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Kultur und Wissen
Der Deutsche Jugendliteraturpreis
Ein Preis für Lizenzen?
Von Wolfgang Bittner

Bereits am 23.11.1962 stand in der FAZ, der Preis sei eine „Zweckentfremdung von Bundesmitteln, die der Förderung der deutschen Jugendliteratur dienen sollten“. Gemeint war der Deutsche Jugendliteraturpreis (DJLP), der einzige Staatspreis in Deutschland für Literatur. Er wird vom Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert und jährlich während der Frankfurter Buchmesse vergeben. Die Organisation liegt bei einem Arbeitskreis für Kinder- und Jugendliteratur (AKJ), der jährlich vom Ministerium mit etwa einer halben Million Euro subventioniert wird. Davon werden etwa 200.000 Euro für den Preis zur Verfügung gestellt, wovon 50.000 Euro an die Preisträger gehen, und zwar je 8.000 Euro in den Sparten Bilderbuch, Kinderbuch, Jugendbuch und Sachbuch; mit 10.000 Euro wird zusätzlich ein Gesamtwerk ausgezeichnet und außerdem gibt es einen mit 8.000 Euro dotierten Preis einer Jugendjury.
 

Bundesministerin Kristina Schröder -
Stifterin des Deutschen Jugend-
literaturpreises
Kritik an der Preisvergabe
 
In der Vergangenheit wurde die Praxis der Preisvergabe immer wieder kritisiert, denn in einigen Jahren stand kaum ein deutsches Buch auf der Auswahlliste, die mittlerweile dreißig Titel umfasst. 1989 fand in der Akademie Remscheid eine von mir mitorganisierte Tagung unter dem Motto „Deutsche Kinder- und Jugendliteratur chancenlos im German open?“ statt und auch renommierte Kinderbuchautoren äußerten sich kritisch. Von 2005 bis 2009 erhielt in den Sparten Kinderbuch und Jugendbuch bei 59 Nominierungen nur ein einziger deutschsprachiger Autor den Preis, nominiert wurden lediglich acht Originalausgaben. 2011 veröffentliche dann der Verleger Dr. Otfried Wolfrum, eine statistische Auswertung mit dem Ergebnis: „Eine für den DJLP vorgeschlagene Übersetzung hat es 9-mal leichter eine Nominierung zu erzielen als ein Originaltitel und 14-mal leichter einen Preis zu erhalten.“ Das liegt unter anderem daran, dass alle eingereichten Bücher im Vorjahr erschienen sein müssen und übersetzte Bücher in ihren Heimatländern bereits einen längeren Vorlauf haben. Deutschsprachige Autoren haben also nur selten eine Chance, ihren Staatspreis zu erhalten; sie gehen aber auch in anderen Ländern leer aus, weil die dortigen Staatspreise den inländischen Autoren vorbehalten sind.
 
Eine Initiative der Kreativen und die Gegenreaktionen
 
Im April 2013 hat sich eine „Initiative deutschsprachiger Kinder- und JugendbuchautorInnen und -IllustratorInnen“ gegründet, die sich für eine Besinnung auf die in Deutschland, Österreich und der Schweiz geschriebene Kinder- und Jugendliteratur einsetzt. Mehr als 500 Kreative haben einen offenen Brief an das Familienministerium unterschrieben und eine Änderung der Richtlinien für den DJLP dahingehend gefordert, dass künftig für die Bewertung durch Kritiker- und Jugendjury nur noch deutschsprachige Originalwerke in den Sparten Bilderbuch, Kinderbuch, Jugendbuch und Sachbuch zugelassen werden. Deutsche Übersetzungen von fremdsprachigen Werken sollen separat in einer weiteren Sparte prämiert werden.
 
Gegen diese Initiative, die sachliche und überzeugende Argumente anführt, findet seither eine unglaubliche, ihre Mitglieder diskriminierende Kampagne statt. Von „Unverschämtheit“ ist die Rede, von der „Unfähigkeit der Mehrheit deutscher Autoren“, auch von Deutschtümelei und Nationalismus. In einem Kommentar auf ein Interview von Antje Wagner, einer der Sprecherinnen der Initiative, in der Zeitschrift Buchreport heißt es: „…Mir ekelt vor allem ‚Deutschen‘!! Halte es mit Deniz Yücel von der TAZ: ‚Der baldige Abgang der Deutschen aber ist Völkersterben von seiner schönsten Seite‘.“
 
Das Ministerium verhält sich abwiegelnd, und eine Vertreterin des Verbandes deutscher Übersetzer versteigt sich zu der Behauptung: „Übersetzung und Original sind nicht zwei unterschiedliche literarische Formen, sondern ein und dasselbe.“ Sie plädiert, ebenso wie die Vertreter des AKJ, für ein „weltoffenes Deutschland“, als seien nicht ohnehin „alle wichtigen Titel der Welt übersetzt im Buchhandel zu haben“ – so der Verleger Dr. Wolfrum, der des Weiteren darauf hinweist, dass gerade die Lizenzausgaben von den Verlagen besonders beworben und bevorzugt für den DJLP eigereicht werden.
 
Internationale Reputation des Preises
 
Gern wird in den Gegenreden die große Reputation hervorgehoben, die der DJLP weltweit genieße. Dass auf der Auswahlliste auch schon mal ein anti-emanzipatorisches „Biss-Buch“ (es geht um Vampire und Werwölfe) der amerikanischen Mormonin und Bestsellerautorin Stephenie Meyer stand, wird geflissentlich übergangen. Und auch die Hintergründe von Preisvergaben bleiben im Dunkeln.
 
So erhielt zum Beispiel 2008 die US-amerikanische Autorin Paula Fox für ihr Buch „Ein Bild von Ivan“ den DJLP in der Sparte Kinderbuch. Der Titel war im Jahr zuvor im Boje Verlag erschienen (Verlagsleitung: Ulrich Störiko-Blume), übersetzt von Brigitte Jakobeit. Die Erstveröffentlichung lag bereits 39 Jahre zurück, und das Buch hatte zuvor in den USA einige Aufmerksamkeit erhalten. Im Dezember 2007 wurde es dann mit dem von der Wochenzeitung Die Zeit und Radio Bremen vergebenen Jugendliteraturpreis „Luchs“ ausgezeichnet, natürlich auch sehr positiv und umfangreich in der „Zeit“ gewürdigt. In der Jury für den „Luchs“ saß der für die Kinder- und Jugendbuchseite bei der „Zeit“ zuständige Redakteur Konrad Heidkamp, der Ehemann von Brigitte Jakobeit, und zum Arbeitskreis für Kinder- und Jugendliteratur in München hatte der Verlagsleiter Störiko-Blume zeitweise sehr enge Verbindungen.
 
Es geht nun nicht um den „Luchs“, die „Zeit“, Radio Bremen oder einzelne Personen, erst recht nicht um eine grundsätzliche Infragestellung des Deutschen Jugendliteraturpreises. Vielmehr geht es um einen Anstoß zum Nachdenken über die Unanfechtbarkeit des DJLP, seine Internationalität und viel beschworene Reputation und das Zustandekommen von Preisvergaben wie auch über den Alleinvertretungsanspruch des AKJ für die Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland – dies nur vorsorglich, damit die Diskussion nicht in eine falsche Richtung gedrängt wird.
 
Die Befürworter der Internationalität des Preises schreiben selber keine Bücher. Vielmehr beschäftigen sie sich auf die eine oder andere Weise mit Büchern und mit dem Literaturbetrieb oder sie profitieren davon. Es sind die sogenannten Sekundären wie Vermarkter, Organisatoren, Journalisten, Literaturwissenschaftler, Juroren und so weiter, auch Leser. Gern fahren sie in Delegationen zu Kongressen des Internationalen Kuratoriums für das Jugendbuch (IBBY, mit Sitz in Basel) nach Kapstadt, Macao, Neu-Delhi, Tokio oder Rio de Janeiro. Viele von ihnen haben offenbar nicht begriffen, dass es Schriftsteller gibt, die – unter anderem um Niveau und Ästhetik bemüht – vom Schreiben der Kinder- und Jugendliteratur leben, und die damit die deutsche Kultur mitgestalten und prägen. (PK)
 
Wolfgang Bittner ist Jurist und Schriftsteller und dürfte den meisten NRhZ-LeserInnen bekannt sein. Zuletzt erschien von ihm der Roman „Hellers allmähliche Heimkehr“ (2012), von dem Sie vier Auszüge bei uns finden. Beginn der Serie unter http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18381

Dieser Artikel erschien zuerst in Politik & Kultur 5 (2013)

 


Online-Flyer Nr. 424  vom 18.09.2013



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