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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Inland
Zum Jahrestag Hiroshima und Nagasaki: Zivilklausel contra Waffen aller Art
Kann D Atomwaffen?
Von Dietrich Schulze

An vielen Universitäten kämpfen Studierende und Wissenschaftler für die Einführung einer Zivilklausel, die militärische Forschung untersagt. Zuletzt hatten Gewerkschaften, Studierendenvertretungen und Friedensgruppen im Juni am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) dazu eine Konferenz veranstaltet. Dessen Präsident Eberhard Umbach allerdings wehrt sich gegen das Vorhaben. "Eine solche Klausel steht im Widerspruch zur Freiheit von Forschung und Lehre, die im Grundgesetz Artikel 5 verankert ist", äußerte er laut einem im Internetportal stern.de veröffentlichten Artikel "Frieden contra Freiheit: Streit um Militärforschung an Universitäten" (20. Juli 2012).
 
In diesem von dpa verbreiteten Beitrag heißt es zur Auseinandersetzung um die Zivilklausel weiter: "Dass sich die Frage gerade am KIT in Karlsruhe entzündet, kommt nicht von ungefähr. Mit dem Zusammenschluß des Helmholtz-Forschungszentrums mit der Universität 2006 – ein bundesweit bislang einmaliger Vorgang – wird ein neues Gesetz notwendig. Das Forschungszentrum, 1956 zur Atomforschung gegründet, hatte eine Zivilklausel. "Die Gesellschaft verfolgt nur friedliche Zwecke", heißt es lapidar. Diese Einschränkung sei damals notwendig und verständlich gewesen, sagt KIT-Präsident Umbach, der nach eigenem Bekunden auch gegen die atomare Aufrüstung demonstriert hat. "Aber heute denken wir nicht im entferntesten an Bombenbau, und wir hätten auch gar nicht die technischen Möglichkeiten dazu.""
 
Respekt vor dem Engagement des Präsidenten Prof. Eberhard Umbach gegen die atomare Aufrüstung früher. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich dessen persönliche Haltung geändert hätte. Wie paßt das jedoch damit zusammen, dass ein ausgebildeter Physiker die technischen Möglichkeiten Deutschlands bestreitet? Welchen Zweck verfolgt er mit der Verharmlosung der sowohl zivil als auch militärisch zu nutzenden (Dual-Use) Atomtechnik? Ist diese nur in deutschen Händen völlig harmlos und beherrschbar, während wir doch rund um die Uhr hören, dass sie in iranischen Händen kreuzgefährlich sei?
 
Vor dem Hintergrund des Fukushima-Desasters wird in diesen Tagen an die Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroschima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 erinnert und eine atomwaffenfreie Welt und die Aufgabe der gesamten Nukleartechnologie gefordert. In einem aktuellen Rundschreiben der Organisation IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung) wird die dramatische Lage nachgezeichnet. Danach denken mehr als 45 Staaten über den Einstieg in die Nutzung von Atomenergie nach - mit der Folge, dass sich die Gewinnung bis 2030 weltweit fast verdreifachen würde. Die Modernisierung von Atomwaffen und Trägermitteln für alle denkbaren Kriegsszenarien ist in vollem Gange, angetrieben von den USA, die eine aggressive Raketenabwehr durchsetzen wollen.
 
Wörtlich heißt es dazu bei IPPNW: "Das Zusammenspiel des fortgeführten atomaren Rüstungswettlaufs und des weltweiten Ausbaus der Kernenergie läßt befürchten, dass weitere Akteure durch zivile Nukleartechnologie ihren Zugriff auf die Atombombe sichern wollen. Wer Uran anreichern und Plutonium aus Brennstäben separieren kann, dem steht technisch der Weg offen, auch Bombenmaterial herzustellen. Insofern ist auch Deutschland in der Lage, Atomwaffenmacht zu werden."
 
Das ist eine korrekte Information über die Gefahrenpotentiale der Atomtechnik. Deutschland verfügt über bombenfähiges Material und über die technischen und personellen Möglichkeiten zum Bombenbau:
•          Der Forschungsreaktor FRM II in München wird mit bombenfähigem hochangereicherten Uran betrieben.
•          Das KIT verfügt mit einem großen Tritiumlabor über die Kenntnisse zum Umgang mit dem Stoff, der für den Bombenbau extrem geeignet ist.
•          Größere Bestände an bombenfähigem Plutonium aus der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe auf dem Gelände des KIT Nord sind erst im Gefolge des ersten Atomausstiegsbeschlusses von SPD und Grünen 2002 nach Frankreich verbracht worden. Was dort damit geschah, ist nicht bekannt. Ist es vielleicht in Frankreich aus politischen Gründen zwischengelagert worden mit jederzeitiger Rückholbarkeit?
•          Dem europäischen "Institut für Transurane" ITU auf dem Gelände des KIT Nord (ehemals Kernforschungszentrum) ist kürzlich von der Landesregierung Baden-Württembergs, die von Grünen und SPD gestellt wird, gegen vielfachen Protest die atomrechtliche Genehmigung für Lagerung und Umgang mit 68 Kilogramm Plutonium und mit zirka 100 Kilogramm auf 98 Prozent angereichertem bombenfähigen Uran erteilt worden. Hintergrund ist ein europäisches Forschungsprogramm für neue Atomreaktoren, wofür dem KIT die Federführung auf deutscher Seite obliegt.
 
Soviel zum Können. Noch etwas zum Umbach-Satz "Aber heute denken wir nicht im entferntesten an Bombenbau." Wie sah das aber gestern aus, und wie wird das morgen aussehen? Dazu brauchen wir gar nicht in die Zeit von Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß zurückgehen:
 
•          Ex-Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) wollte Anfang 2006 im Zusammenhang mit der nuklearen Schutzgarantie diskutiert wissen, "wie wir auf eine nukleare Bedrohung durch einen Terrorstaat angemessen, im Notfall also sogar mit eigenen Atomwaffen, reagieren können".
•          In Brasilien hatten 2010 Offizielle vom Schutz durch eigene Nuklearwaffen gesprochen. Sowohl die seit Jahrzehnten gepflegte Atomkooperation als auch neuerdings die direkte Militärzusammenarbeit mit der Bundeswehr sollen verstärkt werden. Brasilien ist der alte und neue strategische Partner, der über den geschlossenen Brennstoffkreislauf mit Plutonium-Wiederaufarbeitung verfügt. Deutsche Banken finanzieren indirekt Atomwaffenprogramme.
•          Der Chef des KIT-Instituts für Kerntechnik und Reaktorsicherheit an der Universität hat in mehreren US-Atomwaffenlabors Erfahrungen gesammelt. Die Kernforschung des Universitätsteils von KIT unterliegt nicht dem Forschungsverbot für militärische Zwecke. Auf Betreiben der baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Bündnis 90/Die Grünen) war im Mai eine einheitliche Zivilklausel für das KIT-Gesetz mit Wirksamkeit auch für die Grundsatzung der Universität abgelehnt worden.
•          Der andere KIT-Präsident Prof. Horst Hippler war zusammen mit Prof. Wolfgang Herrmann (TU München und FRM II) Unterzeichner des "Energiepolitischen Appells“, mit dem vor zwei Jahren der Ausstieg aus dem Atomausstieg vorbereitet wurde. Wohlgemerkt - die beiden einzigen Hochschul-Unterzeichner. Ist der benannte Hintergrund mit dem FRM II ein Zufall?
•          Wie erst jüngst in Zusammenhang mit dem Barschel-„Selbstmord“ wieder in die Schlagzeilen geraten, besteht der begründete Verdacht, dass das Forschungszentrum GKSS Geesthacht in den 1980er Jahren im Geheimen an Mini-Atomwaffen geforscht hat (junge Welt, 31. Juli 2012).
•          Zur "nuklearen Teilhabe" im Rahmen der NATO kommt ab 1990 ein geändertes Kriegswaffenkontrollgesetz hinzu. Paragraph 16 besagt, dass die Verbote nur für Atomwaffen gelten, die nicht der Verfügungsgewalt von Mitgliedsstaaten der NATO unterstehen oder die nicht im Auftrag von diesen entwickelt oder hergestellt werden. Deutschland ist es demnach nicht untersagt, für sich und andere NATO-Länder Atomwaffen zu entwickeln.
 
Vom Präsidenten einer öffentlichen Forschungs- und Bildungsinstitution kann verlangt werden, dass er die Öffentlichkeit zumindest sachlich korrekt informiert.
 
Das betrifft auch dessen Fehlinformationen zur Zivilklausel ("Schnee von gestern“ und "Relikt des Kalten Krieges“, BadenOnline 12. Juli 2012), womit sich der Autor auseinander gesetzt hat ("Universitäre Freiheitskämpfer neuen Typus“, Neue Rheinische Zeitung 18. Juli 2012) (1).
 
Orientieren könnte sich der KIT-Präsident an einem Internationalen Appell, in dem bereits 2009 die Zivilklausel für KIT gefordert und vor Atom- und Waffenforschung unter einem Dach gewarnt wurde. Zu den Erstunterzeichnern gehört der Bürgermeister von Hiroshima.
Verantwortungsbewusst handeln würde er, wenn er sich für die Beendigung der Atomreaktorforschung und jeglicher Rüstungsforschung am KIT einsetzen würde. Der gleiche Appell geht an die Wissenschaftsministerin von Baden-Württemberg. (PK)
 
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18019
 
 
Dieser Artikel ist in enger Zusammenarbeit mit der Tageszeitung junge Welt entstanden.
Autor Dr.-Ing. Dietrich Schulze war von 1966-2005 im Kernforschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord) tätig, anfangs als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Hochenergiephysik-Projekten und später als Betriebsratsvorsitzender. Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V. und arbeitet in der Initiative gegen Militärforschung an Universitäten. Viele Infos zur Zivilklausel-Bewegung finden sich in der Web-Dokumentation www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf
Kontakt: dietrich.schulze@gmx.de

 
Offener Brief vom
4. August 2012 zur Einhaltung der Zivilklausel

BREMEN. Der Bremer Arbeitskreis Zivilklausel, dem unter anderen der AStA der Universität und das Bremer Friedensforum angehören, hat einen offenen Brief zur Einhaltung der Zivilklausel veröffentlicht. Dieser richtet sich insbesondere an die Mitglieder des Akademischen Senats und an das Rektorat der Universität Bremen und behandelt die jüngsten Enthüllungen über Rüstungsforschung an der Uni sowie die geplante OHB-Stiftungsprofessur.

Der Arbeitskreis Zivilklausel hält die Finanzierung der Professur im Bereich der Gravitationsforschung durch OHB für untragbar. Das Festhalten an der Stiftung dieser Professur sei zynisch und inkonsequent.

> Der offene Brief im Wortlaut:

Offener Brief an den Rektor und die Mitglieder des Akademischen Senats
der Universität Bremen

Die letzten Wochen haben gezeigt, dass die Zivilklausel der Universität Bremen, die in diesem Jahr bestätigt wurde, von 2003 bis 2011 mehrmals gebrochen wurde. Nach Aussage des Rektors sind an der Universität Bremen mindestens zwölf Projekte durchgeführt worden, die einen eindeutigen Rüstungsbezug hatten. Dabei verweigert der Rektor Auskunft über die Auftraggeberfirmen und den genauen Inhalt der Projekte in 11 Fällen. Lediglich die Forschung des Satellitenherstellers OHB Systems AG ist durch eine journalistische Recherche aufgedeckt worden.

Als Konsequenz dieser Ereignisse fordern wir – der Arbeitskreis Zivilklausel Bremen – den Rektor und die Mitglieder des Akademischen Senats auf:

1) die geplante Stiftung einer Professur im Bereich der Gravitationsforschung abzulehnen. Stattdessen soll sie im Interesse der Studierenden – wie ursprünglich geplant – aus dem eigenen Haushalt finanziert und neu ausgeschrieben werden.

2) ein Kontrollgremium zum Schutz und zur Wahrung der zivilen Forschung und Lehre an der Universität Bremen zu etablieren. Dies stärkt gleichzeitig die Unabhängigkeit der Forschenden und Lehrenden vom Einfluss von nicht-zivilen Geldgebern.

3) zügig eine interdisziplinäre Professur für Abrüstung, Friedensforschung und Rüstungskonversion einzurichten. Es ist unabdingbar, dass wir uns auch im Bereich der Lehre für den Diskurs über eine friedensfördernde und zivile Gesellschaft bemühen.

Im Lichte dieser Erkenntnisse hält der Arbeitskreis Zivilklausel an der Universität Bremen die Finanzierung der Professur im Bereich der Gravitationsforschung durch OHB für untragbar.

Angesichts der Tatsache, dass die Zivilklausel in diesem Jahr zu den Leitzielen der Universität erhoben wurde, hält der Arbeitskreis das Festhalten an der Stiftung dieser Professur für zynisch und inkonsequent. Was bringt eine demokratische Entscheidung, wenn sie so einfach missachtet werden kann?

Die Bremer Universität darf nicht weiterhin finanziell von der Rüstungsindustrie mit abhängig sein und mit an militärischen Projekten arbeiten, sondern soll eine Friedensuniversität sein. Wir sehen den Rektor und den Akademischen Senat hier in der Pflicht, in moralischer Verantwortung zu handeln.

Lesenswert in diesem Zusammenhang ein NRhZ-Artikel unter http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17376

>> Der offene Brief zur Einhaltung der Zivilklausel steht zum Download unter
http://www.asta.uni-bremen.de/wp-content/uploads/2012/07/Offener-Brief-zur-Einhaltung-der-Zivilklausel.pdf

--
Ekkehard Lentz
Bremer Friedensforum
Villa Ichon
Goetheplatz 4
D-28203 Bremen
0049- (0) 421-3 96 18 92
0049- (0) 173-4 19 43 20
www.bremerfriedensforum.de
www.facebook.com/pages/Bremer-Friedensforum/265831246795398







Online-Flyer Nr. 365  vom 04.08.2012



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