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Kommentar
Kommentar vom "Hochblauen"
Die Humanität des Bösen der "Gatekeepers"
Von Evelyn Hecht-Galinski

Die Berlinale in der Hauptstadt hat sich selbst übertroffen. Am 10. Februar bekam der Film des israelischen Regisseurs Dror Moreh "The Gatekeepers", "Töte zuerst - Der israelische Geheimdienst", den "Cinema for Peace Award". Er wird am 5. und 6. März auf Arte und in der ARD laufen. Der Film ist eine Koproduktion des NDR mit dem israelischen Fernsehen IBA und Arte France. In den USA wurde er massiv durch Sony Pictures beworben und bekam dort von der National Society der Film Critics den Preis als bester Dokumentarfilm des Jahres, dazu kam noch der Producers Guild of America Award, für den besten Dokumentarfilm. Auch für den Oscar wurde er nominiert!

Der Film ist ein Beispiel dafür, wie intelligente Propaganda in Szene gesetzt wird, indem man nachträglich Verbrechen hoffähig macht und ihren Sinn und Zweck für die Interessen des jüdischen Staates legitimieren will. Sechs ehemalige Chefs des Schin Bet, des israelischen Geheimdienstes, rechtfertigen ihre Verbrechen gegen die Palästinenser im Westjordan- land und in Gaza. Es sind: Avraham Shalom, Schin-Bet- Chef von 1980 bis 1986, Yaakov Peri, Schin-Bet- Chef von 1988 bis 1995, Carmi Gillon, Schin-Bet-Chef von 1995 bis 1996, Ami Ayalon, Schin-Bet-Chef von 1996 bis 2000, Avi Dichter, Schin-Bet-Chef von 2000 bis 2002 und Yuval Diskin, Schin Bet-Chef von 2005 bis 2011.
 
Das sind sie also, die Hüter der Moral des jüdischen Staates, die verantwortlich zeichnen für Foltern und Morden gegenüber dem palästinensischen Widerstand gegen Besatzung und Landraub. Sie gehören allesamt vor den Internationalen Gerichtshof gestellt, anstatt Hollywood-reif für den Oscar Award zu posieren. Dieser Film fördert durch die Suggestion der Rechtmäßigkeit dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit eines Geheimdienstes, Staatsterror und seine Vollstrecker gleichzusetzen mit sich wehrenden, unterdrückten und besetzten Palästinensern.
 
Diese Gleichsetzung zieht sich wie ein roter Faden durch die israelische Propaganda, indem der Außenwelt immer eingeredet wird: Hier das bedrohte, arme, kleine Israel, dort die feindliche arabische Umwelt, aggressiv und gefährlich. Der Film und sein Regisseur versuchen, weil es die USA ja auch so machen, die Taten des israelischen Regimes zu legitimieren. Das stellte Dror Moreh in mehreren Interviews fest, wie auch am 11. Februar im DLF. Tenor: Die Palästinenser sind schließlich auch keine Unschuldslämmer. Schlimmer noch: Dieser Film bestätigt alle Klischees der israelischen, blumigen, demagogischen Sprache. Er will die "einzige Demokratie im Nahen Osten, die humanistische Verteidigungsarmee, IDF und die Feinfühligkeit der harmlosen Schin Bet Mörder" und ihre "Humanität des Bösen" ins Gute verdrehen. Wie sie über ihre Erfolge und Fehlschläge schwadronieren, über
"Verhörtechniken", sprich Folter, wie sie es wagen, von Ethik in der Politik zu sprechen und natürlich alles immer wieder unter der Formel "Sicherheit für das bedrohte Israel".
 
Die Palästinenser dagegen werden in diesem Film wieder als tickende Zeitbomben und unethische Individuen dargestellt. Merke, die Schin Bet-Mörder leiden an Ihren Morden, aber die Palästinenser sind eben Terroristen, kämpfende Monster. So lange aber die Palästinenser besetzt und unterdrückt sind, solange ihren in der Diaspora lebenden Landsleuten das legale Rückkehrrecht verweigert wird, solange Israel eine Apartheid Demokratie, also eine Ethnokratie für die jüdischen Bürger erster Klasse ist, so lange Gaza weiter von der israelischen Besatzung blockiert bleibt, solange zeigt dieser Film nur die israelische Wahrheit: "Töte zuerst!"
 
Dank finanzieller Hilfe der ARD und von Arte schafft es dieser Film also direkt in die deutschen Fernsehhaushalte. Ohne Begleittexte oder begleitende Diskussionen, ohne die so beliebten Talk Shows, keineswegs wirklich ausgewogen durch Beteiligung von betroffenen Palästinensern, halte ich diesen Film für äußerst fragwürdig.
 
Apropos, da gibt es einen wirklich guten Film von Stefanie Landgraf und Johannes Gulden: "Wir weigern uns Feinde zu sein". Die NRhZ berichtete ausführlich darüber. (1) Doch der darf jetzt - obwohl vom deutschen Außenministerium gefördert, ebenso von der Evangelischen Kirche in Bayern geprüft und finanziell gefördert - von verschieden Seiten als "umstritten und antisemitisch" kritisiert werden. Ein einmaliger Fall in der deutschen Geschichte, wie man mit so einem engagierten Film umgeht und die Filmemacher verunglimpft. Ich selbst, hatte das große Vergnügen, im letzten Jahr in Frankfurt über diesen so wichtigen und ausgezeichneten Film in einem Kino nach der Vorführung mit Stefanie Landgraf und Johannes Gulden und dem Publikum zu diskutieren. Es war ein wunderbarer Abend, und der Film wurde von den vielen Zuschauern und Debattierenden mehr als positiv angenommen. Dass nun aber gerade ein Nürnberger Pfarrer, auch noch gestützt durch ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth, diesen Film als "antisemitisch" bezeichnete und damit auch noch die Neonazi-Szene unterstützte, wundert mich nach meinen eigenen Erfahrungen in Nürnberg gar nicht mehr! Eine Stadt mit brauner Vergangenheit, die sich heute mit wiedergutmachendem Philo-Semitismus selbst überholt, wo aber ein Schulbürgermeister dieses Filmprojekt als einseitig und antisemitisch und für den Unterricht ungeeignet darzustellen versucht, wo der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde "Glaubensgenossen" als Volksschädlinge bezeichnet, was kann man von dieser Stadt noch erwarten außer Spielwaren, Lebkuchen und Bratwürsten? Warum schafft es dieser Film nicht in die ARD und auf Arte?
 
Ein Lichtblick war allerdings der herzzerreißende Film, der am vergangenen Freitag, dem 8. Februar, auf Arte lief. "Unter Bomben" berichtete authentisch in den echten, zerbombten Kulissen der Libanon-Kriege über die unsäglichen Verbrechen der Israelis mit Luftangriffen, Streubomben und anderen Waffen, die verbrannte Erde hinterließen. Umso größer meine Angst, dass Israel nur auf eine Gelegenheit wartet, im Schatten des Aufruhrs in Syrien, den Libanon erneut anzugreifen.
 
Nicht förderlich in diesem Zusammenhang erscheinen mir dann auch Äußerungen von Kanzlerin Merkel, die schon einmal auf unbewiesene Tatsachen und Anschuldigungen gegen die Hisbollah wegen eines tödlichen Anschlags auf israelische Touristen in Bulgarien eingeht und fordert: Sollten sich diese Behauptungen als wahr herausstellen, die Hisbollah auf die Terrorliste zu setzen sei. An vorderster Front natürlich mit dabei, Philipp Mißfelder, der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, er forderte eine sofortige Debatte darüber, ob die Hisbollah auf die Terrorliste der EU gesetzt werden sollte. Dazu möchte ich ein paar bezeichnende Sätze des Philipp Mißfelder aus einem DLF Interview vom 4. Februar zitieren: "Es gibt schon einen großen Unterschied, nämlich erstens ist Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten und wirklich als Fackel der Freiheit, die dort glüht, muss man sehen, dass Israel das einzig westliche demokratische Land ist, in dem Mädchen und Jungs zur Schule gehen können, in dem jeder einen Hochschulabschluss erreichen kann. Es ist ein Land, was überhaupt nicht vergleichbar ist mit den umherliegenden Ländern, und der wichtigste Unterschied ist: Israel droht keinem seiner Nachbarn mit der Vernichtung aus ideologischen Gründen und macht daraus ein politisches Programm. Das ist beim Iran anders". Zitat Ende.
 
Da frage ich uns, wenn man diese Zeilen gelesen hat, dann glüht einem der Kopf und die Fackel der Freiheit verkommt zu einem Knall Bon Bon des deutschen Außenpolitischen Schwachsinns. Die CDU mit MM, Merkel und Mißfelder! Die SPD, beim ideologischen Bäumepflanzen im jüdischen Staat, auf geraubtem Land, oder? Die FDP mit Westerwelle, der mit seinem Freund Lieberman bald wieder das Außenminister-Dream Team darstellen könnte. Auch der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder macht in Außenpolitik und hält eine Flugverbotszone über Syrien für gut und redet mit Blick auf den Beschuss durch israelische Kampfflugzeuge eines syrischen Militärtransports, auf die mit Assad verbündete libanesische Schiitenmiliz Hisbollah -  immerhin eine Regierungspartei im Libanon, Herr Kauder - diesen widerrechtlichen Angriff noch für berechtigt und versucht ihn zu legalisieren. O-Ton Kauder: "Dass der Einsatz militärischer Mittel im konkreten Fall geholfen habe, die Waffen werden nicht mehr eingesetzt". Welch eine bizarre Logik Herr Kauder, welche Waffen werden jetzt anstatt eingesetzt, die von uns gesponserten "guten" Waffen an uns genehme Kämpfer (Terroristen)?
 
Dazu stelle ich auch ein Interview mit dem Militärbischof Franz-Josef-Overbeck, vom 8. Februar in Spiegel Online, über Kampfdrohneneinsatz der Deutschen, unter dem Titel: "Unschuldige dürfen nicht sterben". Nur einen Satz vorab: "Bei jedem Einsatz sollte es möglichst wenig Tote geben. Ich befürchte nur, dass die Hemmschwelle, Gewalt einzusetzen, durch den Krieg am Computer sinkt. Drohnen dürfen keine Hinrichtungsinstrumente sein. wir brauchen deshalb höhere ethische Anforderungen an die Soldaten, die diese Computersysteme bedienen". Zitat Ende.
 
Entwickeln wir deshalb gemeinsam mit dem jüdischen Staat Drohnen, damit wir gemeinsam ethisch morden? Siehe auch die "Gatekeepers". Da schließt sich wieder der ethische Kreis, mit "der Fackel der Freiheit und der einzigen Demokratie im Nahen Osten".
 
Es gab in letzter Zeit so viele Verhaftungen, Morde und andere Untaten, die das Regime Israel von den deutschen Medien fast unbeachtet beging. Ich stelle deshalb ein paar Links ausländischer Zeitungen zu diesen Themen unter diesen Artikel. Dazu gehört auch der weitere Siedlungsbau im Westjordanland mit 350 neu genehmigten Wohnungen südlich von Bethlehem. Derzeit leben im Westjordanland rund 340 000 jüdische Siedler.
Wann endlich überdenken "unsere Politiker" ihre Haltung zum Regime Israel? Morden für Frieden und Sicherheit? "Juden dürfen das." Nein, auch s i e dürfen das nicht! (PK)
 
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18678

http://www.steinbergrecherche.com/ Sechs Schwerstverbrecher finden: Verbrechen lohnt sich nicht


Evelyn Hecht-Galinski ist Publizistin und Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom "Hochblauen", dem 1186 m hohen "Hausberg" im Badischen, wo sie mit ihrem Mann Benjamin Hecht lebt.


Online-Flyer Nr. 393  vom 13.02.2013



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