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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Kommentar
K.O. - Dank Sykes-Picot. - Nichts ist, wie es scheint, in Arabien.
Was haben Sykes und Picot mit Kairo zu tun?
Von Ken Jebsen

Was sich dieser Tage in Ägypten abspielt, ist mit Worten kaum zu fassen. Das Land steht kurz vor dem Bürgerkrieg. Statt eines demokratischen, sprich: friedlichen, Dialoges untereinander, hat das Schwert das Wort ersetzt. Wer behauptet, auf beiden Seiten gäbe es Opfer, ist selber eines. Ein Medienopfer. In Ägypten gibt es weit mehr als zwei Seiten. Nur für den politischen Laien kämpfen hier die Muslimbrüder gegen die Übergangsregierung. Nur für Menschen, deren politische Weltsicht ausschließlich auf Tagesnachrichten beruht, steht hier Seite A im Alleingang gegen Seite B, klassisch geputscht.


Mohammed Mursi
NRhZ-Archiv
Fakt ist, niemand, der heute in der sogenannten Übergangsregierung sitzt, aber auch niemand, der unlängst noch unter Präsident Mohammed Mursi auf einem Chefposten saß, hätte diese Position ohne die Unterstützung von Dritten bekommen. Diese Dritten findet man außerhalb Ägyptens. Wer die Situation in Ägypten heute verstehen will, muss sich daher die Frage stellen: Cui bono? Wer profitiert? Wer profitiert von Chaos?
Warum haben Dritte es überhaupt zugelassen, dass Mubaraks Militärdiktatur stürzen konnte, nachdem dieser über 30 Jahre als US-Marionette fest im Sattel saß? Warum haben Dritte es zugelassen, dass die Muslimbrüder an die Macht kamen? Was hat der in Arrest sitzende Mursi so „falsch“ gemacht, dass er die Unterstützung Dritter verlor, man ihn eiskalt fallen ließ? Auf all diese Fragen gibt es Antworten. Diese Antworten passen auf den ersten Blick nicht unbedingt zusammen. Aber genau das ist Teil jener Tarnung, die diese Politik des Spaltens seit über 100 Jahren erfolgreich macht.
Wer Ägypten 2013 verstehen will, muss bereit sein, in der Geschichte einen gehörigen Schritt zurück zu gehen. Tut er das nicht, kann er für sich zwar davon ausgehen, der Lösung des Rätsels schon auf den Grund zu kommen, indem er einfach die Basiswahrheiten der Hauptnachrichten übernimmt, aber wäre er dann tatsächlich so ahnungslos wie Leonardo DiCaprio in Shutter Island. (1)
 
Machterhalt um jeden Preis
 
Um was geht es in der Politik? Um Machterhalt. Machterhalt. Machterhalt um jeden Preis. Macht basiert auch 2013 auf der Fähigkeit, taktisch zu denken. Macht ist wie Schach. Wer in der Lage ist, drei Züge im Voraus zu planen, hat eine echte Chance, jeden Gegner zu dominieren. Politik - und in unserem Fall Geopolitik - ist aber immer eine ganze Reihe von Schachpartien. Plural. Man kann auch gewinnen, wenn man mal verloren hat, denn alles, was zählt, ist die Gesamtbilanz. Um diese Gesamtbilanz zu seinen Gunsten zu entscheiden, kommen der Schach-, wie auch der Geostratege, nicht umhin, den Gegner exakt zu studieren.
Es ist kein Zufall, dass die USA heute als letzte große Weltmacht an den meisten geopolitischen Schachzügen direkt oder indirekt beteiligt sind. Sie haben hervorragende Think-Tanks, in denen dann Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen zumindest versuchen, das Denken der Anderen für amerikanische Interessen in einem amerikanisch-globalisierten System nutzbar zu machen. Das ist die eigentliche Leistung der amerikanischen Außenpolitik. Sie dominieren den Feind, da sie ihn zuvor gründlich studiert haben. Wenn den USA Fehler passieren, hat das mit Arroganz zu tun, die auf militärischer Überlegenheit fußt. Aber, und das muss man den USA zugutehalten, der Machtapparat der Vereinigten Staaten ist flexibel. Jedenfalls flexibler als alle andern Systeme, die es seinerzeit mal mit den USA aufgenommen haben.
 
Kairo im und nach dem Juni 2012
 
Machen wir einen direkten Sprung nach Kairo in eine Zeit, in der die Muslimbrüder auf dem Zenit ihres Erfolges waren: Juni 2012. Mohammed Mursi gewann die Wahl. Die Wahlbeteiligung war sehr niedrig. Manche sagen, die Wahl wäre manipuliert worden. Dennoch, Mursi wollte der Präsident aller Ägypter sein und wurde von der ganzen Welt als ein Mann gefeiert, der den arabischen Frühling in einen arabischen Hochsommer verwandeln könnte. Ein politischer Shooting Star. (2)
Mohammed Mursi war, wie viele andere Kandidaten 2012, zur Wahl um das Präsidentenamt angetreten, um das Machtvakuum nach dem Sturz Mubaraks zu füllen. Die Wahlen liefen demokratisch ab und Mursi wurde Ende Mai mit 52 % der Stimmen gewählt. Kaum war der Sieg offiziell, begann Mursi, den alten Machtapparat konsequent vom Restpersonal Mubaraks zu befreien. Er führte im übersetzten Sinne eine Entnazifizierung durch. So wies er den höchsten Militärrat in seine Schranken und setzte Feldmarschall Tantawi als Verteidigungsminister ab. Mursi, als Kopf der Muslimbrüder, wollte einen klaren Schnitt. Einen Neuanfang. Er wusste, dass er dabei nicht zu weit gehen durfte, denn ganz ohne das „alte“, aber eben auch hochqualifizierte, Personal aus dem Mubarak-Regime wäre Ägypten, ähnlich wie der Irak, leicht in Anarchie versunken.
 
Missfallen in den USA
 
So weit so gut. Dann aber begann der neue ägyptische Präsident, das gesamte System mit Personal zu besetzen, das dem Westen, allen voran den USA, missfiel. Auf immer mehr Chefposten wurden eher „neutrale“ Beamte durch Menschen ersetzt, die der Westen bis heute als Islamisten bezeichnet. Mursi hingegen hatte diese Beamten vor allem ins System eingespeist, da er sie für 100 % loyal hielt. Das sind sie. Bis heute, wie man an den Ausschreitungen aktuell deutlich erkennen kann. Die Anhänger Mursis, die Muslimbrüder, sind bereit, mit ihrem Leben für ihren Präsidenten zu bezahlen. Und haben das in diesen Tagen X-hundertfach bewiesen. Mehr Loyalität geht nicht. Was nicht bedeutet, dass sie für die richtigen Ideale sterben. Nur was sind die „richtigen“ Ideale? Es macht wenig Sinn, darüber zu streiten - mit der Absicht zu einem Ergebnis zu kommen, das als wasserdicht gelten könnte - denn hier prallen Ideologien aufeinander.
Der Traum eines Menschen kann für einen anderen ein Alptraum sein, und jeder, der ein völlig verkrustetes korruptes System wirklich umkrempeln will, muss eine gewisse Form von Radikalismus an den Tag legen, damit der Wandel sich auch vollzieht. Spürbar wird. Auf die Dosis kommt es an. Das ist, wie wenn man ein völlig verfallenes Haus komplett renovieren will, um es vor dem Abriss zu bewahren. Dann muss man sich von fast allem trennen. Es komplett entkernen. Wer so etwas in der Politik versucht, macht sich immer Feinde. Das ist aber kein Phänomen, das wir nur in Ägypten erleben oder nur von Staatschefs kennen.
Jeder Papst, der den Versuch unternahm, die katholische Kirche zu modernisieren - und dabei auf das christliche Pendant zum Islamisten setzte: den christlichen Fundamentalisten, den christlichen Hardliner - machte sich damit nicht nur Freunde. Weder inhouse noch beim Publikum. Wer unter dem neuen Papst seine alte Position verlor, wurde zum Konkurrenten, und vielen der Gläubigen ging der Versuch des Ausmistens zu weit oder zu schnell. Veränderungen sind etwas, was jeder begrüßt. Es sei denn, sie erfüllen nicht die eigenen Erwartungen.
Exakt dieses Problem hat Mohammed Mursi hinter Gitter gebracht. Für die einen hat Mursi die Revolution verraten, weil er tat, was er tat: Macht anzuhäufen, um die Ideen derer durchzusetzen, die ihn ins Rennen geschickt hatten. Hätte er das nicht getan, hätte er für den inneren Zirkel als Verräter gegolten und hätte leicht das Ende von Kennedy genommen. Vielleicht kommt das noch. Fest steht, Mohammed Mursi hätte es ohne den Rückhalt der USA nie in den Präsidentenpalast geschafft. Wie das? Als die USA erkannten, dass ihre bisherige Marionette, Husni Mubarak, beim Publikum endgültig verspielt hatte, nicht mehr zu halten war, ließen sie ihn fallen. (3)
Plötzlich war der Mann, der 30 Jahre einer der wichtigsten Partner in der Region war, ein Despot. Ein Mann von gestern, der den Wunsch nach Demokratie in der Region nicht erkannt hatte. Absurd. Mubarak war wie ein Filmstar aus Hollywood, der beim Publikum nicht mehr ankam, da die Studios ihn immer schlechtere Rollen spielen ließen. Mubarak hatte nie eigenen Text. Seine Zeit war einfach nur abgelaufen. Er war verbraucht.
Also sahen sich die USA nach einem Ersatz um. Die Muslimbrüder. Die Muslimbrüder sind nicht vom Himmel gefallen. Wer ihre Geschichte kennt, die weit bis vor Nasser reicht, wusste, dass sie inzwischen bei einem Großteil des Volkes enormes Ansehen genossen. Es gibt die Muslimbrüder seit Jahrzehnten im gesamten arabischen Raum. Sie wurden in Ägypten gegründet und existieren seit 1928.
Was also taten die USA, als sie Machthaber Mubarak abservierten? Sie taten, was sie immer tun, wenn es darum geht, in irgendeiner Form an der Macht zu bleiben, auch wenn der Chef wechselt. Die USA machten auf FDP. Für die USA ist das, was unsereins gemeinhin als Opportunismus bezeichnet, Pragmatismus. Pragmatismus in der Politik bedeutet: Augen zu und durch. Es gilt, alles zu vermeiden, was einen aus dem Spiel bringt.
Und wie bedankte sich Mursi für diese verdeckte Unterstützung? Indem er der Fatah die Möglichkeit bot, politisch an Gewicht zuzulegen. Er lud Mahmud Abbas nach Kairo ein, um über die Möglichkeiten der nationalen Versöhnung der Palästinenser mit Israel zu sprechen. Dieser Zug wurde in den USA dahingehend interpretiert, auf das richtige Pferd gesetzt zu haben. (4) Für die USA war Mursi damit wieder ein Ägypter, für den Frieden mit Israel eine Option war. Ein Stabilisator im Krisenherd. Mursi trat in die Fußstapfen des ägyptischen Präsidenten Sadat, der 1979 mit Israel einen Friedensvertrag geschlossen hatte. Vorangegangen war diesem historischen Schritt das Camp David-Treffen mit dem damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter.

Anwar as-Sadat, Jimmy Carter und Menachem Begin in Camp David, v. l.n. r.
Quelle: wikipedia

Soweit, so gut. Nur: Mursi orientierte sich weniger an Sadat, sondern viel mehr am größten ägyptischen Präsidenten überhaupt. Gamal Abdel Nasser. Mursi strebt nach völliger Unabhängigkeit auch in der Wahl zukünftiger Partner. 
Nasser war ein Vertreter des Panarabismus, den man nicht mit Panislamismus verwechseln darf. Nasser kam aus dem Militär, war aber ein Verfechter der strikten Trennung von Staat und Religion. Er kooperierte jahrelang mit der UDSSR, um etwas zu schaffen, was man eine Arabische Union nennen würde. Also das arabische Pendant zu Europa oder den Vereinigten Staaten von Amerika. Exakt das aber sollte damals wie heute um jeden Preis verhindert werden. Heute eben die VIS, die Vereinigten Islamischen Staaten: Ein Staatenverbund also, der als gemeinsamen Nenner also eben nicht nur arabische Wurzeln hat, sondern vor allem den Islam als noch größeres verbindendes Element. Hier tickt für den Westen schon seit jeher eine Zeitbombe.
Ein Superstaatenverbund, der mittels Panarabismus angeschoben würde und ein säkulares System vorgäbe, könnte sehr schnell in einem gigantischen islamischen Gottesstaat enden. Radikale an der Macht, die auf den größten Ölvorkommen der Welt sitzen und die der Hass auf die USA zwangsläufig zu der ausgestreckten Hand der Chinesen greifen lassen würde. All das wäre möglich, wenn die Revolution erst einmal eine kritische Größe überschritten hätte. Würde diese Union, die VIS, tatsächlich Wirklichkeit, wäre sie deutlich mächtiger als die OPEC, die Organisation erdölexportierender Länder.
Warum? Weil die VIS eben nicht nur das Monopol auf Erdöl hätten, sondern auch große Teile afrikanischer oder eurasischer Bodenschätze kontrollieren würde. Auch hier wäre die Kooperation mit China nur ein Fingerschnippen entfernt. China wäre Schutzmacht und Kunde der VIS. Die VIS würden Staaten unter einen gemeinsamen Nenner bringen, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben, sich vielleicht sogar unterschiedlichen Bündnissen verschrieben haben, auf unterschiedlichen Kontinenten zu finden sind. Unter dem Dach der VIS würden eben nicht nur alle Staaten Platz finden, von denen die Welt heute Öl kauft, Saudi-Arabien, Katar oder Bahrain etc., sondern eben auch die Türkei, der Iran, Marokko oder Niger. Die VIS wären der Albtraum des Westens. Aus diesem Grund wird in Washington immer und zu jeder Zeit alles dafür getan, dass man sich im Nahen Osten untereinander nie zu gut versteht.
Die USA agieren klar nach dem Muster: Wenn Zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Diese Taktik beinhaltet aber vor allem, dass es auch Streit gibt. Nicht zu viel. Nicht zu wenig. Nur, wenn sich die unterschiedlichen Länder in der Region nie zusammentun, wenn sie stattdessen konkurrieren, kann die VIS verhindert werden. Und dafür ist jedes Mittel recht.
Als Mohammed Mursi vor genau einem Jahr, im August 2012, bei seiner ersten Auslandsreise China besuchte, läuteten in den USA hochgradig die Alarmglocken. (5) Mursi stand ab diesem Zeitpunkt auf der Abschussliste. Er hatte sich mit dem Erzfeind getroffen. Warum, war den USA schnell klar. Die Muslimbrüder suchten nach einem starken Partner für ihren panislamischen Superstaat, um sich in dessen Schatten und mit dessen Hilfe aus der Abhängigkeit von den USA zu lösen. Dieser Superstaat wäre aber vor allem das definitive Aus für eine Vielzahl arabischer Nachbarn, die, als Partner der USA, Lichtjahre von Demokratie entfernt sind. Allen voran Saudi-Arabien.
Fakt ist, alle Golfmonarchien leben heute davon, dass eine Handvoll Scheichs tun und lassen können was sie wollen, im Gegenzug das Ölfass der Welt spielen, und dafür wiederum amerikanische Waffen erhalten, um sich mit diesen vor der eigenen Bevölkerung zu schützen, die sie massiv unterdrücken. Über diese Golfstaaten sorgen die USA außerdem dafür, dass der Nahe Osten korrumpierbar bleibt, indem man es in regelmäßigen Abständen immer wieder schafft, dass sich Menschen derselben Glaubensrichtung gegenseitig abschlachten. So werden im Moment über Saudi-Arabien und Katar auch jede Menge Al-Qaida Kämpfer nach Syrien geschmuggelt, um hier für Chaos zu sorgen und Präsident Assad zu stürzen. Hauptziel dahinter: Syrien teilen.
 
Verteile und beherrsche!
 
Rom lässt grüßen. Nach diesem Muster wird seit über 100 Jahren von den unterschiedlichsten Kolonialmächten im gesamten eurasischen Raum agiert, um persönliche Interessen durchzusetzen. Bis heute. Syrien z.B. soll geteilt werden, um Homs in die Hände der USA oder deren Partner fallen zu lassen. In Homs sollen zukünftig die ankommenden Gas- und Ölpipelines ihre wertvolle Fracht, z.B. aus Katar, gen Westen abliefern.
Teile und herrsche. Oder auch: Verteile und beherrsche. Z.B. den Energiemarkt. Die meisten arabischen Staaten, die wir heute in der Nachbarschaft Ägyptens finden, sind mit Hilfe des Westens entstanden. Sie wurden künstlich geschaffen. Wobei man immer großen Wert darauf legte, dass diese Staaten nicht zu groß würden. Daher wurden die Grenzen oft einfach, ohne Rücksicht auf Stämme oder Topografie, ganz dreist mit dem Lineal des Kolonialisten gezogen. Es ging um das Entstehen eines Flickenteppichs. Man muss sich das wie bei einem Automobilhersteller vorstellen. Je geringer seine Fertigungstiefe ist, je mehr er also von Drittherstellern produzieren lässt, desto verwundbarer oder auch erpressbarer wird er. Aus diesem Grund wählt ein Autohersteller unterschiedliche Unternehmen, die unterschiedliche Teile für unterschiedliche Modelle fertigen. So kann er den Verlust von Zulieferer A wesentlich einfacher kompensieren, als wenn er 50% und mehr Teile aller Fahrzeuge von nur einem Zulieferer fertigen lassen würde.
Man sollte nicht nur bei der Herstellung von PKWs, sondern vor allem als Supermacht, immer peinlich genau darauf achten, dass man sich nie von nur einem Partner abhängig macht. Nur wer unabhängig bleibt, hat die Chance, über Dekaden die erste Geige zu spielen und die sich am Horizont abzeichnenden Konkurrenten sich vom Hals zu schaffen, noch bevor diese in die Saiten greifen.
Merke: Der Sturz Mursis war von langer Hand geplant und als Option immer Teil des Spiels Machterhalt. Hier hat kein ad hoc-Staatsstreich stattgefunden. Man kann an der Reaktion z.B. von Bahrain oder den Vereinigten Arabischen Emiraten erkennen, dass hier ein Plan ausgeführt wurde, an dem mehrere Partner der USA - und damit die USA selber - direkt oder indirekt beteiligt waren. So sicherten Bahrain und die Emire der Vereinigten Arabischen Emirate den Putschisten Militärhilfe zu. Was wären das für Waffen, die dann über die Grenze gingen, um die Übergangsregierung zu betonieren? Es wären Waffen, die diese Scheichtümer zuvor in den USA gekauft haben. 
Als klar wurde, dass Mursi einen ganz eigenen Kurs für Ägypten im Auge hatte, floss das Kapital aus dem Land. Nicht, weil Mursi die versprochene Demokratie immer mehr beschnitt, um aus Ägypten ein Land zu machen, in dem der Islam als Religion eine viel stärkere Rolle gespielt hätte. Das wäre dem Westen völlig egal - wie wir u.a. am US-Partner Nr.1 in der Region, Saudi-Arabien, sehen. Nein, Mursi und seine extrem vernetzten Muslimbrüder wären zur Gefahr für die Scheichtümer in der Region geworden. Der Erfolg der Muslimbrüder in Ägypten hätte leicht zu einem Putsch durch diese Institution in allen anderen arabischen Ländern führen können. Der arabische Frühling hätte leicht zum Verlust der US-Marionetten in der Region werden können, und hier ist Ägypten ein Schlüsselstaat. Das musste verhindert werden.
Der große gemeinsame Nenner, der Islam, ist schon da. Die Muslimbrüder unter Mursi aber wären ein großes gemeinsames Netzwerk geworden. Dieses aber kann nur agieren, wenn es die Macht aus Land A in Land B transferiert. Wenn das Beispiel Schule macht. Der Putsch hat diese Gefahr gebannt. Und siehe da, kaum ist Mursi - und damit die Muslimbruderschaft - in Ägypten weg vom Fenster, fließen auch wieder die Kapitalströme in das Land. Man will Stabilität schaffen. Durch das Ankurbeln der Wirtschaft und die Beseitigung vom zuvor forcierten Mangel. (6)

Und wieder die Fragen:
Wer profitiert?
Wer profitiert vom aktuellen Chaos?
Fakt ist: nichts ist, wie es scheint.

Ob die, die berechtigte Kritik an Mursis Ideen, Ägypten religiös aufzuladen üben, jetzt auch diejenigen sind, die die Übergangsregierung überleben, kann bezweifelt werden. Fest steht, der Putsch gegen Mursi wurde in Ägypten selbst von liberalen Kräften unterstützt und geplant. Nur, dass sich diese Kräfte jetzt einem Machtapparat gegenübersehen, der sich verselbstständigt hat und erneut das verübt, was offiziell als Grund für den Pusch gegen Mohammed Mursi verkauft wurde: Machtmissbrauch.
Den Vorwurf, Mursi wäre ein Mann, der jederzeit auch zu Gewalt greifen würde, um an der Macht zu bleiben und der deshalb gewaltsam entfernt werden müsse, wird in diesen Tagen vollends ad absurdum geführt, wenn die Straßen durch die neuen Sicherheitskräfte in ein Meer von Blut verwandelt werden. Kairo im August 2013 gleicht einem Schlachthaus, bei dem das ägyptische Militär der Gewaltbereitschaft der Muslimbrüder in nichts nach steht. (7)
Wer immer noch davon ausgeht, die sogenannte Übergangsregierung hätte wirklich nur vor, für den Übergang bis zu Neuwahlen zu sorgen, wird sich noch wundern, wie lange ein Ausnahmezustand aufrecht erhalten werden kann. Die, die vor Monaten damit begonnen haben, sich die arabische Revolution zurück zu holen, indem sie sich an das Militär wandten, um Mursi los zu werden, werden sich noch umsehen, welche Art von Eigenleben dieses Militär entwickelt, wenn es darum geht, die „verliehene“ Macht langfristig zu behalten. Die, die der Westen heute „Putschisten“ nennt, würden aufs Kreuz gelegt.
Zugegeben, das ist eine Theorie. Diese Theorie kann erst dann als falsch gelten, wenn Sisi & Co tatsächlich Neuwahlen organisieren und sich dann wieder aus dem ägyptischen Chefsessel zurückziehen. Ob wir das erleben werden?

Mohammed El Baradei
Quelle: wikipedia
 
Wie verlogen das Spiel der USA bei diesem Putsch ist, kann man daran sehen, dass sie sich noch immer nicht durchringen konnten, die Militärhilfe in Milliardenhöhe für Ägypten zu kappen. Die USA unterstützen wie immer den, der in Zukunft am Drücker sitzen könnte. Der nach dem Absetzen von Mursi zum Vize-Präsidenten ernannte El Baradei wird mit dem Satz zitiert „Ich habe meinen Rücktritt eingereicht, weil ich nicht die Verantwortung für Entscheidungen tragen kann, mit denen ich nicht einverstanden bin." Klingt, als sei der Mann beim Putsch mit im Boot gewesen und ebenfalls benutzt worden. Als Garant für einen friedlichen Wechsel.
Merke: Den USA geht es vor allem darum, Ägypten zu stabilisieren. Wobei es keine Rolle spielt, wer zukünftig an den Schalthebeln der Macht sitzt. Hauptsache, er kommt nicht auf die Idee, Panarabismus wäre eine verlockende Idee oder aber die Vereinigten Islamischen Staaten ein Ziel, das man anstreben sollte.
 
Zukunft:
 
Wenn die neue Militärdiktatur in Kairo, und darauf läuft es hinaus, sich nur auf Ägypten konzentriert und den Nachbarn Ägyptens nicht das Leben schwer macht, was den USA nützen würde, kann diese schon übermorgen auch offiziell mit dem vollen Support aus D.C. rechnen. Bis es soweit ist, distanzieren sich die USA in der Öffentlichkeit von der aktuellen Regierung, während sie Dritte im Hintergrund agieren lassen. Immer mit dem Hinweis, wer die Muslimbrüder in Ägypten verhindere, verhindere sie auch im eigenen Land. Bleibt also Scheich.
 

Karte der im Sykes-Picot-Abkommen 1916
zwischen Großbritannien und Frankreich
vereinbarten Einflusssphären
Quelle: wikipedia
Die Zukunft der gesamten Region folgt dem Sykes-Picot Abkommen, das im November 1915 von dem französischen Diplomaten François Georges-Picot und dem Engländer Mark Sykes ausgehandelt wurde und seit 1916 gilt. (8) Damals waren die Briten zusammen mit den Franzosen die Chefs am Set. Wenn man sich die Landkarte von damals ansieht, wird man feststellen, dass ein Großteil der Länder, die wir heute bei Google Maps finden, damals noch gar nicht existierten. Es gab Ägypten, Russland, Persien und einen arabischen Raum, den man in Blaue, Rote und A-B-Zonen aufteilte. Das osmanische Reich, das sich damals bis Jerusalem zog, war am Zerfallen. Dieser Zerfall wurde und wird bis heute von der aktuellen Supermacht als Chance erkannt, die Lage fest im Griff zu haben und für sich auszunutzen zu können. Deshalb: Chaos ist gut, wenn sie eine ganz große Einigung der Araber untereinander, eine Erweiterung der OPEC, sprich: z. B. die VIS, die Vereinigten Islamischen Staaten, verhindert.
Um dieses Ziel zu erreichen, wird seit 1916 am Sykes-Picot-Plan festgehalten. Auch die Balfour-Erklärung, die den Zionisten in den USA Land zuerkannte, das bereits jemandem gehörte, nämlich den Palästinensern, muss man als Teil des Sykes-Picot-Abkommens begreifen. (9)
Vor uns liegt folgendes Szenario: Syrien wird geteilt, um Homs zur einer weiteren Tankstelle des Westens zu machen. Ägypten wird geteilt, um Suez wieder unter amerikanische Kontrolle zu bringen. Die Palästinenser in Palästina wie auch im Exil, werden nach Jordanien abgeschoben. Sukzessive. Jegliche illegalen Bauaktivitäten, wie dieser Tage durch den rassistisch-israelischen Apartheidsstaat in den besetzten Gebieten, dient dem Ziel der bewussten Spaltung. Wenn US-Außenminister John Forbes Kerry sich über den Siedlungsbau echauffiert, ist das Theater. Hinter den Kulissen wissen alle Bescheid. Sie fahren dieselbe Taktik. (10)
Die unterschiedlichen Scheichtümer in der Region werden wie bisher mit Zuckerbrot und Peitsche auf Kurs gehalten. Wichtig für die USA bleibt, dass sich die autoritären Regime untereinander nie zu gut verstehen. So ist auch ein künstlicher Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten ein effektives Tool, wenn er dem großen Ziel dienlich ist: Herrschen durch Teilen. Spalten als Basis. Zudem kann man so den Verlust eines einzelnen Scheichtums, z.B. an die Chinesen, verkraften. Denn um die geht es immer auch.
Henry Kissinger spottete mal: „Europa hat keine Telefonnummer“. Diese Aussage sollte bedeuten: Mit Europa sprechen zu wollen, sei sehr, sehr mühsam und endete nie mit einem Konsens, denn in Europa kochten zu viele Länder ihr eigenes Süppchen. Kissinger meinte damit, Europa sei ein Chaoshaufen. Dieser Chaoshaufen ist exakt das, was die USA in Middle East seit Jahrzehnten anstreben. Ein solcher Chaoshaufen ist nicht im Handstreich durch eine neue Supermacht einzunehmen. Chaos als Schutz vor feindlicher Übernahme. Es darf nur nicht zu groß werden.
 
Wir halten fest:
 
Was immer die Liberalen unter den Putschisten in Ägypten dachten, als sie sich mit den Militärs einließen, um Mursi aus dem Amt zu fegen, man hat sie benutzt. Ägypten bleibt eine Pyramidengesellschaft. Nur, dass an der Spitze, statt demokratischer Ideale, imperialistisch gesteuerte Militärs das Handeln bestimmen. Das wird erst mal so bleiben. Jedenfalls, solange sich die Lage nicht ändert. Das wiederum liegt in der Macht der Militärs. Solange die Straßen voller Gewalt sind, bleiben sie an der Macht. Alles, was sie tun müssen, ist, die Suppe am Kochen zu halten.
Man könnte sagen: Sykes und Picot haben gewonnen.
Die meisten Menschen haben nicht den Hauch einer Ahnung, was das nach diesen Männern benannte Abkommen, erdacht 1915, mit dem Status quo in Ägypten zu tun hat. Für sie sind die Ägypter, ganz pauschal, eine Horde von Chaoten, die nicht wissen, was sie wollen, und im Falle X auf einander losgehen. Primitiv. Oder, um es gängiger auszudrücken: Vertreter des Islam.
 
Feindbild bestätigt
 
Der Kampf gegen den Terror setzt im Westen auch weiterhin auf den massenhaften Einsatz von Error. Durch Propaganda. Man tut hier alles dafür, um das Vermitteln von Allgemeinwissen aus dem Bereich Geschichte unter allen Umständen zu verhindern. Geist ist geil ja, aber Doof ist geiler.
Wir wissen nichts. Alles, was wir wissen, passt in die Suchzeile von Google und wird von uns gelöscht, wenn wir Sekunden später einen neuen Begriff eingeben. Der passt dann ganz zufällig zu einer Nachricht, die man uns hinwirft wie einen Knochen, deren Botschaft wir nur verstehen können, weil uns der Überblick fehlt. Das aber fällt uns nicht auf, denn dazu müssten wir den Wunsch haben, das große Ganze erkennen zu wollen. Passiert aber nicht.
Das große Ganze wird nicht beworben.
Nicht mal als Schnäppchen. (PK)
 
 
(1) http://www.youtube.com/watch?v=ZllxoARre4o
(2) http://www.bpb.de/izpb/156619/die-arabischen-protestbewegungen-von-2011?p=all
(3) http://www.bernerzeitung.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/Warum-die-USA-den-einstigen-Verbuendeten-Mubarak-fallen-lassen/story/23779117
(4) http://german.irib.ir/nachrichten/nahost/item/220961-mittwoch-treffen-zwischen-mursi-und-abbas
(5) http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/mursis-diplomatie-allianz-mit-feinden-11870903.html
(6) http://www.zeit.de/wirtschaft/geldanlage/2013-07/aegypten-investoren-boerse-rueckkehr
(7) http://www.jungewelt.de/2013/08-17/062.php
(8) http://www.marxismus-online.eu/display/dyn/p2d9dd73c-5705-49d7-9b16-bcd353bacfb9/content.html
(9) http://de.wikipedia.org/wiki/Balfour-Deklaration
(10) http://www.stern.de/politik/ausland/nahost-konflikt-israel-baut-weiter-in-palaestinensergebieten-2049895.html


Online-Flyer Nr. 420  vom 21.08.2013

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