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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Sport
Gut spielen ist okay, aber Fußball zu gewinnen ist besser
Ohne Siegermentalität
Von Bernd J.R. Henke und Johann Blaha

Beim zweiten Anlauf innerhalb drei Tagen gelang der deutschen adidas Frauennationalelf gegen formschwache US-Olympiasiegerinnen vor 18.870 Zuschauern im Rentschler Field Stadium in East Hartford wieder kein Sieg. Während im Alltag der deutschen Bundesliga die Leistungskurve der Spielerinnen nach oben treibt, befindet sich die US-Nationalmannschaft in einer merkbaren nacholympischen Formkrise. Der bedauerliche Umstand seit einigen Monaten keine eigene Top-Liga zu haben, bedeutet für die erfolgsverwöhnten amerikanischen Weltfußballerinnen fehlende Spielpraxis

Luisa Wensing mit Megan Rapinoe – beide Spielerinnen sind geborene Zwillinge – Wensing wurde von ihrem Zwillingsbruder zum Fußballspielen gebracht, die Zwillingsschwester von Megan Rapinoe spielt bei Portland/Texas, in dem Verein, wo sie  ihre Jugendzeit ihre spielerischen Fertigkeiten entwickelte und später in ihrer Profi-Zeit von 2004 bis 2008 die Mannschaft 2005 sogar zur Meisterschaft führte.
Foto: AM pics


Somit schmolz der vom Deutschen Fußball Bund (DFB) postulierte Härtetest sichtlich zu einem Freundschaftsspiel besonderer Sichtweise. Auch eine körperlich fittere deutsche Mannschaft war offensichtlich nicht in der Lage die „FIFA/Cola“ Nummer 1 der Welt zu schlagen. Torjäger waren wieder Mangelware im deutschen Team. Erst als Dzsenifer Marozsan zur Halbzeit für Alexandra Popp ins Spiel kam, blitzte ein Funke Hoffnung über den nassen Rasen.
 
Begonnen hatte das Spiel werktags zu ungünstiger Zeit und im strömenden Regen. Auf dem glatten Rasen, dessen eigentlicher Hauptnutzer das professionelle United Football League (UFL) Team der Hartford Colonials ist, begann eine spannende Partie. Bundestrainerin Silvia Neid änderte gegenüber dem ersten Spiel in Chicago die Startformation und schickte mit den „Mc Donalds-Einlaufkindern“ zum Singen der Nationalhymne erstmals Alexandra Popp, Lena Gössling, Luisa Wensing und Verena Faißt in die Arena.


Das US-Team beim Empfang im Rentschler Field mit den „Mc Donalds“ Einlaufkindern Foto: AM pics
 
Ihr amerikanisches Pendant, Interimstrainerin Jill Ellis, veränderte die Abwehr. Die beiden Verteidigerinnen Amy LePeilbet und Becky Sauerbrunn ersetzten in der Anfangsformation Rachel Buehler und Heather Mitts. Drei Tage zuvor in Brigdeview hatten Buehler und Mitts seit dem letzten 4:0 Sieg in Cleveland im Jahre 2010 die allerersten Kontakte mit einer deutschen Sturmformation nach längerer Zeit. Im Mittelfeld gab die US-Trainerin der 146-fachen Nationalspielerin Carli Lloyd und der 175-fachen Nationalspielerin Heather O´Reilley den Vorzug gegenüber Lauren Cheney und Tobin Heath. Die taktische Losung der US-Trainerin lautete verstärkte Defensive und Überwindung des Gegners durch schnelle Konter des bewährten Duo Wambach und Morgan.
 
Die deutsche Mannschaft startete mit Selbstbewusstsein und hatte während der anfänglichen dreißig Minuten mehr Spielanteile. Trotzdem brannte es zu allererst in der 10. Minute vor dem Kasten von Nadine Angerer. Ein lang gezogener hoher Eckball, ausgehend von rechts, durch Megan Rapinoe, flog über die Köpfe der deutschen Abwehr direkt auf den Fuß von Shannon Boxx, die zum Glück für Angerer nur das Außennetz traf. Diese Standardsituation zeigte eine völlig desorientierte deutsche Abwehr, denn Shannon Boxx hatte Megan Rapinoe durch ein verstecktes Signal mit einem Handzeichen auf sich aufmerksam gemacht.


Lauren Cheney (12) mit Carli Lloyd und Anja Mittag
Foto: AM pics

 
Deutschland kontrollierte das Mittelfeld, die USA konterte durch die Verlagerung ihrer Angriffe auf die Flügel. Als Abby Wambach in der 44. Minute zum 148. Tor ihrer Karriere einköpfte, kam das Publikum trotz permanenter Regenschauer, welche den Platz in eine rutschige Oberfläche verwandelt hatte, ins emotionale Stimmungshoch. Wambachs 1:0 Führung ähnelte ein wenig ihrem Tor vom Toyota Park in Bridgeview. Denn die Toraktion lief wieder über Links durch trickreiche Vorarbeit von Morgan. Eine linksaußen laufende Megan Rapinoe flankte einen langsam rollenden Pass in den freien Raum am Rand der Sechszehner Linie.
 
Die agile wendige Alex Morgan übernahm das runde Leder, löste sich elegant von der Wolfsburgerin Luisa Wensing, überlief die behäbig wirkende Annike Krahn, erreichte kurz vor der Auslinie den Ball und flankte den Ball, leicht abgefälscht von Krahn, mit einem kleinen Aufsetzer diagonal in Richtung rechtem Torpfosten. Die scheinbar überraschte Innenverteidigerin Saskia Bartusiak erreichte den Ball nicht, Abby Wambach lief in den Schuss hinein und köpfte durch einen leichten Hechtsprung den aufspringenden Ball ins Netz. Babett Peter stand hinter Wambach und war machtlos.

 
Megan Rapinoe - am 5.7.12 wurde die nur 1,70 m große supersympathische wie megacoole Kalifornierin 27 Jahre alt. Die torgefährliche Mittelfeldspielerin trägt die Nummer 15 auf ihrem Trikot und ist seit Juli 2012 die einzige offen lesbische Spielerin im US-Nationalteam. Megan „Pinoe“ Rapinoe liebt Musik - sie spielt u. a. Gitarre - Fußball, Essen, Familie, Reisen, Sarkasmus, Fashion/Style, Kaffee, Bier, Lachen und Lieben, verrät sie auf ihrer Twitter-Seite über sich. Zur Familie von Megan Rapinoe gehört ihre Zwillingsschwester, die ebenfalls Fußball spielt.
Foto: AM pics


Die Freude der exzentrischen Wambach wirkte wie immer sehr theatralisch und bühnenreif. Sie hechtete publikumswirksam auf den nassen Rasen, um freudig flachliegend mit der Brust auf dem seifigen Nass in Richtung Eckfahne zu rutschten - Heather O´Reilly, Carli Lloyd und Alex Morgan reagierten gruppendynamisch und taten es ihr gleich. Fazit: Abby Wambach ist permanent kampfbetont, wenn sie im Strafraum auftaucht. Sie wurde nicht umsonst mit drei weiteren US-Spielerinnen (Rapinoe, Lloyd, Morgan) für dieses Jahr vom Weltfußballverband zur FIFA Ballon d'Or der weltbesten Spielerin nominiert.
 
Beide Trainerinnen wechselten nach der Halbzeit. Fortan schickte Interimstrainerin Ellis für Mittelfeldspielerin Megan Rapinoe die Stürmerin Lauren Cheney auf den Platz, die bei bisher siebenundsiebzig Spielen für die US-Nationalmannschaft bei einer Torquote von achtzehn Toren liegt. Silvia Neid überraschte. Sie nahm Sturmspitze Alexandra Popp vom Feld und präsentierte dafür Dzsenifer Marozsan.
 
Ja, es sollte der Tag von Marozan werden. In Zusammenwirken mit der Wolfsburgerin Viola Odebrecht, die für die Frankfurterin Simone Laudehr einwechselte, belebte die zwanzigjährige U-20-Vizeweltmeisterin Marozsan sichtlich den deutschen Angriff. Als die siebenunddreißigjährige 251-fache Nationalspielerin und Kapitänin Christie Rampone drei Minuten nach dem Wiederanpfiff (48.) an der Grenze des Mittelkreises Pech hatte, auf dem nassen Rasen ausrutschte und den Ball verlor, bekam Dzsenifer Marozsan zufällig den Ball unter Kontrolle.



Hope Solo – Enfant terrible der US-Soccer Association - nach verschiedenen Presseberichten wurde Hope Solo von der US-Antidopingagentur (USADA) wegen der verbotenen Einnahme eines Medikamentes mit der Substanz Canrenon am 15. Juli 2012 öffentlich verwarnt. Ihre Teilnahme bei den Olympischen Spielen war jedoch nicht gefährdet
Foto: AM pics


Relativ sicher rannte sie mit dem Ball los, eine sichtlich konfuse amerikanische Abwehr konnte sie nicht aufhalten. Die anschließende „One-to-One“ Situation im Strafraum mit Torfrau Hope Solo entschied sie mit einem gut getimten Flachschuss für sich. Der 1:1 Ausgleich für die Frauen im weinroten Trikot vor großer Kulisse ermöglichte ein freudiges Schulterklopfen auf der deutschen Spielerinnenbank. Jetzt standen die Europameisterinnen wieder auf Augenhöhe. Der Spielfluss der deutschen Mannschaft kam wieder in Gang.
 
Es dauerte wiederum zehn Minuten bis Verteidigerin Luisa Wensing vor dem Sechszehnmeter-Raum durch Wegrutschen den Ball verfehlte und der Schuss von Abby Wambach von Torfrau Angerer sicher aufgefangen wurde (58.). Torfrau Hope Solo erging es nicht besser, auch sie wurde nun herausgefordert. Es begann die deutsche Drangphase. In der 64. Minute zog von rechts Anja Mittag nach gutem Kombinationsspiel mit Linda Bresonik ab. Hope Solo parierte durch Abklatschen, eine Verteidigerin schob den Ball aus der Gefahrenzone.

 
Linda Bresonik spielte mit hoher Laufbereitschaft, im Hintergrund US-Keeperin Hope Solo Foto: AM pics


Eine Minute später versuchte es Marozsan, die sich von der rechten Seite aus dreißig Metern das runde Leder erspielte (65.) und im Laufschritt, leicht verdeckt durch ein Gewusel von Amerikanerinnen, aus einer verdeckten Lauerstellung und zwanzig Metern Abstand mit einem harten Flachschuss die starke Weltklassetorfrau Hope Solo prüfte. Die aufmerksame Hope Solo parierte wieder durch Abklatschen, die nachsetzende Wolfsburgerin Viola Odebrecht kam nicht ans Leder, denn Hope Solo bekam den Ball doch noch sicher zu fassen.
 
Mitten in der Drangphase von Deutschland konterte die USA. Einen weiten Pass hinter die deutsche Abwehrlinie erlief sich die schnellere Alex Morgan, die den Ball, verfolgt von Wensing, bis zur linken Torgrundlinie vorantrieb. In Sekundenbruchteilen schneller als Wensing passte Morgan zurück in die Mitte des Elfmeterraumes. Die zurücklaufende Bartusiak touchierte den Ball, sodass die mitgelaufene Carli Lloyd knapp verfehlte. Der Ball rollte weiter vor die Füße der vier Minuten zuvor eingewechselten Tobin Heath (67.), die sich sieben Meter frei vor dem Tor stehend die rechte Ecke frei aussuchte und zur 2:1 Führung für die Gastgeberinnen einschoss.



Unruhe vor dem deutschen Tor von Nadine Angerer, am Höchsten springt Abby Wambach
Foto: AM pics

 
Trotz Rückstand erneuerte die deutsche Elf ihre druckvollen Angriffswellen auf das Tor von Hope Solo. In der 71. Minute verlängerte Anja Mittag sehr präzis auf die Rechtsaußen mitlaufende Linda Bresonik, deren schnelle Eingabe direkt von Marozsan linksfüßig noch im Fallen auf die herauslaufende Hope Solo geschossen wurde. Den Abpraller erwischte wiederum die sich aufrichtende Marozan, die rechtsfüßig ohne Glück nachsetzte. Konditionell ließ das US-Team nach. Ein Pass von Viola Odebrecht auf Marozsan (85.) stellte den finalen Gleichstand her. Die junge Frankfurterin zog aus fünfundzwanzig Metern ab.
 
Sie düpierte die komplett versammelte gegnerische Abwehr. Die „Granate“ landete unhaltbar für die amerikanische Torfrau Hope Solo ins linke Eck zum 2:2 Ausgleich. Freude auf Seiten der deutschen Équipe – Enttäuschung bei den Gastgeberinnen. Das Spiel endete für beide Mannschaften 2:2 Unentschieden. Deutschland war im Mittelfeld die dominierende Mannschaft, die USA schoss ihre Tore effizienter aus weniger Chancen heraus – ein positiveres Denken mit dem festen Glauben zu gewinnen verhinderte für die USA eine mögliche Niederlage gegen Deutschland.



Anja Mittag grätscht mit Kelley O´Hara in den Ball, daneben Kapitänin Christie Rampone
Foto: AM pics

 
Trotz Trainingsrückstand der USA zeigte sich wieder, welche Kraft und Siegermentalität die vierfachen Olympiasiegerinnen von 2000, 2004, 2008 und 2012 auszeichnen. Festzuhalten ist, dass unter der Ägide von Bundestrainerin Silvia Neid bisher noch kein Sieg gegen die USA zustande kam. Bestehend aus einem Wolfsburger Block und einem Frankfurter Block zeigte sich in der Gesamtstruktur der DFB-Auswahl, dass die Bundestrainerin zukünftig auf Torjägerinnen wie Celia Okoyino da Mbabi (SC 07 Bad Neuenahr), die verletzungsbedingt ausfiel, und Anja Mittag (LdB FC Malmö ) nicht verzichten kann.
 
Torinstinkt ist immer noch Mangelware. Dzsenfier Marozsan, ausgenommen dieses letzte glückliche Spiel, zeigte in den bisherigen Spielen in der Nationalelf größere Formschwankungen und im Torschuss Unbeständigkeit. Marozsan und Alexandra Popp bewiesen in den letzten Spielen ihrer Clubmannschaften Frankfurt und Wolfsburg, dass die Verinnerlichung von Torinstinkt zu wünschen übrig lässt. Mit „jungscher“ unbeständiger Harmlosigkeit und ewigem Talent gewinnt Deutschland keine Pokale. Von den gefährlichen Schüssen von Melanie Behringer sah man in beiden USA- Spielen ebenso wenig. Warum die Wolfsburgerin Conny Pohlers, die Tore am Fließband erzielt, nicht mehr berufen wurde, bleibt eine offene Frage.



Anja Mittag überläuft die US-Verteidigung mit Kelley O´Hara und Becky Sauerbrunn
Foto: AM pics

 
Kate Markgraf, die ehemalige US-Nationalspielerin, erledigte am Rande des Spiels ihre neue Tätigkeit als Fernsehreporterin. Sie meinte treffend: „The luxury of playing for the United States is that you have gamechangers sitting on your bench every single game.“ Und weiter: „It´s never friendly when you play Germany.” 
 
 
Mannschaftsaufstellung der zweiten Begegnung im Rentschler Field Stadium in East Hartford, Connecticut:
 
USA: 1-Hope Solo, 6-Amy LePeilbet (2-Heather Mitts, 57) (11-Sydney Leroux, 84), 4-Becky Sauerbrunn, 3-Christie Rampone (Capt), 5-Kelley O'Hara (16 -Rachel Buehler, 57), 9-Heather O'Reilly (17-Tobin Heath, 63), 7-Shannon Boxx, 10-Carli Lloyd, 15-Megan Rapinoe (12-Lauren Cheney, 46); 13-Alex Morgan, 14-Abby Wambach
Ersatzbank: 18-Nicole Barnhart, 21-Jill Loyden, 8-Amy Rodriguez
Trainerin: Jill Ellis
 
GER: 1-Nadine Angerer (Capt), 3-Saskia Bartusiak, 4-Babett Peter, 5-Annike Krahn, 15-Verena Faisst, 22-Luisa Wensing, 6-Simone Laudehr (17-Viola Odebrecht, 46), 10 -Linda Bresonik, 20-Lena Goessling; 9-Alexandra Popp (14-Dzenifer Marozsan, 46), 11-Anja Mittag (24-Lena Lotzen, 78)
Ersatzbank: 2-Bianca Schmidt, 7-Melanie Behringer, 12-Almuth Schult, 16-Martina Müller, 18-Svenja Huth, 21-Laura Benkarth, 23-Leonie Maier
Trainerin: Silvia Neid (PK)



Die stolze Dzsenifer Marozsan nach ihrem 1. Tor, daneben Pechvogel Christie Rampone Foto: AM pics
 
Fotobearbeitung: Dietmar Tietzmann, Frankfurt


Online-Flyer Nr. 378  vom 31.10.2012



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