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Aktueller Online-Flyer vom 23. April 2024  

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Inland
Finanzminister Schäuble kündigt Spanien eine "Troika" von Kontrolleuren an
Der nächste entmachtete Staat
Von Hans Georg

Der deutsche Finanzminister kündigt die Aufhebung der finanzpolitischen Souveränität Spaniens mit Hilfe einer "Troika" von Kontrolleuren aus EU, EZB und IWF an. Am vergangenen Samstag hat die Regierung in Madrid ihren erbitterten Widerstand gegen die Unterstellung des Landes unter den EU-"Rettungsschirm" aufgeben müssen und in die von Berlin geforderte Annahme von Geldern aus den EU-Krisenfonds eingewilligt. Das ist für die viertgrößte Volkswirtschaft der Eurozone mit der Preisgabe zentraler Souveränitätsrechte verbunden, wie sie zuvor Griechenland, Irland und Portugal hinnehmen mussten; auch Madrid steht nun faktisch unter der Kontrolle deutsch-europäischer Finanzbeamter.

Finanzminister Schäuble – drakonische Sparpolitik auch für Spanien durchgesetzt
Quelle: http://www.sexy-stars.net/
  
Wie es heißt, sollen die neuen EU-Eingriffsmöglichkeiten vor allem genutzt werden, um in den spanischen Bankensektor zu intervenieren. Das Land befindet sich, seit sich die Madrider Regierung den deutschen Spardiktaten unterworfen hat, in einer wirtschaftlichen Abwärtsspirale, deren Ende noch lange nicht abzusehen ist. Dabei hat die Arbeitslosigkeit mittlerweile auf mehr als 24 Prozent zugenommen - Tendenz: steigend -, die Warenproduktion ist auf das Niveau der frühen 1990er Jahre abgerutscht. Die Austeritätsdiktate drohen nun sogar neue Kreditausfälle hervorzurufen; Finanzexperten sprechen bereits von einem "Vorsorgebedarf" nicht von 100, sondern von 260 Milliarden Euro.
 
Drohende Zahlungsausfälle
 
Konfrontiert mit einer immer weiter steigenden Zinsbelastung auf den Kapitalmärkten, gab die spanische Regierung ihren Widerstand gegen die Annahme von Krediten aus den EU-Krisenfonds EFSF oder ESM auf. Bis zu 100 Milliarden Euro sollen der spanischen Regierung zur Verfügung gestellt werden, um den strauchelnden Finanzsektor des in einer Rezession versinkenden Landes zu stützen. Im Gefolge der geplatzten Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt haben Spaniens Banken Unmengen an faulen Krediten angehäuft. Die Masse der drohenden Zahlungsausfälle bei Krediten und Hypotheken schwillt nun auch wegen des Wirtschaftseinbruchs und der hohen Arbeitslosigkeit immer weiter an, weil immer mehr arbeitslos gewordene Kreditnehmer nicht mehr in der Lage sind, ihre Verbindlichkeiten abzutragen.
 
Der deutsche Weg
 
Wochenlang wurde die Regierung des konservativen Premierministers Mariano Rajoy vor allem von Deutschland dazu gedrängt, die Gelder aus den "EU-Rettungsfonds" anzunehmen. Zuletzt hat Bundesbank-Präsident Jens Weidmann Madrid zur Inanspruchnahme der Krisenfonds aufgefordert: "Wenn Spanien sich hinsichtlich des Finanzierungsbedarfs überfordert sieht, sollte es die Instrumente nutzen, die dafür geschaffen worden sind." Die Regierung Rajoy könne nicht darauf hoffen, dass die europäische Notenbank EZB einspringe, um die mit dem Rückgriff auf den "Rettungsschirm" einhergehenden Spardiktate und Einschränkungen der Souveränität zu umgehen. Dies sei "der falsche Weg", deklamierte Weidmann. Auch der Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder (CDU), erklärte, er sei sich sicher, "dass Spanien einen Antrag an den Rettungsschirm EFSF zur Bankenrekapitalisierung stellen wird". Der sozialdemokratische Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier erteilte den spanischen Forderungen nach Direkthilfen für den Bankensektor ebenfalls eine Absage: Madrid müsse gemäß der "Regeln des EFSF" Finanzhilfen beantragen.[1]
 
Enttäuschte Hoffnung
 
Die spanische Regierung war bemüht, gerade das Inkrafttreten der EFSF-Regeln in ihrem Land zu verhindern, um nicht ähnliche Souveränitätsverluste zu erleiden wie Griechenland, Irland oder Portugal. Diese müssen im Gegenzug für die EFSF-Kredite drakonische Sparprogramme umsetzen. Der Zustimmung Madrids zur Inanspruchnahme der Gelder des Krisenfonds wurde während einer Telefonkonferenz der europäischen Finanzminister erreicht, die von Teilnehmern als "hitzig" bezeichnet wurde - vor allem weil die Rolle des IWF in Spanien umstritten war. Madrid sei bemüht gewesen, den künftigen Einfluss des Währungsfonds wie auch den eigenen Souveränitätsverlust möglichst gering zu halten. Ursprünglich hatte Spaniens Regierung darauf gehofft, dass der ab Juli aktivierte Rettungsfonds ESM direkt die Rekapitalisierung der Banken auf der iberischen Halbinsel bewerkstelligen könne; dadurch wäre es möglich gewesen, die Auflagen und Beschränkungen zu umgehen. Deutschlands meinungsführende Presseerzeugnisse fordern jedoch gerade den Souveränitätsverzicht der spanischen Regierung ein. Die Spanier könnten keinesfalls "ihre faulen Hauskredite auf dem gemeinsamen Krisenfonds ESM abladen", hieß es etwa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die anschließend fragte, wieso Madrid die "Unterstützung" im Rahmen von Staatskrediten seitens des EFSF ablehne: "Zögert die Regierung in Madrid wegen der damit verbundenen Auflagen? Diese müsste Spanien nicht fürchten, wenn es so vorbildlich den Arbeitsmarkt reformiert hätte, wie allseits gelobt wird."[2]
 
Offene Fragen
 
Die genauen Modalitäten, unter denen Spanien die 100 Milliarden Euro zur Stützung des Finanzsektors erhalten soll, sind noch Gegenstand weiterer Verhandlungen. Laut einer Schätzung des IWF beläuft sich der Finanzierungsbedarf der spanischen Banken auf 37 Milliarden Euro, sodass die weitaus größere Kreditsumme dazu dienen soll, die Finanzmärkte zu beruhigen und jegliche Zweifel an der Stabilität des spanischen Finanzsektors auszuräumen. Laut Presseberichten sollen die mit dem EFSF einhergehenden Auflagen vor allem den Finanzsektor Spaniens betreffen, während neue drakonische Sparprogramme nicht geplant seien: "Anders als den anderen Ländern soll der viertgrößten Volkswirtschaft der Eurozone aber kein strenges Sparprogramm im Gegenzug für die Hilfen abverlangt werden."[3] Aus Berlin wurden allerdings umgehend eine strikte Kontrolle der spanischen Krisenpolitik und weitere "Strukturreformen" angemahnt. Bundesfinanzminister Schäuble forderte - ganz nach griechischem Vorbild - die Institutionalisierung einer "Troika" aus IWF, EZB und EU-Kommission, die die Umsetzung der Brüsseler Politikvorgaben bei der Reform des spanischen Finanzsektors überwachen soll: "Es wird genau so überprüft werden, dass das Programm eingehalten wird", sagte Schäuble im Deutschlandfunk.[4] Bundesbankpräsident Weidmann pocht zudem auf die Umsetzung weiterer "Reformen", mit denen die "Wettbewerbsfähigkeit der spanischen Wirtschaft" erhöht werden soll.[5] Mit diesem Schlagwort werden in Berlin gewöhnlich alle Maßnahmen bezeichnet, die zur Prekarisierung des Arbeitsmarktes und zum fortgesetzten Lohnkahlschlag beitragen sollen - ganz nach dem Vorbild der berüchtigten deutschen Hartz-IV-Arbeitsgesetze.
 
In der Abwärtsspirale


Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy - wird wie Griechenland in eine Wirtschaftsdepression getrieben
Quelle: http://www.dw.de/
 
Weitere Sparprogramme scheinen auch nicht notwendig, da die bislang von der spanischen Rechtsregierung umgesetzten Maßnahmen ihre desaströse Wirkung bereits hinlänglich entfaltet haben. Das Kabinett Rajoy war seit seiner Amtsübernahme bemüht, die drakonische Sparpolitik umzusetzen, die im maßgeblich von Berlin entworfenen "EU-Fiskalpakt" für ganz Europa verbindlich gemacht worden ist. Inzwischen haben die brutalen Austeritätsmaßnahmen eine ähnliche ökonomische Abwärtsspirale in Spanien ausgelöst, wie sie auch Griechenland verwüstet. Die immer neuen Kahlschlagsprogramme im Öffentlichen Dienst und im Sozialbereich lassen die Binnennachfrage einbrechen, was zur Rezession, steigender Arbeitslosigkeit sowie sinkenden Steuereinnahmen führt - und die beabsichtigte Haushaltskonsolidierung trotz Sparmaßnahmen in weite Ferne rücken lässt. Inzwischen musste Madrid trotz immer neuer Sparprogramme sein Haushaltsdefizit mehrmals nach oben korrigieren.
 
Auf dem Niveau der 1990er Jahre
 
Spanien wird somit - ganz ähnlich wie Griechenland - durch die von Berlin und Brüssel oktroyierte "Sparpolitik" buchstäblich in eine Wirtschaftsdepression getrieben; dies legen auch die jüngsten Wirtschaftsdaten aus der Iberischen Halbinsel nahe. Die im Zuge der Sparmaßnahmen einbrechende Binnennachfrage ließ etwa im vergangenen April die Industrieproduktion um 8,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum einbrechen. Der Index der spanischen Industrieproduktion sank gegenüber seinem Höchststand im Mai 2007 bereits um 28,54 Prozent; die Warenproduktion auf der iberischen Halbinsel ist wieder auf das Niveau der frühen 1990er Jahre geschrumpft. Die desaströse Lage Spaniens spiegelt sich auch in der europaweit höchsten Arbeitslosenquote von rund 24 Prozent; bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen beträgt sie sogar 51 Prozent. Die Rezession, in der sich Spanien befindet, wird den meisten Prognosen zufolge langwierig sein. So geht etwa die Ratingagentur Fitch Ratings davon aus, dass die Wirtschaftskontraktion auf der iberischen Halbinsel mindestens bis 2013 andauern werde.[6]
 
Neue Kreditausfälle drohen
 
Gerade die durch den europäischen Fiskalpakt institutionalisierte Sparpolitik könnte nun auch den Finanzbedarf der spanischen Banken weiter anschwellen lassen. Mit zunehmender Arbeitslosigkeit häufen sich die Kreditausfälle in Spanien, deren Umfang bei anhaltender Rezession schnell die nun vereinbarten Notkredite im Umfang von 100 Milliarden Euro übersteigen könnte. Der internationale Bankenverband Institute of International Finance (IIF) nennt einen generellen "Vorsorgebedarf" des spanischen Finanzsektors in Höhe von 218 bis 260 Milliarden Euro. Diese Summe ergibt sich aus der Annahme des IIF, dass die künftige Kreditausfallrate in Spanien ähnlich hoch sein werde wie in Irland. Spaniens Banken haben insgesamt Kredite von rund 1,9 Billionen Euro vergeben, wovon rund 60 Prozent auf Hypotheken entfallen. (PK)
 
 
[1] Bundesbank-Präsident empfiehlt Spanien Rettungsschirm; www.n24.de 09.06.2012
[2] Und nun Spanien; www.faz.net 05.06.2012
[3] Spanien schlüpft unter den Rettungsschirm; derstandard.at 09.06.2012
[4] Schäuble will Spanien an die kurze Leine nehmen; www.welt.de 11.06.2012
[5] Weidmann erhöht Spaniens Bringschuld; www.handelsblatt.com 10.06.2012
[6] Spanien von Fitch auf "BBB" abgestuft - Rezession bis 2013; www.welt.de 08.06.2012
 
Den Artikel haben wir http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58347 entnommen.
Weitere Berichte und Hintergründe zur Euro-Krise finden Sie bei german-foreign-policy in den folgenden Artikeln: Die deutsche Transferunion, Die Germanisierung Europas, Aus der Krise in die Krise, Steil abwärts, Der Krisenprofiteur, Souveräne Rechte: Null und nichtig, Die Folgen des Spardiktats, Europa auf deutsche Art (I), Europa auf deutsche Art (II), Ausgehöhlte Demokratie, Jetzt wird Deutsch gesprochen, Va Banque, Va Banque (II), Europa: Am Rande des Abgrunds, aber deutsch, Europa: Am Rande des Abgrunds, aber deutsch (II), Berlins europäische Rezession, Verelendung made in Germany, Tarnen und täuschen und Der Berliner Todeswunsch.


Online-Flyer Nr. 358  vom 13.06.2012

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