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Lokales
Trotz Versprechen schlägt der Staat gnaden- und skrupellos zu
Altersdiskriminierung – ein stetiger Skandal
Von Hanne Schweitzer

„Es gibt junge Greise und alte Talente, Geburtsscheine sind keine Argumente.“ Aber noch viel zu oft bestimmen andere darüber, ob wir das richtige oder das falsche Alter haben. Immerhin hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2012 zum Jahr gegen Altersdiskriminierung erklärt. Höhepunkt soll eine Aktionswoche vom 23. bis 29. April 2012 sein. In allen Bundesländern werden dann Veranstaltungen durchgeführt. Als Belohnung lockt der Besuch von Promis wie Uschi Glas oder Peter Maffey. 

Hanne Schweitzer – Gründungsmitglied des Büros gegen Altersdiskriminierung Köln
NRhZ-Archiv
 
Anders als andere Alte, sind die beiden noch gut im Geschäft. Dabei ist Altersdiskriminierung im Arbeitsleben seit einem Jahrzehnt der häufigste Anlass für Beschwerden beim Büro gegen Altersdiskriminierung. Obwohl 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft getreten ist, und Altersdiskriminierung im Arbeitsleben seitdem verboten ist, hat sich daran nichts geändert.
 
Meist sind es die über 50Jährigen, die wegen ihres Lebensalters benachteiligt werden, obwohl sie ja angeblich so dringend auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Diskriminierung erfolgt durch Altersgrenzen bei Umschulungen des Arbeitsamts, durch die Eingabemasken von Jobbörsen, in denen das Alter angegeben werden muss, durch den Ausschluss von Weiterbildung im Betrieb, durch fehlende Arbeitsangebote für über 50- oder über 60Jährige. So waren am Stichtag 31.März 2011 nur 9,3 Prozent aller 64Jährigen und sogar nur 5,5 Prozent aller 64jährigen Frauen in Vollzeit beschäftigt.

Fotos: Hanne Schweitzer
 
Aber auch Jüngere werden wegen ihres Alters diskriminiert. „Sie sind mindestens im Schwabenalter“(1), heißt es z.B. im Stellenangebot einer schwäbischen Zeitung (Schwabenalter = 40 Jahre). Solch trickreiche Umgehungen der Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) nehmen zu, indirekte Altersdiskriminierung hat Konjunktur. Von insgesamt 70 Stellenanzeigen, die am 17.12.2011 in der FAZ erschienen, war 1/3 indirekt altersdiskriminierend und damit gesetzwidrig formuliert: „Erste Berufserfahrung“, „Sie arbeiten seit mindestens vier Jahren“, „Sie haben ihr Studium erfolgreich abgeschlossen“, „fünfjährige Berufserfahrung“. ArbeitnehmerInnen haben selten das richtige Alter.
 
Beispiel Kassenärzte
 
Die Willkür, mit der Altersgrenzen festgesetzt werden, verdeutlicht das Beispiel der Kassenärzte. Seit 1999 mussten diese ihre Kassenzulassung mit 68 Jahren abgeben und durften nur noch Privatpatienten behandeln. Als sich aber der Ärztemangel abzuzeichnen begann, wurde die Altersgrenze flugs gestrichen. Seit 2008 können Allgemeinmediziner und Zahnärzte nun Kassenpatienten so lange behandeln, wie sie wollen. Zu alt? Das war einmal.
 
An zweiter Stelle der Beschwerden, die das Büro gegen Altersdiskriminierung im vergangenen Jahr erreichten, standen solche, die den finanziellen Bereich betreffen. Die ganz legal von den Banken verweigerten Konsumentenkredite für Ältere spielen dabei kaum noch eine Rolle. Stattdessen beziehen sich die Beschwerden hauptsächlich auf institutionelle oder sogenannte „systemische“ Altersdiskriminierungen, die gesetzlich nicht verboten sind. Die meisten dieser Beschwerden beziehen sich auf Direktversicherungen und auf den Versorgungsausgleich.
 
Direktversicherung
 
Dazu muss man wissen: Direktversicherungen wurden seit Beginn der 80iger Jahre von der Regierung Kohl und der Versicherungsindustrie als Möglichkeit der betrieblichen Altersvorsorge propagiert. Dabei handelt es sich um eine Lebensversicherung, die vom Arbeitgeber auf das Leben eines Arbeitnehmers abgeschlossen wird. 2004 beschloss die rot/grüne Bundesregierung rückwirkend, ohne Übergangsfrist oder Schutzklausel, die Auszahlungssumme nachträglich beitragspflichtig zur Kranken- und Pflegeversicherung zu machen. Ca. sechs Millionen gesetzlich Versicherte (nicht die privat Versicherten) sind von diesem raffinierten Coup betroffen. Durch die rückwirkende Gesetzesänderung fehlen jedem Tausende von Euro, die fest für das Alter eingeplant waren. Das BVerfG, empört angerufen, schlug sich auf die Seite des Gesetzgebers. Rentner, so die Begründung des O.Ks. müssten sich an der Finanzierung des medizinischen Fortschritts beteiligen.
Staat und Justiz werden von den Betroffenen als altersdiskriminierende Akteure betrachtet. Zum einen, weil er die geplante Altersvorsorge in Klump haut, zum anderen, weil schließlich alle BürgerInnen vom medizinischen Fortschritt profitieren, also auch die unter 65Jährigen, auch die privat Krankenversicherten wie die Verfassungsrichter, und auch die, die nie eine Direktversicherung abgeschlossen haben.
 
Versorgungsausgleich
 
Größer ist die Empörung über staatliche Altersdiskriminierung bei allen, die sich durch die Regelung des Versorgungsausgleichs benachteiligt fühlen. Raubrittertum ist noch ein milder Vorwurf der Betroffenen, die im Renten- und Pensionsalter auf raffinierte Weise vom Staat um ihr sauer verdientes Geld gebracht werden. Das funktioniert so: Bei einer Scheidung wird zwischen den Ehepartnern ein Versorgungsausgleich abgeschlossen und die bis dahin angefallenen Renten- oder Pensionsansprüche werden verteilt. So weit, so gut. Was die meisten aber erst schmerzlich durch einen Kontoauszug in Erfahrung bringen: Der Versorgungsausgleich für den geschiedenen Ehepartner muss ab dem 65. Lebensjahr gezahlt werden, und auch dann, wenn die Expartnerin oder der Expartner noch nicht im Rentenalter ist, sondern z.B. erst 60 Jahre alt.

Das Geld erhält aber nicht der Expartner, nein, das kassiert Monat für Monat der Staat – und zwar auf Nimmerwiedersehn. Ebenso gnaden- und skrupellos schlägt der Staat zu, wenn der versorgungsberechtigte Expartner stirbt. Hat er oder sie nämlich länger als 36 Monate einen Versorgungsausgleich erhalten, muss der Zahlungspflichtige bis zum eigenen Lebensende jeden Monat den Versorgungsausgleich weiter bezahlen. Auch wenn dies die rege Beratertätigkeit der x-mal verheirateten Herren Schröder und Fischer erklären mag: Der Staat als altersdiskriminierender Akteur geht gerissener vor, als jeder Rheumadeckenverkäufer! 
 
MedienarbeiterInnen sind aber auch nicht zimperlich im Umgang mit den Alten. Einerseits versuchen sie ihnen zunehmend aufdringlicher zu suggerieren, von welch unbändiger Sehnsucht nach Umsonstarbeit die Alten getrieben werden, andererseits kriegt selbst Heiner Geissler was auf die Nuss. Wurde er als Schlichter bei Stuttgart 21 in der FAZ und anderen Zeitungen wörtlich als „Held“ gefeiert, mutierte er nach der Schlichtung der „Welt“ zum „greisen Zauberer“, der ein „altes Karnickel“ aus dem Hut holt. Überhaupt die „Welt“: „Rentner sind mit Abstand die größten Klima-Killer", heißt es in einer Online-Ausgabe vom November 2011. Berichtet wird in dem Artikel über eine Studie, in der die CO2-Emissionen von Amerikanern untersucht wurden. Studienergebnis war aber, dass die CO2-Emissionen von US-Amerikanern bis etwa Mitte 60 zu-, und danach wieder abnehmen!

Sehr zugenommen haben im letzten Jahr die Beschwerden von StudentInnen über Altersdiskriminierung im Bereich der Hochschulen. Stipendien, Auslandsaufenthalte, Promotionen, Bafög, Krankenversicherung, für alles gibt es willkürlich festgesetzte Altersgrenzen, die von einer Gesellschaft, die das lebenslange Lernen fordert, nicht gerechtfertigt werden kann.
 
ALG-Novellierung notwendig
 
DasAllgemeine Gleichbehandlungsgesetz trat im Sommer 2006 in Kraft. Eine Novellierung ist dringend erforderlich. Nötig ist:
Schutz vor Diskriminierung wegen des LEBENSALTERS beim Sozialschutz, bei der sozialen Sicherheit, in den staatlichen und privaten Alterssicherungssystemen, bei der Gesundheitsversorgung, bei der ambulanten und stationären Pflege, bei den sozialen Vergünstigungen, bei der Aus- und Weiterbildung an Schulen und Universitäten, beim Zugang zur Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.
Klagerecht bei AGG-Verstößen für Betriebsräte und Gewerkschaften.
 
Ausserdem:
Erweiterung von Artikel 3 Absatz 3 im Grundgesetz um den Satz: „Niemand darf wegen seines Lebensalters benachteiligt werden“. (Legt fest, dass der Staat nicht diskriminieren darf.)
Ratifizierung des 12. Zusatzprotokolls der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom November 2005. (Legt fest, dass niemand, unter keinerlei Vorwand, von einer öffentlichen Behörde diskriminiert werden darf.) (PK)
 
 
(1) „Soziale Sicherung in Deutschland“. Positionspapier von: Aktion Demokratische Gemeinschaft e.V. - München / Betriebsrentner e.V. - Diessen, Ammersee / Büro gegen Altersdiskriminierung -  Köln / Bündnis für Rentenbeitragszahler und Rentner e.V.  -  Bönnigheim unter: http://www.altersdiskriminierung.de/magazin/artikel.php?id=4612
 
Hanne Schweitzer ist eine ausgewiesene Expertin für das Thema Altersdiskriminierung. Sie war Gründungsmitglied und langjährige Vorsitzende vom Büro gegen Altersdiskriminierung in Köln. Sie steht für Vorträge, Seminare und Entwicklung von Konzeptionen zur Verfügung. http://www.altersdiskriminierung.de/kontakt/kontakt.php?id=diskriminierungmelden, hanne.schweitzer@t-online.de


Online-Flyer Nr. 337  vom 18.01.2012



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