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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Medien
Unterschriftensammlung von AURA09 gegen Eingriffe ins WDR-Programm
Protestbrief an WDR-Rundfunkrat ohne Antwort
Von Dr. Eva Weissweiler

Nachdem der WDR-Rundfunkrat die umstrittene "Reform" von WDR 3 am 31. 5. 2012 trotz des Protestes von mehr als 20.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern mit großer Mehrheit genehmigt und damit seit langem gewachsene Sendungen wie "Musikfeature" und "Politisches Journal" zerstört oder bis zur Unkenntlichkeit reduziert hat, setzt die Hörfunkdirektion nun zum neuen großen Kahlschlag gegen das Kulturradio an.

WDR-Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz
Foto: WDR/Herby Sachs
 
Selbstbewußt und ohne irgendeine öffentliche Reaktion abzuwarten verkündet sie weitere grundlegende Veränderungen in den Programmen von WDR 2, 4 und 5, die ab Januar 2013 realisiert werden sollen. Die Hörfunkdirektion gibt vor, sich durch die Umwandlung des WDR in ein durchhörbares "Begleitmedium" den "veränderten Lebensgewohnheiten" der Hörer anpassen zu wollen. In Wirklichkeit müssen wir uns den Launen der Hörfunkdirektion anpassen, da bewährte Sendeformate sukzessive verschwinden oder durch neue, schlechtere ersetzt werden sollen.
 
So haben wir z.B. ab sofort auf WDR 3 eine sonntägliche Kultursendung zu erwarten, die mit "gebildeter Leichtigkeit" und bei "gut hörbarer Klassik" über Kindheitssonntage von Prominenten berichtet. Politische Aktualität darf in dieser Sendung nur noch dann hergestellt werden, wenn Kanzler abtreten, Diktatoren erschossen werden oder Stadtarchive einstürzen.
 
Alle geplanten Änderungen in einem "offenen Brief" aufzulisten, ist unmöglich. Deshalb hat unser Autorenverband AURA09 lediglich einige Kernpunkte herausgegriffen und in einem Offenen Brief beim Rundfunkrat dagegen protestiert - bisher leider ohne jede Resonanz. Wir bitten Sie/euch heute ebenso dringend wie herzlich, die Unterschriftenaktion von AURA09 zu unterstützen. Wir wollen mit Ihrer/Eurer Hilfe eine Eingabe beim WDR-Rundfunkrat und den Medienbeauftragten der Landesregierung machen - sowie außerdem versuchen, die inzwischen offenbar schon WDR-müde gewordene Presse über die neuerlichen Kultur-Abriss-Pläne im größten Sender Deutschlands zu informieren.
 
Wir sind uns darüber klar, daß es sich hier nicht um einen Einzelfall, sondern um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen handelt. Auch beim SWR sind soeben trotz immenser öffentlicher Proteste zwei hochrangige Kulturorchester zu einem Klangkörper fusioniert worden.
 
Bitte helfen Sie mit, eine weitere Umwandlung des Kulturradios zum belanglosen "Begleitmedium" zu verhindern. Schreiben Sie auch gern Ihre grundsätzlichen Gedanken an uns oder direkt an den WDR-Rundfunkrat. Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Aufruf an möglichst viele Freunde und Kollegen versenden. Nur unser gemeinsamer Protest kann jetzt noch helfen.
 
Mit den besten Grüßen und herzlichem Dank
 
AURA09
(Aktion unabhängiger Rhein-Ruhr-Autoren)
c/o: Dr. Eva Weissweiler
Ostmerheimer Str. 261
51109 Köln
Tel. 0221 - 21 51 70
 
Hier der Offene Brief an den WDR-Rundfunkrat:
 
Sehr geehrte Frau Hiernoymi, sehr geehrte Frau Kammerevert,
 
am Samstag (22.09.2012) lasen wir im “Kölner Stadtanzeiger” einen Artikel von Anne Burgmer, in dem unter dem Titel “WDR will vier Sender modernisieren” darüber berichtet wurde, daß der Hörfunkdirektor, Herr Schmitz, nun auch Umstrukturierungen von WDR 2, 4 und 5 angekündigt hat, die im Januar 2013 umgesetzt werden sollen. Diese seien wegen der heftigen Diskussionen über die WDR 3-Reform bislang nicht thematisiert worden und würden nun aus Zeitgründen “gleichzeitig” durchgeführt. Er erwarte jedoch keine weiteren Proteste, worin er sich täuscht, denn unser Autorenverband AURA09 (www.aura09.de) meldet sich mit diesem offenen Brief offiziell zu Wort und erklärt sich als mit diesem undemokratischen Vorgehen nicht einverstanden.
 
Wie wir inzwischen recherchiert haben, wurden nicht einmal die verantwortlichen Redakteure über die geplanten Änderungen informiert, sondern lediglich nach der Sommerpause davon in Kenntnis gesetzt, daß seit Jahren von ihnen betreute Sendungen wie z.B. “PrivatRadio” oder “Oase” (beide WDR5) ab Januar wegfielen. Nachvollziehbare Gründe wie etwa inhaltliche Kritik, mangelnde Hörerresonanz oder gesellschaftliche Relevanz seien ihnen nicht genannt worden. Die Nachricht sei für sie vollkommen überraschend gekommen, zumal schon auf längere Sicht Vereinbarungen mit Autoren und Regisseuren getroffen worden seien, die nun nicht eingehalten werden könnten, wodurch viele freie Mitarbeiter einen großen Teil ihres zu erwartenden Einkommens verlören.
 
Bei “PrivatRadio” – früher: “Eine kürze Geschichte von …” – handelt es sich um besonders ambitioniert gestaltete Features, die bei nur 30 Minuten Sendezeit keinen besonderen Kostenfaktor darstellen dürften. Um Porträts von ungewöhnlichen Menschen der Region, die aus ihrem Leben erzählen – ob eine chinesische Tänzerin, ein Öko-Bauer, ein an Epilepsie erkrankter Hochleistungssportler, ein Bestatter, eine alternde Suchtkranke oder eine Frau, die Kunstprojekte mit jungen Arbeitslosen macht. Dies sind nur einige Beispiele aus den letzten Programmwochen. “Eine halbe Stunde spannendes Radio mit Menschen, die etwas zu erzählen haben”, wirbt der WDR selbst auf seiner Homepage. “Die Region wird zur akustischen Herausforderung und spiegelt die Gemütslandschaft der Akteure.” Und jetzt das Aus? Warum? Die Mitglieder unseres Verbandes verstehen den Grund nicht und bitten um Aufklärung.
 
Herr Schmitz betont auch in diesem Artikel, was er seit Jahren nicht müde wird zu wiederholen, daß das “Radio ein Begleitmedium” sei und sich “fortwährend ändern” müsse, “um sich den Lebensabläufen der Menschen anzupassen”. Diese Aussage halten wir für wenig überzeugend. Akustisch “begleiten” lassen kann man sich auch von einer Musik-CD oder von einem Hörbuch, notfalls sogar vom Fernsehton, ohne dabei das Bild zu betrachten. Nur das Radio hat im Gegensatz zu diesen Medien die Chance, nie gehörte und sonst nirgends zu hörende Geschichten in anspruchsvoller Dramaturgie zu transportieren, wichtige politische und kulturelle Informationen zu bündeln und “hörbar” zu machen, Sprachrohr von Kunst und Künstlern der Region zu sein und dem Zuhörer eine gewisse Zeit der Konzentration abzuverlangen, die man ihm – auch wenn Herr Schmitz das nicht wahrhaben will – durchaus zutrauen darf, besonders in den Abendstunden oder am Wochenende, wenn der Stress des Alltags zur Ruhe kommt.
 
Aber auch jenseits dieser grundsätzlichen Bedenken ist uns nicht klar, wieso es eine “Anpassung” an die “Lebensabläufe der Menschen” sein soll, wenn man eingeführte Formate wie “Oase” oder “PrivatRadio” einfach streicht oder – ein weiterer, in dem Artikel nicht erwähnter Schwachpunkt der neuen Mehrfach-Reform – den “Krimi am Samstag” (WDR 5) von 10.5 auf 17 Uhr verlegt, wo gleichzeitig auf WDR 2 “LigaLive” läuft, eine Fußballsendung mit Kultstatus, die von unzähligen Hörern geliebt wird. Viele Krimihörer sind auch Fußballfans und umgekehrt. Diese Gruppe grenzt man nun aus oder zwingt sie, sich für eine der beiden Sendungen zu entscheiden. Ob das wirklich eine so gute Idee ist?
 
Leider müssen wir auch noch einmal auf die WDR 3-Reform zurückkommen, die nun in Form der sonntäglichen Kultursendung Gestalt anzunehmen beginnt. Das aktuelle Papier dazu liegt uns vor – siehe Anhang (PDF). Es ist – bitte verzeihen Sie dieses Wort – erbärmlich und übertrifft oder besser: unterbietet bei weitem unsere schlimmsten Erwartungen. Nichts wird in diesem Papier definiert, konkretisiert, weder, ob sich die Sendung auf Kultur in NRW, Deutschland oder der Welt beziehen soll, noch von welchem “Kulturbegriff” – einem eher traditionellen oder erweiterten (wie z.B. “Kulturzeit” in 3sat) – sie ausgeht, an welchen Hörerkreis sie sich wendet, noch was der Inhalt der vierminütigen “Reportagen” sein soll, die das Herzstück von lediglich 18 Minuten Textanteil darstellen sollen. Als besondere Innovation werden Textblöcke wie der “Aufreger der Woche” und “Der Sonntag meiner Kindheit” gepriesen – beides auf wenige Minuten zusammengedrängt. Das ist, mit Verlaub, schon rein sprachlich Bildzeitungsniveau der 50er Jahre! Doch auch die Inhalte überzeugen uns nicht. “Zoff mit der Gema” – “Die konservativen Ansichten des Martin Mosebach” – das kann man doch alles tausendfach im Internet oder in der Zeitung nachlesen, das ist weder “aufregend” noch radiophon. Und die O-Töne von “Promis” über die “Sonntage ihrer Kindheit” dürften sich ziemlich stereotyp anhören, so etwa: Frühstück, Kirche, Sauerbraten bei Omi, Monopoly, “Der Alte” und ab ins Bett.
 
Mehrfach wird in dem Papier betont, daß “aktuelle Kultur” nicht “politisch” zu sein habe, es sei denn, daß ein Bundeskanzler zurücktrete oder wieder mal ein Stadtarchiv einstürze. Das, aber nur das, dürfe gemeldet werden. Katastrophen-Kultur also, umrahmt von “gut hörbarer Klassik” wie “An Elise” oder “Hänsel und Gretel”? Aber im Ernst: ist nicht alle aktuelle Kultur auch politisch? Was stellt sich der (anonym gebliebene) Verfasser des Papiers denn unter “Kultur” vor? Die Rezension einer Carl-Spitzweg-Retrospektive oder eines Wellershoff-Liebesromans mit ein bißchen Händel garniert, wobei die Musikauswahl vom Music-Master, den man mit dem Parameter “leicht” gefüttert hat, vorgenommen wird, nicht etwa von einem Fachredakteur, der Bezug zu den Textbeiträgen herzustellen imstande wäre?
 
Ist dieses Papier das Ergebnis fast zweijähriger Vorarbeiten, in denen unendlich viel an Energien, Zeit, Spesen und Geld verbraucht wurde? Drängt sich hier nicht die Redensart vom Berg, der kreisst, und eine Maus gebiert, auf? Wo bleibt die Verantwortung gegenüber dem Gebührenzahler und dem Programmauftrag von WDR 3?
 
Zum Abschluss der Debatte um die WDR 3-Reform hat der Rundfunkrat mitgeteilt, daß er die Programmentwicklung genau beobachten wolle, um sie im Oktober erneut zu diskutieren. Wir haben nun in wenigen Tagen Oktober und hoffen, daß das angehängte Papier allen Rundfunkratsmitgliedern vorliegt. Deshalb unser dringender Appell an den Programmbeirat und die Teilnehmer der nächsten Sitzung:
 
    Stimmen Sie diesem Konzept nicht zu! Verlangen Sie eine gründliche Überarbeitung und Präzisierung, an der auch Redakteure und Autoren beteiligt werden sollten!
    Verhindern Sie weitere Kahlschläge auf WDR 2, 4 und 5! Bitten Sie um Begründungen für die Streichung von “Oase” und “PrivatRadio”!
    Verhindern Sie die absurde Verschiebung des “Krimi(s) am Samstag” auf die beste Fußball-Sendezeit!
 
Wir vertrauen auf Ihre Kompetenz und Ihr Engagement und gehen davon aus, daß Sie diese neusten Kahlschlagpläne nicht hinnehmen werden.
 
Mit freundlichen, kollegialen Grüßen
 
Dr. Eva Weissweiler, Vorsitzende von AURA09 (www.aura09.de)
 


Online-Flyer Nr. 375  vom 10.10.2012



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