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Globales
Wie die neue französische Regierung Arbeitsplätze zu erhalten versucht
Konversion oder Illusion in Frankreich?
Von Georges Hallermayer

"Arbeitsplätze retten, die gerettet werden können", das ist das Leitmotiv von Arnauld Montebourg, dem neuen Minister eines neu geschaffenen Ministeriums, dem Ministerium für produktive Sanierung (redressement produktif) zur "Rückgewinnung der Industrie", wie er in einem Interview mit Le Monde am 31.5. seine Aufgabe umriss. Während sich in Deutschland die Bundesregierung Merkel weigerte, zur Rettung z.B. von Tausenden Arbeitsplätzen bei Schlecker aktiv einzugreifen und zynisch auf den "hervorragenden Service der Bundesagentur für Arbeit" verwies, während die neoliberale Regierung Merkel den entfesselten Mechanismus des Marktes walten lässt, versucht die neugewählte sozialistische Regierung Hollande in Frankreich in sozialdemokratischer Manier mit neu zu schaffenden Instrumenten den Betriebsverlagerungen Einhalt zu gebieten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass dies nur möglich wurde, weil vor Ort Tausende von Beschäftigten und ihre Gewerkschaften zum Teil schon seit mehreren Jahren mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln (Betriebsbesetzungen eingeschlossen) für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze kämpften.
 

Arnauld Montebourg – neuer Minister für
produktive Sanierung
Anlässlich der Anhörung der Sozialpartner am 29.5. übergab der Generalsekre- tär der Gewerkschaft CGT, Bernard Thibault eine aktuelle Liste mit 49 großen und kleinen Unternehmen, derzufolge etwa 50.000 Arbeitsplätze direkt betroffen seien, abgesehen von weiteren drohenden Massenent-lassungen u.a. bei den Hypermarches. Laurence Parisot, die Präsidentin des Unternehmensverbandes MEDEF verhielt sich sehr reserviert, denn es gebe nicht "mehr Sozialpläne als im Jahr zuvor" und die betriebsbedingten Entlassungen beträfen weniger als 3 % der beim Arbeitsamt Gemeldeten. Minister Montebourg widersprach im Interview: Unternehmen hätten wegen der anstehenden Wahlen Entscheidungen verschoben, "die Sozialpläne häufen sich in Frankreich". Außerdem gab er zu bedenken: "Eine Betriebs-schließung reißt die Sub-Unternehmer und die Beschäftigten, die in der Umgebung arbeiten, mit sich" und berechnete anhand eines konkreten Falls die wegfallenden Arbeitsplätze "sieben Mal so viele".
 
Minister Montebourg hat in seinem Ministerium eine "tasc force" von 4 Spitzenbeamten eingesetzt, die in Dringlichkeitsfällen eingreift. Das interministerielle Komittee zur industriellen Restrukturation (CIRI) ist für Unternehmen von mehr als 400 Beschäftigten zuständig, für kleinere Unternehmen seien die Sozialpartner, lokale Vereinigungen und die Präfekturen zu organisieren und zu vernetzen. Über die staatliche Investitionsbank werde, zusammen mit dem Finanzminister Pierre Moscovici, gesteuert, die Deindustrialisierung aufzuhalten, industrielle Arbeitsplätze zu erhalten. Eine staatliche Beteiligungsagentur wird zur Orientierung der Industriestrategie dienen. Ein neuer PEP, ein Plan d'épargne populaire (ein volksnaher Sparplan), werde aufgelegt, "um die französischen Ersparnisse zu mobilisieren" (mit günstigen Zinsen und Steuererleichterung).
 
Minister Montebourg setzt auf die von Präsident Hollande angestoßene Sozialkonferenz, eine Einrichtung, in der die Sozialpartner "gegenseitige Zugeständnisse austauschen ... Die Unternehmen müssen Maßnahmen zur Begrenzung des Missbrauchs (Massenentlassungen aus börsentechnischen Gründen, G.H.) akzeptieren". Die Regierung arbeite bereits an einen dementsprechenden Gesetzentwurf. Die Regierung arbeite ebenso an einem Mechanismus, der auf gerichtlichem Wege den Verkauf von rentablen Betrieben, die eine "unbefriedigende Gewinnspanne" aufweisen und aus rein finanztechnischen Gründen geschlossen werden, an einen Aufkäufer zu Marktpreisen erlaube, ohne dass diese Betriebe zerschlagen und ausgeplündert würden.
 
Premierminister Ayrault bestätigte am 1.6. im Fernsehsender BFMTV/RMC, dass ungefähr 36 Unternehmen von Sozialplänen bedroht seien. Es ging konkret um den größten Geflügelfleischverarbeiter in Europa, DOUX. Der Premierminister - zuversichtlich, ein Arrangement zwischen der Familie Doux, 80 % in Familienbesitz, und Barclays Bank mit 140 Mio. € offenen Forderungen, zu finden - wurde düpiert: Ohne die Regierung (und die Personalvertretung) zu informieren, hatte DOUX tags zuvor Konkursantrag gestellt. Damit wies er die von Minister Montebourg angebotene Lösung, die eine Einlage von 35 Mio. € garantierte, zurück. "Welches Spiel spielt die Familie Doux", fragte Le Monde am 2.6. und forderte, den Konzern "schnell zu restrukturieren". Die betroffenen Geflügelbauern fragen sich nun, wie es weiter gehen soll. Der bestellte Konkursverwalter Regis Valliot, genannt "Hühnchenkönig", besitzt keinerlei Erfahrung auf dem Geflügelmarkt, aber einschlägige Erfahrung in der Zerschlagung eines Unternehmens dieser Branche: vor 12 Jahren verkaufte er Bourgoin, damals Nummer 3 in Frankreich, stückchenweise. (PK)


Online-Flyer Nr. 357  vom 06.06.2012

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