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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Globales
Rede vor der "Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs“ (IPPNW)
20 Gründe, warum Iran keine Atombombe will
Von Dr. Seyed Hossein Mousavian

Seit Beginn der iranischen Atomkrise habe ich keine Gelegenheit verpasst, meine Freunde im Westen daran zu erinnern, dass harte internationale Sanktionen Irans Atompolitik nicht ändern werden. Ich habe auch daran erinnert, dass die militärische Option katastrophal wäre. Die westlichen Gesprächspartner beharrten auf ihrer Meinung, dass das alles nur ein Bluff sei. Sie glaubten, dass Iran durch die Sanktionen und aufgrund einer glaubwürdigen militärischen Bedrohung sein Urananreicherungsprogramm beenden würde. Heute, fast ein Jahrzehnt später, scheint der Westen endlich diese Tatsache in Bezug auf die „Kriegsoption“ verstanden zu haben. Aber er schafft es immer noch nicht, sie in Bezug auf die „Sanktionspolitik“ zu akzeptieren.

Mahmud Ahmadinejad: „Wenn Sie uns 20 Prozent (angereicherten) Brennstoff liefern, werden wir sofort die 20 Prozent (Anreicherung) beenden.“
NRhZ-Archiv
 
Die Neigung des Westens, sich für oder gegen Krieg und Sanktionen zu entscheiden, hängt von der angeblichenAbsicht Irans ab, sich Atomwaffen anzuschaffen. Die Frage, die sich stellt, ist also, ob Iran letztlich hinter Atomwaffen her ist oder nicht. Wenn die Antwort nein ist, dann ließen sich die westlichen Sorgen durch eine diplomatische Lösung lindern. Für eine friedliche Lösung des iranischen Atomdossiers lege ich im Folgenden meine Argumente dar, weshalb Iran nicht nach der Atombombe strebt.
 
1. Seit 2003 führt die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) die robustesten Inspektionen ihrer Geschichte in Iran durch. Diese schlossen über 100 unangemeldete Visiten und ein Inspektionspensum von über 4.000 Arbeitstagen ein. Die Agentur erklärte öfters, dass es keine Beweise gäbe, nicht einmal ein Gramm an nuklearem Material, das für eine Atombombe abgezweigt wurde.
 
2. Die US National Intelligence Estimates (NIE) von 2007 und 2011 hielten fest, dass:
Iran kein laufendes Atomwaffenprogramm hat,
es keine überzeugenden Beweise dafür gibt, dass Iran seit 2003 etwas in dieser Richtung versucht habe,
die iranische Führung bisher keine politische Entscheidung getroffen hat, eine derartige Waffe zu bauen.
 
3. Die Verwendung von Atomwaffen und allen anderen Arten von Massenvernichtungswaffen ist laut einer Fatwa (religiöses Rechtsgutachten) des Staatsoberhaupts Ayatollah Khamenei haram, d. h. religionsrechtlich verboten. Laut der Fatwa stellen Massenvernichtungswaffen eine Sünde dar, sind nutzlos, teuer, abträglich, gefährlich und eine ernsthafte Bedrohung für die Menschheit.
 
4. Während des Iran-Irak-Kriegs in den 1980er Jahren befahl Saddam Hussein den Einsatz chemischer Waffen gegen Iran. Auf diese Weise wurden über 100.000 iranische Soldaten und Zivilisten getötet und verletzt.[1] Und obwohl sie sich im Krieg befanden, antworteten die Iraner nicht auf die gleiche Weise, weil Imam Khomeini gegen den Einsatz von Massenvernichtungswaffen war.
 
5. Die Iraner schätzen, dass der Besitz von Atomwaffen nur einen kurzfristigen regionalen Vorteil bringen würde, der sich langfristig in einen Schwachpunkt verwandeln würde. Früher oder später würden nämlich Ägypten, die Türkei und Saudi-Arabien gleichziehen wollen. Das würde ein regionales atomares Wettrüsten unvermeidlich machen.
 
6. Die technischen Optionen, die Iran beim Aufbau seines Atomprogramms ausgewählt hat, zeigen auf, dass auf ein robustes Anreicherungspotenzial Wert gelegt wird und nicht auf einen raschen waffentechnischen Durchbruch. Irans Forschungsprogramm fokussiert auf Zentrifugen, die mit Techniken der neuen Generation ausgestattet sind (IR-2m). Wenn Iran wirklich dazu entschlossen wäre, kurzfristig an Atomwaffen zu gelangen, dann wäre die Massenproduktion oder die größtmögliche Installation von IR-1s- und IR-2s-Modellen der effektivste und schnellste Weg dahin. Deren Technologie beherrscht Iran heute schon.
 
7. Die Aktivitäten, die detailliert im IAEA-Bericht vom November 2011 aufgeführt sind, gehen in keine spezifisch waffentechnische Richtung. Laut Robert Kelly, einem führenden US-amerikanischen Atomexperten und ehemaligen IAEA-Inspektor, war der Bericht irreführend und zielte darauf ab, ich zitiere: „Hardlinern den Rücken zu stärken, indem er Informationen heranzieht und sie jenen Leuten als Rohfleisch vorwirft, die in Richtung Krieg marschieren wollen.“
 
8. Iran weiß genau, dass wenn es ein Atomwaffenstaat wird, sich Russland und China auf die Seite der USA schlagen würden und sie der iranischen Wirtschaft verheerende, lähmende Sanktionen auferlegen würden.
 
9. Die grundlegende iranische Strategie ist es, ein modernes Land mit fortschrittlicher Technologie zu werden. Die Mehrheit der bekannten iranischen Politiker glaubt, dass eine Atomwaffe den langfristigen technologischen Kooperationen, die Iran mit den entwickelten Ländern geschlossen hat, entgegenwirken würde. Sie wollen Iran nicht unter der gleichen internationalen Isolation sehen, die Nordkorea auferlegt wurde.
 
10. Eine atomwaffenfreie Zone für den Nahen Osten wurde das erste Mal von Iran im Jahr 1974 vorgeschlagen. Das Haupthindernis für diese Initiative war Israel, das einzige Land in der Region, das Hunderte von Atomwaffen besitzt und kein Mitglied des Atomwaffensperrvertrags (NPT) ist.
   
11. Iran besitzt keinerlei Arten von Massenvernichtungswaffen und hat alle größeren Verträge, die den Besitz solcher Waffen ablehnen, unterschrieben. Diese schließen die Biowaffenkonvention (BWC), die Chemiewaffenkonvention (CWC), den Atomwaffensperrvertrag (NPT) und den Kernwaffenteststopp-Vertrag (CTBT) ein.
 
12. Im Sommer 2011 erklärte Mohammed El-Baradei, ehemaliger langjähriger Generaldirektor der IAEA und Friedensnobelpreisträger: „Ich habe nicht den Funken eines Beweises dafür gesehen, dass Iran sich Waffen zulegt, im Sinne vom Bau von Atomwaffenanlagen und im Sinne der Verwendung angereicherten Materials. Ich glaube nicht, dass Iran eine tatsächliche und akute Gefahr ist. Alles was ich sehe, ist ein Hype um die Gefahr, die Iran darstellen würde.“ Mohammed El-Baradei verweigerte den Kotau vor den Kriegstreibern und bekam später den Friedensnobelpreis. Sein Nachfolger aber, Yukiya Amano, beschreibt sich selbst laut der von WikiLeaks enthüllten US-Botschafts-Depesche in Wien „dass er bezüglich jeder strategischen Schlüsselentscheidung voll auf der Seite der USA stehe, von der Ernennung hochrangigen Personals bis zum Umgang mit Irans mutmaßlichem Atomwaffenprogramm.“
 
13. Iran weiß, dass Israel mit hinreichend Argumenten versorgt werden würde, wenn er im Begriff wäre, ein Atomwaffenstaat zu werden, um die USA und die internationale Gemeinschaft, aufgrund der vermeintlichen Bedrohung ihrer Existenz, für einen neuen Krieg im Nahen Osten mobilisieren zu können.
 
14. Während der Atomverhandlungen von 2003 bis 2005 zwischen Iran, Frankreich, Deutschland und Großbritannien (EU-3) hat Iran verschiedene Vorschläge eingereicht. Diese beinhalteten:
Die Begrenzung der Anreicherung auf fünf Prozent.
Export des über den nationalen Bedarf hinausgehenden angereicherten Urans oder Umwandlung in Brennstäbe.
Die Umsetzung des Zusatzprotokolls und der Nebenabrede Nr. 3.1. Diese hätten den maximalen Level an Transparenz gewährleistet.
Die Erlaubnis der IAEA, „bissige Inspektionen“ in den atomaren Anlagen durchzuführen.
Die Verbringung des niedrig angereicherten Urans (LEU) in ein anderes Land, um es dort in Brennstäbe für den Teheraner Forschungsreaktor (TRR) umwandeln zu lassen.
Die EU lehnte die Vorschläge aufgrund der US-Position von der „Null-Anreicherung“ in Iran ab.
 
15. Der stellvertretende IAEA-Generaldirektor Herman Nackaerts besuchte Iran im August 2011. Er hatte einen Freibrief für den Besuch aller atomaren Anlagen. Während seines Besuchs verlangte er Zugang zu Forschungs- und Entwicklungsanlagen, unter anderem zu denen der technisch fortgeschrittenen Zentrifugen. Der Zugang wurde ihm gewährt. Kein anderes Land gewährte den Inspektoren der IAEA einen solchen Level an Zugang zu seinen Anlagen, nicht einmal die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM). Während seines Besuchs besichtigte er auch die Simulationen und die Forschungs- und Entwicklungsanlagen des Schwerwasserreaktors in Arak.
Nach seinem Besuch bot der Chef der iranischen Atomenergiebehörde Fereydoun Abbasi an, den Freibrief der IAEA zu einer vollen Überwachung von Irans Atomprogramm und seinen Aktivitäten auf fünf Jahre zu verlängern, vorausgesetzt die Sanktionen gegen Iran würden aufgehoben. Der Westen lehnte das jedoch ab.
 
16. Im Sommer 2011 hat Iran die russische „Schritt-für-Schritt-Initiative“ begrüßt, auch wenn sie über unsere Initiativen von 2003 bis 2005 hinausging. Der russische Plan verlangte von Iran:
Die volle Überwachung durch die IAEA.
Die Implementierung des IAEA-Zusatzprotokolls und der Nebenabrede Nr. 3.1.
Einen Produktionsstopp von hoch angereichertem Uran und eine Obergrenze von fünf Prozent.
Das Ende der Installation neuer Zentrifugen.
Die Begrenzung der Anzahl der Anreicherungsanlagen auf eine.
Die Behandlung der IAEA-Bedenken in Bezug auf „mögliche militärische Dimensionen“ des Atomprogramms und anderer technische Ungereimtheiten. Das hätte von Iran verlangt, der IAEA einen Zugang zu verschaffen, der über den im Zusatzprotokoll festgelegten hinausgeht und die temporäre Aussetzung der Anreicherung.
Darum sagte auch der Sprecher des iranischen Außenministeriums kürzlich: „Iran ist über die Verpflichtungen, die in den Regeln der Agentur aufgeführt sind, hinausgegangen, um seinen guten Willen zu demonstrieren.“ Nichtsdestotrotz wiesen die USA und die EU das Angebot zurück.
 
17. Es werden Vorwürfe gegen die iranische Lagerung von angereichertem Uran erhoben, dass diese dem Bau einer Atomwaffe dienen würde. Die Vorwürfe sind irreführend. Iran braucht 27 Tonnen an zu dreieinhalb Prozent angereichertem Uran, um über genügend Brennstoff für seinen einzigen Atommeiler in Bushehr zu verfügen. Bis jetzt produzierte Iran rund sieben Tonnen und benötigt weitere 20 Tonnen.
 
18. Die größte Sorge des Westens und darum auch die höchste Priorität in den Atomgesprächen gilt dem zu 20 Prozent angereicherten iranischen Uran. Iran schlug das erste Mal im Februar 2010 und das zweite Mal im September 2011 vor, seine Anreicherung zu 20 Prozent zu beenden, wenn es im Gegenzug Brennstäbe bekäme – wieder einmal wies der Westen das iranische Angebot ab. Iran wiederholte seine Bereitschaft noch einmal: „Wenn sie uns 20 Prozent (angereicherten) Brennstoff liefern, werden wir sofort die 20 Prozent (Anreicherung) beenden“, so Ahmadinejad in einem Interview mit dem iranischen Staatsfernsehen. Europa antwortete aber auf die Geste des guten Willens mit noch mehr Sanktionen.
 
19. Der Vorwurf, dass Irans Lagerung von 20-prozentigem Uran auf den Bau einer Atomwaffe abzielt, ist ebenso haltlos. Erstens betrachtet die IAEA dieses Anreicherungsniveau noch als niedrig angereichertes Uran (LEU). Der zweite Grund ist, dass Iran keine andere Alternative gelassen wurde, als sich selbst mit Brennstäben für seinen Teheraner Forschungsreaktor zu versorgen, nachdem der Westen mehrere iranische Angebote abgewiesen hatte.
 
20. Nicht zuletzt ist Israel die wichtigste Kraft hinter jenen Vorwürfen gegen Iran, die behaupten, dass sich das Land Atomwaffen zulegen wolle und kurz davor sei, eine solche Waffe zu besitzen. Der Vorwurf ist aber haltlos und wird seit den frühen 1990er Jahren erhoben.

Benjamin Netanyahu - sagte 1995 die Atombombe Irans für 2000 voraus
NRhZ-Archiv
 
Im Oktober 1992 sagte der damalige Außenminister Shimon Peres, dass Iran bis 1999 über eine Atombombe verfügen würde.[2]
Benjamin Netanyahu schrieb 1995 in seinem Buch, dass Iran im Laufe von drei bis fünf Jahren eine Atomwaffe besitzen würde.[3]
Im Juli 2001 bestätigte der damalige Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliezer, dass Iran um das Jahr 2005 herum eine Atombombe besitzen werde.[4]
Im Februar 2009 sagte Netanjahu zu einer Delegation des US-Kongresses, dass Iran nur ein oder zwei Jahre von einer Atombombe entfernt sei.
In seiner Rede vor der UN im September 2012 behauptete der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, dass Iran „im nächsten Frühling, spätestens nächsten Sommer“, eine Atombombe haben könnte.
Diesen israelischen Vorwürfen zufolge hätte Iran schon 1999 über Atomwaffen verfügen müssen und heute, 13 Jahre später, hat Iran weder eine Bombe noch hat es sein Atomprogramm in Richtung einer militärischen Absicht gelenkt.
 
Die obigen Gründe sollten den Westen davon überzeugen, dass Iran nicht nach einer Atomwaffe strebt und dass es Zeit wird, eine aufrichtige, gesichtwahrende Lösung einzugehen. Die wichtigsten Elemente einer solchen gesichtwahrenden Lösung sind:
Die G5+1 erkennt Irans legitimes Recht auf Anreicherung im Rahmen des NPT an.
Die G5+1 heben schrittweise die Sanktionen auf.
 
Iran würde im Gegenzug folgende Maßnahmen ergreifen:
Die Fatwas des Staatsoberhauptes operationalisieren.
Die Umsetzung des Zusatzprotokolls.
Die Umsetzung der Nebenabrede Nr. 3.1.
Kooperation mit der IAEA über die verbliebenen technischen Unklarheiten.
Kooperation mit der IAEA hinsichtlich der Bedenken über militärische Dimensionen.
Um die „Null-Lagerungs-Initiative“ zu erfüllen, würde Iran entweder sein über dem nationalen Bedarf angereichertes Uran exportieren oder in Brennstäbe umwandeln.
Festlegung der Anreicherungsobergrenze auf fünf Prozent.
Gründung eines regionalen oder multinationalen Konsortiums für Anreicherung in Iran.
 
Das ist ein Vorschlagpaket, das die legitimen Anreicherungsrechte Irans im Rahmen des NPT garantiert und der Welt gleichzeitig versichert, dass Iran für immer ein nicht atomar bewaffneter Staat bleibt. (PK)
 
 
Dr. Seyed Hossein Mousavian ist Gastdozent an der Woodrow Wilson Schule der Universität Princeton und ehemaliger Sprecher des iranischen Atomverhandlungsteams. Sein neuestes Buch „The Iranian Nuclear Crisis: A Memoir“ wurde vom Washingtoner Think Tank Carnegie Endowment for International Peace veröffentlicht.
Der hier vorliegende Artikel ist ein Vortrag Mousavians, den er am 23. Oktober 2012 vor der Friedensorganisation „Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs“ (IPPNW) hielt. Übersetzt von Leo Schmitt.
 
 
[1] "Nuclear proliferation: The Islamic Republic of Iran", Gawdat Bahgat, Iranian Studies Journal, vol. 39 (3), September 2006 and Center for Documents of The Imposed War, Tehran.
(مرکز مطالعات و تحقيقات جنگ)
 
[2] Der damalige Außenminister Shimon Peres im Interview mit dem französischen Fernsehen, vgl. das Buch "Treacherous Alliance".
 
[3] Netanyahu in seinem Buch "Fighting Terrorism: How Democracies Can Defeat the International Terrorist Network".
 
[4] Associated Press, "Israeli defense minister: Iran could have nuclear weapons by 2005".

Veröffentlicht wurde diese Rede zuerst unter
www.irananders.de
E-Mail: shayan.arkian@irananders.de
 


Online-Flyer Nr. 382  vom 28.11.2012

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