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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Kommentar
Eine privatisierte Stadt treibt immer seltsamere Blüten
Mülheim an der Ruhr und das RWE
Von Lothar Reinhard

Da ist nicht nur der regionale Wasserversorger RWW (Rheinisch Westfälische Wasserwerke) mit Sitz in Mülheim, der zu 80% an das RWE verkauft wurde, also ohne kommunale Sperrminorität! In der Diskussion um die geplante EU-Wasserrichtlinie zur Erleichterung von Wasserprivatisierung positionierten sich OB Dagmar Mühlenfeld (gleichzeitig RWE-Aufsichtsrätin) und selbst die Mülheimer NRW-Ministerpräsidentin sehr deutlich gegen die EU-Pläne, verschweigen aber, dass diese in ihrer Heimatstadt schon vorher Realität sind! (1)

Mülheims OB und RWE-Aufsichtsrätin Dagmar Mühlenfeld
Quelle: MBI
 
Zur Erinnerung: 2011 verlängerte die Stadt Mülheim - die wie schon mehrfach beschrieben, in das „grandios“ gescheiterte Prestigeprojekt „Ruhrbania“ genug Geld versenkt hat - ohne Not vorzeitig die Stromkonzession mit dem Konzern RWE. Damit waren auch regionale Kooperationslösungen in absehbarer Zukunft verunmöglicht, denn Mülheim liegt mittendrin im Revier, und in etlichen anderen Ruhrgebietsstädten stehen demnächst ebenfalls neue Stromkonzessionen an. (2)
 
Hauptbetreiber der vorzeitigen Vertragsverlängerung mit dem RWE waren die RWE-Aufsichtsrätin OB Mühlenfeld und der Geschäftsführer der Beteiligungsholding Mülheim an der Ruhr GmbH (BHM) Dönnebrink. Nun soll letzterer ebenfalls vorab bereits jetzt als Nachfolger der medl (Mülheimer Energie DienstleistungsGesellschaft, 51% Stadt, 49% RWE) bestimmt werden, und zwar als Zweitjob neben seiner BHM-Tätigkeit. Kein Interessenskonflikt, wenn der BHM-Chef sich als medl-Chef selbst beauftragt, kontrolliert o.ä.? Wie bitte? Man glaubt es kaum. Die Mülheimer BürgerInitiativen (MBI) lehnen alleine schon deshalb einen BHM-Chef als gleichzeitigen medl-Chef ab und schon überhaupt nicht vorab!
 
Doch: Welche anderen Gründe könnten eine Rolle spielen bei diesem selbst für Mülheim ungewöhnlichen Personaldeal? Ist damit etwa die medl-Zukunft bei Kommunal- und OB-Wahlen nicht mehr thematisierbar? Soll so jede künftig mögliche Rekommunalisierung des Gasversorgers vorab unmöglich gemacht werden? Also die Ausschaltung der Demokratie selbst theoretisch, wenn es um gewinnträchtige Privatisierungen geht?
 
Das nützt weder den Verbrauchern, noch der Stadt, einzig dem RWE, in dessen Aufsichtsrat die medl-Aufsichtsratsvorsitzende Mühlenfeld gleichzeitig sitzt!
 
Der Mülheimer Hauptausschuss vertagte am 7. Mai die Entscheidung, den Geschäftsführer der BHM, die zu 100% Stadt gehört, ab Juli 2015 gleichzeitig zum städtischen Geschäftsführer der Gasgesellschaft medl (51% Stadt, 49% RWE) zu machen, auf die Ratssitzung am 16. Mai. Der derzeitige medl-Chef Bachmann soll dafür ein Jahr früher in Rente gehen, also 2015 statt 2016.
 
Es handelt sich um die beiden höchstbezahlten Posten der Stadt Mülheim, abgesehen von der Sparkasse, die auch als einzige ihre Spitzengehälter immer noch nicht offengelegt hat - genau wie medl-Chef Bachmann. Dessen ca. 220.000 €-Jahresgehalt kam aber im Zusammenhang mit dem o.g. Postenbesetzungsvorhaben doch ans Licht der Öffentlichkeit. BHM-Chef Dönnebrink verdient heute ca. 200.000 €.
 
Die medl ist die gewinnträchtigste städtische (Halb-)Tochter, die bisher jährlich alleine für die Stadt immer mindestens 5 bzw. 6 Millionen € abwarf. Die städtische „Konzern“mutter BHM beberbergt nicht nur die medl-Anteile, sondern alle ausgelagerten GmbHs, AGs und Minder-Anteile an Gesellschaften wie u.a. 10% am RWW, 2% am MWB (Mülheimer WohnungsBau), 3,6 Millionen. RWE-Aktien (nur BHM). Die BHM besitzt ferner u.a. Anteile in teilprivatisierten Gesellschaften wie MEG (51%, Entsorgung), SEM (25%, Abwasser), SWB (knapp 50%, Wohnungen), Flughafen (33%), Theater a.d. Ruhr (98%) usw., und gänzlich städtische Gesellschaften wie u.a. MST (Marketing&Tourismus), Sozialholding, Seniorendienste, jsg (Jobservice für Hartzer) und inzwischen auch MVG (ÖPNV)
 
Die gesamte „Geschäftsführerangelegenheit medl“ hat ein gewisses Geschmäckle und eröffnet grundlegende Fragen wie z.B.:
 
1.      Warum muss über 3 Jahre vorher bereits beschlossen werden, wer Bachmanns Nachfolger wird, egal ob mit letzterem ein Deal gemacht werden soll bzw. wurde, 1 Jahr früher in Ruhestand zu gehen?
 
2.      Kann der offensichtliche Interessenskonflikt zwischen einem BHM-Chef Dönnebrink und einem gleichzeitigen medl-Chef Dönnebrink überhaupt vermieden werden?
 
3.      Welche Rolle spielt das RWE als andere medl-Hälfte dabei und inwieweit ist dem Konzern die zukünftige Doppelfunktion Dönnebrinks von Vor- oder von Nachteil?
 
4.      Was spart die Stadt wirklich durch diesen Deal?
 
5.      Welche anderen Möglichkeiten gibt es, die weniger problematisch sind?
 
Dazu folgende Hintergründe:
 
Zu 1.)
Die medl-Verträge laufen Ende 2016 aus und die Aufsichtsratsvorsitzende, OB Mühlenfeld, will bzw. muss 2015 wiedergewählt werden. Wenn Herr Bachmann erst 2016 abgelöst würde, könnten beide Punkte völlig anders aussehen oder ggfs. ausgehen. Theoretisch z.B. könnte die Stadt auch die RWE-Anteile ihrer mit großem Abstand rentabelsten Gesellschaft ganz übernehmen, und 2016 bekäme die medl nur noch einen einzigen (nur noch städtischen) Geschäftsführer. Es könnte auch sein, dass das RWE seine Anteile weiter verkauft oder dass das RWE die städt. Anteile ganz oder z.T. übernimmt.
 
Selbst wenn Frau Mühlenfeld 2015 nicht als OB bestätigt und wiedergewählt würde, kann mit der vorzeitigen Geschäftsführerbestellung für die medl sicher gestellt werden, dass die demokratischen Wahlen weder Einfluss auf die medl-Politik haben könnten, noch dass die medl-Zukunft im Wahlkampf thematisiert wird oder werden kann. Das gleiche gilt für die Kommunalwahlen 2014.
 
Zu 2.)
Dieser Interessenskonflikt kann nicht aufgelöst werden, egal welche Hilfskonstruktionen durchgeführt werden, etwa eine Art 4-Augen-Prinzip bzgl. medl bei der BHM oder dass Dönnebrink nicht in der Gesellschafterversammlung der medl als BHM-Vertreter stimmt. Diese Maßnahmen müssten ohnehin durchgeführt werden, will die Stadt nicht mit den Gesetzen in Konflikt geraten. Nur kann der objektiv bestehende Interessenskonflikt nicht beseitigt werden, wenn der BHM-Chef gleichzeitig medl-Chef ist.
 
Zu 3.)
Dem RWE kann diese Vorab-Bestellung des städtischen medl-Geschäftsführers nur mehr als recht sein, egal was genau der hoch verschuldete Konzern in Zukunft mit der medl vorhat. Auch dass Herr Dönnebrink früher für das RWE gearbeitet hat, wird dem Konzern sicher nicht in die Quere kommen. Und nicht zu vergessen: Obwohl die "Bildung von Stadtwerken" inkl. der Übernahme der Stromkonzession für das Netz bei medl-Gründung als Geschäftszweck vertraglich vereinbart worden war, wurde die medl 2011 als Mitbewerber um die Mülheimer Stromkonzession zurückgepfiffen, so dass "Mutter" RWE vorzeitig die Verträge verlängern konnte.(3) 2012 wurde dann zusätzlich beschlossen, dass der Aufsichtsrat der medl nicht mehr über die medl-Preise entscheidet (4) Dass die geplante neuerliche Entscheidung zur Personalunion von BHM- und medl-Chef unabhängig vom RWE erdacht sein könnte, ist also höchst unwahrscheinlich!
 
Zu 4.)
Angeblich spart die Stadt die Kosten für einen halben Geschäftsführer. So jedenfalls war es den Zeitungen zu entnehmen. Unabhängig von 1.) und den unüberschaubaren auch finanziellen Auswirkungen, müsste man die genaue Einzelaufstellung der Folgekosten dieses Personendeals kennen, um das wirklich beurteilen zu können.
 
Zu 5.)
Bei der wegen Eurokrise und ungeregelter Energiewende ziemlich ungeklärten Zukunft auch der medl und ihrer bisherigen Überschüsse müsste sich einer Vorab-Nachfolgerregelung für Bachmann eigentlich von selbst verbieten, unabhängig von Dönnebrink und seinem Interessenskonflikt. Der trudelnde RWE-Konzern mit seiner jahrelang fatal falschen Unternehmenspolitik und seinem Riesen-Schuldenberg (z.Zt. 34 Mrd. €) sollte eigentlich ein weiterer gewichtiger Grund gegen diese Vorab-Entscheidung sein.
Die Stadt müsste erst einmal wissen, was sie in Zukunft mit der medl und deren Beteiligungen (SWB mit 50,1% und SEM mit 75%) vorhat, bevor ein neuer Geschäftsführer Jahre im Voraus festgelegt wird! Man sollte nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun! Mit den jetzigen Plänen der Vorab-Bestellung des Geschäftsführers sollen auch alle Diskussionen um eine andere medl-Zukunft -  unabhängiger vom RWE - bereits im Vorfeld im Keim erstickt werden!
 
Aus all diesen Gründen kann und wird die MBI-Fraktion im Stadtrat dem Punkt „Geschäftsführerangelegenheiten medl“ nicht zustimmen! (PK)
 
(1) Mehr unter http://www.mbi-mh.de/2013/02/24/rww-rekommunalisieren-rwe-raus-aus-dem-wassergeschaeft-jetzt
(2) Mehr unter http://www.mbi-mh.de/2011/10/22/mulheim-das-rwe-und-die-stromkonzession
(3) http://www.mbi-mh.de/2011/10/22/mulheim-das-rwe-und-die-stromkonzession/
(4) Mehr unter http://www.mbi-mh.de/2012/05/03/medl-preise-und-die-rwe-hoerigkeit 
 
Lothar Reinhard ist MBI-Fraktionssprecher im Mülheimer Stadtrat
 


Online-Flyer Nr. 406  vom 15.05.2013



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