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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Kultur und Wissen
Nachruf auf einen Kabarettisten, den "das Fernsehen" ab 1972 boykottierte
Dietrich Kittner - er fehlt uns
Von Uwe Pohlitz

Wir, in der damaligen DDR kannten Kittner vorerst aus der Musiksendung von “Radio Bremen“. Der Mann mit der Seemannsmütze, der Gitarre und seine frechen Sprüche war für viele der Höhepunkt dieser Sendungen. Irgendwann verschwand er von den Bildschirmen. Wir im „Gänsefüßchenland“ erfuhren lange nicht warum. Erst bei einem Treffen mit Mitgliedern der SDAJ, der Sozialistischen Deutsche Arbeiterjugend aus dem Westen wurde klar, dass Kittner unter Medienboykott stand. Angeblich sollte es derartige Maßnahmen nur im Osten geben.


Dietrich Kittner am 3.12.2005 in Erfurt
Foto: Uwe Pohlitz (arbeiterfotografie.com)

Ende der siebziger Jahre bot die Konzert- und Gastspieldirektion der DDR eine Tournee mit Dietrich Kittner an. Als Veranstaltungsleiter des damaligen großen Kulturhauses in Erfurt nutzte ich die Möglichkeit. Wir machten einen Vertrag mit der staatlichen Agentur. Einsprüche und Bedenken einiger sich wichtig nehmender Genossen waren auf Grund des Vertrages zwecklos. Trotzdem stand der Kabarettist aus der BRD, dessen Texte nicht von entsprechenden Kadern abgenommen wurden, unter Verdacht. Dietrich Kittner und seine Frau Christel rollten mit ihrem Chevrolet mit offenen Dach und wehender roten Fahne vor. Die Besucher erlebten 4 Stunden kabarettistischen Klassenkampf aus der BRD.

Viele glaubten Klänge aus einer längst verschwundenen Zeit zu hören. Andere fühlten ihr Idealbild vom „goldenen Westen“ angepinkelt. Die Meinungen spalteten sich zwischen solidarischer Begeisterung und demonstrativem Verlassen der Veranstaltung.

Danach saßen wir mit einigen Freunden und den Kittners fast die ganze Nacht zusammen und diskutierten ausgiebig. Wir hatten viel voneinander zu hören. Von nun an gastierte Kittner regelmäßig bei uns. Keiner konnte unseren Briefkontakt so richtig begründet untersagen. Hannover, wo die Kittners in ihrem Theater auftraten, wenn sie nicht zu Gastauftritten unterwegs waren, hatte schon damals große Probleme mit Neonazis. Wir wollten sie beim Kampf gegen Faschisten unterstützen. In einer Nacht- und Nebelaktion organisierten wir den Druck von einigen  tausend Aufklebern für ein „Hannover ohne braun“. Heute könnten wir diese Unterstützung für unsere Stadt wünschen.


Dietrich Kittner am 3.12.2005 in Erfurt
Foto: Uwe Pohlitz (arbeiterfotografie.com)

Wenn wir geahnt hätten, dass Dietrich Kittner damals in seinen Programmen Lehrstücke für unsere eigene Zukunft lieferte, dann wären einige Leute eher munter geworden. Nach dem jähen Ende unseres Sozialismus-Versuches ging unsere erste Reise in den Westen nach Hannover zu den Kittners. In einer sehr lockeren und entspannten Form sprachen wir von unseren Sorgen und Zukunftsängsten. Dietrich Kittner machte uns Mut zum Weitermachen aber auch zum Neubeginn. Seine Einladung in das damals halbfertige Haus nach Bad Radkersburg /Österreich nahmen wir dankend an. Es war kurz nach Beginn des Balkankrieges. Die Kittners waren sehr unglücklich, denn Jugoslawien mit seinen bis dahin friedlichen Menschen wurde in die Katastrophe gestürzt. Es war Sommer. Meine Frau und ich übernachteten in Kittners Garten im Zelt. Mitten in der Nacht hörten wir Schüsse. Die Grenze Sloweniens war in Sichtweite.

Trotzdem dachten wir nur an Jäger auf der Pirsch und schliefen unbedarft weiter. Später sahen wir auch in Slowenien zerschossene Häuser. Es folgten nächtelang intensive Gespräche und neue Erkenntnisse. Bei allem Ernst, der niveauvolle Spaß blieb dabei nicht außen vor.

In den weiteren Jahren erlebten wir den Kapitalismus pur und erkannten zugleich, wie viel wir selbst doch falsch gemacht hatten. Die Kittners kamen noch oft in den Osten auf Tournee. Nun allerdings unter anderen Voraussetzungen. Wir waren etwas hilflos im realen Kapitalismus. Kittner verstand es, uns mit seinen Programmen aufzurichten, zu ermuntern und Mut zu machen. Er fehlt uns.






Dietrich Kittner beim UZ-Pressefest am 21.6.2003 in Dortmund
Fotos: Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann (arbeiterfotografie.com)

„Das Ei des Kohlumbus – Droge Deutschland“ war der Titel des Kabarett-Programms, mit dem Dietrich Kittner Anfang 1991 nach Köln kam. Nicht zum WDR oder zu RTL, die ihn schon seit Jahren lieber nicht sendeten, sondern zu KANAL 4, dem unabhängigen Fernsehfenster, das mit seiner 15teiligen Sendereihe „90 Jahre Satire gegen den Zeitgeist" den 90sten Geburtstag des deutschen Kabaretts feierte. Die Sendung von KAOS Film- und Video-Team finden Sie unter http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=12613.
Immerhin meldete die Tagesschau jetzt am 15. Februar, dass Dietrich Kittner im Alter von 77 gestorben ist: "Zornig, aggressiv und scharf hat Kabarettist Dietrich Kittner Politik, Staat und Missstände angeprangert. Das Fernsehen blieb dem Bühnenkünstler aus Hannover verwehrt." (PK)
 
 


Online-Flyer Nr. 394  vom 20.02.2013



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