, Medien, Wirtschaft und Kirche, bilden sich ein, mit diesem Verhalten die Vergangenheitsschuld der NS-Zeit abarbeiten und tilgen zu können. Sie irren sich gewaltig, denn diese lächerliche Vorstellung kann keiner Analyse standhalten.
11.       Demnach kann sich irgendjemand nicht darüber wundern, dass Politikern und Journalisten so wenig Vertrauen entgegen gebracht wird.
Frage: Wenn sie über Israel lügen und damit fast immer durchkommen, warum sollten sie eigentlich nicht auch anderswo ihre Lügen und Unwahrheiten unterzubringen versuchen und uns etwas vorheucheln, um das Publikum hinters Licht zu führen?
12.       Ein Wort zum viel gelobten Mindestlohn. Er soll ja erst im Wahljahr 2017 flächendeckend kommen. Wer dann noch daran glaubt, dass Merkels CDU sich daran halten wird, den kam man nur als politisch naiv bezeichnen. Damit meine Einwendungen nicht unendlich werden, weise ich nur darauf, dass vieles in den Medien und in Talk Shows total zerfleddert worden ist. Viele Ortsvereine, darunter auch 60-plus, wurden in TV-Sendungen gezeigt und kamen zur Wort. Aus unterschiedlichen Gründen war keiner begeistert. Sie alle hatten etwas auszusetzen. Und selbstverständlich wollten sie die GroKo mit Nein belegen.
13.       Ich füge noch hinzu, ich werde meine Zustimmung keiner Regierung geben, in der ein Friedrich, Rahmsauer oder Sauerrahm, Dobrindt oder Pofalla vertreten sein werden.
14.       Und noch ein Letztes: Unser Land schlängelt sich wie Mäander und verliert sich in Oberflächlichkeiten und Selbstverdummung, auf Kosten progressiver Kräfte, die bei diesem bösen Spiel nicht mitmachen können und wollen. Diese werden leider bewusst überhört. (PK)
 
 

Dr. Izzeddin Musa, geb. 1938 in Haifa, Palästina. Die Familie zog 1945 nach Nablus. Sie floh vor den Übergriffen der Terrorgruppen Stern-Bande und Irgun. In Nablus besuchte er die Grundschule. Ende 1956 beendete er seine Schulausbildung mit dem Abitur in Nablus und kam Anfang 1957 nach Deutschland. Hier studierte er Naturwissenschaften und promovierte.

Als Diplom-Geologe arbeitete in einem Ingenieurbüro in der Nähe von Köln und machte sich dann selbstständig. 1991 gründete er zusammen mit einer Gruppe von Deutschen und Deutsch-Palästinensern einen gemeinnützigen Verein: Gesellschaft zur Humanitären Unterstützung der Palästinenser e. V. Seit einigen Jahren gibt er eine Zeitschrift im Internet (www.palaestina-stimme.de) heraus.

Inzwischen ist er Rentner und teilte auf Anfrage der Redaktion mit: "Meine Rolle in der SPD sehe ich darin, zu gucken, wie weit diese SPD von der Willy Brandt-SPD abgedriftet ist. Brandt hat einmal gesagt, Politik hat den Menschen zu dienen, d.h. sie muss dafür sorgen, dass es den Menschen besser geht. Jetzt ist es total umgekehrt und alles ist auf dem Kopf gestellt. Willy Brandt hat der Politik menschliche Züge verliehen. Inzwischen prostituiert diese Politik mit dem Kapital und mit den Finanzmärkten die Partei nur noch zu einem Instrument. Die Groko als Geschenk zum 100sten von Willy Brandt ist ein Hochverrat und ein Verbrechen an seinem Vermächtnis."



Online-Flyer Nr. 438  vom 25.12.2013

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