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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Kommentar
Grüner Landesparteitag Baden-Württemberg und die Zivilklausel
Auch Rückschläge können motivieren
Von Dietrich Schulze

Aus Gründen der von grünen Realpolitikern vertretenen „Staatsräson“ (1), allen voran Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, wurde die von Grüner Jugend, CampusGrün und mehreren Abgeordneten beantragte Zivilklausel für das Landeshochschulgesetz („Forschung und Lehre nur für zivile und friedliche Zwecke“) abgewiesen zugunsten eines Gegenantrags. Dieser wurde in einer Alternativabstimmung mit 93 zu 80 Stimmen als Leitantrag beschlossen. Der Leitantrag umgeht jegliche Verbindlichkeit und ist ein einziger Etikettenschwindel, der bereits im Titel erscheint „Verbindliche Regelungen für Transparenz und Ethik statt unverbindlicher Zivilklausel“. Der Beschluss ignoriert vollumfänglich das grüne Wahlversprechen zur Landtagswahl, in dem es wörtlich heißt: „Frieden statt Waffen exportieren. …. Nachhaltige grüne Friedenspolitik setzt vor allem auf zivile und diplomatische Mittel und hat Abrüstung zum Ziel. Forschungseinrichtungen, Universitäten und Hochschulen des Landes sollen ausschließlich friedliche Zwecke verfolgen. Um dies deutlich zu machen, befürworten wir die Einführung von Zivilklauseln in den Satzungen aller solcher Einrichtungen.“


Quelle: http://asta.uni-goettingen.de/200

Wie die NRhZ berichtete (2), hatten sich Leni Breymaier (Landesleiterin ver.di Baden-Württemberg), Jürgen Grässlin (Bundessprecher Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen DFG-VK, Träger des Aachener Friedenspreises), Sven Lehmann (Sprecher GEW-Bundesausschuss der Studentinnen und Studenten - BASS), der Autor (Initiative gegen Militärforschung an Universitäten) und Renate Wanie (Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden) argumentativ an die Delegierten gewandt, nachdem eine Woche vor dem Parteitag Ministerin Bauer mit unhaltbaren Positionen eine Offensive gegen die beantragte Zivilklausel in der Stuttgarter Zeitung (3) gestartet hatte. Auch die atompolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfaktion, MdB Sylvia Kotting-Uhl, hatte mit guten Argumenten öffentlich für den Antrag der Jugend Stellung bezogen (4).
 
Dass die Enttäuschung bei der Jugend groß ist, kann man verstehen. Das ist aber kein Grund zu resignieren und mit der Kampagne gegen die Militarisierung der Hochschulen kürzer zu treten, im Gegenteil. Das möge mit einem einzigen Gedanken näher gebracht werden. Der gleiche Parteitag nahm mit sehr knapper Mehrheit den Antrag an: „BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Baden-Württemberg fordern die Landesregierung auf, die 2009 zwischen dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg und dem Wehrbereichskommando IV (Süddeutschland) der Bundeswehr geschlossene Kooperationsvereinbarung spätestens zum Ende des Schuljahrs zu kündigen.“ Dem ging eine jahrelange Kampagne voraus, die Kampagne „Schulfrei für die Bundeswehr“. Die Breite und Tiefe dieser Kampagne, die sich im Abstimmungsergebnis entgegen den Absichten der regierenden Realpolitiker widerspiegelt, konnte die Zivilklausel-Bewegung bisher nicht erreichen.
 
Um einer anderen möglichen Fehleinschätzung gleich vorzubeugen: Dieser Abstimmungserfolg, der den privilegierten Zugang der Bundeswehr zu den Schulen beenden soll, ist kein Grund, sich zurück zu lehnen. Innenminister Gall (SPD) erklärte prompt: „Die Kooperation der Schulen mit der Bundeswehr ist sinnvoll. Auch in Zeiten internationaler Militärmissionen sollten Jugendoffiziere mit Schülern über Friedenssicherung und Bundeswehreinsätze diskutieren können. Gerade angesichts der Abschaffung der Wehrpflicht und des Abbaus von Standorten ist es wichtig, dass die Streitkräfte in der Bevölkerung verankert bleiben.“ (5). Darin wird die Absicht der Grün-Roten Regierung deutlich, am Auftritt der Bundeswehr an den Schulen nicht rütteln zu lassen. Die Kampagne wird nicht arbeitslos, die Bewegung muss noch stärker werden.
 
Mit ähnlichen Argumenten wie „Friedenssicherung - Bundeswehreinsätze - internationale Militärmissionen“ (früher hieß das mal „Friedensmission am Hindukusch“) hatte sich Ministerin Bauer (GRÜNE) gegen die Zivilklausel gewandt: „Aber auch wir erkennen ja an, dass es so etwas wie eine »responsibilty to protect« gibt. Wir sind Teil der UNO, unsere Bundeswehr ist Teil des Sicherheitsnetzwerks.“ (3). Diese moderne NATO-Kriegsdoktrin »responsibilty to protect« (»Schutzverantwortung«) hatte ein paar Tage zuvor Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière in der Frankfurter Rundschau/Berliner Zeitung (6) so intoniert: „Aber das Politische kann eben manchmal nur mithilfe des Militärischen erfolgreich sein.“ Und kurz danach zog er im Campus-Magazin UNICUM (7) mit dem gleichen nicht stichhaltigen Argument in die Schlacht gegen die Zivilklausel wie die Ministerin: „Ich halte die Einführung einer Zivilklausel für einen Verstoß gegen die Wissenschaftsfreiheit des einzelnen Wissenschaftlers.“ Sind diese zeitlich-inhaltlichen Übereinstimmungen Zufälle? Urteilen Sie selbst und lesen Sie das aktuelle SPIEGEL-Interview mit de Maizière und Trittin unter der Schlagzeile „Schwarz-Grüne Annäherung“ (8) über Rüstungsexporte, militärische Rituale und „Sicherheits“politik. Ist die Annahme weit hergeholt, dass hier variable Regierungskoalitionen für die Bundestagswahlen vorbereitet werden: Schwarz-Grün, Rot-Grün, Schwarz-Rot….?
 
Zum angeblichen Verstoß der Zivilklausel gegen die Wissenschaftsfreiheit, der bereits 2009 im Denninger-Gutachten (9) widerlegt wurde, ist Anfang der Woche an der Uni Kassel ein Rechtsgutachten (10) vorgestellt worden, wonach „die angestrebte verbindliche Zivilklausel verfassungsrechtlich zulässig ist.“ Zu den elf existierenden Zivilklauseln, sechs davon in fünf Bundesländern allein in den letzten zwei Jahren, könnten demnächst weitere an den Unis Kassel, Köln, Jena, Freiburg, FU Berlin… hinzukommen. Nach Mitteilung des u-asta der Uni Freiburg (11) hat der Senat versprochen, im Sommersemester 2013 eine Zivilklausel für die Grundordnung zu beschließen.
 
Selbstverpflichtende Zivilklauseln durch Senatsbeschlüsse und landesgesetzliche Zivilklauseln sind keine Gegensätze. In Auswertung des Grünen Parteitags und der bisherigen Bemühungen hat die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten beschlossen, die Kampagne für die Aufnahme einer Zivilklausel in das zur Novellierung anstehende Landeshochschulgesetz verstärkt fortzuführen. Dabei spielt die gemeinsame Überzeugung in einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Tagung zur Verantwortung der Wissenschaften im Juni 2012 am KIT Karlsruhe eine Rolle. Sowohl die Vertretungen von Grünen, SPD und Linken, als auch die der Studierendenschaft, der Gewerkschaft und der Friedenswissenschaft forderten einmütig eine Zivilklausel für das Landeshochschulgesetz mit Wirkung für das KIT-Gesetz. Als Positivum bleibt festzuhalten, dass die Vernetzung gegen die Militarisierung von Bildung und Forschung voran gekommen ist. Erstmals gab es am 20. Oktober 2012 in Stuttgart eine gemeinsame Demo für „Militärfreie Schulen und Hochschulen“ (12). Die Zusammenarbeit mit Initiativen gegen Rüstungsexporte wie „Aktion Aufschrei“, für Rüstungskonversion (Umstellung auf nützliche zivile Produkte) sowie mit Initiativen gegen die weltweite Ungerechtigkeit „Armut und Unterernährung“ und zur Abwehr einer Klimakatastrophe kommt voran.
 
Auf den beiden Konferenzen am vergangenen Wochenende an der Uni Göttingen und an der Uni Kassel sind diese wahren Herausforderungen erörtert worden und dass die Wissenschaften dafür an Problemlösungen arbeiten sollen. Der Autor fand auf Plenen in beiden Konferenzen viel Zustimmung für ein schönes Zitat von Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung):
„Die Initiative »Jetzt Entrüsten!« wirbt für ein ziviles Gemeinwesen – also für eine Zivilklausel an den Hochschulen.... Die sogenannten, die angeblichen Realpolitiker nennen das Naivität. Damit haben sie vielleicht sogar recht. Ohne diese Naivität hat man nicht die Kraft, gegen den Jahrtausend-Mainstream anzutreten. Aber diese angeblich Naiven sind die wahren Realpolitiker, weil sie die richtigen Konsequenzen aus der Jahrtausend-Realität ziehen: »Jetzt Entrüsten!«“ Es stammt aus dem Vorwort zur Streitschrift über den genannten Karlsruher Kongress (13), zu dem gerade im Webportal kritisch-lesen.de eine Rezension (14) von Sebastian Friedrich veröffentlicht wurde.
 
An alle die „naiven“ und wahren Realpolitiker sei appelliert: Jetzt entrüsten – und nicht locker lassen. Wir haben keine Chance! Nutzen wir sie! (PK)
 
Quellen:
(1) Rhein-Neckar-Zeitung 3.12.12 http://www.rnz.de/HP_Suedwest/00_20121203111003_103041902_Natuerlich_gab_es_eine_gewisse_Staatsraison_.php
(2) Neue Rheinische Zeitung 28.11.12 http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18482
(3) Stuttgarter Zeitung 24.11.12 http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.interview-zur-militaerischen-forschung-verteidigerin-der-freien-wissenschaft.0f71129d-4d1d-498b-9247-94305b797d08.html
(4) Reutlinger General-Anzeiger 30.11.12 http://www.gea.de/nachrichten/politik/gruenen+parteitag+in+boeblingen+interview+mit+kotting+uhl.2918144.htm
(5) Innenministerium Baden-Württemberg 3.12.12 http://www.im.baden-wuerttemberg.de/de/Meldungen/293867.html?referer=83357&template=min_meldung_html&_min=_im
(6)Bundesregierung 21.11.12 http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Namensbeitrag/2012/11/2012-11-21-de-maiziere-berliner-zeitung.html
(7)Magazin UICUM 12-2012 http://www.unicum.de/fileadmin/media/PDFs/UC_12-2012_Web.pdf
(8) SPIEGEL Nr. 48 vom 26.11.12
(9) Gutachten Erhard Denninger http://www.boeckler.de/pdf/mbf_gutachten_denninger_2009.pdf
(10) AK Zivilklausel Uni Kassel http://zivilklauselkassel.blogsport.de/2012/12/03/zivilklausel-juristisch-moeglich/
(11) junge Welt 3.12.12 http://www.jungewelt.de/2012/12-03/035.php
(12) Neues Deutschland 22.11.12 http://www.neues-deutschland.de/artikel/801988.kein-werben-fuers-sterben.html
(13) Neue Rheinische Zeitung 30.09.12 http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18267
(14) Webportal kritisch-lesen.de 4.12.12 http://www.kritisch-lesen.de/rezension/forschung-und-anti-militarismus
 


Online-Flyer Nr. 383  vom 05.12.2012



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