NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

zurück  
Druckversion

Inland
Oberleutnant Klever wollte nicht beim "Krieg gegen den Terrorismus" mitmachen
Gewissen ist nichts für die Bundeswehr
Von Jürgen Rose

Zwölf Jahre fast sind vergangen seit der Völkerrechtsverbrecher George W. Bush auf den Trümmern des World Trade Center’s in New York seinen aberwitzigen „War on Terror“ ausgerufen hat. Freilich gründete letzterer nicht nur in der Vorspiegelung falscher Tatsachen, sondern war eo ipso eine Lüge, hat er sich doch längst als „War of Terror“ entpuppt. Was sich realiter abspielt, ist kein Krieg gegen den Terror, sondern ein weltweit mit staatsterroristischen Methoden und Mitteln in Szene gesetzter Krieg, der sich mittlerweile als erstklassiges Terroristenzuchtprogramm erweist. Sinnigerweise firmiert dieser Terrorkrieg unter der Propagandabezeichnung „Operation Enduring Freedom“ (OEF), zu Deutsch: „Operation immerwährende Freiheit“. Was einem passieren kann, wenn man da nicht mitmacht, erfuhr der Bundeswehr-Oberleutnant Philip Klever, worüber die NRhZ bereits im Juni berichtete. (1)

Unterstützung einer „Operation Enduring Freedom“ über Afghanistan
NRhZ-Archiv
 
Längst liegt die Zahl derer, die den Mordtruppen des US-Militärs sowie den Todesschwadronen der CIA zum Opfer gefallen sind, um Potenzen über derjenigen von 9/11. Die Maxime, die das Imperium der Barbarei dem von ihm inszenierten globalen Terrorkrieg zugrunde legt, lautet: Die USA maßen sich das Recht an, jederzeit unter Mißachtung jedweder nationalen Souveränität an jedem beliebigen Ort des Planeten jeden beliebigen Menschen auf den bloßen Verdacht terroristischer Aktivitäten hin entweder umstandslos zu liquidieren oder ihn zu kidnappen, um ihn in quer über die Welt verstreute geheime Folterkeller zu verschleppen und schlußendlich in Konzentrationslagern ohne Anklage und Prozeß auf unbestimmte Zeit zu internieren. Schlichtweg außer Kraft gesetzt wird hierbei das Prinzip des „Habeas Corpus“, eines jahrhundertealten Grundpfeilers der Menschenrechte, nämlich der Schutz vor willkürlicher Verhaftung durch den jeweiligen Machthaber im Staat. Angesichts solcher Ungeheuerlichkeit verpufft das pharisäerhafte Hirngespinst vom „benevolenten Hegemonen“ (Dr. Josef Joffe) rückstandslos im Nirwana der Lächerlichkeit. Faktisch ist die „einzig verbliebene Supermacht“ zum faschistoiden Schurkenstaat mutiert. Und ein Ende des durch diesen im Rahmen der OEF etablierten „Systems Guantánamo“ ist nicht abzusehen – George Orwell läßt grüßen.
 
Ungeachtet des abgrundtiefen Skandals, den jene Suspendierung nicht nur des internationalen Rechts, sondern auch fundamentaler Menschen- und Bürgerrechte darstellt, beteiligen sich seit damals sämtliche Bundesregierungen willfährig an den vom Imperium Americanum verübten völkerrechtlichen Verbrechen und ignorieren dabei nonchalant das Friedensgebot des Grundgesetzes gleichermaßen wie die darin normierte unmittelbare Bindung an das Völkerrecht. Geheimdienste und Armee stehen als beflissene Werkzeuge bei Fuß. Als nibelungentreue NATO-Vasallen stellen die Generäle der Bundeswehr – „brainwashed by US“ – sicher, daß die Truppe ohne Murren in die Globalisierungskriege zieht und weiterhin der von einem vormaligen Leiter des Planungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung dereinst beschworenen „Angst vor der Massenverweigerung“ die Grundlage entzogen bleibt. Ab und an besinnt sich aber doch der ein oder andere Fleckgetarnte seiner Pflichten als „Staatsbürger in Uniform“ und entdeckt dabei zudem noch sein Gewissen. So geschehen auch im Fall des Oberleutnants der Bundesluftwaffe Philip Klever.
 

Oberleutnant Philip Klever - folgte
seinem Gewissen und wird nun
schikaniert
Foto: privat
Der studierte Elektroingenieur ist ein haochqualifizierter Spezialist für die sogenannte »Elektronische Kampfführung«. Seit 2009 versah er seinen Dienst zunächst beim Elektronischen-Kampfführungs-Bataillon (EloKaBtl) 922 in Donauwörth, danach beim Zentrum Elektronischer Kampf Fliegende Waffensysteme (Zentr EK FlgWaSys - ZEK) in Kleinaitingen, einer kleinen Gemeinde im schwäbischen Landkreis Augsburg. Dort ist Oberleutnant Klever laut seinen Angaben mit der „Parametrisierung der Komponenten für die Systeme zur Elektronischen Kampfführung des Waffensystems Eurofighter“ beschäftigt. Jene hochdiffizilen, ausgeklügelten ECM/ECCM-Systeme (Electronic Counter Measures/ Electronic Counter Counter Measures) dienen dem Selbstschutz des Jagdflugzeugs vor der Erfassung und Bekämpfung durch gegnerische Radarsysteme und Lenkwaffen; die konkreten Details von Klevers Tätigkeit unterliegen strikter militärischer Geheimhaltung.
 
Am 12. Dezember letzten Jahres erhielt der Luftwaffenoffizier den Befehl, im Zeitraum 3. Juli bis 7. November 2013 im regionalen NATO-Gefechtsstand für Luftkriegsoperationen im afghanischen Mazar-e-Sharif den Dienstposten des RAOCC-N ELECTRONIC WARFARE AIR PLANS OFFICER zu übernehmen. Darüber, was er als Planungsoffizier für die elektronische Luftkriegsführung dort genau tun sollte, mußte er sich mangels Vorliegen einer offiziellen Dienstpostenbeschreibung bei seinen Kameraden informieren, die am selben Ort bereits im Einsatz gewesen waren. Von diesen erfuhr er, daß seine Aufgabe in erster Linie darin bestünde, die Einsatzplanung für Spezialflugzeuge der elektronischen Kampfführung, sogenannter „Stand Off Jammer“, mit dem ISAF-Kommando in Kabul zu koordinieren. Letzteres priorisiert im weiteren Operationsverfahren sämtliche Anforderungen für derartige Luftkriegseinsätze in Afghanistan und leitet diese an das CAOC (Combined Air Operations Centre) auf der Al Udeid Air Base in Qatar weiter, wo die US Air Force ECM-Flugzeuge der Typen EA-6B Prowler und Lockheed EC-130H Compass Call stationiert hat.
 
Im Einsatz über Afghanistan besteht der Auftrag der Störflugzeuge darin, elektromagnetische Energie abzustrahlen, um damit Kommunikationsverbindungen und -netze am Boden zu stören und lahmzulegen, damit in der Folge die den ausländischen Besatzungstruppen der ISAF zur Verfügung stehenden Bomber und Jagdbomber möglichst effektiv ihre Luftangriffe gegen die solchermaßen „stummgeschalteten“ afghanischen Guerillakämpfer fliegen können. Von entscheidender Bedeutung in diesem Kontext ist der Umstand, daß diese „Air Strikes“ nicht allein auf der Grundlage und innerhalb der Grenzen des vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erteilten Mandats für die ISAF stattfinden, sondern auch im Rahmen des sogenannten „Kriegs gegen den Terror“, vulgo OEF, bei dem es sich, wie zuvor dargelegt, indes realiter um blanken völkerrechtsverbrecherischen Staatsterrorismus handelt. Letzteres wurde Oberleutnant Klever im persönlichen Gespräch durch mehrere Kameraden, die in Afghanistan eingesetzt waren, bestätigt, zum Beispiel durch einen anderen Oberleutnant (Name ist dem Autor bekannt), der in einem exemplarischen Fall die Unterstützung einer Operation des SAS (Special Air Service), einer Kommandotruppe der britischen Streitkräfte, die an der Grenze zu Tadschikistan und auch teilweise auf dessen Territorium stattfinden sollte, zu veranlassen hatte. Auf Klevers Frage hin, ob diese Mission sich denn innerhalb des ISAF-Mandats bewegt hatte, erhielt er ein klares Nein zur Antwort, während ein bei diesem Gespräch anwesender Leutnant (Name ist dem Autor ebenfalls bekannt) ergänzte: „Dies geschah wahrscheinlich unter gar keinem Mandat.“ Aufgrund derartiger Erfahrungsberichte zog Oberleutnant Klever „eindeutig den Schluss, dass [er sich] auf diesem Posten als Mittäter an unrechtmäßigen Kampfhandlungen beteiligen würde.“ Angesichts dessen muß es als sehr gut nachvollziehbar erscheinen, daß er nach weiteren ausführlichen Gesprächen mit Eltern, Freunden, einem Pfarrer und der Lektüre einschlägiger Literatur schlußendlich auf Grundlage einer sorgfältigen Lagebeurteilung zu der Entscheidung gelangte, die Ausführung des ihm befohlenen Auftrages abzulehnen, weil er sich durch ihn in eine unzumutbare Gewissensnot gebracht sah.
 
Anfang Februar dieses Jahres erörterte er mit seinem Disziplinarvorgesetzten zunächst mündlich seine Gewissensentscheidung, bevor er sie anschließend in schriftlicher Form hinreichend begründet und nachvollziehbar darlegte – ganz korrekt so, wie es das Bundesverwaltungsgericht 2005 in seinem einschlägigen Urteil zur Gewissensfreiheit von Soldaten gefordert hatte. (2) Wörtlich gab der Luftwaffenoffizier zu Protokoll: „Ich bin … zu der Überzeugung gekommen, dass mein Aufgabengebiet im Bereich der mandatierten Mission ISAF zu einem bestimmten Teil in den Bereich der nicht mandatierten Mission Operation Enduring Freedom (OEF) fällt. Somit ist es mir nicht möglich, die Erledigung meiner Aufgaben vor Ort mit meinem Gewissen zu vereinbaren. Dort würde ich mich – so wie ich es in Gesprächen mit Kameraden erfahren habe – an strafbaren Handlungen beteiligen. Ich erkläre hiermit, dass ich keinen Beitrag zu einer nicht mandatierten und völkerrechtlich bedenklichen Mission wie OEF leisten werde. Ebenso werde ich an keinen Ausbildungsvorhaben teilnehmen, welche ausschließlich im klaren Zusammenhang mit der Vorbereitung auf diesen Auslandseinsatz stehen. … Aus diesen Gründen verweigere ich die Beteiligung an ISAF sowie allen Einsätzen, die nicht unmittelbar der Verteidigung dienen, und bitte darum, mich von sämtlichen Aufgaben, die in der Verbindung mit ISAF und somit auch möglicherweise mit OEF stehen, zu entbinden.“
 
Die Reaktion von Seiten vorgesetzter Bundeswehrinstanzen war symptomatisch für einen eiskalten Militärapparat, der sich schon in der Vergangenheit bei gleichgelagerten Fällen voll und ganz als jenes „stahlharte Gehäuse der Hörigkeit“ erwiesen hatte, als welches der berühmte deutsche Soziologe Max Weber die bürokratische Organisation dereinst bezeichnet hatte. Wenige Tage nachdem Klever seine Verweigerung in schriftlicher Form bei seinem Disziplinarvorgesetzten abgegeben hatte, wurde er während einer medizinischen Tauglichkeitsuntersuchung zu seiner Auslandsverwendungsfähigkeit in die Psychiatrie des Bundeswehrkrankenhauses Ulms überwiesen. Die Begründung hierfür lautete, daß man „eine fundierte zweite Meinung brauche“. Eine Woche später stand das Ergebnis der psychiatrischen Examination in der FU6 fest: „Soldat gesund, da er ein Gewissen hat. Ein Gewissen ist keine Krankheit.“ Ausgesprochen positiv ist an dieser Diagnose zu vermerken, daß wenigstens beim Sanitätsdienst der Bundeswehr die Tassen unverkennbar noch alle wohlgeordnet im Schrank stehen. Knapp zwei Monate später wurde Klever dann eröffnet, daß er endgültig aus der in Afghanistan geplanten Einsatzverwendung ausgeplant wäre – was gleichbedeutend mit der offiziellen Anerkennung seiner Verweigerung war. So weit, so gut, möchte man meinen.
 
Doch weit gefehlt, denn nun begannen die dienstlichen Schikanen gegen den Gehorsamsverweigerer aus Gewissensgründen erst so richtig. Zuallererst wurde dem Offizier mitgeteilt, daß er umgehend aus seiner bisherigen Tätigkeit herausgelöst und seine Versetzung auf einen anderen Dienstposten bei einer anderen Dienststelle an einem anderen Dienstort beantragt würde – nichts anderes als eine „Strafversetzung“, wie sie üblicherweise in solchen Fällen dienstlicher Unbotmäßigkeit und Aufbegehrens gegen den Kadavergehorsam die Folge ist. Zugleich wurde der renitente Offizier unverzüglich von seinen Kameraden isoliert, indem ihm befohlen wurde, aus dem gemeinschaftlichen Großraumbüro in ein gefängniszellenartiges Einzelbüro, das zuvor als Lagerraum diente, umzuziehen „damit er sich konzentrieren könne und nicht von den anderen von der Arbeit abgehalten würde“. Darin befand sich ein Telefon, welches per Rufumleitung so eingestellt war, daß er keine Anrufe empfangen konnte. Parallel dazu wurden Klevers PC-Rechte eingeschränkt und ihm als Ersatz für seinen bisher genutzten Computer ein weder internet- noch intranetfähiger Laptop mit der Aufschrift „HUMBUG“ übergeben. Mit den Worten: „Beschreiben Sie wie die Dampfmaschine funktioniert“, erteilte sein Vorgesetzter ihm den Auftrag, ein Konzept zu erarbeiten, welches den Dienstablauf in der Einheit darstellt – nichts weiter als sinnfreie Beschäftigungstherapie.
 
Am 30. Mai berichtete dann das ARD-Politmagazin PANORAMA über den Fall des Terrorkriegsverweigerers Philip Klever. Kaum verwunderlich, daß die Schikanen danach intensiviert wurden. So untersagte ihm sein Disziplinarvorgesetzter, sein altes Büro zu betreten und mit seinen Kameraden zu sprechen; die offizielle Begründung hierfür: „Man müsse präventiv verhindern, daß er mit seiner Meinung andere Kameraden beeinflussen könne.“ Reziprok wurden Klevers Kameraden dazu vergattert, den Kontakt zu ihm auf ein Minimum beschränken. Dennoch ließ ihn einer von denen wissen, daß der ursprünglich für Klever vorgesehene Dienstposten in Afghanistan mittlerweile ersatzlos gestrichen worden war – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Daß er diese Information im Verlaufe eines Interviews an den Redakteur der NeuenRheinische Zeitung weitergegeben hatte, bildete kurz darauf den Anlaß für die Einleitung disziplinarer Ermittlungen gegen den Offizier wegen „Verstoßes gegen die Pflicht zur Verschwiegenheit“. Zudem warf man ihm vor, dem Fotografierverbot in der Kaserne zuwidergehandelt zu haben, weil er für PANORAMA ein Foto von seinem „HUMBUG“-Laptop angefertigt hatte – was tatsächlich allerdings außerhalb der Kaserne erfolgt war. Wenig später wurde dem Geheimnisträger Klever seine Sicherheitsermächtigung entzogen – offenbar, weil ein Offizier mit Gewissen in den Augen der Bundeswehr ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko darstellt. Da er nun die der militärischen Geheimhaltung unterliegenden Arbeitsbereiche nicht mehr betreten darf, verrichtet Philip Klever seinen militärischen Dienst bis auf weiteres im „Mutter-Kind-Arbeitszimmer“ der Kaserne. Gespannt wartet Offizier Klever dort – „gewissensschonend“ eingesetzt – auf weitere kreative Einfälle seitens vorgesetzter Autoritäten.
 
Seine Kameraden registrieren derweil aufmerksam den Umgang mit dem Gewissenstäter. Unter dem Siegel der Anonymität werden sie deutlich: „Ich persönlich finde es eine mutige Entscheidung, aber auch eine richtige Entscheidung, wenn er sein Gewissen gefragt hat und er mit diesem Einsatz in Afghanistan Probleme hat, dann muß er so handeln und das ist ja auch sein gutes Recht und so dann auch von der Bundeswehr anerkannt worden“, gibt einer zu Protokoll. Die Reaktion der Bundeswehr wird als „unbeholfen“ qualifiziert. Daß an Klever ein Exempel statuiert werden soll, steht außer Frage: „Es soll damit auch eine gewisse Schwelle erzeugt werden, daß man sich genau überlegt, ob man sich auch über die Folgen seiner Gewissensentscheidung im Klaren ist. Will ich mit diesen Konsequenzen leben, also daß ich möglicherweise aus meiner Heimatregion oder der Region, wo ich mich gerade wohlfühle, wegversetzt werde, will ich auf den Kreis meiner Arbeitskollegen verzichten, will ich isoliert in einem Einzelbüro sitzen und Aufgaben erhalten, die eindeutig unter meiner Qualifikation sind? Durch all diese Maßnahmen überlegen sich natürlich die anderen Kollegen, ob sie auch so eine Entscheidung treffen, und es wird den Kameraden gezeigt, was passieren kann, wenn sie nur ihr Recht wahrnehmen und einen Befehl oder einen Einsatz aus Gewissensgründen verweigern.“ Das, was da passiere sei „schlimm, weil man ja nur sein Gewissen gefragt hat und das einem sagt, daß man damit nicht mehr so klar kommt.“ Daher sei „es natürlich schade, daß die Bundeswehr mit so einem subtilen Vorgehen wie bei Herrn Klever solche Überlegungen unterbindet.“
 
Welch verheerende Folgen seine schikanöse Behandlung nach sich zieht, wird klar benannt, wenn einer seiner Kameraden formuliert: „Ich glaube, daß in Zukunft nicht mehr so viele Leute bei uns eine Entscheidung wegen ihres Gewissens verweigern. Es wurden ja schon Nachfolger für ihn benannt, die sich sofort bereit erklärt haben, weil man natürlich immer die Konsequenzen im Hinterkopf hat. Ich denke, daß es für die Soldaten, die sich hier wohlfühlen, sicherlich ein abschreckendes Beispiel ist. Ich denke, daß das ein Signal sein soll: Überlegt genau, ob Ihr in eurem Umfeld verbleiben wollt oder ob Ihr in eine Isolation gesteckt werdet, nichts mehr mit euren Kameraden zu tun habt oder sogar gleich versetzt werdet und damit auch aus eurem Freundeskreis, Eurer Familie und so gerissen werdet. Ich denke, daß das Signal, daß zum Beispiel der Versetzungsantrag für ihn geschrieben wurde, daß das sehr bewußt geschehen ist, und daran ist natürlich auch ein Signal gekoppelt, nämlich, daß man von der Bundeswehr eine Schwelle für die anderen Kameraden aufbaut, die lautet: Mach‘ das, was ich will oder ich mache etwas, was du nicht willst. Denn es ist schon etwas sehr Besonderes, daß ein Vorgesetzter für einen Soldaten einen Versetzungsantrag schreibt, das habe ich bislang noch nicht erlebt. Ich kenne es so nicht. Mir ist kein Fall bekannt, wo das mal passiert ist. Und das hat sicherlich einen Eindruck bei den Kameraden hinterlassen, und da überlegt man es sich schon zweimal.“
 
Wie ausgeprägt die Empathie mit dem sanktionierten Kameraden Klever ist, geht aus folgender Einlassung hervor: „Natürlich muß sich Klever von seinen Kameraden immer anhören, daß er in Isolationshaft, im Loch, im Gefängnis oder im Kerker ist, und das ist zwar etwas drastisch, aber er ist natürlich durch die räumliche Trennung isoliert. Es ist zwar kein Gefängnis, aus dem er nicht herausgehen darf, aber er wurde schon aus der Gemeinschaft genommen. Also ich habe mich gewundert, daß sein Schreibtisch leer war und er nicht da war und dann sah ich ihn niedergeschlagen auf einen Stuhl mit einer Tasse Kaffee sitzen und dann sagte er, daß jetzt gerade sein Vorgesetzter einen Versetzungsantrag für ihn schreibt und er jetzt auch aus dem Großraumbüro von seinem Arbeitsplatz weg muß und in ein Einzelzimmer kommt. Das war erst einmal eine Situation, wo ich ziemlich geschluckt habe. So ein Versetzungsantrag ist natürlich schon ein ziemlicher Druck, der da aufgebaut wird, der ja vor allem das Privatleben betrifft, denn er lebt ja mit seiner Freundin zusammen und sein Privatleben ist dadurch natürlich nicht mehr geregelt, dann muß er sich bei einer Versetzung auf eine Wochenend-Beziehung einstellen und das ist natürlich eine große Belastung. Ich denke, das war vorher absehbar, daß es nicht alles so bleibt wie es vorher war, er mußte schon damit rechnen, daß Veränderungen in seinem Leben passieren. Aber ich finde das nicht fair. Nur weil ich Recht habe und jemandem anderen sage, daß er Unrecht hat, darf ich nicht irgendwelche Nachteile haben. Es ist ja schon ein Denkzettel oder eine Retourkutsche, die er jetzt bekommt.“ Daß die eingangs zitierte „Angst vor der Massenverweigerung“ angesichts von Gewissenstätern wie Philip Klever und seinen Vorgängern in den Reihen der Bundeswehr nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, mag die Aussage eines Kameraden illustrieren, der ihn wissen ließ: „Ich kann dich verstehen. Wenn jetzt so etwas in Syrien losgeht, dann mach‘ ich da auch nicht mit.“
 
Angesichts des schäbigen Umgangs einer von Ignoranz und Intransigenz geprägten Militärbürokratie mit einem Staatsbürger in Uniform, der nichts weiter getan hat, als dem Postulat des Doyens der Inneren Führung, Generalleutnant Wolf Graf von Baudissin, zu folgen, indem er ein „ständig waches Gewissen“ an den Tag legte, ist man geneigt, eine Träne der Verzweiflung zu weinen, in der das Salz des Ärgers die Feuchtigkeit der Anteilnahme zu verkrusten droht. Denn eigentlich sollten die Goldbesternten im Berliner Bendlerblock Purzelbäume freudiger Erregung darüber schlagen, wie vorbildhaft loyal der Subaltern-Offizier Klever genau den Pflichten nachkommt, welche die höchsten Generäle der Bundeswehr dereinst höchstpersönlich definiert hatten. So hatte der vormalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General Klaus Naumann, in seinem Generalinspekteursbrief 1/1994 gar auf eine soldatische Pflicht zur Gehorsamsverweigerung gepocht: „In unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Ethik stehen dem Gehorsamsanspruch des Dienstherrn das Recht und die Pflicht zur Gehorsamsverweigerung gegenüber, wo eben diese Rechtsstaatlichkeit und Sittlichkeit mit dem militärischen Auftrag nicht mehr in Einklang stehen, der Soldat damit außerhalb der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung gestellt würde.“
 
Schon zwei Jahre zuvor hatte Generalleutnant Peter von Kirchbach in der vom Bundesministerium der Verteidigung herausgegebenen Offizierzeitschrift Truppenpraxis angemerkt: „Die Spannung [zwischen Freiheit und Gehorsam] besteht in der Bindung an Befehle einerseits, in der Bindung an ein Wertesystem andererseits. Die Spannung besteht in der Bindung und Treuepflicht an den Staat einerseits und dem Wissen, daß staatliches Handeln immer nur das Vorletzte sein kann und daß das an ein höheres Wertesystem gebundene Gewissen eine entscheidende Berufungsinstanz sein muß. Sicher wird der Staat seinen Bürgern normalerweise nicht zumuten, gegen den Rat ihres Gewissens zu handeln. Der Staat der Demokratie wird sich im Gegenteil auf die Werte berufen, in denen das Gewissen gründet. Im Wissen um diese Spannung aber und im Wissen, nicht jedem Anspruch zur Verfügung zu stehen, besteht letztlich der Unterschied zwischen Soldat und Landsknecht.“
 
Seitdem sich freilich unsere glorreiche gesamtdeutsche Armee an der Durchsetzung der Globalisierung mit militärischen Gewaltmitteln beteiligt, müssen derartige Gewissensappelle aus Generalsmund lediglich als hohle Phrasen erscheinen. Dessen ungeachtet erweisen sich von Zeit zu Zeit immer wieder SoldatInnen eben nicht als bloße Handwerker des Krieges „mit flatternden Idealen und einem in Landesfarben angestrichenen Brett vor dem Kopf“, wie der herausragende deutsche Publizist und Pazifist Kurt Tucholsky einst notierte, sondern wie im Falle Klever mitunter auch als Verfassungspatrioten. Angesichts dieser Tatsache kommen sowohl die politische Leitung als auch die militärische Führung um die Erkenntnis nicht herum, daß, wie der schweizerische Divisionär, also Generalmajor, Gustav Däniker schrieb, „nicht nur der einzelne Soldat, sondern selbst die härteste Truppe eine Seele besitzt, und ebenso ein Gewissen, das ihr sagt, was man tun darf und was nicht.“ Die hieraus zwingend folgende Konklusion brachte in bestechender Weise ein Justizminister der Vereinigten Staaten von Amerika, Ramsey Clark, der seinem Land zu einer Zeit diente, in der es noch kein Überwachungs-, Mord- und Folterstaat, sondern ein Rechtsstaat war, auf den Punkt, als er den nicht erst für den »Staatsbürger in Uniform« im Rahmen moderner Kriegführung, sondern für jeden Soldaten schon immer geltenden kategorischen Imperativ definierte, der da lautet: „Die größte Feigheit besteht darin, einem Befehl zu gehorchen, der eine moralisch nicht zu rechtfertigende Handlung fordert.” Feige ist er demnach wahrlich nicht, der Oberleutnant der Luftwaffe Philip Klever. (PK)
 
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19136
2) Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 21. Juni 2005 – BVerwG 2 WD 12.04
 
Der Autor Jürgen Rose hat sich als Oberstleutnant der Bundeswehr im Frühjahr 2007 selbst mit einer analogen Begründung erfolgreich geweigert, den Einsatz von TORNADO-Waffensystemen der Bundesluftwaffe in Afghanistan logistisch zu unterstützen.
 
P. S.: Die neueste Lagemeldung aus dem „Mutter-Kind-Arbeitszimmer“ lautet, daß Oberleutnant Klever auf der Grundlage des sogenannten Personalanpassungsgesetzes am 30. September dieses Jahres unsere glorreiche bundesdeutsche Armee verlassen wird.


Online-Flyer Nr. 421  vom 28.08.2013

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE