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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Sport
Wolfsburger Frauenwunder, Frankfurterinnen mit steigendem Selbstvertrauen
Frust bei Potsdamer Turbienen
Von Bernd J.R. Henke und Johann Blaha

Der 10. Spieltag in der Frauenbundesliga war ein Novum in der Geschichte der femininen Liga-Inszenierung - drei Tage von Freitag, 23.11. bis Sonntag, 25.11. - , nur fehlten in Wolfsburg bei den Vorzeigefußballfrauen des Automobilsponsors und einflussreichen Werbekunden der öffentlich-rechtlichen TV-Sender deren Kameras. Für die Fußballfrauen des VfL Wolfsburg war Premiere: Als Herausforderer und neuer Spitzenreiter zugleich standen sie im Fadenkreuz der Aufmerksamkeit.

Nadine Keßler nach dem Siegestor in letzter Minute in freudiger Obhut des Trainers
Foto: Jan Kuppert
 
DFB-TV sendete, nur damit erreicht man keine Zuschauerquote. Knapp 3.000 Zuschauer, darunter mehrere "Hundertschaften“ treuer Turbine-Fans, zog am Freitagabend das erste Flutlichtspiel der Saison in den Bann, Bundestrainerin Silvia Neid kiebitzte für ihr kommendes Länderspiel gegen Frankreich. Mit ungemeiner Willenskraft, noch in letzter Sekunde bei unendlich langen fünf Minuten Nachspielzeit, stürmte Wolfsburgs Frauenwunder das Potsdamer Bollwerk in der 90. +4. mit 2:1 (0:1). Verdient – aber dennoch glücklich – ein mögliches verdientes Unentschieden – so sei höflich angemerkt – wäre bei striktem Diktum der Schiedsrichterin mit festgezurrten drei Minuten realer Nachspielzeit (90. +3). genauso drin gewesen. Die Unparteiische signalisierte das Nachspielen durch drei erhobene Finger. Ermessensspielräume aber sind regelkonform, sie gehören zum Wunderwerk der sportlichen Fairness.
 
VfL-Trainer Ralf Kellermann, früher als Scout für die Wolfsburger Männerprofis unterwegs, bekannte, dass er während des überragenden Spielaufbaus seiner Frauen zeitweise ans Grübeln gekommen sei. Zu groß war das Unvermögen der VfL-Offensive im Ausnutzen megaklarer, wunderbar heraus gespielter Torchancen gewesen. Das fußballerisch notwendige Quentchen Glück war am Ende doch ein Grün-Weißes. Nach dem für VfL-Anhängerschaft und Verein wohltuenden Ermessen der Unparteiischen kam der erlösende Schlusspfiff erst in der 90. +5 Minute. „Wir haben alles probiert: Köpfen, Schlenzen, Schieben. Das Tor war wie vernagelt und Naeher hat überragend gehalten“, so die am Ende überglückliche VfL-Kapitänin Nadine Keßler über die Wolfsburger Vergeblichkeit, aus einer vermeintlich totalen Spielüberlegenheit das torähnliche goldene Ei des Sieges zu erzielen. Die einseitige Dauerbelagerung des Gegners geriet ein wenig zur Farce zu Lasten der Grün-Weißen und zum heroischen Abwehrkampf des Schwächeren im Gewand des amtierenden Meisters.

Siegesparade vor der Haupttribüne – die VfL Frauen danken ihren Fans
Foto: Jan Kuppert
 
Dieses prachtvolle Drama zu erleben und in allen Facetten zu kommentieren war mit Verlaub gesagt mit gestreamten DFB-TV Bildern nicht zu leisten. Der ARD/NDR Sport samt Studio Hannover, oft in trauter Formation mit der Volkswagen AG, waren seit dem denkwürdigen „falsch programmierten“ deutschen WM-Aus vor knapp 26.000 Zuschauer in der großen WM-Arena nebenan in der Autostadt bei Highlights des Frauenfußballs mit kompletten Live-Schaltungen und Übertragungswagen nicht mehr aufgetaucht. Ein etwas abseits liegendes VIP-Zelt am Elsterweg hat auch schon lange keine Programmdirektoren verköstigt, so wie es in Frankfurt und auch in Potsdam zur geschickten regional verankerten Lobbyarbeit gehört.

Frust bei Potsdams Stefanie Mirlach am Ende des Spiels
Foto: Jan Kuppert
 
Die im Flutlicht leuchtenden, rot durchnässten Potsdamerinnen, gehandicapt durch das grippale Fehlen ihrer Schaltzentrale Patricia Hanebeck, gingen gezeichnet, dezimiert durch heftigen Krankenstand im Kader sowie innerlich angespannt durch den Verlust von Konstanz in den letzten Englischen Wochen, auf den Rasen. Wolfsburg hingegen strahlte durch eine vorherige torreiche und souveräne Siegesserie in Liga und internationaler Präsenz. Das Wolfsburger Selbstvertrauen schien durch das Erreichen des UEFA Champions League- Viertelfinales immens gestärkt. Nach dem Ausscheiden Turbine Potsdams gegen die Arsenal- Ladies FC als alleiniger Vertreter Deutschlands dazustehen, das motivierte um so mehr.
 
Potsdams ureigentliche Tugend, seine Kampfkraft und seine körperliche Präsenz, verlagerte sich mangels funktionierendem Mittelfeld logischerweise auf eine von Anfang angelegte Abwehrschlacht, im Hinterhalt natürlich vertrauend auf die eiskalte Effizienz der Potsdamer Konter im Verwerten auch minimaler Chancen. Der Offensivdrang der vermeintlich besseren Wolfsburgerinnen erlaubte es den Potsdamer Außenflügeln diesmal nicht, die eigene Abwehr zu entlasten. Zu sehr waren Lisa Evans und Antonia Göransson eingebunden in die Defensive. Die sonst überaus kreativen, aber derzeit unter Potential spielenden Stürmerinnen Genoveva Anonma und Yuki Ogimi hingen zum Leidwesen der Potsdamer Fans orientierungslos in der Luft.

Nadine Keßler mit Luisa Wensing
Foto: VfL
 
Das Stutzenhochkrempeln der Roten war angesagt, nicht geniale Spielkunst afrikanischer oder japanischer Weltklasse. Dass dabei die eine oder andere gelbe Karte verteilt wurde, zeigte nur den Kampfesmut einer von Anfang an unterlegenden, aber immer an sich glaubenden tapferen   Mannschaft. Trainer Kellermanns genialer taktischer Schachzug gegenüber dem Kontrahenten Bernd Schröder schlechthin war es, dass er die spielstarke Nationalspielerin Lena Goeßling nicht im Mittelfeld, sondern in der Abwehr einsetzte. Da die Ex-Potsdamerin und umsichtige Abwehrstrategin Josephine Henning aus ehemals Brandenburger Tagen unter Bernd Schröder gewohnt war, auch in einer Dreierkette zu brillieren, nutzte die schnell nach vorne brechende, schussstarke Goeßling die sich ihr ergebenen Freiräume und schaltete sich konsequent in den Spielaufbau der „Wölfinnen“ ein.
 
Ergo erhöhte sich die Dominanz der Wolfsburger Mittelachse, den beiden Ex-Potsdamerinnen Viola Odebrecht und Nadine Keßler, verursachte schließlich die grün-weiße Überzahl gegenüber dem Potsdamer Mittelfeld ohne Hanebeck, nur bestückt mit einer weitestgehend auf sich allein gestellten US-Amerikanerin Keelin Winters. Gleichwohl orientierte sich die kopfballstarke Winters gemäß der Order von Meistertrainer Schröder bei den Angriffswellen nach hinten, zu stark war der Offensivdrang der Grün-Weißen. Das Zentrum im Mittelkreis beherrschte Wolfsburg. Winters „tötete“ konsequent im Einklang mit ihrer Landsmännin, der überragenden Torhüterin Alyssa Naeher fast alle hohen Bälle der scheinbar überlegen agierenden Wolfsburgerinnen, die aber vor dem Tor im Strafraum trotz Chancenüberfluss im Abschluss kläglich versagten.

Drei starke Frauen: Zsanett Jakabfi (3), Conny Pohlers (26), Lena Goeßling (28)
Foto: VfL
 
Winters klärte mit dem Kopf, Torfrau Naeher mit Sprungkraft und sensationeller Fangkunst. Die generelle Lufthoheit in der Abwehrschlacht gehörte den Roten aus Potsdam Babelsberg, ihre Abwehrkette mit Stefanie Draws, der US-Amerikanerin Alexandra Singer und der Belgierin Heleen Jaques bugsierte alle flachen Bälle des weit aufgerückten grün-weißen Belagerers aus dem Potsdamer Strafraum. Mit viel Understatement stapelte später VfL-Trainer Ralf Kellermann die überragende Stellung seiner Mannschaft tief. Sein leicht durchschaubares Unterfangen, seine innerliche Freude ob der beiden späten glücklichen Tore zu verbergen, provozierte natürlich zur neuerlichen Nachfrage nach seinen persönlichen Kritikpunkten an seiner Mannschaft. Zu laut und voreilig schien selbst ihm dem Siegenden das Jubeln seiner Frauen, das übliche Favoritengeschwätz über die Meisterschaft und seichte Torschützengelobe der Medienvertreter.
 
Kellermann machte in aller Nüchternheit klar, dass im Titelkampf noch nichts entschieden sei. Doch gab er zu, sichtlich zufrieden ob der fußballerisch perfekt heraus gespielten Chancen seiner Mannschaft, dass er bei einem möglichem Remis seiner Mannschaft ebenso zu guter Leistung gratuliert hätte. Ein mögliches Unentschieden – so sei höflich angemerkt – nach 90. + 3 Minuten wäre nach Gesamtsicht ebenso verdient gewesen, da waren sich die beiden Trainerkontrahenten beim anschließenden Pressegespräch im biederen Hinterzimmer der VfL-Geschäftsstelle ziemlich einig. Potsdams Trainer Schröder gratulierte in sportlicher Fairness seinem Kontrahenten zum verdienten Sieg des VfL Wolfsburg, er lobte aber auch die vergebliche, aber faszinierende Kampfkraft seiner Frauen. Kellermann sistierte seiner Mannschaft, unfassbar viele klare Torchancen ausgelassen zu haben – Chancen die normalerweise im DFB-Pokal jede Zweitligamannschaft verwandelt hätte. Wolfsburgs schnelles Spiel aus der Abwehr heraus, ohne Geplänkel im Mittelfeld, kaum Querpässe, einfach den Ball direkt nach vorne zu spielen, dass sah blendend aus, endete aber an einer konzentriert kämpfenden Potsdamer Abwehrformation.

Schnelle Abwehrfrauen: Lena Goeßling (28) und Luisa Wensing (2)
Foto: Jan Kuppert
 
Die formidablen Vorstöße von Zsanett Jakabfi, die dynamisch vorgeführten Spieleröffnungen der Luisa Wensing waren eine Augenweide, aber was nutzt ein super Spielaufbau, wenn der derzeit torreichste Sturm der Liga mit Conny Pohlers (3.), Alexandra Popp (10., 29.), Martina Müller (18., 31.), Nadine Keßler (21.), Zsanett Jakabfi (25.), Lena Goeßling (27.) und Viola Odebrecht (27.) sich nahezu „Hundertprozentige“ erarbeiteten, aber an einer bestechend auftrumpfenden Weltklasse-Torhüterin Alysaa Naeher scheiterte. Es dauerte immerhin ganze fünfunddreißig Minuten, bis Turbine Potsdam vor dem Wolfsburger Strafraum gefährlich werden konnte. Die Schottin Lisa Evans hatte aus halblinker Position aus knapp zwanzig Metern einen Torschuss gewagt, ohne aber die fangsichere Torfrau Alisa Vetterlein nur annähernd zu irritieren.
 
Wenige Minuten vor dem Pausenpfiff (40.) erhoben sich die Wolfsburger Spielbetreuer von ihren Bänken, als nach einer Ecke durch Jakabfi und versuchtem Kopfball von Keßler Sturmspitze Conny Pohlers das runde Leder aus kurzer Distanz über die Linie geschoben hatte. Die aufmerksame Schiedsrichterin Christine Baitinger entschied auf Abseits. Dann passierte für die bereits hadernde Trainerbank des VfL das Unfassbare. Der erste wirklich klar herausgespielte Konter von 1. FFC Turbine Potsdam nach einer Hereingabe von der rechten Außenlinie durch Jennifer Cramer über Keelin Winters, die den Ball geschickt passieren liess, auf Lisa Evans an der linken Strafraumgrenze, verwandelte urplötzlich aus dem Nichts das Spielgeschehen. Die nervenstarke junge Stürmerin Lisa Evans verwandelte mit einem Flachschuss aus knapp zwanzig Metern (44.) an der herauslaufende Alisa Vetterlein vorbei den Spielstand zur 1:0 Führung für den deutschen Meister.

Erste Konterchance für Turbine Potsdam und Tor: Lisa Evans bezwingt Alisa Vetterlein zum 0:1 für Potsdam
Foto: Jan Kuppert
 
Ohne Frage, Potsdams Ruf als Meister der Effizienz war nicht nur gerettet, dieses späte Tor in der ersten Hälfte machte neugierig auf die Wolfsburger Reaktion. Schon eine Minute später (45.) beschäftigte Conny Pohlers die Potsdamer Torfrau, die aber souverän parierte. VfL-Trainer Kellermann malte später in der Pressekonferenz das gedankliche Bild einer Wolfsburger Mannschaft, die keineswegs in der Kabine die Köpfe hängen ließ, sondern sich berufen sah, dem Meister alle drei Punkte abzunehmen. Nach der Pause schickte Kellermann dieselbe Formation ins Rennen. Trainerfuchs Schröder wechselte. Für Jennifer Cramer präsentierter er mit Bundesligaelevin Jeanette Ngock Yango, eine aus Kamerun stammende Afrikanerin mit dem Schwerpunkt defensives Mittelfeld. Wolfsburg indessen drängte weiterhin auf Ausgleich.
 
Zuerst prüfte Alexandra Popp Alyssa Naeher (47.), danach sauste nach einem Foul von Göransson der Freistoss von Verena Faißt (50.) gefährlich nah am linken Torpfosten vorbei. Die Megachance nach Flanke von rechts durch Martina Müller versiebte Conny Pohlers, indem sie aus kürzester Distanz ihren Kopfball (54.) knapp über die Querlatte verzog. Nach schneller Ballstafette kam Martina Müller zehn Meter linksseitig vor dem Tor zum Schuss (56.) und zirkelte das runde Leder wenige Zentimeter neben den linken Pfosten. Ein Gewaltschuss von Alexandra Popp (60.) landete in den Armen von Naeher. Das Spiel wurde hektischer. Nachdem Martina Müller von Yango gefoult wurde, die sich dummerweise selbst dabei weh getan hatte, kam die Wolfsburgerin Jakabfi energisch auf Yango zugelaufen und zerrte die Afrikanerin heftig am Arm, um sie hochzuziehen.

Foul von Yango an Jakabfi: Elfmeter und Gelb/Rot für die junge Afrikanerin, Schmährufe einiger frustierter VfL-Fans werden laut, als Yango den Platz verlassen muss, anschließend spielt Potsdam in Unterzahl mit 10 Spielerinnen
Foto: Jan Kuppert
 
Yango simulierte aber nicht. Sie bekam die gelbe Karte. Sünderin Jakabfi kam ungeschoren davon. Als Genoveva Anonma dagegen protestierte, bekam sie postwendend wegen Unsportlichkeit die gelbe Karte. Dieses Meckern war indirekt folgenreich, wie sich später herausstellen sollte. Entlastungsangriffe durch Potsdam blieben aus, zu sehr schnürten die „Wölfinnen“ ihre Gegnerinnen ins eigene Feld ein. Als Pohlers und Müller im Strafraum (67.) von Naeher gestoppt wurden, fielen alle drei Spielerinnen zu Boden. Kurz darauf wechselte Trainer Schröder die mit Gelb belastete Anonma gegen Stefanie Mirlach aus (68.), auch Wolfsburg tauschte Martina Müller gegen Anna Blässe, die sofort einen gefährlichen Diagonalpass in den Potsdamer Strafraum schickte, den Naeher in der Luft (72.) entschärfte.
 
Beeindruckend war, mit welcher Leidenschaft und Einsatzbereitschaft die Wolfsburgerinnen schon in der gegnerischen Hälfte mittels Pressing den Ball erkämpften, mit welchem Laufpensum die Grün-Weißen den Gegner in dessen Abwehrzone verdrängten. Die unerfahrene Jeanette Ngock Yango schien leicht angeschlagen nach einem Zusammenprall mit Martina Müller, blieb einige Zeit liegen. Danach humpelte sie über das Spielfeld. Misslich für sie war der Zeitpunkt als die schnelle Ungarin Jakabfi an Potsdams Strafraumgrenze (76.) an ihr vorbeizog. Ihr vergebliches Nachsetzen ahndete die Schiedsrichterin mit Gelb/Rot. Es war wohl die Ironie des Schicksals, dass der erfahrene Trainer Bernd Schröder die Falsche gewechselt hatte, denn beide Afrikanerinnen hatten sich Gelb zugezogen. Das riskante Verhalten der wichtigen Torjägerin Anonma hatte ihn irritiert.


Lena Goeßling scheitert beim Elfmeter an Potsdams Torfrau Alyssa Naeher
Foto: Jan Kuppert
 
Die Fehler von Yango erschienen ihm zuvor als unerheblich. Und jetzt in Unterzahl, es wurde eng für den deutschen Meistertrainer, der seine vom Potential her schwächere Mannschaft bisher in der Frauenbundesliga trotz großer Verletztenliste im Kader so nah an Frankfurt und Wolfsburg halten konnte. Beim Herauslaufen in die Kabine erfuhr die junge Yango von der Tribüne aus Schmährufe offensichtlich frustrierter Wolfsburger Fans, die damit wohl die häufigen versteckten kleinen Fouls der beiden wohl übermotivierten Potsdamerinnen quittieren wollten. Afrikanische Mentalität sollte in der Stadt eines globalen Autokonzerns eher geduldet werden als woanders. Zudem bewiesen Teile der Wolfsburger Regionalpresse in puncto Potsdam immer noch klischeehaftes Berichten, insbesondere der „dpa-Ausrutscher“ vom angeblichen „Frustfoul“ von Tabea Kemme an Lira Bajramaj ging hier trotz Gegendarstellung aller Beteiligten noch sonderbarerweise die Runde.
 
Beim folgenden Strafstoss (77.) gegen Turbine Potsdam bewies die amerikanische Torfrau Naeher ihre Sonderklasse. Der Elfmeter von Lena Goeßling landete halbhoch links in der perfekten Parade von Alyssa Naeher. Die US-Amerikanerin und U-20 Weltmeisterin von 2008 gilt als absolute Elfmetertöterin in der deutschen Bundesliga. Topspielerinnen wie Linda Bresonik, Celia Okinyo da Mhabi, Sarah Hagen und jetzt Lena Goeßling hatten bisher das Nachsehen. Die letzte Viertelstunde spielte Potsdam in Unterzahl mit zehn Spielerinnen. Als die verletzte Keelin Winters in der 79. Minute vom Platz genommen werden musste, offenbarte sich Potsdams Personalengpass umso mehr. Die Zweitligaspielerin Sandra Starke war kaum in der Lage, das Offensivspiel zur Entlastung der viel beschäftigten Abwehr zu beleben. Nadine Keßlers vergeblicher Schuss (80.) landete am Außennetz.

So feiert das Wolfsburger Frauenwunder das Siegestor
Foto: Jan Kuppert
 
Erst als Nadine Keßler nach einem Diagonalpass mittels Drehschuss aus vierzehn Metern das befreiende Tor zum 1:1 einschoss, wurde klar, dass Turbine Potsdam mit Unterzahl in den verbleibenden Sekunden noch zu besiegen war. Anna Blässe setzte den Ball haarscharf am rechten Pfosten (84.) ins Aus. Der zentrale Schuss aus der Strafraumgrenze durch Alexandra Popp (88.) fegte über die Querlatte. Plötzlich der überraschende Konter durch Turbine Potsdam. Ein gezielter Fernschuss von Yuki Ogomi aus dem rechten Halbfeld landete am linken Torpfosten (90.) knapp im Aus. Schiedsrichterin Baitinger zeigte Nachspielzeit an. Ein Fußballdrama nahm seinen Lauf. Nasser Boden, Regen, Matsch und Willenskraft beider Teams zauberten eine unvergessliche Fußballszene.
 
Vorab hatte VfL-Trainer Ralf Kellermann in der 84. Minute die sichtlich erschöpfte Conny Pohlers durch die knapp achtzehnjährige U-20 Nationalspielerin Lina Magull ersetzt, die in der Nachspielzeit den alles entscheidenden Spielzug mit einleitete. Ihren Schuss aus der Kurzdistanz hatte die bis zum Schluss viel beschäftigte Alyssa Naeher zur Ecke hin pariert.
Man erwartete den Schlusspfiff. Die noch ausgeführte Ecke der Ungarin Zsanett Jakabfi von der rechten Seite stoppte Nadine Keßler mit der Brust und schleuderte die Kugel volley ins linke Eck zum erlösenden zweiten Tor für die „Wölfinnen“. Danach symbolischer Wechsel von Popp auf Hartmann (90. +4). Sekunden danach ertönte der Schlusspfiff.

Eine temperamentvolle Sara Doorsoun-Khajeh widerspricht dem frustrierten Trainer
Foto: Jan Kuppert
 
Schockstarre bei Potsdams Spielerinnen einschließlich Trainerbank. Die „Turbienen“ zogen nach tollem Kampf geschlagen vom Platz. Nerven schienen blank zu liegen mit dem Gefühl, international verbrannt, auf nationaler Ebene zweimal geschlagen worden sein durch die direkten Konkurrenten. Bezeichnenderweise erzeugten einige DFB-TV Bilder unverhoffte Brisanz, als die temperamentvolle Potsdamerin Sara Doorsoun-Khajeh erst nach heftigem Wortwechsel mit Meistertrainer Bernd Schröder den Platz verließ. Die junge Potsdamerin Jennifer Cramer, die zuletzt in Japan mit der U-20 Nationalmannschaft den zweiten Platz belegte, brachte die Sorgen schon tags zuvor in einem dfb.de-Interview auf den Punkt: „Momentan ist bei uns der Wurm drin, da wir viele verletzte Spielerinnen haben. Wir sind daher nicht so eingespielt. Und weil es immer wieder zu Ausfällen kommt, müssen wir in jedem Spiel eine neue Formation finden. Aber wir werden versuchen, wieder Konstanz in unser Spiel zu bringen, um an die erfolgreichen Spiele anknüpfen zu können.“
 
Potsdams Abwehrchefin Stefanie Draws erklärte nach dem Abpfiff: „Es war das erwartet schwere Spiel. Wir haben 90 Minuten versucht gegen zu halten, machen in der ersten Halbzeit aus einer Chance ein Tor und gehen glücklich in Führung. In der zweiten Halbzeit waren wir dann unter Dauerbeschuss. Ohne unsere überragende Torhüterin hätten wir hier heute sicher noch höher verloren. Doch die Saison ist noch lang, auch Wolfsburg muss noch gegen andere Gegner spielen. Wir schauen nach vorn und konzentrieren uns jetzt auf die nächsten Aufgaben.“

Stefanie Draws tröstet Sara Doorsoun-Khajeh
Foto: Jan Kuppert         
 
Die Jubelszenen der Wolfsburgerinnen zeigten der im Stadion anwesenden Bundestrainerin, dass ihre grün-weißen Schützlinge aus Niedersachsen auf bestem Wege sind, die Leitelf der kommenden Jahre zu werden. Was dabei perspektivisch stört, ist der Gedanke, dass der NDR als Medienpartner noch weniger mit dem Frauenfußball „was am Hut hat“ als die kleineren ARD-Schwestern aus Brandenburg (rbb) und Hessen (hr). Das sollte baldigst anders werden. Das Viertelfinale in der UEFA Women´s Champions League steht in knapp vier Monaten auf der Terminliste.
 
Trainer Bernd Schröder: „Es war ein verdienter Sieg für den VfL. Leider haben wir acht verletzte Spielerinnen zu beklagen, am Ende mussten wir auch noch zu zehnt spielen; da war es klar, dass wir die Führung nicht würden halten können. In der zweiten Halbzeit haben wir nicht mehr agiert, sondern nur noch reagiert, deswegen hatten wir nicht viel zu bestellen. Trotzdem hätte meine Mannschaft den Punkt aufgrund des Aufwands durchaus verdient gehabt. Der Siegtreffer in der Nachspielzeit ist ärgerlich, denn es hätte auch schon Schluss sein können. Nichtsdestotrotz hat Wolfsburg verdient gewonnen. Wir müssen nun gucken, dass wir unsere Spieler wieder an Deck kriegen.“
       
Trainer Ralf Kellermann: „Wir haben heute unfassbar viele Torchancen liegen gelassen. Wenn man dann noch einen Elfmeter verschießt, kommt man schon ins Zweifeln. Allerdings dann am Ende noch so zu gewinnen, ist traumhaft. Die Mentalität der Mannschaft ist einfach top. Wir haben am Ende den unbändigen Siegeswillen gehabt, man sieht, dass das Team topfit und hochmotiviert ist und damit auch solch ein Spiel gewinnen kann. Wir waren die klar bessere Mannschaft, auch wenn das sicherlich ein Stück weit mit den vielen Ausfällen des Gegners zu tun hatte. In der Kabine hat dennoch jede an den Sieg geglaubt, und so sind wir auch mit viel Schwung in die zweite Halbzeit gekommen. Ein großes Kompliment an die Mannschaft, dass sie auch nach dem verschossenen Elfmeter an sich geglaubt, die Überzahl genutzt und weiter Fußball gespielt hat. Das Ziel war es, die Lösung spielerisch zu finden, und das hat die Mannschaft geschafft. Der Sieg in der Nachspielzeit war zwar glücklich, aber hochverdient.“
 
Mannschaftsaufstellung
VfL Wolfsburg vs. 1.FFC Turbine Potsdam am 10. Spieltag der 1. Bundesliga 2012/2013
 
VfL Wolfsburg:
Alisa Vetterlein – Luisa Wensing, Josephine Henning, Lena Goeßling, Verena Faißt – Zsanett Jakabfi, Viola Odebrecht, Nadine Keßler, Martina Müller (71 Anna Blässe) – Alexandra Popp (90 +4 Yvonne Hartmann) , Conny Pohlers (84 Lina Magull)
Trainer: Ralf Kellermann
 
1.FFC Turbine Potsdam:
Alyssa Naeher – Heleen Jaques, Stefanie Draws, Alexandra Singer – Jennifer Cramer (46 Jeanette Ngock Yango), Keelin Winters (79 Sandra Starke), Sara Doorsoun, Antonia Göransson – Lisa Evans, Genoveva Anonma (68 Stefanie Mirlach), Yuki Ogimi
Trainer: Bernd Schröder
 
Tore: 0-1 Lisa Evans (44), 1-1 Nadine Keßler (82) , 2-1 Nadine Keßler (90+3)
 
Zuschauer: 3.069
Schiedsrichterin: Christine Baitinger (Friesenheim) 

Nadine Keßler umarmt Conny Pohlers, Martina Müller dicht dabei
Foto: Jan Kuppert
 
Der VfL Wolfsburg festigte seine Tabellenführung und steht nunmehr mit drei Punkten Vorsprung bei einer Partie weniger als der Zweitplatzierte 1. FFC Turbine Potsdam. Am folgenden Samstag verlor Pokalmeister FC Bayern München am Niederrhein in Duisburg gegen die gastgebenden Löwinnen mit 1:2 (1:1) den Anschluss nach oben, Rekordmeister 1. FFC Frankfurt dagegen deklassierte vor den sachverständigen Augen des FIFA-Exekutiv-Mitglieds Dr. Theo Zwanziger das rheinische Ligagründungsmitglied SC 07 Bad Neuenahr mit 4:1 (3:0). Frankfurt schaffte den Anschluss nach oben.
 
Punktgleich mit dem gestrauchelten Erzrivalen 1. FFC Turbine Potsdam jagt der 1. FFC Frankfurt, geografisch und nur noch durch Torergebnis getrennte mentalitätsbedingte Antipoden, zukünftig die grün-weißen Trendsetter aus der Autostadt. Ob der VfL Wolfsburg die notwendige Ruhe finden wird, den Jagenden auszuweichen, ist schon vor der nahenden Winterpause mit einem klaren Nein zu beantworten, denn Mannschaften wie der SC Freiburg, die SGS Essen sowie der FC Bayern München sind momentan in der Lage, allen Dreien eine Niederlage zuzufügen. Weitere Hürden für die Favoriten werden alle anderen Vereine der Frauenbundesliga werden, die sich noch bis zum Abstiegskampf enorm steigern werden, um gegen den Abstieg zu punkten.  (PK)
 
Fotobearbeitung: Dietmar Tietzmann, Frankfurt am Main

Plakat vom letzten UEFA Women´s Champions League Spiel
Foto: VfL
 


Online-Flyer Nr. 382  vom 02.12.2012



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