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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Inland
Soli-Demo in Dessau - Wurde Oury Jalloh auf der Polizeistation ermordet?
Polizei schlug nach friedlicher Kundgebung zu
Von Fanny-Michaela Reisin

Am Samstag, den 7. Januar 2012 kamen ca. 400 Menschen in Dessau zu einer friedlichen Demonstration anlässlich des 7. Todestags von Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 in der Zelle Nr. 5 des Polizeigewahrsams Dessau verbrannte. Schon im Vorfeld suchte die Polizei Mouctar Bah, Gründer der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh und Träger der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2009 auf, um ihm mitzuteilen, dass Slogans und Transparente mit der Aufschrift „Oury Jalloh, das war Mord“ auf der Demonstration von der Polizei nicht gestattet sein werden. Bei Zuwiderhandlung wurde ihm persönlich mit einer Strafanzeige gedroht. 
 

Nach der friedlichen Kundgebung zusammengeschlagen
Die Internationale Liga für Men- schenrechte und das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die ihrerseits zur Demonstration aufgerufen hatten, wiesen diese völlig unverständliche Einschüchterung mit Bezug auf die in der Bundes-republik Deutsch- land verbrieften Grundrechte der Meinungs- und Redefreiheit zurück. (Denn erst in den kommenden Tagen wird vor Gericht entschieden, ob der an Händen und Füßen in der Polizeistation Dessau gefesselte Oury Jalloh sich selbst angezündet haben kann. - Die Redaktion)
 
Der beanstandete Slogan ist also weder individuell ehrverletzend noch polizeikollektiv beleidigend. Vielmehr drückt er allgemein die Überzeugung von Bürgerinnen und Bürgern zum Geschehen am 7. Januar 2005 in einer  Dessauer Polizeigewahrsamszelle aus. Ein Verbot, den genannten Slogan auf der Demonstration auf Transparenten zu zeigen oder auszurufen, kommt einer Verletzung der genannten Grundrechte gleich und hätte gerichtlich wohl keinen Bestand. 
 
Das muss der Dessauer Polizeidirektion bekannt gewesen sein. In den vergangenen sieben Jahren verliefen alle Protest- und Trauerdemonstrationen zu Oury Jallohs Verbrennungstod ohne vergleichbare Beanstandungen. Vor diesem Hintergrund teilten wir am Freitag, den 6. d. M., einen Tag vor der geplanten Demonstration, in einem Brief an die Polizeidirektion unser Befremden über den auf Herrn Bah ausgeübten Druck mit. Zugleich äußerten wir unsere Befürchtung, dass mit dieser Auflage bereits im Vorfeld die Konfrontation mit den veranstaltenden Organisationen gesucht und deren grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit behindert werde. Die Demonstration war bereits vor Wochen angemeldet und mit den Zuständigen in Dessau abgesprochen worden. Sie sollte unter denselben Losungen von statten gehen wie alle anderen zuvor auch. Unverständlich ist, dass einen Tag vor der Demonstration und dann auf der Demonstration selbst zur Straftat erklärt werden sollte, was jahrelang Demonstrationspraxis war. Unter dem Vorwand der Strafbarkeit der genannten Losung wurden so kurzfristig polizeiliche Eingriffsrechte angekündigt und am Tag der Demonstration unverhältnismäßig zur Anwendung gebracht.
 
Am Tag der Demonstration selbst trachteten die Polizeibeamten am Ort, ein Transparent auf dem der Slogan „Oury Jalloh das war Mord“ zu lesen war, den Demonstranten zu entreißen. Das führte wie von uns vorhergesagt zu körperlichen Auseinandersetzungen, zumal die Polizeibeamten gewalttätig vorgingen und - wie auch von Mitgliedern unserer Organisationen bezeugt - unkontrolliert auf Demonstrationsteilnehmer einschlugen. Mouctar Bah wurde offenkundig gezielt ins Gesicht geschlagen. Einem anderen schwarzen
Demonstrationsteilnehmer wurde Pfefferspray direkt ins Auge gesprüht.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Wandbild zu Oury Jalloh in Hamburg 
Foto: Peter Werner / R-mediabase
 
Die Veranstaltungsleitung bemühte sich in jeder Hinsicht die Situation zu de-eskalieren. Die Demonstrantinnen und Demonstranten blieben friedlich und ließen sich in keiner Weise provozieren. Als auch vor Ort anwesende Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte erfuhr ich von einem der für den Einsatz verantwortlichen Polizeibeamten, dass die Polizei sich auf einen gerichtlichen Beschluss zur Strafbarkeit des Mittragens des Slogans „Oury Jalloh, das war Mord“ berufe und es nicht als ihre Aufgabe sähe, strafbare Handlungen zu dulden oder gar zu schützen. Meiner Bitte, das Gerichtsdokument in Augenschein nehmen zu können, musste der Polizeibeamte abschlagen. Er hatte einen solchen Beschluss nicht.
 
Dank einer klugen Demonstrationsleitung und einer höchst politischen Einstellung der Demonstrationsteilnehmer, das Gedenken an Oury Jalloh und anderer Opfer rassistischer Übergriffe zu würdigen, verlief die Demonstration trotz wiederkehrender Polizeimaßnahmen, die den Demonstrationszug am Weitergehen behinderten, bis zum Ziel, dem Polizeirevier Dessau, friedlich. Umso erstaunlicher ist es, dass nach Ende der Demonstration in der Eingangshallte des Dessauer Hauptbahnhofs immer noch Polizeibeamte standen, die offenbar auf Demonstranten warteten, die nach Berlin zurückreisen wollten.
 

Weitere Opfer im Hauptbahnhof
Foto: http://umbruch-bildarchiv.de/
Wir fordern eine Erklärung dafür, warum am 7. Januar 2012 am Eingang des Bahnhofs
1. Demonstranten und Demonstran-tinnen, die im Begriff waren, mit der Bahn nach Berlin zurück-zukehren, erkennungs-dienstlich kontrolliert wurden
2. Die drei Vorstandsmit-glieder der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, Mocutar Bah, Komi E. und Abraham H. von den Polizeibeamten körperlich angegriffen und dabei verletzt wurden. Herr Bah wurde bewusstlos geschla- gen und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden, wo er zur Zeit, am Sonntag morgen, noch liegt. Komi E., der unter Asthma leidet, wurde zu Boden geschlagen und klagt über starke Kopfschmerzen und Atembeschwerden. 
 
Das Vorgehen der Polizei bedarf dringend der umfassenden Aufklärung. Dies umso mehr als die beschriebenen Geschehnisse unaufgeklärt den Verdacht nähren, dass hier gezielt Vorstandsmitglieder der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh abgefangen und misshandelt wurden.
 
„Egal wie hart uns die Polizei angreift und verletzt, wir werden den Kampf zur Aufklärung des Mordes an Oury Jalloh niemals aufgeben“, so Komi E., ein Aktivist der Oury Jalloh-Initiative. Am 9. Januar 2012 wird der Oury Jalloh-Prozess gegen die Polizei fortgesetzt, am 19. Januar 2012 soll die Urteilsverkündung stattfinden. (PK)

Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin ist Präsidentin der Internationalen Liga für
Menschenrechte.
Die NRhZ wird über den Prozess berichten. 


Online-Flyer Nr. 336  vom 11.01.2012



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