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Aktuelles
Öffentliche ministerielle Trommelwirbel: Arbeitslose zu Erziehern umschulen
Auf dem Rücken von Kindern
Von Brigitte Vallenthin

Der Bundestagswahlkampf 2013 wirft seine Schatten voraus. Ministerin von der Leyen will liefern – und zwar eine Arbeitslosenstatistik, die vermeintliche Erfolge darstellt. Ministerin Schröder muss liefern – und zwar Personal für Krippenplätze, um eine Prozesslawine wegen fehlender Krippenplätze im nächsten Jahr zu verhindern. Da hilft beiden für den halbwegs störungsfreien Erhalt ihres eigenen Arbeitsplatzes nur noch Augenwischerei via Werbetrommel. Die Arbeitslosen müssen wieder einmal herhalten. 
 
Ein guter Aufhänger: Augenwischerei um eine angebliche Lösung des Problems für die Schleckerfrauen. Die sollen in verkürzten Ausbildungen zu Discount-Erziehern und -Erzieherinnen umgeschult werden. Wie ich als Hartz4-Plattform-Sprecherin heute schon in der Sendung "radioWelt am Morgen“ von Bayern II im Gespräch mit Moderator Thomas Mayerhöfer ausführte, ist das, was da als neue Idee propagandistisch in die Welt gesetzt wird, nach den Sozialgesetzbüchern Zwei und Drei ganz einfach die Pflicht der Jobcenter und hat deren Tagesgeschäft zu sein – nämlich Förderung und Vermittlung in Ausbildungs- und Arbeitsplätze.
 
Ganz nebenbei blendet Ministerin von der Leyen bei ihrer 5.000er-Vermittlung mal eben aus, dass der Gesetzgeber ihr dies längst als Pflicht aufgegeben hat – nämlich „verstärkte Unterstützung“ und Berücksichtigung des „Einzelfalls“ (§§14 SGB II, 35 SGB III). Das ist jedoch nicht spektakulär genug für ministerielle Eigenwerbung. Deshalb müssen um jeden Preis große Zahlen her, um öffentliche Wirkung zu erzielen – 800.000 mit angeblich ausreichenden schulischen Voraussetzungen und 5.000 davon mutmaßlich für die Umschulung zu gewinnen.
 
Und die Bundesagentur für Arbeit spielt mit: sie schießt „finanzielle Möglichkeiten“ in das Projekt. Nach Auskunft der Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA), Anja Huth, gegenüber der Hartz4-Plattform sei „aus gesunkenen Eingliederungsausgaben Geld vorhanden“. Kein Wunder: denn nicht nur bei der Hartz4-Plattform türmen sich die Hilferufe wegen abgelehnter Fort- und Ausbildungsanträge.
 
Und dabei ist dieses vermeintliche Geschenk an die Arbeitslosen ein mehr oder weniger vergiftetes. Denn statt einer – nach Rahmenrichtlinien der Kultusministerkonferenz – rund 5-jährigen vollwertigen Ausbildungszeit will die BA, laut Anja Huth, lediglich eine Umschulung und die auch nur zwei Jahre lang finanzieren. Das dritte Berufsschuljahr müssten die Länder kofinanzieren, damit die BA-Mittel überhaupt fließen. Und was die der Berufsschule vorgelagerten Zugangsvoraussetzungen betreffe, meinte „eine Sprecherin der Arbeitsagentur“ laut sueddeutsche.de, da „müsse man über Ausnahmen reden“.
 
Im Klartext heißt das: Gedankenspiele über eine Discount-Ausbildung. Die weisen die Kindergärten aus guten Gründen zurück. Und die Arbeitslosen haben ebenso wenig Grund zur Freude: denn wenn die Geburtenzahlen weiter sinken und damit der Bedarf an ihren Discount-Abschlüssen – dann haben sie ganz schnell nicht mehr den von der BA versprochenen sicheren Arbeitsplatz. Dann sind nämlich sie es, die als erste wieder auf der Straße stehen.
 
Ob allerdings – wenn der Blick der Öffentlichkeit nicht mehr auf dem Projekt liegt – diese vollmundigen Ankündigungen überhaupt umgesetzt werden, dürfte nach Erfahrungen der Hartz4-Plattform bezweifelt werden. Ähnliche öffentliche Trommelwirbel gab es auch um den Mangel an Altenpflegern. Und der Hartz4-Plattform ist kein einziger Fall von Bewilligung einer Ausbildung bekannt – vielmehr hagelt es massenhaft Ablehnungen in den Jobcentern.
 
Die Not, überhaupt irgendwie wieder in Lohn und Brot zu kommen - wie sie beispielsweise bei den Frauen aus der Schlecker-Pleite vorhanden ist - ist nach Ansicht der Hartz4-Plattform die schlechteste aller möglichen Voraussetzungen für den ethisch wertvollsten Beruf, den, für glückliche Zukunftschancen von Kindern zu sorgen. Die Ministerinnen von der Leyen und Schröder sind stattdessen zu fragen, warum sie nicht – angesichts des chronischen Mitarbeiter-Mangels in Krippen, Kindergärten und KiTas – ein Programm für arbeitslose Erzieherinnen auflegen – 11.000 sollen es sein. Statt in mehreren Jahren vielleicht 5.000 halbausgebildete Umschüler zu haben, könnte damit bereits ab sofort der Mehrbedarf von angeblich 14.000 Erzieherinnen für Krippenplätze großenteils sofort gedeckt werden.
 
Und nicht zuletzt: statt dieses nicht zu Ende gedachten Polit-Hin-und-Hers wäre zu wünschen, dass endlich der Erzieher-Beruf – wohl der wichtigste und nicht irgend ein Job – den Lohn bekommt, den er verdient, ein Einkommen, mit dem man eine Familie ernähren kann – statt Milliarden Steuergelder in schwarzen Bankenlöchern versinken zu lassen. Dann wird es ganz rasch keinen Mangel mehr an Erzieherinnen und Erziehern geben. (PK)
 
Zum Anhören:
BR II radioWelt am Morgen-Interview, 11.7.12, mit Thomas Mayerhöfer und
Brigitte Vallenthin:
Arbeitslose als Erzieher?: „Die Praxis in den Jobcentern sieht anders aus“
http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowelt/index.html (nur
11.07.2012)
http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowelt/interview-brigitte-vallenthin-hartz-4-plattform-zur-umschulung-arbeitsloser100.html (ab 12.07.2012)


Online-Flyer Nr. 362  vom 11.07.2012

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