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Inland
Ein notwendiger Klartext: Euro - um jeden Preis ? Oder:
Euro - bis zum bitteren Ende? - Teil II
Von Hans Fricke

Dem finnischen Minister Tuomioja ist zuzustimmen, wenn er erklärt:" Die Gemeinschaftswährung ist wie eine Zwangsjacke, die Millionen Menschen in Not bringt und die Zukunft Europas zerstört. Aber niemand in Europa will der erste sein, der aus dem Euro aussteigt und die ganz Schuld auf sich zieht."
Sogar die Frankfurter Allgemeine Zeitung spricht sich dafür aus, das Faß ohne Boden für die deutschen Steuerzahler endlich zu schließen.

Hilfe für Griechenland
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
 
Auch Prof. Dr. Wilhelm Hankel, einer der Karlsruher Kläger gegen den Euro, sagt: "Wenn man eine neue Währung einführt, die nichts taugt, dann kann man sie auch wieder abschaffen. Die ganze Geldgeschichte ist voll von liquidierten Währungen, die nichts getaugt haben. (...) Deutschland kann nicht weiter fortfahren für bail-outs zu bezahlen, ohne selbst bankrott zu werden."
 
Weltweit steht Angela Merkels Rolle in der Eurokrise unter wachsender Kritik, wobei unterschiedliche Meinungen aufeinander prallen. Die Aufregung kommt nicht von ungefähr. Lange war die europäische Schuldenkrise eine Krise der sogenannten Peripheriestaaten wie Griechenland, Spanien oder Portugal. Dieser Gedanke ist aber spätestens nicht mehr haltbar seit Italien unter seinem Schuldenberg zu ersticken droht und auch Frankreich ins Visier von Ratingagenturen geraten ist. Die Alarmzeichen häufen sich: So kündigte die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit OECD für dieses Jahr eine europäische Rezession an und bezeichnete die Eurozone als das größte Schlüsselrisiko für die Weltwirtschaft. Die amerikanische Ratingagentur Moodys drohte bereits, kein EU-Staat sei mehr vor einer Herabstufung seiner Top-Bonität gefeit.
 
Das beunruhigt auch die Amerikaner. "Aus einer kleinen griechischen Schuldenkrise ist eine vollwertige europäische Seuche geworden", formuliert Joe Nocera, Kolumnist der New York Times. "Verstehen die Deutschen nicht, dass ein Zusammenbruch der Eurozone, der vor einem Jahr undenkbar war und jetzt vielleicht unvermeidbar ist, die Deutschen mehr treffen wird als Griechenland?" Er plädiert dafür, hochverschuldete Länder zu retten. Das sieht auch Polens Außenminister Sikorski so: Deutschland sei der größte Profiteur des Euro und kein unschuldiges Opfer der derzeitigen Schuldenkrise.
 
Altbundeskanzler Helmut Kohl soll angeblich den Kurs seiner Nachfolgerin als "sehr gefährlich" bezeichnet haben. Das berichtet der Spiegel unter Berufung auf ein Gespräch Kohls mit einem Vertrauten. Dabei habe der frühere CDU-Vorsitzende mit Blick auf Merkel auch gesagt: "Die macht mir mein Europa kaputt." Kohl selbst dementierte den Bericht als "frei erfunden".
 
Zugleich sagte er der Bild-Zeitung, er sei "besorgt über die Entwicklung in Europa und des Euro". Es sei dringend notwendig, dass die derzeitige Lage nicht als Strukturkrise des Euro verstanden und diskutiert werde, sondern als "Ergebnis hausgemachter Fehler" Europas und der Nationalstaaten.
Nach Tagesspiegel-Informationen übt Kohl bei seinen Unterredungen mit Besuchern regelmäßig und oftmals in scharfer Form Kritik an Merkels europapolitischem Kurs. Für ihn sei nicht ersichtlich, wohin Merkel mit Europa wolle, berichten Eingeweihte. Außerdem werfe der Altkanzler Merkel vor, das deutsch-französische Verhältnis als "Schlüssel für alle Weichenstellungen in Europa" zu vernachlässigen.
 
Kohls früherer außenpolitischer Berater Horst Teltschik ging ebenfalls mit der Kanzlerin ins Gericht. Dem Tagesspiegel sagte Teltschik: "Sie entwickelt keine Vorstellung von der Zukunft Europas, obwohl das gerade jetzt notwendig wäre. Auf die systemische Krise muss Europa eine systemische Antwort finden. Es ist doch offensichtlich, dass wir eine gemeinsame europäische Haushalts-, Schulden- und Finanzpolitik brauchen."
 
Auch der ehemalige Bundesaußenminister Joschka Fischer mißbilligt Merkels Europa-Politik. Er wirft der Kanzlerin vor, europafeindliche Tendenzen zu schüren. In der Schuldenkrise fahre die Kanzlerin auf Sicht - ohne zu sagen, wohin die Reise gehen soll, sagte Fischer der Zeitung Bild am Sonntag. "Das verunsichert das Volk und schürt sehr gefährliche antieuropäische Stimmungen…. Die Verantwortung dafür trägt zu einem erheblichen Teil die Kanzlerin."
 
Der Bundesregierung hielt er vor, in der Krise zu unentschlossen und rein nach nationalen Interessen zu agieren. "Die Regierung läuft der Entwicklung hinterher, sie handelt krisen- und nicht strategiegetrieben. Am Ende kommt dann meist die teuerste Variante heraus", sagte Fischer. Zugleich warnte er vor einer Isolation Deutschlands in Europa. "Wer meint, Deutschland könne eine große Schweiz abgeben, steht wie der träumende Ochse vor der verschlossenen Tür, bis er zum Metzger geführt wird." Seinen Worten zufolge droht Merkel mit ihrer Europa-Politik auch im Inland ins Abseits zu geraten. "Mit ihrer Politik des Nichterklärens und der Strategie der Hintertür gefährdet sie ihre Mehrheit im Bundestag. Das trägt nicht mehr lange."
 
Nun hat auch Altbundeskanzler Helmut Schmidt im Handelsblatt mit Angela Merkel und ihrem Versagen bei der Eurokrise abgerechnet. Er geht mit ihr hart ins Gericht und wirft ihr Unfähigkeit vor: "Wir brauchen Personen in den Spitzenämtern, die ein Verständnis von der heutigen Wirtschaft haben."
 
Ebenso aufschlußreich wie zutreffend ist der Beitrag von Thilo Bode "Wir sollten die Wahl haben dürfen" in der FAZ vom 2.9.2012, in dem es u.a. heißt: "Wer den Austritt aus der Währungsunion will, wird als Europagegner, gar als Reaktionär, beschimpft. Das trifft vor allem Politiker - was aber ihre Wähler wirklich wollen, kümmert keinen."
 
Für Angela Merkel und die CDU/CSU geht es zuvorderst um den Machterhalt und den Gewinn der nächsten Wahl. Schon aus diesem Grund ist ihre Strategie optimal. Die Kanzlerin präsentiert sich als Beschützerin des deutschen Steuerzahlers und wehrt sich verbal gegen die Versuche seitens der Mehrheit der Eurozonen-Mitglieder, noch mehr deutsches Geld für Rettungsschirme auszugeben. Gleichzeitig signalisiert sie, alles zu tun - das heißt eben auch koste es, was es wolle - um den Euro zu retten. Warum sollte Angela Merkel diese Strategie ändern? Warum sollte sie beispielsweise für eine Insolvenz Griechenlands plädieren, obgleich dieses kleine Land wohl niemals in der Lage sein wird, den gewaltigen Schuldenstand von 180 Prozent des gesamten Volkseinkommens aus eigener Kraft abzubauen? Diese schlichte Wahrheit zuzugeben wäre politischer Selbstmord für die Kanzlerin. Mit einem Schlage würde offensichtlich, dass die öffentlichen Beschwichtigungen, das Geld für die Rettungsschirme würde nur als Garantie gegeben, die Wähler getäuscht haben. Wolfgang Schäubles großspurig verkündete Haushaltskonsolidierung würde sich als Luftbuchung erweisen, die Staatsverschuldung in die Höhe schnellen und die Bürger wären um neunzig Milliarden ärmer."
 
Erstmals meldete sich auch das Deutsche Handwerk in der Euro-Debatte zu Wort und appellierte an die Bundesregierung, für die Rettung nicht jeden Preis zu zahlen. "Die Stabilisierung der Währungsunion ist kein Ziel an sich, das ungeachtet aller damit verbundenen Kosten verfolgt werden kann und darf ", schrieb Verbandspräsident Otto Kenzler in einem Positionspapier, das dem Handelsblattvorliegt. Und weiter: "Es ist den Bürgern und Unternehmen nicht zuzumuten, im Ergebnis staatlicher Garantien, im Rahmen von Euro-Bonds oder Altschuldentilgungsfonds, für die politischen Fehlentscheidungen anderer Staaten haften zu müssen - ohne Hoffnung auf tatsächliche Besserung." Die Refinanzierung des dauerhaften Rettungsschirmes ESM durch die EZB birgt laut diesem Papier "massive Gefahren für die Funktionsfähigkeit der Währungsunion insgesamt."
 
SPD und Grüne kritisieren die Politik der Kanzlerin in der Eurokrise zwar pro forma. In Wahrheit unterstützen sie jedoch das unbegrenzte Schuldenmachen. Und die deutsche Großindustrie will die Eurozone um jeden Preis in ihrem jetzigen Umfang erhalten. Die unveränderbaren Wechselkurse haben ihr bei deutscher Lohnzurückhaltung einen Wettbewerbsvorteil in der Währungsunion und permanente Exportüberschüsse beschert.
 
Der bereits begonnene Wahlkampf ähnelt deshalb eher einer Posse. Regierung und Opposition werden die gleiche Politik in unterschiedlicher Verpackung und wechselseitiger Beschimpfung des politischen Gegners zu verkaufen suchen. Das bedeutet aber auch, dass sich die Demokratie bei der Lösung des wichtigsten politischen Problems der Gegenwart außen vor befindet. Denn es gibt nichts mehr zu wählen. Wahltaktik und Machtstreben verhindern die Wahl zwischen echten Alternativen. Der Bürger wird nicht nur enteignet, er wird auch noch entmachtet.
 
Den britischen Europa-Abgeordneten und Parteivorsitzenden der UKIP, Nigel Farage, bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, erinnert die Euro-Rettung an einen britischen Comedy-Klassiker "Carry On Up The Khyber" (deutsch: "Alles unter Kontrolle - keiner blickt durch"). In einer kürzlichen Wortmeldung vor dem Europa- Parlament sagte er: "Sie sind entschlossen aber wahnsinnig in Ihrem Versuch, den Euro weiter am Leben zu erhalten. Und während sie Ihr Abendessen genießen, fliegen Ihnen die Kugeln nur so um die Ohren."
 
In einer Fernseh-Diskussion mit Oscar Lafontaine am Swiss Economic Forumam 11. Juni 2012 stimmten beide darin überein, dass es mit der Europa-Politik so nicht weitergehen darf.(1) Lafontaine erklärte, dass man von den Menschen in Griechenland und Spanien zu hören bekäme, sie wollten nicht, dass Deutschland diktiert, was in Europa passiert. Ausdrücklich begrüßte er, dass der französische Präsident sich gegen die deutsche Politik stellt und sagte: "Wir können diesen Weg nicht weitergehen, sonst werden wir in Europa Revolutionen haben."
 
Lafontaine wies darauf hin, dass in Griechenland und in Spanien 50 Prozent der jungen Menschen arbeitslos seien. "Wenn die Jugend keine Zukunft hat, dann musssie das System, welches dafür verantwortlich ist, infrage stellen." (PK)
 
(1) http://www.youtube.com/watch?v=rdQwX8LGyyM

 
Hans Fricke ist Autor des 2010 im GNN-Verlag erschienenen Buches "Eine feine Gesellschaft" - Jubiläumsjahre und ihre Tücken - 1949 bis 2010, 250 Seiten, Preis 15.00 Euro, ISBN 978-3-89819-341-2
 


Online-Flyer Nr. 380  vom 14.11.2012

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