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Kultur und Wissen
Nach der Überwindung des neo-klassischen Paradigmas oder Weltbildes
Der Leistungsträger - Teil 1
Von Herbert Tepe

Zwei Zeilen aus seinem Gedicht "Der Leistungsträger" hat der Autor dieser Artikelreihe als Motto vorangestellt: Der Leistungsträger trägt der Leistung Last…, der Lastenträger trägt nur schwere Last… Das vollständige Gedicht soll dann am Abschluss des letzten Teils der Reihe stehen. – Die Redaktion.
 

Autor Herbert Tepe
Foto: privat
Die Reichen und Mächtigen und alle übrigen Eliten, die sich für die Leistungsträger der Gesellschaft halten, nehmen sich selbst zum Maßstab und lassen alle anderen wissen, was denn Leistung ist, und wie sie zu bewerten und in Form von Entgelten jeder Art zu vergüten ist. Ihre eigene Entlohnung haben sie bereits in einer Zone angesiedelt, dass man sie für Wesen einer anderen, bedeutenderen Galaxie halten müsste. Was sie damit auch sagen, hört sich so an: „Folgt uns, weil wir es sagen, ist es so!“ Ein klassischer Zirkelschluss auch circulus vitiosus genannt.
 
Dieses und die Ausschließung vom Leistungsaustausch in Form von Arbeitslosigkeit, nicht teilnehmen dürfen oder prekären Arbeitsverhältnissen, zu denen auch die Zeitarbeit gehört, ist schon ein Skandal erster Güte, dass aber große Teile der Bevölkerung dieses Vorgehen auch noch legitimieren, indem sie es hinnehmen, ist ein ebensolcher Skandal. Wir sind es somit selbst, die der Situation einen Teil der Macht verleihen, die sie über uns hat. Durch stillschweigende Anerkennung der bestehenden Klassifikate und Hierarchisierungen. Wir neigen dazu, die Bedingungen einer repressiven Herrschaft zu reproduzieren. Allein diese Tatbestände sind so ungeheuerlich, dass alles noch Folgende fast zur Fußnote wird.
 
Dass Geld nicht glücklich macht, ist eine Binsenweisheit. Dass Geld aber der Schlüssel für nahezu alle Lebensbereiche ist, kann wohl kaum geleugnet werden. Es schafft die Voraussetzungen, die Rahmenbedingungen, damit eine gute Erziehung durch die Erziehenden geleistet werden kann. Das wiederum schafft die wesentlichen Voraussetzungen für einen Zugang zur Bildung. Bildung, die noch näher zu definieren ist, die sich aber in wesentlichen Punkten von der heute propagierten Bildung unterscheiden müsste, ist Voraussetzung für eine friedliche Umgestaltung der Gesellschaft und für ein gelingendes Leben. Von daher haben auch hier die Mächtigen das Definitionsmonopol für sich beansprucht und geben vor, was zu lernen ist. Schulbildung und alle weiteren institutionalisierten Bildungsgänge werden so ein radikales Monopol, also zum einzigen Weg, Beschäftigung und einen auskömmlichen sozialen Status zu erlangen. Wer einmal akzeptiert hat, dass es im Wesentlichen nur eine Instanz gibt, die sein/ihr Wissen zu messen und zu bewerten berechtigt ist, wird sich zwangsläufig unterwerfen oder einen sehr steinigen Weg gehen müssen, der in der Mehrzahl nicht zu einem gelingenden Leben, sondern zu einer Randexistenz führt.
 
Das herrschende neoklassische Paradigma (Weltbild) ist utilitaristisch (auf Nützlichkeit bezogen) und individualistisch. Es sieht Individuen als Personen, die danach streben, ihren Nutzen zu maximieren.
 
Das Zusammentreffen der Individuen auf dem Konkurrenzmarkt führt danach nicht zu allumfassenden Konflikten, sondern zu einem Maximum an Effizienz und Wohlstand. Nun mag sich das -  auf die wirtschaftliche Effizienz bezogen - wohl bestätigen. Den Profit aus diesem Nutzen ziehen aber nur Wenige. Was den Wohlstand betrifft, ist der Gedanke einfach falsch. Wohlstand ist viel mehr und anderes als der vielgepriesene Lebensstandard. Der ungehemmte Konsum - angereichert mit Entertainment in allen Lebensbereichen - dient als Ablasshandel einer ausbeuterisch strukturierten Weltwirtschaft und stabilisiert das neoklassische Weltbild. Die Menschen vergessen allzu leicht, dass die Ketten, die sie sich da selbst anlegen, zwar hübsch aussehen, auf den ersten Blick kaum schmerzen; es bleiben aber Ketten, haltbarer als alle Ketten zuvor.
 
Ein neues Paradigma muss deshalb auch von einer anderen Ethik ausgehen. Diese besagt, dass Menschen in der Lage sind, moralische Urteile über ihre Bedürfnisse zu stellen. Moralische Werte werden selbst zum ersten und wichtigsten, wenn auch nicht einzigen Bedürfnis. Nun steht aber die Moral selbst permanent unter Beschuss. In einer Welt mit beschädigter moralischer Wahrnehmung (Martha C. Nussbaum) dürfen wir unsere Urteilskraft nicht durch Verlockungen des Marktes manipulieren lassen. Wir müssen alles aus uns herausholen, um die Mängel unserer sozialen Welt aufzudecken und durch geeignete Maßnahmen abzustellen versuchen. Eine Alternative dazu gibt es nicht. Ohne einen Paradigmenwechsel wird es keine wirkliche Veränderung auf globaler Ebene geben. Ob die Menschen dazu mehrheitlich noch willens und in der Lage sind, bleibt fraglich.
 
Eine neue veränderte Art der Leistungsmessung und damit zugleich eine neue Bewertung des Geleisteten muss her. Sie ist die Nagelprobe und gibt Auskunft darüber, ob das herrschende Paradigma überwunden werden soll. Es ist schon richtig, dass man nur verteilen kann was da ist, aber das wie verteilt wird, ist das Unmoralische, ja zum Teil auch Kriminelle, das seit alters her dominiert. In Zeiten der Globalisierung, wo Gesellschaften in neuen, anderen Beziehungen (die auch wirtschaftliche sind) aufeinander treffen, wäre es so wichtig, dass Solidarität bei der Verteilung der Reichtümer dieser Welt und eben auch bei der Einkommensverteilung hergestellt wird. Nichts kann besser zu einer friedvollen Welt beitragen. Und wenn alle sparen müssen, dann müssen alle unvermeidbar sparen. Aber es sparen eben nicht alle. Sparen müssen in erster Linie die, die schon wenig haben. Und das nur, damit andere reich werden und bleiben können.
 
Reichtum hat immer Armut im Gefolge.
 
Hier nun einige Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit: Der Ehrensold (welch schreckliches Wort) des ehemaligen Bundespräsidenten aber auch aller vorherigen Präsidenten (der Höhe nach). Wie viele Leben muss eine Verkäuferin oder ein Bauarbeiter leben, um in den Genuss der gleichen Altersversorgung zu kommen? Da gibt es einen sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten, der angesprochen auf die Höhe seiner Vortragshonorare sagt „Was soll da nicht rechtens sein, mein Angebot hat eben einen entsprechenden Markt gefunden“. Dabei hat er, das Mitglied einer Partei, die mal eine Arbeiterpartei war vergessen, dass ein Arbeiter dafür gut und gerne mehr als ein ½ Jahr arbeiten muss. Wer das noch mit Leistung in Verbindung bringt, will einfach nichts verstehen.
 
Die griechische Oberklasse wird nicht etwa unverzüglich und rigoros für ihr Jahrzehnte langes Unrecht zur Kasse gebeten, nein, das diskrete Zusammenspiel der besseren und vermögende Kreise deckt diese Machenschaften auch noch; während das Volk diskreditiert wird.
 
Oligarchen kaufen Vereine, vornehmlich Fußballvereine; während es großen Teilen ihrer Bevölkerung am Notwendigsten fehlt, zahlen sie schwindelerregende Gehälter für Ballkicker. Andere Reiche verprassen auf diese Art und Weise den Reichtum, den ihnen eine Laune der Natur geschenkt hat (ohne eigene Leistung). Der Sport verliert dabei seine ureigene Bestimmung - aus dem Spiel kommend, dem zweckfreien Gegensatz zum Lebensnotwendigen entsprungen, aus dem alle Kultur entspringt.
 
Viele Beispiele ließen sich anfügen. Die Welt ist längst aus den Fugen geraten. Neben den rein ökonomischen Verheerungen und menschlichen Tragödien, liefert die Symbolik dieses Tuns auch noch ein denkbar schlechtes Vorbild für junge Menschen. Und diese Missstände sind - neben den als religiös deklarierten Machtphantasien - die Ursache der meisten gewaltsamen Auseinandersetzungen
 
In der nächsten Folge wird dargestellt, was Leistung ist, welche Parameter zur Differenzierung geeignet sind und welche nicht. (PK)
 
 
Lebenslauf des Autors:
Geb. am 4.4.1940 in Georgsmarienhütte, einer Kleinstadt bei Osnabrück
1946-1950 Volksschule, 1950-1956 Gymnasium, mehrere Handelsschulen, mehrfacher Schulabbrecher und Leistungsverweigerer
1956-1958 Getrampt durch Süd- und Westeuropa, 1958-1960 Bundeswehr anschließend Wehrdienstverweigerer
1960-1972 Gearbeitet in Tätigkeiten mit schwerer bis schwerster körperlicher Belastung z.B. Möbelträger/Packer
1972 Umschulung zum Speditionskaufmann und bis 2005 im selben Unternehmen beschäftigt
Vom Hilfsdisponenten über mehrere Stationen zum Leiter einer Internationalen Transportabteilung, Leiter der Personalentwicklung und Ausbildungsleiter
Nach 45 Jahren sozialversicherungspflichtiger Arbeit Rente
Anschließend freiberuflicher Trainer. Spezialgebiete: Mitarbeiter/Innen auf den unteren Lohnstufen (Kraftfahrer/Lagerarbeiter u.a.), Ausbildung für Disponenten/Innen, Lebenslanges Selbststudium, Schwerpunkte: Philosophie/Soziologie/Literatur 
 


Online-Flyer Nr. 389  vom 16.01.2013

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