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Lokales
Der als "Hitler von Köln“ bekannte Axel Reitz durfte in Kalk demonstrieren
Kontakte zum Killer-Nazi-Trio?
Von Hans-Dieter Hey

Auch vergangenen Samstag haben wieder 600 Kölner Bürgerinnen und Bürger eine erneute Provokation von 50 Neonazis der “Freien Kräfte Köln” im Stadteil Kalk verhindert. Doch beinahe hätten sich die Rechten mit ihrem Motto "Polizeirepression und Medienhetze“ lächerlich gemacht. Ein massives Polizeiaufgebot hatte sie durch nahezu hermetische Abriegelung vor der Bevölkerung zum Schluss noch davor bewahrt. Doch lächerlich ist der braune Sumpf gewiss nicht. Er wird zunehmend gefährlich.
 

Kalker Bürger fühlten sich durch Reitz provoziert

Neonazis lassen Demonstration schützen
 
Da muss man erstmal drauf kommen! Nämlich sein Recht auf Demonstrationsfreiheit in dem verhassten Staat wahrzunehmen und durch dessen Polizei schützen zu lassen, sich aber gleichzeitig über Polizeirepression zu beschweren. Polizeirepressionen wurden allerdings gegen Antifaschisten ausgeübt. Einige von ihnen äußerten lautstark an den Absperrungen ihren Unmut gegen den rechten Aufmarsch und bekamen prompt Pfefferspray und Schlagstöcke zu spüren, berichtet Thorsten Marten, Sprecher der "Antifaschistischen Koordination Köln und Umland“. Doch vom Widerstand gegen die Hetztiraden von Neonazis wolle man sich trotzdem nicht abhalten lassen, der sei „nicht nur legitim, sondern notwendig“. Dass die Neonazis kurz nach der Demonstration der sogenannten Bürgerbewegung von Pro Köln ausgerechnet in Köln-Kalk auftauchten, machte viele Bürgerinnen und Bürger zornig. In dem alternativ und lebhaft-quirlig geprägten Stadtteil mit vielen Migranten lebe man seit vielen Jahre friedlich zusammen und erlebte dies nun als ausgemachte Provokation.
 
Unter den aufmarschierten Neonazis aus Köln, Leverkusen, Aarweiler und Koblenz befand sich auch der 1983 geborene, mehrfach vorbestrafte und

selbsternannte "Gauleiter Rheinland" (1) Axel Reitz, der bereits mit 16 Jahren seine geistigen Entgleisungen offenbarte: „Diejenigen, die uns über Jahre hinweg bekämpft haben, uns aus der Arbeit gedrängt und ins Gefängnis gebracht haben, die werden eines Tages auf den Marktplatz gestellt und erschossen“.(2) Am Samstag befanden sich – der Antifa zufolge – in seinem Umfeld eine Reihe rechter Schläger aus Wuppertal, die sich demnächst wegen verschiedener Straftaten zu verantworten haben, weswegen es schwierig gewesen sei, unter ihnen Ordner für die Demonstration zu finden. Aus ihrer Gesinnung machten die Rechten mit Hetzparolen wie "Linkes Gezeter – 9 Millimeter", "Macht den Zecken richtig Dampf – Straßenkampf" oder "Nationaler Sozialismus bis zum Tod" keinen Hehl.
 
Versagt der Staat gegen Rechts?
 
Offenbar hatte der als „Hitler von Köln“ bekannte Axel Reitz, der die

Kontakt zur NSU? Neonazi
Axel Reitz | Quelle: NRhZ-Archiv
  Demonstration angemeldet hatte, auch Kontakte nach Thüringen. Ein Augenzeuge habe mitbekommen, wie das Killer-Nazi-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe von Axel Reitz zu einer Jahresabschlussveranstaltung der Freien Nationalisten Köln 2009 in Erftstadt persönlich eingelassen wurde, berichtet Westpol. (3) Die drei gehörten zur Neonazi-Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU), der bislang zehn Morde und vierzehn Banküberfälle zugeschrieben wurden. Auch der Thüringer Thomas Gerlach gehörte offenbar zu den Schlüsselfiguren im Umfeld der NSU, er war Organisationsleiter des rechten „Kampfbundes Deutscher Sozialisten“, KDS. Über Verbindungen hatte die NRhZ am 1. Dezember berichtet. (4) Ein Chronologie der Entwicklung ist hier zu finden: (5)
 
Trotz einiger Festnahmen aus dem rechten Sumpf, dem über 1.000 Straftaten zur Last gelegt werden, ist erstaunlich, wie blind die Ermittlungsbehörden gegenüber Faschismus und rechter Gewalt in der Vergangenheit waren. Schlimmer noch: Die Fragen nach Verstrickungen des Verfassungsschutzes wollen nicht enden. Über 130 V-Männer soll es laut einem Spiegel-Bericht in der rechten Szene geben. Kräftig aus Steuermitteln unterstützt sei davon die Hälfte gewaltbereit.(6) Nun gefährden die engen Verflechtungen ein Verbot der Faschisten und rechtsradikaler Parteien. Die Linke in NRW forderte am 1. Dezember, endlich die V-Leute abzuschalten und den Verfassungsschutz aufzulösen und hat entsprechende Anträge eingereicht.

Seit Jahrzehnten forscht Prof. Klaus Ahlheim über rechten Extremismus in Deutschland. Er macht „eine grundsätzliche Anfälligkeit von Polizeibeamten für rechtsextreme Einstellungen“ aus. Offenbar waren die polizeilichen Schulungen seit den 90er Jahren nicht sonderlich erfolgreich. Über die Verbandelungen der Ermittler mit dem Rechtsextremismus ist er deshalb nicht überrascht. Das erkläre wohl auch die „Ermittlungspannen“ im „braunen Sumpf des grünen Thüringens“.(7) Zwischen 2000 und 2002 wurden mehrere Chancen verpasst, das Verbrechertrio der NSU festzunehmen. Das zögerliche Handeln der Ermittler hat inzwischen dazu geführt, dass 144 Neonazis „verschwunden“ oder im Ausland untergetaucht sind.(8) Vielleicht erklärt dies die geringe Zahl der 50 Demonstranten in Köln am Samstag.


...hoffentlich nach erfolgreichem Verbot
 
Weder in Deutschland noch Europa darf das Problem unterschätzt werden. Inzwischen zeichnen sich in gefährlicher Weise europaweit faschistische Tendenzen und Verbindungen ab. „2009 etwa marschierten Spanier mit bei einer rechten Demonstration in Dresden. In der tschechischen Stadt Jihlva legen rechtsextreme Tschechen Jahr um Jahr Blumen nieder - auf Gräber von Soldaten der SS und der Wehrmacht". Mittlerweile sei es gang und gäbe, „dass deutsche Neonazis zu Rechtsrockkonzerten etwa nach Polen, Tschechien oder in die Niederlande fahren", informiert die Rechtsextremismusforscherin Britta Schellenberg. Ab 2005 fand in Thüringen mehrere Male das sogenannte "Fest der Völker" statt, wo rechtsextreme Redner und Bands aus bis zu einem Dutzend europäischer Länder aufgetreten wären. Organisator des ersten Festivals sei der damalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben gewesen, der unlängst als mutmaßlicher Unterstützer der NSU festgenommen wurde, berichtet die Financial Times Deutschland. (9)
 
Bürger müssen mehr Zivilcourage zeigen

Am Rande der Demonstration setzten die Künstler Gregor Merten und
  Carmen Dietrich mit ihrem "Engel der Kulturen" ein deutliches Zeichen gegen rechte Intolleranz. "Wir lassen einander zu und geben uns gegenseitig Raum zur Entfaltung" heißt ihr Motto. Ihr Ring aus Metall lässt die ganze Vielfalt der Kulturen erst durch seine Befüllung mit Sand erscheinen. Sie alle dürfen existieren, ohne sich gegenseitig zu beschädigen. Ein großes Zeichen für Toleranz.


Gregor Merten und Carmen Dietrich geben Beispiel für Toleranz
Fotos: Hans-Dieter Hey - R-mediabase.eu
 
Indessen muss in diesem Land leider wieder darauf geachtet werden, dass ein wahnhafter Nationalismus um sich greift. Offenbar hat er bereits die Mitte der Gesellschaft erreicht. Klaus Ahlheim: „Diese deutschnationale Fixierung führt zu Wut gegen die Anderen, die Armen, die Türken und Muslime. Und damit hat er wohl einem großen Teil der Deutschen aus dem Herzen gesprochen. Das ist ein Problem.“ Deutschland muss sich wieder um seine Zukunft sorgen.
 
Bis jetzt scheint, dass der Staat im Kampf gegen den Faschismus versagt. 2012 müssen daher deutlich mehr Bürgerinnen und Bürger Widerstand dagegen aufbringen, weil die Neonazis ihre Demonstrationen ausweiten wollen. Beispielsweise am 1. Mai 2012 in Dortmund, wo sie drei Jahre zuvor Teilnehmer einer Gewerkschaftsdemonstration überfallen, mit Steinen beworfen und einige verprügelt hatten. Und in Köln-Kalk wollen die Rechten von Pro Köln am 28. Januar erneut auftauchen. Das sollte ein wichtiger Termin im Kalender sein. (PK)
 
___________________________________
1) taz v. 21.11.2005 http://www.beucker.de/2005/tk05-11-21.htm
2) http://www.ksta.de/html/artikel/1125645200019.shtml
3) http://www.wdr.de/tv/westpol/sendungsbeitraege/2011/1120/brauner-terror-nrw.jsp
4) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17240
5) http://www.dielinke-nrw.de/fileadmin/kundendaten/www.dielinke-nrw.de/pdf/NEWSLETTER_NRW/Linksletter_Dokumente/111116_Chronologie%20des%20NSU.pdf
6) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,803020,00.html
7) http://www.thueringer-allgemeine.de/startseite/detail/-/specific/Wie-fremdenfeindlich-ist-unsere-Polizei-238588358
8) http://www.netz-gegen-nazis.de/artikel/rechtsextreme-terrorgruppe-nsu-aktuell-matthias-d-als-unterstuetzer-festgenommen-2971
9) http://www.ftd.de/politik/international/:nazi-terror-eu-staaten-kaempfen-einzeln-gegen-die-rechte-front/60139696.html


Online-Flyer Nr. 332  vom 14.12.2011

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