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Kultur und Wissen
Bitte, bitte keine Fortsetzung von diesem Buch, Birk Meinhardt!
Die DDR-Geisterbahn
Von Ulrich Gellermann

Hereinspaziert, hereinspaziert, hier können Sie auf 600 Seiten totales Gruseln erleben, mit echt ekligen Parteifunktionären, mit irrem DDR-Materialmangel, mit Biermann und der Staatssicherheit, auch eine Russenvergewaltigung wird nicht fehlen, alles da, alles dran, treten Sie einfach näher heran. Mit diesem Versprechen könnte der Hanser-Verlag sein Buch "Brüder und Schwestern" von Birk Meinhardt bewerben und jedes Wort wäre wahr. Es ist gutes, abgelagertes Propagandaholz aus dem, gut 20 Jahre nach Ende der DDR, dieser Roman geschnitzt ist, nicht einmal eine Art KZ wollte der Autor auslassen.
 

"Brüder und Schwestern"-Autor Birk
Meinhardt auf der Leipziger Buchmesse
Quelle: wikipedia
Und wie in jeder ordentlichen Propagandaschrift gibt es auch in dieser die absolut Guten und die völlig Schlechten und dazwischen eigentlich nichts. Der wirklich völlig Gute ist Matti. Der muss eines Biermann-Gedichtes wegen von der Schule verwiesen werden, wird Flussschiffer und schreibt an einem Roman, der den Lesern des eigentlichen Romans auszugweise angeboten wird: "Ich holte den Ukas des Obersten hervor, der mich als zwangsberechtigt auswies", schreibt der Ich-Erzähler als er im Zweitroman "Das Verschlossene Kind" eine Insel betritt. Die DDR-Reizworte kommen hier in einem poetischen Fähnchen daher: "Zwangsberechtigt, Ukas, Oberster", Matti wird seinen Roman in der DDR Meinhardts natürlich nicht verlegen. Das erledigt dann die gute Fee aus dem Westverlag, die aber vor ihrer West-Funktion in der DDR Lehrerin war und mit Matti geschlafen hat. Ja, da staunste!
 
Und dann der wirklich unangenehme Bruder von Matti, der Erik, ein Original-Opportunist, der in die SED eintritt, um ins Ausland zu kommen und so nebenbei seine Schwester verrät. Die gehört zu den Original-Guten und wird deshalb nicht zum Studium zugelassen, macht aber eine DDR-Weltkariere in einem privaten Zirkus und wird dabei einen echten Masochisten kennenlernen. Da biste platt, was so ein Roman alles bietet. Weil einfach kein Thema ausgelassen werden kann, kommt Erik mal in ein Büro, in dem "eine große steinerne Schale" steht, die - geheimnisvoll, geheimnisvoll - ein jüdisches Taufbecken sein soll, denn "Ab und an würden die Juden, das läge nun mal in ihrer Kultur begründet, jemanden taufen wollen." In Birk Meinhardt ist begründet, dass er keine Ahnung hat. Davon aber viel. Man kennt in der jüdischen Religion die Mikwe, ein ziemlich großes Tauchbad, das der symbolischen Reinigung dient. Die Mikwe ist alles, nur keine Schale. Aber wenn der Autor seinen dünnen Stoff mit Nebenthemen aufpeppen muss, dann ist er großzügig.
 
Großzügig geht er auch mit der deutschen Sprache um. Da beult ein Penis die Wange einer Dame aus, "als habe sie einen fürchterlich dicken Zahn". Während einer Schlägerei "riefen seine Knochen, Du packst mich nicht, Du nicht!" Und wenn die Knochen schon das Reden anfangen, dann ist es nur logisch, dass einer nur friert, um sich "in ein wohliges hitziges Bibbern hineinzusteigern". Natürlich wird das Ohrläppchen der Liebsten nicht einfach berührt, sondern gespreizt "touchiert" und, der Lore-Roman höret nimmer auf, wenn eine Dame mit den "Salzkristallen ihres umwerfenden Schweißes" arbeitet, und Matti durch seine "Nüstern einen Laut der Kapitulation" hervorbringt. Die Stelle der Mutation vom Mann zum Pferd ist mir irgendwie entgangen. So nimmt die Kolportage ihren Lauf, die Sprache ächzt, der Leser auch. Doch damit nicht genug: "Es wird fortgesetzt" wird auf der letzten Seite angedroht. Liebe Leute von Hanser, habt ein Einsehen, nehmt Euch andere Themen vor. Aus Hartz IV, der NSA und dem NSU lässt sich doch auch eine schöne Geisterbahn fertigen. Und sie hätte den Vorteil, dass all' ihre Gespenster noch leben. (PK)
 
Buchtitel: Brüder und Schwestern, Autor: Birk Meinhardt, Verlag: Hanser
Diese Buchkritik hat uns Ulrich Gellermann von der "Rationalgalerie" zur Verfügung gestellt.
http://www.rationalgalerie.de/archiv/index_2_434.html
 


Online-Flyer Nr. 423  vom 11.09.2013

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