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Inland
Behördenstrukturen und Pöstchen von Grund auf reformieren!
Das kriselnde Ruhrgebiet
Von Lothar Reinhard

Das Ruhrgebiet mit seinen über fünf Millionen Einwohnern bzw. richtiger das Gebiet des RVR (Regionalverband Ruhr), einst größtes deutsches/europäisches Zentrum von Kohle-, Stahl- und Energiewirtschaft, besteht aus 53 Städten und Städtchen, die größeren 11 als kreisfreie Städte, die anderen als Teile der 4 Landkreise Wesel, Ennepetal, Unna und Recklinghausen. Die Ruhrgebietsstädte, die großenteils nahtlos ineinander übergehen, sind alle hoch verschuldet, einige wie Duisburg, Oberhausen, Mülheim, Waltrop usw. absolut hoffnungslos. Seit einigen Jahren ist es Bestandteil aller Sonntagsreden, was u.a. die MBI seit ihrem Bestehen 1999 fordern, nämlich dass ohne viel stärkere Kooperation und Koordination bis hin zur Verschmelzung die großen Probleme des Strukturwandels nicht ohne große Brüche zu bewältigen sein werden.

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft aus Mülheim: Alles bleibt wie immer
Foto: SPD-Landesverband NRW
 
Trotz aller warmen Sonntagsreden findet aber immer noch das genaue Gegenteil statt. Eine mörderische Konkurrenz der vielen Kirchturme und quasi-Kleinstfürstentümer des Ruhrgebiets bei Einkaufszentren, Ausweisung immer neuer Wohnbauflächen im Grünen, bei der Ansiedlung von Gewerbebetrieben uswusf. ist der Alltag und dieser Teufelskreis wird wegen der schrumpfenden Bevölkerung aller Teilstädte sogar noch beschleunigt. Zusammenlegung von Ämtern klappt dagegen fast nie, weil kein OB auch nur einen einzigen seiner Amtsleiter zurücksetzen will. Jeder Kirchturm versucht mühsam, seine überdimensionierte Infrastruktur und die aufgeblähten Personalbestände auf jeden Fall zu erhalten oder gar noch zu vergrößern, Beispiel u.a. die völlig überdimensionierte neue Mülheimer Feuerwehr, die dann zum Finanzprodukt wurde.. Weil die einzelne Teilstadt das schon länger nicht mehr von den Einnahmen her finanzieren kann, wird fast alles entweder wie in Mülheim per PPP umwegfinanziert und per „Miete“ auf Jahrzehnte überteuert abbezahlt oder wie in Oberhausen schuldenfinanziert, aber z.T. über GmbH-Ausgliederungen kaschiert.
 
Der ÖPNV z.B. als riesengroßer Ausgabenblock im Revier besteht aus vielen Einzelgesellschaften, oft miserabel koordiniert, dafür aber fast jede mit zwei Geschäftsführern, Aufsichtsräten, Gutachterorgien u.v.m., kurzum einer heillosen Überfrachtung mit sog. „overhead“ (hieß früher Wasserköpfe).. Was in Berlin, München oder Köln mit einer Gesellschaft geht, dafür gibt es im Ruhrgebiet ganze 27.
 
Ganz fatal wird es dann, wenn auch noch jede/r OB sich Denkmäler setzen will. Teure Berater schwatzten so jedem Ruhrpottstadtteil seine eigenen Prestigeprojekte auf, egal ob die ins Gesamtgefüge der Metropole Ruhr passt oder nicht. Vor Jahren waren so Projekte am Wasser die ganz große Mode. Ganze 28(!) wurden im Ruhrgebiet nur im letzten Jahrzehnt aufwendig geplant, mal mit künstlichem See wie in Dortmund bei Phönix, mal an der Ruhr wie in Mülheim mit Ruhrbania, oder an der Emscher oder am Kanal. Die meisten dieser Luxusprojekte sind letztendlich gestorben wie in Essen oder in Hamm, dort per Bürgerentscheid. Wo sie aber gnadenlos durchgezogen wurden, belasten sie wie in Dortmund die Stadtfinanzen auf unbestimmte Zeit enorm oder sie zerstören wie in Mülheim zusätzlich zu den Finanzen auch noch fast die gesamte Innenstadt.
 
Mit den schwerwiegenden Problemen der Revier-Großkonzerne Karstadt, Thyssen-Krupp, Hochtief, RWE, Eon, Opel mit drohenden Massenentlassungen kommen in absehbarer Zukunft weitere schwere Probleme auf das Ruhrgebiet zu. Da die Ruhrgebietsmenschen schon lange in der Ruhrstadt arbeiten, einkaufen, ins Kino oder spazieren gehen, unabhängig vom jeweiligen Wohnort, wird diese Krise auch das gesamte Revier und jede Teilstadt in Mitleidenschaft ziehen.
 
Kurzum: Das Ruhrgebiet befindet sich in einer existenziellen Krise, die mit den überkommenen Mitteln und Strukturen nicht nur bereits unlösbar geworden ist, sondern sich genau dadurch in atemberaubender Geschwindigkeit selbst beschleunigt. Die ehemalige Stärke des Reviers, die polyzentrische Struktur, ist mit dem großen Strukturwandel weg von Kohle und Stahl längst anachronistisch geworden, was nicht nur die verheerend kontraproduktive Konkurrenz bei immer neuen, größeren Einkaufsflächen oder der Kannibalismus beim gegenseitigen Abwerben von jungen Familien oder Betrieben usw. beweist, sondern auch der längst antiquierte Unsinn, dass das Ruhrgebiet als Gesamtstadt aufgeteilt ist in die Aufsichtsbereiche von drei unterschiedlichen Bezirksregierungen (RPs) und Teil zweier getrennter Landschaftsverbände ist. Es gibt auch dazu viele absurde Geschichten.
 
Neben der überfälligen und dringend erforderlichen Einschränkung der Planungs- und Finanzhoheit jedes einzelnen Kirchturms muss aber auch dringend die Behördenstruktur des Landes von Grund auf reformiert werden, will man größere Zusammenbrüche verhindern. Das war schon unter Clement als Rau-Nachfolger klar. In seiner bonapartistischen Art wollte er 1998 allerdings kurz nach Amtsbeginn den KVR als RVR-Vorläufer ganz von oben herab abschaffen und durch das „Projekt Ruhr“ ersetzen, das direkt ihm und nur der Landesregierung unterstand. Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg ließen sich die Revierstädte aber nicht gefallen und der KVR blieb bestehen parallel zur extrem teuren, nutzlosen Projekt Ruhr. Ergebnis der Clementschen „Strukturreform“ also: Nichts Neues, nur mehr Geldausgaben. Steinbrück machte nach Clements Abflug für sein „Superministerium“ nach Berlin nur nahtlos weiter. So war es nicht überraschend, dass er 2005 haushoch abgewählt wurde, selbst im SPD-hörigen Ruhrgebiet. Nachfolger Rüttgers hatte die grundlegende Straffung der Mittelbehörden (RPs und Landschaftsverbände) versprochen inkl. eines neuen RP Ruhr. Kaum an der Regierung kapitulierte die Rüttgers-Regierung sehr schnell wegen des Widerstands der Parteien, die alle „ihre“ hochdotierten Pöstchen in den mammutartig aufgeblähten Mittelbehörden fürchteten.
 
Rüttgers wurde abgewählt und Frau Kraft wagte sich nicht an das Thema heran und versprach allen, dass alles bliebe wie immer. Das aber ändert nichts an der enormen Problemlage, die sich auch noch gebirgsartig im Revier aufzutürmen droht (s.o.). Nun wagten einige Anfang Februar, die Stärkung des RVR zu fordern, wozu es übrigens keine wirkliche Alternative gibt! Umgehend meldeten sich die Regierungspräsidenten und –innen zu Wort und warnten unisono, egal ob SPD, CDU oder Grüne, vor solch einer „Experimentierfreude“ (vgl. WAZ-Artikel vom Rosenmontag). Ein zutreffender Kommentar dazu war in „Ruhrbarone“ am 11 Februar 2013 unter dem Titel „Die Überflüssigen gegen das Ruhrgebiet“ zu lesen (1)
 
Dem ist nichts hinzuzufügen außer der Hoffnung, dass die „Überflüssigen“ in absehbarer Zeit hoffentlich dann doch nur noch Geschichte sein werden! Auch die Mülheimerin Hannelore Kraft, im Karnevalsfernsehen kamellewerfend als Ritterin im ansonsten schlappen Mölmschen Rosenmontagszug zu sehen, wird nicht umhinkommen, sich über kurz oder lang der ernsten Lage des Ruhrgebiets zu stellen. Und dazu gehört auch die überfällige Reformierung der unbezahlbaren und wenig effektiven „Überflüssigen“ (Mittelbehörden)! (PK)
 
(1) http://www.ruhrbarone.de/die-ueberfluessigen-gegen-das-ruhrgebiet
 
Lothar Reinhard ist Fraktionssprecher der Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI) im Mülheimer Stadtrat.


Online-Flyer Nr. 394  vom 20.02.2013



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