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Kommentar
Kommentar vom "Hochblauen"
Warum der Kriegstrommler doch ein Trottel ist!
Von Evelyn Hecht-Galinski

Ich schrieb vor 3 Jahren schon einmal einen Kommentar über "Bibi den Wolf im Schafpelz". Wie recht ich damals mit meinen Einschätzungen hatte.(1) Nur, dass dieses mal der israelische Ministerpräsident Netanjahu nicht als "strahlender Held" vor der UNO mit seiner lächerlichen Bomben Zeichnung stand, sondern als "lächerlicher Trottel", der nichts anderes als den platten Spruch drauf hatte: Ahmadinedschad war ein Wolf im Schafspelz und Hassan Rohani ist ein Wolf im Schafpelz! Netanjahu gab dem persischen Kanal der BBC ein Interview, in dem er behauptete, dass "wir keine sadeh-lowh"(Trottel auf farsi/persisch) sind.(6)
 

Benjamin Netanjahu: "Wir sind keine Trottel."
NRhZ-Archiv
Wie kann man es aber sonst nennen, wenn ein Ministerpräsident eines "jüdischen Staates" voller Wut und unwahren Anschuldigungen gegen den Iran und seinen neuen Ministerpräsidenten Rohani eindrischt? Er rühmte auch die "historische" Freundschaft zwischen Iran und Israel vor der islamischen Revolution. Diese "historische" Freundschaft, die Israel mit dem Schah-Regime und seinem berüchtigten Folter-Geheimdienst Savak verband, ist uns allerdings noch in unguter Erinnerung! Er ging sogar so weit, dass er feststellte, nach dem Sturz des Regimes in Teheran könnte es wieder so eine Freundschaft zwischen Iran und Israel geben. Wahrscheinlich arbeitet Israel schon an der "Wiederherstellung" dieser Freundschaft. Dazu passt nämlich sehr gut die Aussage des ehemaligen Direktors des israelischen Militär-Geheimdienstes und heutigen Chef des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien an der Tel Aviver Universität, General Amos Yadlin, der enthüllte, dass diese militärischen Geheimdienst-Operationen maßgeblich dazu beitragen, dass Israel durch das Eindringen und Einschleusen dieser Agenten in viele arabische Staaten, wie Ägypten(!), wo man seit 1979 besonders eng mit ägyptische Regierungen zusammenarbeitet. Weitere Staaten die infiltriert werden, sind nur als Beispiele u.a.: Tunesien, Libyen, Marokko, Irak, Sudan, Jemen, Libanon, Iran, Palästinensische Gebiete und Syrien. Durch diese gut geplanten israelischen Aktionen und das Aufbauen von Netzwerken wäre Israel in der Lage, den positiven oder negativen Einfluss der politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Szene dieser Länder zu steuern.
 
Netanjahu wollte die Wahrheit verkünden und die Welt aufklären über die Gefahr, die vom Iran ausgeht, die natürlich nicht nur gegen Israel gerichtet sei, sondern gegen die ganze Welt. Netanjahus Drohungen gegen den Iran, sollte dieser sein Atomprogramm nicht gänzlich aufgeben, würde Israel, notfalls auch allein, militärisch gegen das Land vorgehen.
 
Alles wie immer in der Mogelpackung "Selbstverteidigung" versteckt. Obwohl Netanjahu eine PR-Kampagne a la Hollywood für sich in Bewegung gesetzt hatte, die ihn in allen wichtigen US-Fernseh Stationen zeigte, verpuffte diese Kampagne wie ein geplatzter Luftballon. Warum hielt man in deutschen Medien den Netanjahu-Auftritt auf Sparflamme? Weil dieser so offensichtlich peinlich und entlarvend für den "jüdischen Staat" und seine Vertreter war. Meist erschreckend war aber für mich, dass ich zufällig auf Euro News nach Netanjahus Brandrede live-Befragungen von israelischen Bürgern hörte, die begeistert waren und voll hinter ihm standen. Viele der Befragten stellten sogar fest, dass sie eigentlich nicht unbedingt Netanjahus Anhänger wären, aber alle seine Aussagen mittragen. Daher sollte man auch aufhören, immer nur von der israelischen Regierung im Zusammenhang mit Israel zu sprechen. Es ist Israel und die Mehrheit seiner Bürger, die voll hinter dieser "Kriegstrommler-Politik" stehen. Netanjahu und seine "klare Sicht", ist nichts anderes als eine altbekannte Aneinanderreihung von unwahren Behauptungen und einer Kriegsrhetorik, die ihresgleichen in der Welt sucht. Ein kleines Land und sein Vertreter stehen vor der UN, um dieses Forum für diese Kriegstrommelei zu benutzen, einer UNO, die von Israel eigentlich missachtet und verachtet wird.
 
Warum machten die Delegierten in der UN-Vollversammlung nicht das, was Netanjahu der israelischen Delegation gegen Präsident Rohani empfohlen hatte, nämlich den Saal zu verlassen, um sich diesen kriegerischen Schwachsinn nicht anhören zu müssen? Das wäre ein Zeichen gewesen! Ein israelischer Ministerpräsident und Vertreter des "jüdischen Staates", der die islamischen Führer und Politiker als Anhänger eines "messianischen, apokalyptischen und radikalen Kults", die wild und aggressiv ihre Ambitionen verfolgten, verunglimpft, hat jegliche politische Legitimation verspielt. Tatsächlich sieht sich der "jüdische Staat", hört man Netanjahu oder die Aussagen der anderen Funktionsträger, als überlegener Bezwinger aller Feinde. Das Problem ist, dass Israel eigentlich immer nur Feinde um sich sieht und diese schon vorsorglich potenziell bekämpfen will, zumindest erst einmal rhetorisch. Zeigt sich hier nicht die unheilvolle Auswirkung der ewigen Propaganda der Überhöhung und Suggestion von Einmaligkeit, die vermengt mit dem Anspruch auf Sicherheit für den kleinen und nur auf sich gestellten "jüdischen Staat" zu dieser propagandistischen Rhetorik führt? Daraus konstruiert man dann, dass nur durch Stärke, die sich über alles und jeden hinwegsetzen könne und dürfe, dieser vermeintlichen Schwäche begegnet werden kann.
 
Aus dieser infamen israelischen Sicht bezieht der "jüdische Staat" seine ungezügelte Rhetorik, die Druck und Sanktionen gegen alle seine "Feinde" fordert, selbst aber jeglichem Druck und allen Sanktionen autistisch widersteht. Natürlich ist das nur durch die US- und westliche Haltung gegenüber Israel ermöglicht worden, die dieses kleine Israel zu einem gefährlichen, mit allen erdenklichen Waffen ausgestatteten unberechenbaren Land machte. Hören wir endlich auf, dem Lügen-Mantra israelischer Kriegsrhetorik Gehör zu schenken. Nicht der Iran ist eine existenzielle Gefahr für den Weltfrieden, sondern Israel und seine Politik ist es! Wer hat denn die vermuteten etwa 200 bis 400 Atomwaffen, die Israel auch schon gegen Nachbarn einzusetzen drohte? Wer hat denn die biologischen und chemischen Waffen wie Phosphor und ähnliches (Gaza? Libanon?), die auch ohne Scheu eingesetzt wurden und würden? Machen wir uns nichts vor: solange die Bedrohung, die Israel durch seine Kriegstrommler darstellt, klein geredet wird, kann es in dieser Region keinen gerechten Frieden geben.
 
Mazin Qumsiyeh, der palästinensische Professor und Friedensaktivist aus Beit Sahour, den ich sehr schätze und den ich auch persönlich kenne, schrieb ein paar sehr interessante Fakten in seinem Blog. z.B.: "Netanjahu schrieb an Obama, wenn dieser illegale Sanktionen gegen Iran aufrecht erhalten würde, könnte er, Netanjahu, die AIPAC dazu bringen den US Haushaltsbudget-Streit zu lösen"(2) - ein Konflikt der teilweise auch auf den Milliarden Hilfen für Israel und AIPAC beruht? Übrigens: im nächsten Frühling wird das endlich ins Deutsche übersetzte Buch von Mazin Qumsyieh erscheinen, Titel: "Kanaan: Ein gemeinsames Land" (Sharing The Land of Canaan).
 
Am 6. Oktober jährte sich zum 40. Mal der Yom Kippur Krieg. Inzwischen weiß man aufgrund von neu veröffentlichten ausgewerteten Unterlagen und neu erschienen Büchern, wie dem neuen von Gideon-Avital-Eppstein "Die Schlacht um die kollektive Erinnerung" (The Battle for Memory), wie leicht auch der "jüdische Staat" durch Selbstüberschätzung und Hochmut an den Rand einer Kriegsniederlage gedrängt wurde. Wie sagte der israelische Historiker Tom Segev richtig? "Man hatte den Sinn für die Realität verloren". Hat man das nicht bis heute, frage ich mich? Wo wird diese Selbstüberschätzung Israel noch hinführen? Aber was kann man erwarten von einem Land "mit der Tora in der Hand", in dem ein Gerichtsurteil den rassistischen Fakt legitimiert, der es den Bewohnern des israelischen Staates verbietet sich Israelis zu nennen. Ein Land, in dem das höchste israelische Gericht entscheidet, dass sich die Einwohner des "Heiligen Landes" nicht als Israelis registrieren lassen dürfen, sondern dass sie weiter verpflichtet sind, sich als Juden, Araber oder Drusen anzumelden. Ein jüdischer und gleichzeitig demokratischer Staat schließen sich aus, denn wie sagt der Linguistik-Professor Uzzi Oman: "Die jüdische Identität ist antidemokratisch." Oman hat die Initiative für eine einheitliche Identität seit Jahrzehnten vorangetrieben und hat sich schon 1948, direkt nach der Staatsgründung Israels, als "ohne Religion" in seine ID Karte eintragen lassen!
 
Welchem Zweck dient denn die Religionseintragung in einen Pass oder in einen Personalausweis? Sich kenntlich zu machen, abzusondern und privilegiert zu sein in einem "jüdischen Staat"! Dieser besteht zu etwa 25% aus Nicht-Juden, davon wieder sind die größte Gruppe die israelischen Palästinenser muslimischen Glaubens, aber darunter befindet sich auch ein großer Anteil an palästinensischen Christen mit israelischem Pass. Alle diese nicht-jüdischen Bürger "zweiter Klasse" leiden unter Diskriminierung und Ausgrenzung. Sie kommen quasi im öffentlichen und medialen Leben nicht vor. Ich möchte nur daran erinnern, dass auch bei den sozialen Armutsprotesten in Israel diese Diskriminierungen absolut kein Thema waren! Somit ist Israel keineswegs diese moderne Gesellschaft, die zwar hoch technisiert ist, aber in gesellschaftspolitischen Fragen des demokratischen Zusammenlebens im Mittelalter stehen geblieben ist. Allzu verständlich, dass die jüdische Bevölkerung kein Interesse an einer Änderung dieser unhaltbaren Zustände hat, da sie die vermeintlich Privilegierten darstellen und sich gut eingerichtet haben in diesem Staat. Auch das erleichtert den Regierenden die Beibehaltung dieses Zustandes der Unterdrückung der Minderheit. Dieser entlarvende Gerichtsentscheid des höchsten israelischen Gerichtshofs zeigt erneut die offiziell abgesegnete Diskriminierung der arabischen Bevölkerung, die ein normales demokratisches Zusammenleben in Israel ad absurdum führt. Kennen wir Deutschen nicht die Definition der Nazis: wer Jude ist und wer nicht? Kennen wir nicht einen Pass mit einem J = Jude im Pass? Was für ein schreckliches Denken gegen die Gleichbehandlung aller Bürger eines Staates. Wo bleibt da der Protest der Europäischen Union, gegen diese "Sonderbehandlung" durch die Ethnokratie Israel?
 
Israel versucht mit allen Mitteln gegen EU Richtlinien anzugehen, wie die Kennzeichnungspflicht für Produkte aus den besetzten Gebieten. Der gerade beendete Besuch von Israels Staatspräsident Peres hat in den Niederlanden auch schon Wirkung gezeigt: Ministerpräsident Rutte wird die Kennzeichnungspflicht nicht einführen. Und so sieht die EU Einheit puncto Israel aus! (3) Ebenfalls versucht Israel, die Rücknahme der europäischen Resolution zur Beschneidung des Europarates zu fordern.
 
Israel schafft es immer äußerst wirksam, seinen Einfluss aufgrund eines "besonders Sein" einzusetzen - wie bei der Beschneidung, also der Rechtfertigung der Körperverletzung von kleinen Babys/Jungen - und diesen unzeitgemäßen und einschneidenden Ritus auf Gesetzesgrundlagen zu stellen. Natürlich alles immer mit Verweis auf die "Tora", oder noch wirksamer auf den den Holocaust. Sobald die EU einen guten Ansatz in Brüssel oder Straßburg beschließt, können wir sicher sein, dass dieser durch enorm effizientes Lobbying im Sinne des "jüdischen Staates" geändert wird! (4)
 
Zu dieser Art des Lobbying noch ein Hinweis auf einen Artikel aus dem "Zentralorgan" des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Jüdischen Allgemeinen vom 4.Oktober: Dort schrieb ein Korrespondent des Handelsblatt, ein Johannes C. Bockenheimer, einen so verheerenden "Bockmist", dass es mir fast die Sprache verschlug. Er verherrlicht in diesem Artikel die wissenschaftliche Entwicklung Israels als Wert für den Rest der Welt, schrieb gegen die Aufhebung der EU-Richtlinien und bezeichnete diese als einen Verrat an der Freiheit der Wissenschaft. (5).
 
Es ist ein Verrat an der Freiheit, wenn Israel weiter mit EU-Fördergeldern für die Besatzung und Missachtung der Menschenrechte und des Völkerrechts auch noch belohnt wird! Es ist ein Verrat an der Freiheit, wenn Israel weiter für Diskriminierung und Rassismus belohnt wird! Es ist ein Verrat an der Freiheit und eine Missachtung der Geschichte, wenn Israel weiter den Holocaust instrumentalisieren darf, denn das haben die Opfer nicht verdient, die sich dagegen nicht mehr wehren können! Es ist ein Verrat an der Freiheit, wenn die Vertreibung der Palästinenser nicht endlich den Stellenwert erfährt, der ihr in der Geschichte gebührt. Es ist ein Verrat an der Freiheit, wenn die neue noch zu bildende Bundesregierung diese Tatsachen nicht endlich anerkennt und danach handelt!
 
Um Hannah Arendt zu zitieren: "Besser Wahrheit ohne Macht oder Macht durch Lügen?
 
Beenden möchte ich mit dem Hinweis auf das neue Buch der der Philosophin Judith Butler "Am Scheideweg. Judentum und Kritik am Zionismus". Wie schrieb die taz in einer wie ich meine ätzenden Buchbesprechung, Titel: "Antizionismus als Pflicht". Wie wahr, eine wichtige Pflicht! (PK)
 
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15377
(2) http://popular-resistance.blogspot.com/2013/10/politicians.html
(3) http://www.israel-nachrichten.org/archive/5366
(4) http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-10/israel-kritik-beschneidung-resolution
(5) http://www.juedische-allgemeine.de/article/print/id/17161
(6) 
http://www.spiegel.de/politik/ausland/netanjahu-irans-jugend-spottet-ueber-israels-premier-a-926427.html

Evelyn Hecht-Galinski ist Publizistin, Autorin und Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom "Hochblauen", dem 1165 m hohen "Hausberg" im Badischen, wo sie mit ihrem Mann Benjamin Hecht lebt.
2012 kam ihr Buch "Das elfte Gebot: Israel darf alles" heraus. Erschienen im tz-Verlag ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. 


Online-Flyer Nr. 427  vom 09.10.2013



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