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Kommentar
Ein CDU-Geheimdienst im Kalten Krieg
Nach Lektüre vernichten!
Von Ulrich Gellermann

Darf man das, einen parteieigenen Geheimdienst gründen? Danach fragte die CDU-CSU nicht lange, als sie Ende der 60er Jahre, nach der Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler, plötzlich von den permanenten Informationen des Bundesnachrichtendienstes (BND) abgeschnitten schien. Man durfte diesen Partei-Geheimdienst - dessen düstere Arbeit Stefanie Waske in ihrem Buch "Nach Lektüre vernichten" beschreibt - ganz sicher nicht aus Steuergeldern finanzieren.
 

Zum Buch selbst passender Titel
Aber solche kleinlichen Bedenken plagten und plagen die Unions-Parteien bis heute nicht. Und so wechselte dann Hans Christoph von Stauffenberg, Mitarbeiter des BND, 1970 vom halbwegs legalen staatlichen Geheimdienst in die Protokollabteilung der bayerischen Staatskanzlei, von der er sagt: "Da gibt es aber wenig für mich zu tun." Na klar, denn der eigentliche Job lag im Aufbau des Partei-Geheimdienstes. Die Stelle in der Staatskanzlei diente nur der finanziellen Absicherung des Privat-Spions.
 
Es muss ein tiefer Schock für die zwanzig Jahre lang herrschende Union gewesen sein, dass nun plötzlich eine andere Partei an den Fleischtöpfen saß, an denen man sich bisher allein gelabt hatte. Noch schlimmer aber schienen die einzelnen Vertreter der SPD: Brandt, der in der Emigration gewesen war, Wehner, der zeitweilig ein KPD-Parteibuch besessen hatte, Ehmke, der mit einer tschechischen (!) Frau verheiratet war. In den Augen strammer Unionler alles unsichere Kantonisten. Die dann auch noch begannen einen Kurswechsel in der bisherigen Ostpolitik der Bundesrepublik einzuleiten, der bis zu einer gewissen Anerkennung der DDR führen sollte, von der Union aber als Ausverkauf deutscher Interessen begriffen wurde. Stefanie Waske beschreibt diese Hybris ziemlich präzise und versorgt ihre Leser mit Details aus der Finanzierung des Partei-Geheimdienstes und mit den durchweg prominenten Namen der Informationsempfänger, die nicht nur in der CDU-CSU-Spitze zu finden waren, sondern auch bei den Springer-Medien, der Industrie und im Vatikan.
 
Der Ton des Buches ist relativ kühl und beschreibend, einer Politikwissenschaftlerin angemessen, könnte man meinen. Aber manchmal ist diese scheinbare Distanz schon irritierend, wenn Frau Waske zum Beispiel unkommentiert, fast wohlwollend Karl Theodor zu Guttenberg (d. Ä.), einen der Dienst-Gründer zitiert: "Noch keiner hat je die Freiheit auf leichtem Weg gewonnen." Als hätte ausgerechnet der Mann vom rechten Rand der Union ein Abonnement auf Freiheit. Und während die Autorin dem Motor des Dienstes, dem Freiherrn Hans Christoph von Stauffenberg, der immerhin bereits im Mai 1933 Mitglied der NSDAP wurde, ohne jeden Beleg attestiert, er habe sich "innerlich" vom Nationalsozialismus gelöst, fehlen bei der sonst gründlichen Recherche einige andere Angaben: Dass Promotoren des Dienstes wie der spätere Bundespräsident Karl Carstens bereits 1934 Mitglied eines SA-Sturms wurde, dass der spätere Bundeskanzler Kurt Kiesinger schon im Februar 1933 Mitglied der NSADP geworden war, spielt bei Waske keine Rolle. Und von einem aktiven Dienst-Mitarbeiter wie Wolfgang Langkau wird nicht erwähnt, dass er Major der Wehrmacht gewesen ist. Auch die Bezüge zu heute sind in der historischen Arbeit ziemlich dünn: Zumindest von einem der Spendensammler für den Geheimdienst, Casimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein, hätte erwähnt werden dürfen, dass er noch nach Ende des Dienstes kräftig "Spenden" für die schwarzen Kassen der CDU gesammelt hatte.
 
Im Oktober 1982, Helmut Kohl wird Bundeskanzler, CDU und CDSU können sich wieder des BND für ihre Politik bedienen, endet die Zeit eines Geheimdienstes, für dessen juristische Beurteilung sich noch kein Gericht gefunden hat. Immerhin weiss die Autorin von seinem wesentlichen Betreiber, dem Freiherrn von Stauffenberg, der unbehelligt 2005 in München starb: "Er soll versöhnt gewesen sein mit der Welt." Wie schön für ihn. (PK) 
 
Buchtitel: Nach Lektüre vernichten
Autorin: Stefanie Waske
Verlag: Hanser


Online-Flyer Nr. 410  vom 12.06.2013

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