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Inland
Minister aber auch ein Bundespräsident sorgten fürsorglich für sie
Die V-Männer - Teil I
Von Hans Georg

Neue Hinweise auf V-Leute im unmittelbaren Umfeld der Neonazi-Terrorgruppe NSU ("Nationalsozialistischer Untergrund") belasten die deutschen Inlandsgeheimdienste. Demnach könnten sich unter den Unterstützern, möglicherweise sogar im Kern der Mordbande Kontaktpersonen des Verfassungsschutzes befunden haben. Damit lasse sich erklären, heißt es, wieso die Terroristen nicht festgenommen worden seien, obwohl Polizeifahnder offenbar mehrfach Zugriffsmöglichkeiten hatten. Wackere Unterstützer fanden aber auch als Kriminelle bekannte V-Männer bei Politikern. – Die Redaktion


Ex-Bundespräsident Karl Carstens – sorgte, als
er noch im Amt war, fürsorglich für die vorzeitige
Haftentlassung eines hochkriminellen V-Mannes
NRhZ-Archiv
Bereits des Öfteren in der Vergangenheit sind V-Männer der deutschen Inlandsgeheimdienste in Neonazi-Terrorgruppen oder auch als Lieferanten von Waffen und Spreng- stoff tätig gewesen. Berichtet wird von Todeslisten, auf denen "Juden und Linke" verzeichnet gewesen seien. Inwiefern der Dutschke-Attentäter Josef Bachmann in solchen Zusammen-hängen stand, ist trotz eindeutiger Indizien von den deutschen Behörden nie untersucht worden. Als V-Mann war unter anderem der Leiter einer Kampfsportschule aktiv, der drei der vier Täter trainierte, die am 29. Mai 1993 einen Brandanschlag auf ein Wohnhaus in Solingen verübten und dabei fünf Menschen türkischer Herkunft ermordeten. Seine Rolle ist bis heute nicht wirklich geklärt.
 
Direkte Verbindung
 
Neue Hinweise auf V-Leute im unmittelbaren Umfeld der Neonazi-Terrorgruppe NSU belasten die deutschen Inlandsgeheimdienste. Demnach sei möglicherweise ein V-Mann in der "Brigade Ost" tätig gewesen, einer Neonazi-Gruppe aus Johanngeorgenstadt, die den NSU aktiv unterstützt hat. Bereits zuvor war zu erfahren, der Justizminister Thüringens habe in einer Ausschusssitzung einen Aktenvermerk erwähnt, der eine direkte Verbindung zwischen dem Inlandsgeheimdienst und der Terrorgruppe nahelege; eventuell könne eins der drei Mitglieder sogar eine V-Person gewesen sein.[1] Damit lasse sich nicht nur erklären, heißt es, wieso einer der Terroristen von einer sächsischen Meldebehörde einen legalen Reisepass mit falschem Namen erhalten habe, sondern auch, wieso es nicht zur Festnahme der Bande gekommen sei. Berichten zufolge hatten Fahnder die Gruppe schon kurz nach ihrem Untertauchen, aber auch später wieder, etwa im Jahr 2001, aufgespürt; das zeigten Observationsfotos.[2] Im Jahr 2001 hatte der NSU seine Mordserie bereits gestartet. Noch 2008 sei das NSU-Mitglied Beate Zschäpe auf einer Neonazi-Demonstration in der sächsischen Kleinstadt Geithain fotografiert worden, ist zu erfahren. Auch von Auslandsaufenthalten der Terroristen ist die Rede.
 
Todeslisten
 
V-Männer des deutschen Inlandsgeheimdienstes waren in der Vergangenheit mehrfach in Neonazi-Terroranschläge involviert. Ein Beispiel bieten Gewalttaten der Neonazi-Szene in Niedersachsen in den 1960er und 1970er Jahren. In Peine unweit Hannover kamen in den 1960er Jahren regelmäßig örtliche NPD-Aktivisten und parteilose Rechte zusammen, um gemeinsam das Schießen zu üben - "mit Pistolen, Schnellfeuergewehren und Maschinenpistolen", wird berichtet.[3] An den Übungen beteiligt waren immer wieder auch Polizisten. Neonazis konnten sich damals öffentlich mit Pistole am Halfter zeigen: "Wir wurden von der Polizei in jeder Hinsicht gedeckt", sagt ein Beteiligter. Es kam immer wieder zu Gewalttaten. Diese richteten sich unter anderem gegen die Grenze zwischen BRD und DDR: Neonazis rissen Grenzzäune nieder und schossen auf DDR-Territorium, um damit Grenzbeamte anzulocken und sie töten zu können. Auch ein Anschlag auf den damaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht wurde geplant, kam aber nicht zur Ausführung, da Ulbricht einen geplanten Westbesuch absagte. Im Lauf der Jahre hätten Neonazis aus Peine, heißt es, ganze Todeslisten "mit den Namen von 600 Juden, Linken und prominenten Bundesbürgern" angelegt - um diese "durch Attentate auszuschalten".[4]
 
Sehr fürsorglich
 
Die Gruppe aus Peine flog auf, nachdem sie 1977 zwei Sprengstoffanschläge begangen hatte. Über die Anschlagspläne hatte bereits zuvor der Berliner Verfassungsschutz den niedersächsischen Verfassungsschutz informiert, der die Hinweise jedoch als "unbegründet" ad acta gelegt hatte. Vor Gericht stellte sich dann heraus, dass einer der Bombenbauer, Hans-Dieter Lepzien, als V-Mann für den niedersächsischen Verfassungsschutz tätig gewesen war. Beobachter hätten sich damals äußerst verwundert gezeigt, "auf welch fürsorgliche Weise" sich das niedersächsische Innenministerium im Anschluss an den Prozess um seinen V-Mann gekümmert habe. Es habe die Revision des Urteils beim Bundesgerichtshof betrieben, zu diesem Zweck einen Anwalt aus einer Münchner Starkanzlei engagiert, die Verfahrenskosten gezahlt sowie "sogar ein Gnadengesuch beim Bundespräsidenten" gestellt, heißt es in einem Bericht.[5] Bundespräsident Karl Carstens habe in der Tat nur zwei Tage vor dem Ende seiner Amtszeit verfügt, Lepzien vorzeitig aus der Haft zu entlassen. Welche Rolle der Inlandsgeheimdienst bei der ganzen Affäre gespielt habe, sei unklar, hieß es weiter. Einer der angeklagten Neonazis habe erklärt, der Verfassungsschutz habe durch Lepzien die "Aktivitäten (...) angeheizt". Diese Meinung habe, urteilte damals die Zeitschrift Der Spiegel, beileibe nicht nur der um seine Entlastung bemühte Neonazi vertreten.[6]
 
Im Sande verlaufen
 
Recherchen ergaben schließlich Ende 2009, dass aus der Neonazi-Szene in Peine auch ein gewisser Josef Bachmann stammte. Er hatte seit der ersten Hälfte der 1960er Jahre an den Schießübungen in Peine und an diversen Straftaten, darunter Überfälle auf die Grenze zur DDR, teilgenommen. Einer größeren Öffentlichkeit wurde Bachmann bekannt, als er am 11. April 1968 in Berlin den linken Aktivisten Rudi Dutschke niederschoss. Den Recherchen zufolge gab er im Verhör zu, bereits in Peine in den Besitz einer Waffe gelangt zu sein, die der Tatwaffe glich. Dennoch sei die Polizei den Hinweisen nie nachgegangen, wird berichtet: "Die Herkunft der Tatwaffe blieb für Gericht und Polizei ungeklärt." Auch hätten "die Ermittler das gesamte braune Milieu Bachmanns" vollständig ausgeklammert: "Selbst als sich ein Zeuge meldete, der über Bachmanns Peiner Hintergrund aussagen wollte, verliefen die Bemühungen der Berliner Ermittler bei ihren niedersächsischen Kollegen im Sande".[7] Welche Rolle die jahrelange Tätigkeit des V-Mannes Lepzien für den niedersächsischen Verfassungsschutz dabei spielte, ist bis heute unbekannt.
 
Maschinenpistolen, Plastiksprengstoff...
 
Hans-Dieter Lepzien war keineswegs der einzige V-Mann der Verfassungsschutzbehörden, der mit Waffen und Sprengstoff hantierte oder anderweitig in terroristische Aktivitäten involviert war. Eine Reihe weiterer Fälle benannte bereits vor beinahe zehn Jahren der Journalist Burkhard Schröder. In einem Prozess im Jahr 1972 gab der V-Mann Helmut Krahberg an, führender Aktivist der Neonazi-Terrororganisation "Europäische Befreiungsfront" gewesen zu sein. 1983 teilte der V-Mann Werner Lock mit, 1977 an einem konspirativen Treffen teilgenommen zu haben, bei dem zwei berüchtigte Neonazi-Terrorgruppen Absprachen über Anschläge trafen.[8] "Ein Zehntel der anwesenden Nazis" seien V-Männer gewesen, hieß es dazu.[9] Für den niedersächsischen Verfassungsschutz war nicht nur Werner Gottwald tätig, der mit Wissen des Amts in den 1970er Jahren Neonazis Waffengeschäfte vermittelte - dabei sei es um "Faustfeuerwaffen, Maschinenpistolen, Handgranaten und Plastiksprengstoff im Wert von einer halben Million Mark" gegangen. Auch Joachim Apel, Aktivist der "Kampfgemeinschaft Nationaler Sozialisten" in Emden, war laut Berichten nicht nur als V-Mann in Niedersachsen aktiv, er beschaffte Neonazis Waffen und war an Brandanschlägen beteiligt.[10] Im November 1999 wurde bekannt, dass Michael Grube als V-Mann für den Dienst in Mecklenburg-Vorpommern gearbeitet hatte. Grube war nicht nur NPD-Kandidat, er hatte auch bei einem Brandanschlag auf eine Pizzeria in Grevesmühlen mitgemischt. Wie es heißt, hatte er vom Verfassungsschutz "Listen mit Namen vermeintlicher Linker" aus der Region erhalten.[11]
 
Kampfsportschule
 
Besonderes Aufsehen hat ein Fall aus dem Jahr 1993 erregt. Drei der vier Täter, die am 29. Mai 1993 ein Wohnhaus in Solingen in Brand gesteckt und fünf Menschen türkischer Abstammung ermordet hatten, hatten vor der Tat in einer Kampfsportschule trainiert, die von einem V-Mann des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes geleitet wurde. Berichten zufolge hatte der V-Mann, Bernd Schmitt, seine Schule in Absprache mit dem Inlandsgeheimdienst gegründet; der damalige Innenminister Nordrhein-Westfalens bestritt dies allerdings. Tatsächlich wurden in den Unterlagen von Schmitt "Lageskizzen von Wohnungen ausländischer Bürger" und "Anleitungen zum Bau von Molotowcocktails" gefunden; von den bis zu 350 Personen, die bei ihm trainierten, sollen mindestens 100 der extremen Rechten zuzurechnen gewesen sein. Schmitt selbst war für zahlreiche bekannte Neonazis als Personenschützer und als Ausbilder tätig.[12] In seiner Schule trainierte er unter anderem eine "Deutsche Kampfsport-Initiative", einen Zusammenschluss von Neonazis, der für besondere Aufgaben - etwa für den Saalschutz bei Treffen der extremen Rechten - bereitstehen sollte.[13]
 
Informationen
 
Zu den Gewalttätern, die sich als V-Männer zur Verfügung stellten, gehörte nicht zuletzt Carsten Szczepanski. Er war wegen versuchten Mordes zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Szczepanski tat, was man von ihm erwartete, und lieferte Informationen, etwa im September 1998 den Hinweis, dass ein sächsischer Neonazi dabei war, die untergetauchte Terrorgruppe mit Waffen zu versorgen. Der Hinweis wurde an die Verfassungsschutzbehörden des Bundes sowie der Länder Sachsen und Thüringen weitergeleitet. Dessen ungeachtet übernahm das Bundeskriminalamt am 4. März 1999 die Einschätzung der Staatsanwaltschaft im thüringischen Gera, bei der untergetauchten Bande handele es sich nur um "ein loses Geflecht von Einzeltätern"; ein Verfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung müsse deshalb nicht eingeleitet werden.[14] Ein Zugriff auf den NSU erfolgte - bei wirklichkeitsgetreuer Informationslage - tatsächlich nicht. (PK)
 
[1] Ein V-Mann in der Terrortruppe? www.taz.de 23.11.2011
[2] Nazi-Terroristen waren für Zschäpe ihre Familie; www.focus.de 26.11.2011
[3] "Er sollte sterben"; Der Spiegel 50/2009
[4] Schwarze Todeslisten; Der Spiegel 51/2009
[5], [6] Was dürfen die eigentlich; Der Spiegel 39/1984
[7] "Er sollte sterben"; Der Spiegel 50/2009
[8] Es handelte sich um die "Wehrsportgruppe Hoffmann", die bislang größte Neonazi-Terrorgruppe der Bundesrepublik, und die "Deutschen Aktionsgruppen" um Manfred Roeder, die bereits 1980 bei einem Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim zwei Migranten ermordeten.
[9] Burkhard Schröder: Ein System, das das Problem, über das es informieren will, selbst erschafft, ist absurd; www.heise.de 28.01.2002
[10], [11] Christoph Ellinghaus: Rechte Spitzel des Verfassungsschutzes; CILIP 66 (2/2000). Weitere Fälle listet auf: Johannes Radke: Waffen, Drogen, Nazi-Propaganda - das falsche Spiel rechtsextremer VS-Spitzel, blog.zeit.de 17.11.2011
[12] "Das wäre eine Bombe"; Der Spiegel 22/1994
[13] Politischer Gau; Der Spiegel 23/1994
[14] Neonazi soll schon 1998 Waffen für Terror-Trio besorgt haben; www.spiegel.de 27.11.2011
 
Diesen Artikel haben wir von http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58209 übernommen. Weitere Informationen zur Verflechtung der Neonazi-Szene mit den deutschen Inlandsgeheimdiensten finden Sie dort in den Beiträgen: Staatliche Aufbauhilfe für Neonazis, Kleiner Adolf und Europa erwache!.
Lesen Sie hierzu auch "V-Männer II" in dieser Ausgabe


Online-Flyer Nr. 330  vom 30.11.2011



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