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Kultur und Wissen
Aus dem Buch eines US-Kriegsveteranen: "Das Ende der Kriege" – Folge VII
"Kriegskameraden" - Vergewaltigung beim US-Militär
Von William T. Hathaway

In seinem Buch "Das Ende der Kriege" hat William T. Hathaway, Kriegsveteran der US Special Forces und Friedensaktivist, Geschichten von Menschen gesammelt, die sich zu einer neuen Gruppe von Kriegsgegnern aus Deutschland, Amerika, Irak und Afghanistan entwickelt haben. Der hier folgende Bericht stammt von einer ehemaligen US-Soldatin, die im Irak von einem "Kriegskameraden" vergewaltigt wurde.
  
Hi, Mr. Hathaway, Ihr Brief, in dem Sie um Informationen für Ihr Buch baten, hat mich erreicht. Um Ihre erste Frage zu beantworten, ja, ich mag das Leben in den Niederlanden. Ich werde langsam zu einem richtigen holländischen Mädchen – ein schwarzes holländisches Mädchen, aber das stört die Leute hier nicht. Sie sind sehr tolerant und weltoffen.
 
Verglichen mit anderen Leuten hatte ich anfangs eine relativ einfache Zeit im Irak - auf einer riesigen Basis mit Burger King, eiskaltem Bier, Videospielen, Kinos, klimatisierten Containern und Baseball-Spielen. Ungefähr einmal im Monat wurden wir angegriffen und mussten in die Bunker flüchten, und manchmal wurden dabei auch Leute getötet, aber weil es ja Tausende von uns dort gab, kannte man sie meistens nicht, trotzdem bedauerte man ihren Tod natürlich.
 
Wir hatten an unserem Standort eine große psychologische Klinik, in die die Kampftruppen zur Beurteilung und Therapie geschickt wurden. Diese Typen waren total fertig. Ich weiß das, weil ich einige der Befunde erfassen musste. Die Psychiater versuchten, ihnen eine ausgewogene Mischung aus Beruhigungsmitteln und Antidepressiva zu verpassen, und es gab auch Therapiegruppen, in denen die Soldaten über das reden konnten, was sie gerade durchmachten. Anschließend wurden sie von den Docs zurück in den Krieg geschickt, es sei denn, es bestand Gefahr, dass sie Selbstmord begehen oder andere Soldaten töten könnten – dann ging das ganze Spiel von vorne los.
 
Einer unserer Köche hing viel mit diesen Typen rum, und er erzählte uns ihre Geschichten. Meistens ging es darum, wie sehr sie die Hajis hassten, weil man nie sicher sein konnte, wer ein Terrorist war und wer nicht. Da konnte irgendein selbstgebastelter Sprengsatz am Straßenrand explodieren und deinen Kumpel töten, und du wusstest nicht mal, wer ihn gezündet hat. Vielleicht war es einer von denen, die zugeschaut haben. Du wolltest jeden von ihnen töten. Ein Haji konnte deine Patrouille beschießen und dann in einer Menschenansammlung verschwinden. Sie würden ihn verstecken - du wolltest jeden von ihnen töten.
 
Wenn der Koch diese Geschichten erzählte, merkte man, wie wütend er dabei wurde. Er hatte einen sicheren Job, aber er identifizierte sich stark mit den Jungs aus den Kampftruppen und mit dem, was sie durchmachten. Er meinte, die Araber wären Feiglinge; sie hätten Angst, sich zu erheben und fair zu kämpfen, also würden sie nur herumschleichen. Sie benutzen Autobomben und nehmen Leute als Geiseln. Sie haben keinen Arsch in der Hose. Sie wissen, dass sie einen ehrlichen Kampf verlieren würden, sagte er, und sein Mund verzog sich.
 
Ich habe ihn dann gefragt: Was ist denn so fair daran, wie wir kämpfen? Hoch über jemanden hinweg fliegen, ohne irgendeine Gefahr von unten, und dann eine Bombe werfen? Ein ganzes Hochhaus in die Luft jagen, nur um einen vielleicht schon längst geflüchteten Scharfschützen zu erwischen? Ich sagte, dass es mir besser erscheint, eine Geisel zu nehmen, als einfach jemanden zu töten. Das gäbe der anderen Seite die Chance, sein Leben noch zu retten.
 
Auf welcher Seite ich eigentlich stehe, wollte er wissen. Er blickte mich feindselig an - als wenn er mich am liebsten erschießen würde. Ich sagte, ich bin auf der Seite derer, die nach Hause gehen und diesen Leuten ihr Land zurückgeben.
 
Er wurde ziemlich sauer, nannte mich eine Haji-Hure und meinte, ich würde denen wahrscheinlich auch den Schwanz lutschen. Er zitterte vor Wut.
 
Ich bin dann gegangen. Es machte keinen Sinn, mit so jemandem zu reden.
 
Ein paar Tage später musste ich mitten in der Nacht auf die Toilette. Zwischen den Männer- und Frauenduschen und neben den Bunkern standen zwei Reihen Dixiklos. Es war alles ziemlich eklig, aber die Fliegen liebten es – also gab es eine Menge von elektrischen Fliegenfängern, die rund um den Bereich aufgestellt waren. Wann immer du aufs Klo musstest, hattest du das zischende Geräusch von verbrannten Fliegen in den Ohren.
 
Der Koch kam aus einem der Männerklos und zog gerade seinen Reißverschluss hoch. Ich schaute weg und hoffte, dass er mich nicht bemerken würde, aber er kam direkt auf mich zu. Ich dachte, er würde mich wieder beleidigen. Oder vielleicht würde er sich für seine Beleidigungen entschuldigen. Stattdessen vergewisserte er sich, dass niemand in der Nähe war. Dann packte er mich - die eine Hand auf meinem Mund, die andere an meiner Kehle.
 
Er drängte mich in eins der Frauenklos, sagte, er würde mich töten, wenn ich schreien würde und schloss die Tür von innen ab. Er würgte mich so stark, dass ich Angst hatte, er würde mich auch so umbringen. Dann stieß er mich runter, so dass ich auf dem Klo saß. Ich machte mir vor Angst in die Hose. Er öffnete seinen Reißverschluss und sagte, „Jetzt gibst du mir, was du den Hajis gegeben hast“. Er zog brutal an meinen Haaren, riss meinen Kopf herunter und steckte sein Ding in meinen Mund.
 
Er beschimpfte und bedrohte mich die ganze Zeit – dann kam er. Wieder zog er an meinen Haaren, drohte mir mit seiner Faust und sagte, ich solle schlucken. Ich schluckte und er lachte. Ich werde nicht sagen, was er mir androhte, wenn ich irgendjemandem davon erzählen würde.
 
Ich zitterte, nachdem er gegangen war, und bekam kaum Luft. Nie habe ich mich in meinem Leben schlimmer gefühlt – hilflos, wertlos, klein, wie eine der verschmorten Fliegen in der Falle. Ich musste mich übergeben. Ich riss eine der Plastiktüten aus dem Spender an der Wand. Da die Tüte für gebrauchte Tampons gemacht und viel zu klein war, lief ein großer Teil des Erbrochenen über meine Hände. Ich schnürte die Tüte zu und steckte sie in einen weiteren Beutel.
 
Ich fühlte mich so dreckig, dass ich sterben wollte. Das einzige, was mich am Leben erhielt, war meine Wut. Ich wusste, wenn ich mich umbringen würde, würde der Typ davonkommen. Um ihn zu kriegen, musste ich am Leben bleiben.
 
Ich weinte die ganze Zeit, während ich mir die Hände säuberte, für mehr als 10 Minuten die Zähne putzte, mich duschte und die Haare wusch. Bis der morgendliche Weckruf über die Lautsprecher tönte, lag ich mit klopfendem Herzen und zitternd in meiner Koje und versuchte, meine Gedanken auszublenden.
 
Ich hatte keinen Hunger. Und ich wusste, wenn ich in die Kantine gehen würde, würde er da sein und mich fragen, wie ich meine Frühstückseier haben wollte, hart- oder weichgekocht. Ich ging ins Büro und sagte dem Stabsfeldwebel, was der Typ getan hatte und was er mir angedroht hatte, wenn ich es jemandem erzählen würde. Mein Vorgesetzter befahl mir, zur medizinischen Abteilung zu gehen und wiederzukommen, wenn ich dort fertig war.
 
Die Sanitäter fragten mich, ob ich eine Untersuchung wünschte. Ich verneinte und wollte, dass sie den Inhalt der Plastiktüte nach DNA-Spuren untersuchen, um so Beweise für eine Vergewaltigung zu finden. Sie sagten, sie hätten kein forensisches Labor, aber sie könnten die Probe in der Kühltruhe aufbewahren, bis die Kriminalabteilung ihnen mitteilte, was damit zu geschehen habe. Sie gaben mir einen Beleg, auf dem „Mageninhalt“ stand.
 
Als ich ins Büro zurückkehrte, sagte mir der Stabsfeldwebel, dass ich zu meiner eigenen Sicherheit in eine andere Basis versetzt werde. Ich wurde wütend. Ich sagte, ich will nicht versetzt werden, ich will eine Vergewaltigung anzeigen und den Typen im Gefängnis wissen. Er meinte, da der Kerl mich bedroht hat, wäre meine Sicherheit die oberste Priorität. Ich sagte ihm, dass ich erst sicher bin, wenn er im Gefängnis sitzt. Der Stabsfeldwebel sagte, dass vorher die Ermittlungen abgeschlossen sein müssten, und das würde eine Weile dauern. In der Zwischenzeit wäre mein Schutz wichtiger. Der Typ werde nicht wissen, wo ich bin.
 
Lassen Sie mich zuerst die Anzeige machen, sagte ich ihm. Er ging zum Aktenschrank, entnahm ein Formular und reichte es mir: „Anzeige wegen sexueller Belästigung“. Das war keine sexuelle Belästigung, sagte ich, sondern Vergewaltigung. Das ist das einzige Formular, was wir diesbezüglich haben, meinte er. Die Kriminalabteilung könnte es später immer noch in Vergewaltigung ändern.
 
Ich wollte das Formular nicht ausfüllen. Ich ging zur Kriminalabteilung, aber sie hörten mir nicht mal zu. Sie sagten, dass alle Berichte den normalen Dienstweg gehen müssten und dass sie keine eigenmächtigen Anzeigen akzeptieren würden.
 
Mittlerweile war klar, dass ich die volle Dosis Bürokratie abbekommen würde. Ich hatte Angst, dass die Anzeige nie zur Kriminalabteilung gelangen würde. Also ging ich zurück und machte vor dem Stabsfeldwebel einen Aufstand. Das half. Er wusste, dass ich nicht log, denn er kannte den Koch. Er sagte, er würde für mich einen Deal arrangieren. Wenn ich mich noch heute versetzen lassen würde, würde er höchstpersönlich sicherstellen, dass die Anzeige zum Truppenführer weitergeleitet wird, und dann überprüfen, ob die Kriminalabteilung sie erhalten hat.
 
Ich dachte nach. Ich wollte diesen schleimigen Kerl nicht unbedingt noch mal wiedersehen. Der Gedanke, ganz weit von ihm weg zu sein, war sehr verlockend. Ich brauchte Veränderung. Also füllte ich das Formular aus, verabschiedete mich, packte meinen Kleidersack, und fuhr mit dem Konvoi zur nächsten Basis.
 
Es waren nur etwa 16 Kilometer bis dahin, aber es war eine der ersten Gelegenheiten, die Landschaft zu sehen, seitdem ich im Irak stationiert war. Das Land war am Boden: zerbombte Häuser, verbarrikadierte Läden mit Einschusslöchern in den Mauern, ausgebrannte Autos, Männer, die einen voller Hass anstarrten, und Frauen, die sich abwendeten. Ich fragte mich, ob einige der Frauen von US-Soldaten oder ihren eigenen Männern vergewaltigt worden waren. Ich hätte gerne mit ihnen gesprochen, aber wahrscheinlich hassten sie mich für meine Zugehörigkeit zur US-Armee.
 
Auf dem Boden im Fond unseres Lastwagens lagen Sandsäcke zum Schutz vor Minen. Über dem Führerhaus war ein Maschinengewehr angebracht, an dem ein Scharfschütze Stellung bezogen hatte. Ich hielt mein Gewehr im Anschlag, aber glaubte nicht, dass ich jemanden erschießen könnte. Ich erinnerte mich daran, wie ich zur Studienfinanzierung in die Armee eingetreten war. Ich dachte daran, was mir passiert war und was mein Land den Menschen hier antat. Und weinte.
 
Meine neue Kompanie war fast genauso wie die alte, und mein Job war der gleiche. Nach zwei Wochen erhielt ich eine Nachricht, in der mir mitgeteilt wurde, dass die Probe untersucht und kein Sperma darin gefunden worden war. Die Beschwerde wurde aus Mangel an Beweisen abgelehnt.
 
Ich schrieb einen Brief an die Kriminalabteilung, in dem ich fragte, wie viele Muster aus der Probe entnommen worden waren, und bekam als Antwort, dass zu Ermittlungen keine Stellungnahmen abgegeben werden. Ich ging zum Wehrdisziplinaranwalt, um einen Rechtsanwalt für eine Anfechtung und einen erneuten Labortest zu bekommen, aber man sagte mir, dass keine rechtlichen Gründe für eine Anfechtung vorlagen.
 
Es erfüllte mich mit Zorn, dass dieser Typ davonkommen und es vielleicht wieder tun würde. Ich ging zu meinem neuen Stabsfeldwebel und ließ meiner Wut freien Lauf. Auch dieses Mal half es nichts. Alle Maßnahmen wären ergriffen worden, sagte er, und ich müsse das Ergebnis akzeptieren. Und wenn ich nicht aufhören würde, Schwierigkeiten zu machen, würde ich vom Kompanieführer einen Eintrag in meine Akte bekommen und nicht mehr befördert werden.
 
Ich brach zusammen, weinte und zitterte, genau wie nach der Vergewaltigung. Meine Beförderung wäre mir egal, sagte ich ihm, aber nicht egal wäre mir, dass ich von der Bürokratie der Armee vergewaltigt worden bin. Er rief die Sekretärin der Kompanie und sagte ihr, sie solle mich zur psychologischen Abteilung bringen.
 
Sie gaben mir Beruhigungsmittel und steckten mich in eine Therapiegruppe für Frauen. Die Gruppe wurde von einer psychologisch geschulten Krankenschwester geleitet und bestand aus etwa 20 Teilnehmerinnen – alles Frauen, die bei der Arbeit von Männern belästigt worden waren. Meine Geschichte war noch eine der harmloseren. Ich wurde nicht mit Fäusten vermöbelt oder gefesselt von drei Kerlen vergewaltigt. Ich bin nicht von Zigaretten verbrannt oder durch Bajonette im Gesicht vernarbt. Aber es gab auch die Frau, die von ihrem Oberstabsfeldwebel mit Worten zum Sex genötigt wurde, oder die, deren Partner ihr aus Eifersucht die Haare abgeschnitten hatte. Wir waren schon eine ziemlich schräge Versammlung – wirklich eine besondere Erfahrung.
 
Wir waren alle schwer verletzt worden – und versuchten langsam wieder, gehen zu lernen. Und die meisten Kerle kamen straffrei davon.
 
Während meiner Einzelgespräche sagte die Krankenschwester, dass sie eventuell in der Lage wäre, mich aus psychologischen Gründen aus dem Land zu kriegen. Aber dafür müsste sie einen Bericht verfassen, der mich als menschliches Wrack hinstellte – und das würde das Ende für Beförderungen und Privilegien bedeuten.
 
Damit hatte ich kein Problem, solange ich nur hier rauskäme. Ich fing an zu weinen, und zu meiner Überraschung weinte sie auch.
 
Sie offenbarte mir, dass sie sich aufgrund ihrer Erlebnisse in der Armee gegen das Militär gewandt hatte. Missbrauch sei hier an der Tagesordnung, weil die Soldaten Teil einer Zerstörungsmaschinerie sind. Das bringt das Böse in den Menschen hervor - sie merken, wie unmoralisch dieser Krieg ist und verlieren dann die eigene Moral.
 
Sie wollte einfach nur aufhören, aber bis zu ihrem Vorruhestand waren es noch 16 Monate, die sie durchzustehen hatte. In der Zwischenzeit war sie froh, wenn sie anderen den Ausstieg ermöglichen konnte.
 
Zwei Wochen später kam ich erleichtert in Deutschland an. Die Atmosphäre war dort eine ganz andere: es gab keine Gewalt, die sich hinter allem verbarg, und ich fühlte mich endlich sicher vor Terroristen und Vergewaltigern.
 
Aber ich konnte mich nicht anpassen. Ich war einfach keine Soldatin mehr. Alles, was wir taten, erschien mir total wahnsinnig; ich konnte es nicht ignorieren, dass mein Tun immer noch dem Militär und seiner eigentlichen Aufgabe diente – nämlich Menschen zu töten. Ich konnte einfach nicht mehr vor diesen Menschen kuschen, salutieren, und „SIR!“ und „MA’AM!“ brüllen. Klar hab ich's irgendwie gemacht, aber sie merkten, dass ich es nicht ehrlich meinte und sie im Grunde nur verhöhnte.
 
Meine Verpflichtung dauerte noch 20 Monate, und ich wusste, wenn ich den Rest der Zeit nicht im Gefängnis verbringen wollte, musste ich hier raus - sofort. Ich wollte nicht noch mehr von meinem Leben an die Armee verschenken, aber hatte auch keinerlei Idee, wie ich entkommen sollte.
 
Ich erinnerte mich daran, von einer Untergrundgruppe gehört zu haben, die Leuten hilft, auszubrechen, aber ich hatte keinen Plan, wie ich sie kontaktieren konnte. Dann fiel mir ein, dass ich einmal in Ramstein ein Fenster mit einer Friedensflagge gesehen hatte. Meinen nächsten Freigang nutzte ich dazu, dort einmal vorbeizuschauen.
 
Es stellte sich als kleines, radikales Büro heraus, in dem zwei freundliche Frauen inmitten von Büchern auf alten Sofas herumsaßen, an den Wänden hingen jede Menge Anti-Kriegs-Poster. Es waren deutsche Pazifistinnen, aber sie sagten mir, sie könnten mir nicht helfen zu desertieren, weil sie sonst verhaftet werden würden. Sie waren schon mal aufgeflogen, weil sie jemandem helfen wollten, der sich dann als Ermittler herausgestellt hatte. Sie sagten, ihre Telefone und E-Mails würden angezapft - sie waren sich nicht sicher, ob von den Amerikanern oder den Deutschen. Da ihr Büro wahrscheinlich verwanzt war, konnten sie nicht einmal über etwas Illegales sprechen. Alles, was sie tun konnten, war zu demonstrieren und Poster aufzuhängen.
 
Ich erzählte ihnen, wie es im Irak war, was mir passiert ist und wie es mir jetzt gehen würde. Sie schauten mich bedächtig an und hörten mir aufmerksam zu, genau wie die Krankenschwester es getan hatte. Als ich fertig war, stand eine von ihnen auf und deutete mir an, ihr nach draußen zu folgen. Draußen auf der Straße kritzelte sie etwas auf ein Blatt Papier und drückte es mir in die Hand. Sie sagte mir, ich solle diese Nummer anrufen, aber nur von einer Telefonzelle und nicht von der Kaserne aus. Sie drückte meine Hand und küsste mich auf die Wange.
 
Es stellte sich heraus, Herr Hathaway, dass es Ihre Telefonnummer war. Sie wissen, was danach passiert ist, aber ich werde es trotzdem erzählen, weil Sie mich danach gefragt haben. Dann werd ich Ihnen berichten, was ich in der Zwischenzeit, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, gemacht habe.
 
Erst habe ich Sie und einige andere Leute getroffen. Ich musste meine Geschichte nochmal erzählen und viele Fragen beantworten. Ich musste Kopien meiner Vergewaltigungs- und Disziplinarakte vorlegen. Ich nehme an, die Gruppe wollte herausfinden, ob ich eine versteckte Ermittlerin war. Erst dachte ich, das wäre ganz schön blöde – wenn ich wirklich eine Ermittlerin gewesen wäre, hätte ich die Papiere auch fälschen können. Aber dann dachte ich, wenn sie gefälscht wären und man die Gruppe verhaften würde, würde man den Fall wahrscheinlich wegen Anstiftung zu einer Straftat fallen lassen.
 
Ich war sehr erleichtert, als die Gruppe meine Geschichte als wahr einstufte. Ich konnte merken, dass euch viel an mir gelegen war.
 
Meine eigentliche Desertion verlief dann wie am Schnürchen. Ich bekam von euch ein Zugticket in die Niederlande und die Wegbeschreibung zur Flüchtlingsunterkunft. Ich bekam Geld (das war sehr nett!) und eine dicke Abschiedsumarmung (auch nett!).
 
Im Zug hatte ich ziemliche Angst. Ich fühlte mich total alleingelassen und hatte gleichzeitig Panik, dass mir meine Desertion ins Gesicht geschrieben stand. Ich fuhr in ein neues Leben und hatte keine Ahnung, was mich nun erwartete – Glück, Gefängnis, Armut, eine weitere Vergewaltigung?
 
Die Leute in der Flüchtlingsunterkunft waren fantastisch. Sie nahmen mich mit viel Wärme auf, so dass ich mich gleich wie zuhause fühlte. Sie besorgten mir neue Kleidung, eine Wohnung, und einen Job – zwar immer noch in der Datenerfassung, aber mit besserer Bezahlung, weniger Arbeitsstunden und vor allem viel netteren Leuten. Um mir zu helfen, riskierten sie das Gefängnis, genau wie die deutsche Gruppe, und ich bin euch allen wirklich dankbar für mein tolles neues Leben.
 
Natürlich habe ich immer noch diese Angst im Hinterkopf, dass die Armee mich finden und einlochen wird, aber das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht sehr wahrscheinlich. Wenn sie wüssten, in welcher Stadt ich lebe, könnten sie mich vielleicht ausfindig machen, aber die Armee hat nicht genügend Soldaten, um wirklich nach allen Deserteuren zu suchen. Die allermeisten, die sie noch haben, brauchen sie für den Irak und Afghanistan. Solange ich nicht in Schwierigkeiten gerate, bin ich hier bis zum Ablauf meines Passes sicher. Das ist in acht Jahren, und dann kann ich einen Antrag auf niederländische Staatsbürgerschaft stellen. Und sobald ich die Sprache besser kann, kann ich hier zur Universität gehen.
 
Trotzdem vermisse ich meine Familie sehr. Meine Schwester hat letzten Monat geheiratet, und es tat mir sehr weh, dass ich nicht zur Hochzeit kommen konnte. Die Militärpolizei würde wahrscheinlich schon am Flughafen auf mich warten. Ich hoffe, dass meine Familie mich hier besuchen wird – ich glaube, es würde ihnen gefallen. Was ihnen wohl nicht gefallen würde, sind einige der Entwicklungen, die ich hier durchgemacht habe.
 
Ich hab mich mit einer Frau angefreundet, die im Flüchtlingshaus arbeitet. Wir sind mehr als nur Freundinnen. Das passierte ganz allmählich. Ich hab' so etwas noch nie ausprobiert, und es brauchte eine Weile, bis ich mich daran gewöhnt hatte.
 
Ein bisschen trug mein Nachdenken über die Armee und den Krieg als reine Männersache auch zu der Veränderung bei. Weil sie die Leute brauchen, werden auch Frauen zugelassen, aber wir gehören dort einfach nicht hin. Es tut weh, ein Teil einer solchen Sache zu sein. Wir Frauen versuchen, alles zu vertuschen und den Schmerz zu vergessen, um zu beweisen, dass wir das können, dass wir gut genug sind für diese Männerwelt.
 
Aber jetzt wird mir klar, dass es genau andersrum ist: die Männerwelt ist nicht gut genug für uns. Aber sie haben die Macht. Sie sagen, wie die Dinge zu sein haben, und wir müssen uns irgendwie anpassen.
 
Auch die Art und Weise, wie Leute zu arbeiten haben – am Morgen zum Job zu hetzen, den ganzen Tag unter Strom, am Abend total erschöpft und hirntot nach Hause kommen, und das alles, um genug Geld zum Leben zu haben. Ich bin mir sicher, das ist von einem Mann erfunden worden – dem Besitzer einer Fabrik, in dem der Rest von uns zu arbeiten hat. Den ganzen Tag zu schuften ist doch keine Art zu leben, besonders dann nicht, wenn man Familie oder Kinder hat, um die man sich kümmern muss. Aber eine Frau kann entweder das tun oder all ihre Macht an einen Mann abgeben. Die ganze Sache passt zusammen – Kriege, Fabriken, Familien, alle geführt von Männern.
 
Und schaut, wo es uns hingeführt hat. Wir töten uns gegenseitig, wir töten Mutter Natur, jeder ist unglücklich, niemand ist fröhlich, aber die Männer haben Angst vor Veränderung: sie haben Angst, ihre Kontrolle zu verlieren. Macht bedeutet ihnen alles. Und wenn sie die verlieren, sind sie nichts - nur kleine Jungs.
 
Die ganze Sache hat dazu geführt, dass ich von Männern die Schnauze voll habe (bitte beziehen Sie das nicht auf sich – einer der Gründe, warum ich Ihre Bücher so sehr mag, ist, dass sie zeigen, dass auch Sie versuchen, all das zu ändern). Ich musste einfach ausbrechen aus der männlichen Welt. Also probiere ich jetzt etwas anderes aus.
 

William T. Hathaway
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Und mit einer Frau zusammen zu sein, ist definitiv etwas anderes, wir verstehen uns viel besser. Ich habe entdeckt, dass es keinen Mann braucht, um in dieser Welt glücklich zu sein. Frauen sind etwas ganz Besonderes, und ich bin froh, Nynkes Partnerin zu sein.
 
Mir wurde beigebracht, dass so etwas unnatürlich ist, aber jetzt erscheint mir das total lächerlich. Die ganze Vorstellung, dass bestimmte Dinge, die Menschen tun, natürlich sind und andere unnatürlich, das macht doch keinen Sinn. Wer sagt, dass er etwas unnatürlich findet, meint in Wirklichkeit „Mir gefällt das nicht“ - aber versteckt wird das hinter einer großen Allmacht wie Gott oder Mutter Natur.
 
Die meisten Menschen glauben auch, dass Krieg etwas Natürliches ist: Krieg gab es schon immer, Menschen sind halt Krieger, so ist das eben. Sie sagen, das Wichtigste ist, dass wir gewinnen. Wir brauchen ein kampfstarkes Militär, ansonsten werden wir von anderen Ländern erobert. Menschen werden gewalttätig geboren, und wir müssen uns dagegen verteidigen.
 
So sehen wir die Dinge heute. Aber vielleicht muss das nicht so bleiben. Vielleicht müssen wir dieses Argument der gewalttätigen Natur endlich einmal über Bord werfen...
 
Unsere Vorfahren haben bei so vielen Dingen geglaubt, sie wären natürlich oder von Gott so gewollt – Könige hatten die Macht, uns zu unterdrücken, Schwarze waren weniger wert als Weiße, Frauen sollten Männern gehorchen. Als dann einige Leute versuchten, das zu ändern, schrien sie genau wie heute die Konservativen, dass man das nicht ändern könnte - aber sie lagen falsch.
 
Ich gebe zu, das heißt nicht, dass sie immer falsch liegen. Einige Dinge sind vielleicht tatsächlich so tief drinnen in uns Menschen, dass wir nichts daran ändern können. Es ist schwer herauszufinden, welche Dinge das sind, aber es gibt einen Weg dafür: Lasst uns damit anfangen, Dinge zu ändern. Lasst uns unsere Vorstellungen, wie Männer und Frauen zu sein haben, ändern. Lasst uns den Begriff von Arbeit ändern. Lasst uns Nuklearwaffen verbieten, und dann einfach alle Waffen. Lasst uns Krieg für illegal erklären. Woher sollen wir wissen, dass es nicht funktioniert, wenn wir es nicht versucht haben?
 
Und dann, nach einer langen Zeit des Versuchens - mindestens 100 Jahre -, werden wir sehen, was wir nicht ändern können, was so tief in uns verwurzelt ist, dass wir es nicht loswerden können. Das müssen wir dann akzeptieren. Aber wir werden es nicht wissen, wenn wir es nicht wirklich versucht haben. Lasst es uns versuchen. Ich glaube, wir werden überrascht sein, wie viel wir verändern können.
 
Herzliche Grüße,
Larissa
 
"Kriegskameraden" - Vergewaltigung im US-Militär - ist ein Kapitel aus dem Buch "Das Ende der Kriege". Es befasst sich mit dem wachsenden internationalen Widerstand gegen den Militarismus und schildert die Geschichten von Menschen, die alternative Wege zum Frieden verfolgen. Es wurde gerade vom JESBIN Buchverlag veröffentlicht, und Auszüge sind auf http://www.jesbin.de/Buecher.html#panel-4.
 
William T. Hathaways erstes Buch, "A World of Hurt", erhielt für seine kritische Darstellung des US-Militärs den Rinehart Foundation Award. Weitere Infos: http://www.peacewriter.org.
Er ist Kriegsveteran der US Special Forces und Friedensaktivist, jetzt wegen des Patriot-Acts im deutschen Exil. Er war Gastprofessor für Amerikanistik an den Universitäten Bonn und Oldenburg.


Online-Flyer Nr. 351  vom 25.04.2012

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