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China zwischen Maoismus und Kapitalismus
Die jungen Leute wollen das
Von Hans-Dieter Hey

Mitte vergangenen Jahres gab es überraschenden Besuch in der Redaktion der NRhZ. Ein chinesisches Fernsehteam wollte an Originalschauplätzen einen Film über das Leben von Karl Marx drehen, der bekanntlich 1848 in Köln zusammen mit Friedrich Engels und anderen die Neue Rheinische Zeitung gegründet hatte. Im Gespräch tauchte die Frage auf, wozu so ein Film, wo China schon 1992 den Weg in den Kapitalismus gesucht hat. Die Antwort des chinesichen Teamleiters war erstaunlich: „Die jungen Leute wollen das so“. Die Fotografin Rivkah Young öffnet uns den Blick auf eine uns fremde Raum-Traumwelt Chinas, Imaginationen der Realität als Raum-Design, die die Wirklichkeit bewusst ausblendet.



Im Rückblick auf die Entwicklung Chinas ist festzuhalten, dass das Land totalitär ausgerichtet war. Ein fruchtbarer Boden für den seit 1992 einsetzenden Kapitalismus, der nirgendwo in der Welt damit Probleme hat, mit diktatorischen Strukturen, Korruption und fehlender Rechtsstaatlichkeit zurecht zu kommen. Wandel in manchen Bereichen geht nur sehr langsam voran. Der deutsche Vorschlag beispielsweise zu einem chinesischen Arbeitsrecht wurde durch in China engagierte deutsche Unternehmerschaft heftig torpediert. 




Der Bayrische Rundfunk zitierte am 20. November 2011 den Parteisekretär Wu Renbao, den man den „Patriarchen von Huaxi“ nennt. Der erklärt den merkwürdigen Spagat zwischen dem Sozialismus Chinas und dem Steinzeit-Kapitalismus so: "Der Sozialismus kann Huaxi großen Reichtum bescheren, deshalb bin ich absolut für den Sozialismus. Den sollten wir auch konsequent weiterführen. Und dabei sollten wir durchaus den Kapitalismus nutzen. Der hat ja auch viele positive Seiten.“ Eine Dialektik, die nur schwer zu verstehen ist. Nun hat sich seit dem Wandel eine Mittelschicht von 23 Prozent der Bevölkerung herausgebildet, doch inzwischen zeigt sie sich zunehmend desillusioniert, weil sie vor einem Absturz nicht geschützt ist. Zudem ist die Zahl der Wanderarbeiter von 120 auf 170 Millionen gestiegen, die Zahl der Milliardäre dagegen seit 2002 von Null auf 189. Soziale Sicherung wurde erst 2011 begonnen, eine "Sozialpflicht des Eigentums" gibt es nicht. Auch China hat Probleme mit der Globalisierung.



Vielerorts bewahrheitet sich in China auf schwärzeste Weise, was Karl Marx einst festgestellt hat: „Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. 10 Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens."



Inzwischen scheint die Regierung - trotz Einflussversuchen auf die Wirtschaft und Re-Privatisierungen - den entfesselten Kräften noch ausgeliefert. Das hat Folgen für die Menschen. Durch die selbsterzeugten niedrigen Weltmarktpreise wird die Arbeiterschaft zunehmend ausgebeutet, vor allem in den ländlichen Gebieten. Viele auf dem Land und in der Arbeiterschaft können auch mit mehreren Jobs ihre elementarsten Bedürfnisse kaum noch befriedigen. Auch die versprochene Erhöhung des Mindestlohns um 15 Prozent helfen da nicht. Das schnelle Wachstum von jährlich 9 Prozent im Schnitt macht Chinas Ressourcen-Hunger zudem unersättlich und zerstört nicht nur im eigenen Land, sondern weltweit natürliche Vorkommen unter Missachtung des Umweltschutzes. Gigantische Staudämme, die beispielsweise Anrainerländern das lebensnotwendige Wasser absperren, sind ein warnendes Beispiel.



Das geht zu Lasten der Stabilität des Landes. Das Aufbegehren der Intelligenz, die steigende Zahl revolutionsartiger Proteste der Arbeiterklasse, vor allem der Wanderarbeiter, stellt für die Regierung eine Bedrohung dar. Sie werden durch die staatlichen Gewerkschaften kontrolliert und immer noch mit Polizeistaatsmethoden niedergemacht. Die Fortentwicklung der staatlichen Gewerkschaften, die Gefahren in der Ökonomie, der Mangel an qualitativem Wachstum stellen China vor große Herausforderungen. 



Wie ganz anders kann man China auch sehen. Die 1975 in Köln geborene deutsch-englische Fotokünstlerin und Designerin Rivkah Young ist außer in Deutschland auch gern in China unterwegs. 2007 hat sie in Yichang das Kunstprojekt „Fernfeld“ mit anderen KünstlerInnen gegründet. In unserer Fotogalerie blendet Rivkah Young bewusst die lebendige und häufig trostlose Wirklichkeit in China aus und zeigt das boomende. Sie liefert Bilder als Raum-Träume, solche, wie sich Chinesen das China von heute und morgen vorstellen mögen. Und dennoch sind es keine wirklichen Träume, sondern gleichsam Imaginantionen der Realität als Raum-Design, modellhaft nachgebaut als Oberfläche eines Stadtraums. Fast menschenentleert zudem, in denen man Leben als merkwürdig fremd, nicht dazugehörig erfährt. Eine uns fremde Welt eben. (HD)

Terminhinweis:

Am 22. März 2012 gibt es zu dem Thema „China zwischen Sozialismus und Kapitalismus“ einen Vortrag von Prof. Dr. Helmut Peters im „Haus Union“ in Oberhausen.












 


Fotos: Rivkah Young



Online-Flyer Nr. 333  vom 21.12.2011



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