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Kommentar
"Kein Mensch hat mich so inspiriert und motiviert wie Nelson Mandela"
Erinnerungen eines ehemaligen Lehrers
Von Lothar Reinhard

Ich war von Ende 1982 bis Ende 87 in Zimbabwe als Lehrer beim Aufbau einer Schule usw. tätig und seit dessen Gründung 1982 Mitglied des Zimbabwe Netzwerks. Auch ich habe im Laufe der Jahrzehnte an verschiedenen Aktivitäten zur Beseitigung der Apartheid insbesondere in Südafrika teilgenommen. Der Tod von Nelson Mandela hat mich persönlich wie sicherlich die meisten Menschen aus der ehemaligen Solidaritätsbewegung zum südlichen Afrika sehr berührt und aufgewühlt.

In dem Bild vor der Botschaft Südafrikas auf der Titelseite der Frankfurter Rundschau von 1988 oder 89 bin ich der Zweite von rechts.
Archiv von Lothar Reinhard
 
Kein Mensch hat mich so inspiriert und motiviert wie Nelson Mandela. Ich habe mir nach der Meldung von seinem Tod die halbe Nacht Berichte und Filme über ihn angesehen, auf SWF, CNN, euronews, AlJazeera, BBC.... Ich konnte stellenweise die Tränen nicht unterdrücken, weil ganze Teile meines Lebens hochkamen, auch viele schöne Erlebnisse.
 
Ich danke Gott, wenn es ihn gibt, dass Mandela trotz jahrzehntelanger Haft vergönnt war, 95 Jahre alt zu werden. Die damalige Trennung von Winnie war für Mandela sehr schmerzlich, war sie doch während Mandibas jahrzehntelanger Haftzeit sein sicher wichtigstes Sprachrohr nach draußen und eine zentrale Person für die gesamte Anti-Apartheids-Bewegung weltweit. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass Mandela mit Graca Machel, der Frau des ermordeten mozambikanischen Freiheitskämpfers und Staatspräsidenten Samora Machel, eine würdige und ebenbürtige neue Partnerin fand, deren ebenfalls außergewöhnliche Persönlichkeit im gesamten südafrikanischen Raum seit Jahrzehnten von unzähligen Menschen hochangesehen und verehrt wurde und wird.
 
Ich möchte hier nicht in dem Chor der weltweiten Bewunderer der außergewöhnlichen Führungsgestalt Mandela und seiner Fähigkeiten, Eigenschaften und Errungenschaften mitsingen, sondern einige Worte dazu verlieren, wie die menschenverachtende Apartheid und der Kampf dagegen auch mein kleines Leben stark beeinflusst und geprägt hat, ähnlich wie sicherlich bei vielen anderen Menschen aus der Solibewegung. Ich selbst kam weder aus irgendwelchen K-Gruppen noch aus kirchlichen Zusammenhängen, so dass mein Interesse und Engagement für die Abschaffung des schrecklichen Rassismus im südlichen Afrika anders entstand.
 

Soweto-Aufstand 1976,
NRhZ-Archiv
Die Bilder vom niedergeschossenen südafrikanischen Soweto-Aufstand 1976, der auch als Schüleraufstand bezeichnet wurde, haben sich bei mir ganz tief in der Seele festgesetzt. Ich befasste mich in der Folge näher mit den Befreiungskriegen in Südafrika, Namibia und dem damaligen Rhodesien, nahm in der Folge auch gelegentlich an Aktionen oder Kampagnen verschiedener Gruppen zum südlichen Afrika teil. Obwohl mein politischer Hauptschwerpunkt damals in der Anti-AKW-Arbeit lag, beteiligte ich mich an der Gründung eines Dritte-Welt-Ladens in Mülheim, dessen Hauptträger die Menschen um Ilse und Markus Braun waren, die bekanntlich beharrlich und überzeugend u.a. den Früchteboykott u.v.m. im Kampf gegen Apartheid organisierten. Für mich kam das südliche Afrika immer näher, eine rege, unabhängige Zimbabwe-Schüler-Gruppe und eine Namibia-Gruppe kamen vor Ort hinzu, ebenso Flüchtlinge aus dem südlichen Afrika.
 
Dann ging 1980 der Befreiungskrieg in Rhodesien zu ende und die Hoffnung bei vielen engagierten Menschen war groß, dass damit auch das Ende des Burenstaates eingeläutet werde und damit auch die Unabhängigkeit Namibias, das von Südafrika verwaltet wurde. Ich selbst befasste mich bereits intensiver mit den durchaus zähen und widersprüchlichen Friedensverhandlungen für ein unabhängiges Zimbabwe. Als Robert Gabriel Mugabe und die ZANU-Partei 1980 mit großer Mehrheit bei den ersten Wahlen gewählt wurden, überraschte mich das weniger als die meisten Berufsanalytiker in Ost und West, weil nach meinem Wissen die ZANU im Befreiungskrieg viel stärker in der Bevölkerung verankert war als die ZAPU des weltweit bekannteren und als Verhandlungsführer anerkannteren Joshua Nkomo. Mit dem unabhängigen Zimbabwe war das hochgerüstete Rassistenregime in Pretoria umgeben von sogenannten Frontstaaten, die alle die Kolonialherrschaft beendet hatten und wie Zimbabwe auch ein dem südafrikanischen vergleichbares Siedlerregime. Es war klar, dass der Aufbau des Frontstaats Zimbabwe gelingen musste, wollte man auch in Südafrika den Burenstaat beenden können, der im Westen starke und einflussreiche Freunde hatte.
 
Auf einem großen Treffen in Schalksmühle 1982, aus dem heraus auch später das Zimbabwe Netzwerk entstand, war derart viel Euphorie über das neue Zimbabwe, dass auch ich mich entschloss, am Aufbau dieses neuen Landes mitzuwirken. Es war alles noch schwierig, weil es noch keine deutschen Dienste geben durfte, da die neue schwarze Regierung noch als Terroristen eingestuft war. Schließlich ging ich wie andere auch über DAPP (Development Aid from People to People), die Entwicklungshilfeorganisation der großen dänischen Alternativschule Tvind, in das Abenteuer. In zähen Verhandlungen war es mir noch kurz vor der Ausreise sogar gelungen, als Lehrer beurlaubt zu werden, wenn auch anrechnungsfrei. Ich wäre wahrscheinlich auch ohne nach Zimbabwe gegangen, wie es andere taten, die sich oft auch ganz auf eigene Faust eine Stelle zur Mithilfe beim Aufbau des neuen Staates besorgt hatten. Die Hoffnung und Euphorie damals war jedenfalls auch im entwickelten Westen in manchen Kreisen groß. Education with production hieß zudem das Zauberwort, mit dem der Aufbau des Schulwesens praxisorientierter gestaltet werden sollte.
 
Wir wurden mit offenen Armen empfangen, zumindest von den Schwarzen. Und wir erlebten im Umgang mit den „normalen“ Menschen tagtäglich das, wofür Nelson Mandela als Gallionsfigur heute von allen gerühmt wird. „Reconciliation“ nach einem jahrzehntelangen brutalen Befreiungskrig war nicht nur eine Parole, sondern Alltag und kam aus der Überzeugung heraus. Das hat auch etwas mit dieser Kultur zu tun, die in vielen Dingen nicht so dogmatisch ist wie die europäische. Ich könnte stundenlang Erlebnisse aufzählen, um das zu belegen. Nur soviel: Als ich im fast ganz von den Rhodesiern zerstörten Marktort Jerera, 400 km von Harare, ankam und zusammen mit meinen zwei KollegInnen ein verbliebenes Haus beziehen durfte, wurden wir so begrüßt: „Wärst Du vor 3 Jahren gekommen, hätten wir dich in Scheiben geschnitten. Jetzt aber freuen wir uns, dass du da bist.“
 
In den ersten Jahren kamen manche mit ihren Kindern nicht selten gar von weit her, um den verängstigten Kindern einen leibhaftigen „murungu“ zu zeigen und sie anhielten, mir die Hand zu geben, damit sie die Angst verlören. Oder, wenn ich in den ersten Jahren mit afrikanischen Kollegen zusammen per Anhalter fuhr, hielten nicht selten ehemalige Rhodies und wollten mich mitnehmen, die Kollegen aber nicht. Ich verzichtete dann ebenfalls und war ein ums andere Mal erstaunt, wie wenig Hass oder Zorn die Kollegen ob dieser Diskriminierung an den Tag legten. „Das wächst sich aus“ oder ähnliche Erklärungen erstaunten mich jedes Mal aufs Neue. Oder wenn mich irgendein besoffener Soldat in der beerhall irgendwie schräg anmachte, waren jedes Mal sofort andere zur Stelle, die ihm klarmachten, dass jede Form rassistischen Streits nicht erwünscht sei…..
 
Nun sind Afrikaner genauso Menschen wie Europäer auch. Da gibt es faule, fleißige, dumme, schlaue, hinterhältige, eitle, naive, egoistische und altruistische Menschen, exakt wie in Deutschland, nur die Kultur ist eben eine andere. Das erklärt auch, warum ein außergewöhnlicher Mensch wie Mandela unumstrittene Leitfigur im Kampf gegen die brutale Apartheid werden und den Versöhnungsprozess einleiten konnte.
 
Das ändert noch nicht die ökonomisch und sozial gigantischen Verwerfungen einer nachkolonialen Gesellschaft, ist aber Voraussetzung, dass Veränderungen nicht nur über Blutvergießen und massive Unterdrückung geschehen können.
 
In den fünf Jahren meiner Tätigkeit in Zimbabwe gab es insgesamt eine Aufbruchstimmung, die auch dadurch bedingt war, dass eben nicht Rache und Hass den Alltag dominierten. Bis 1990 wurde trotz aller Fehler und Widrigkeiten vieles aufgebaut, das Zimbabwe bis dahin für schwarzafrikanische Staaten zum Vorbild machte. Das Schulwesen, das flächendeckende Gesundheitswesen inkl. des vorbildhaften Systems der Gesundheitsarbeiter und flächendeckender Blair-Toiletten, der Aufbau von Kleinstädten (Growth Points) mit geteerten Straßen auch und gerade in ehemaligen Reservatsgebieten seien hier nur beispielhaft genannt.
 
Nicht selten kamen in den 80er Jahren weiße Südafrikaner nach Zimbabwe, um zu sehen, ob ein Leben ohne Rassentrennung denn funktionieren könne. Sie konnten sich davon überzeugen, dass das möglich war.
 
Trotz der brutalen Destabilisierungspolitik gegen alle Frontstaaten durch das Apartheids-Regime war Zimbabwe, anders als z.B. Angola und Mocambique, damals ein eher aufblühendes Land und entscheidend wichtig auch dafür, dass das inzwischen immer mehr international isolierte Südafrika ein Ende der Apartheid in Betracht ziehen musste.
 
Als das Flugzeug mit dem mozambikanischen Präsidenten Samora Machel abgeschossen wurde, waren Wut und Trauer auch in Zimbabwe sehr groß und gingen quer durch die Bevölkerung. Als Hauptunterstützer im Befreiungskrieg wurde er in Zimbabwe hoch verehrt. Danach entstand auch die breite Kampagne „Heal the wounds“ in Zimbabwe, die Versöhnung als Ziel hatte - insbesondere mit den von Südafrika (und u.a. von Strauß) unterstützten RENAMO-Rebellen, die nicht nur Mocambique nahezu lahmgelegt hatten, sondern auch nach Zimbabwe hinein agierten und wüteten. Auch „Heal the wounds“ war ein Moaiksteinchen, das die Befreiung Südafrikas vom Joch der Apartheid durch einen unblutigen Versöhnungskurs ermöglichte.
 
Leider hat Zimbabwe ab Ende der 90er Jahre einen Kurs der Zerstörung durchgeführt, u.a. auch weil der greise Robert Mugabe nicht die Führungsqualitäten und nicht die Integrität eines Mandela besitzt. Mugabe und die abgewirtschaftete ZANU zogen dabei auch die Rassismus-Karte. Noch dreimal bin ich in den letzten Jahren in Zimbabwe gewesen. Trotz der Trauer über den Niedergang und die ausgeuferte Selbstbedienung weniger, habe ich aber an keiner Stelle erkennen können, dass der von der ZANU propagierte Gegen-Rassismus in der Bevölkerung verankert sei. Das hat mich beruhigt und bestätigt, dass diese Toleranzfähigkeit viel zu tun hat mit der Kultur der Shona, Ndebele u.a. Völker des südlichen Afrika.
 
Auch das habe ich als am Rande Betroffener im Hinterkopf, wenn nun die Trauerfeiern für die Freiheitsikone Nelson Mandela unter dem Beisein vieler Staatschefs, die zumeist selbst weder die Größe noch die Ausstrahlung des Mandiba besitzen, stattfinden. Und ich weiß: Die Trauer fast aller Menschen im gesamten südlichen Afrika ist groß und echt! (PK)
 
Der ehemalige Lehrer Lothar Reinhard ist seit Jahren Vorsitzender und Sprecher der Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI) im Rat der Stadt Mülheim/Ruhr.


Online-Flyer Nr. 437  vom 18.12.2013



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