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Globales
"Vergeltung": Das türkische Kriegsinstrument
Die Rückkehr der Osmanen
Von Ulrich Gellermann

Einst reichte es von Kiew bis Mogadischu, Städte wie Sofia und Athen gehörten dazu, Bagdad und Tripolis natürlich auch: Das Osmanische Reich war lange Zeit eine Großmacht. Geblieben ist, seit Recep Tayyip Erdogan der wirtschaftliche Erfolg der Türkei zu Kopf gestiegen ist, eine unverkennbare Großmannssucht.

Cartoon: Kostas Koufogiorgos
 
Mit dem Eröffnungsfilm des nationalen Filmfestivals des letzten Jahres in Antalya - der einen türkischen Helden schilderte, der in Syrien mit den Aufständischen sympathisierte - gab es einen ersten ideologischen Beitrag zum neuen, osmanischen Anspruch der Türkei. Heute heißt das Schlüsselwort "Vergeltung". Im Juni forderte Ankara Vergeltung für ein türkisches Militärflugzeug, dass in den Luftraum Syriens eingedrungen war. Jetzt ist es ein Granatenbeschuss auf einen türkischen Grenzort, der mit "Vergeltungsschlägen" beantwortet wird.
 
Das Wort Vergeltung hallt in nahezu allen deutschen Medien nach. Dass die türkische Armee den syrischen Aufständischen Rückzugsräume bietet, dass die Rebellen über türkisches Gebiet mit Waffen beliefert werden, davon kein Wort. So als ob die Türkei ein neutraler Beobachter im syrischen Bürgerkrieg wäre. In Wahrheit ist sie in diesem Krieg aktiv auf der Seite des bewaffneten Aufstandes, jener Kräfte, die von der syrischen Regierung gern "Terroristen" genannt werden. Mit dem Begriff "Terroristen" belegt die türkische Regierung selbst allerdings andere: Jene bewaffneten kurdischen Formationen, die sie im eigenen Land bekämpft und auch gern grenzüberschreitend verfolgen lässt. Mehrfach griff die türkische Luftwaffe im letzten Jahr kurdische Lager im Norden des Irak an und tötete dabei Zivilisten. Von einem Aufschrei westlicher Medien angesichts dieser grenzüberschreitenden Aggression ist nichts bekannt. Denn nach der Lesart türkischer Militärs handelt es sich auch hier um Vergeltung. Vergeltung für militärische Aktionen kurdischer Rebellen.
 
Nach einer kurzen Periode des Tauwetters zwischen der Regierung in Ankara und den Kurden in der Türkei, die nach wie vor um ihre Rechte kämpfen, setzt die türkische Regierung vermehrt auf eine militärische Lösung des Konfliktes. Die Kurden sind mit etwa 20 Prozent der türkischen Bevölkerung die größte ethnische Minderheit des Landes. Im Kampf um ihre kulturelle und politische Emanzipation haben sie rund 30.000 Opfer in den letzten 26 Jahren zu beklagen. Umsiedlungen, Massenverhaftungen und Folterungen begleiteten diesen Kampf. Statt das NATO-Mitglied Türkei zur Einhaltung der Menschenrechte zu bewegen, wird es von seinen Partnern seit Jahr und Tag in seinem Kampf gegen die "Terroristen" unterstützt. Erst kürzlich lieferten die USA dem türkischen Militär Drohnen zur Bekämpfung kurdischer Milizen. Denn wer Terrorist ist, bestimmen die USA: Aufständische in Syrien kämpfen nach der Lesart von Hillary Clinton um Menschenrechte, der Kampf der Kurden ist, versteht sich, "Terrorismus".
 
Mit ihren mehr als 700.000 Soldaten stehen die türkischen Streitkräfte an zweiter Stelle in der Welt. Lange Zeit waren sie im Wesentlichen ein Instrument der Repression nach innen. In den Zeiten der Militärdiktatur und in den Jahren danach verfolgte die Armee gern Kurden und Linke. Aber schon die Stationierung von 90 einsatzfähigen Atomsprengköpfen im NATO-Stützpunkt Incirlik Air Base verweisen auf die Bedeutung der türkischen Armee als Teil der US-Strategie zur "Sicherung von Rohstoffen". Die 1.700 türkischen Soldaten in Afghanistan ergänzen das Bild einer Armee, die auf der Seite des Westens zunehmend eine eigene Rolle spielen will. Ein U-Boot und fünf Kriegsschiffe setzte die türkische Marine gegen Gaddafi ein und inzwischen werden Soldaten der neuen libyschen Armee auf türkischem Boden ausgebildet. Die Osmanen sind zurück. Nicht überall, aber immer öfter. (PK)


Online-Flyer Nr. 375  vom 10.10.2012

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