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Kommentar
Reichspogromnacht geschah unter Berufung der Nazis auf Martin Luther
Förderung der Lutherdekade mit 35 Millionen Euro
Von Reinhold Schlotz

Am 31. Oktober 2017 jährt sich der Beginn der Reformation durch den Thesenanschlag Martin Luthers an das Portal der Schlosskirche zu Wittenberg zum 500sten Mal. In der Vorbereitung dieses Jahrhundertjubiläums wurde von der EKD am 21. September 2008 die Lutherdekade ins Leben gerufen. Gewürdigt und gefeiert werden soll hier nicht allein das geschichtliche Ereignis, sondern auch die Person des Reformators.

„Die Lutherdekade legt ein besonders Gewicht auf den Lebensweg Martin Luthers...“ und soll „ein Jahrzehnt der Erinnerung an Martin Luther“ sein, wie es der damalige EKD-Ratsvorsitzende Bischof Huber in der Schlosskirche zu Wittenberg in seiner Festrede formulierte.

Schon im Vorfeld der Lutherdekade beantragten CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag eine Würdigung dieses "welthistorischen Ereignisses“. Am 20. Oktober stimmte der Bundestag einstimmig diesem Antrag zu und verkündete eine jährliche finanzielle Unterstützung von 5 Millionen Euro ab 2011 mit einer Gesamtsumme von 35 Millionen Euro bis 2017. Das Land Sachsen-Anhalt fördert die Lutherdekade mit insgesamt 75 Millionen Euro aus Landesmitteln.

Was weiß der deutsche Bundesbürger und Steuerzahler überhaupt über Martin Luther, dessen Lebenswerk er mit 110 Millionen Euro würdigen soll? Sein Anstoß der Reformation und seine Standhaftigkeit auf dem Reichstag zu Worms 1521 - „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ -, die Übersetzung der Bibel in die deutsche Sprache und seine Theologie von der „Freyheith eines Christenmenschen“ sind die Themen, die öffentlich im Vordergrund stehen. Aber ist das Leben und Wirken Luthers damit schon vollständig beschrieben? Oder fehlt da nicht noch etwas? Luther wurde am 10. November 1483 geboren und starb 62jährig im Jahre 1546. Versucht man den Lebensweg Luthers bis zu seinem Tode in den modernen Medien wie Kino, Fernsehen, Rundfunk, Literatur und Presse zu verfolgen, so könnte man annehmen, Luther sei schon viel früher verstorben.


Martin Luther (Lucas Cranach d. Ä.: ) - Wollte die Herrschaftsverhältnisse nicht ändern | Quelle: wikipedia

Seine letzten 10 bis 15 Lebensjahre werden entweder systematisch ausgeblendet, oder medial geschickt versteckt, so dass sie einer breiten Öffentlichkeit verborgen bleiben. Diesem Muster folgend spricht Bischof Huber in seiner Festrede die „Schatten und Grenzen der Person Luthers“ in einem kleinen Unterabschnitt an: „Luthers mitunter polemischer Charakter, seine ambivalente Rolle in den Bauernkriegen, seine beschämenden Aussagen zu den Juden und sein Kommentar zu den Expansionsbestrebungen des Osmanischen Reichs – all dies gehört in das Bild seiner Person hinein.“

Was sind nun Luthers „beschämende Aussagen zu den Juden“?

Luthers Verhältnis zu den Juden wurde durch die christliche Theologie bestimmt, wonach der Jude Jesus von Nazareth als Messias aller Juden und Heiden, als Sohn Gottes für die Sünden aller Menschen am Kreuz gestorben sein soll. Dieser jüdische Messias wurde von den Juden nie als der Ihrige anerkannt, was Luther schon in seiner Römerbriefvorlesung von 1515/16 dadurch brandmarkte, indem er „Juden und Ketzer“ gleichstellte 1). Seine neue Theologie und die Übersetzung der gesamten Bibel in die deutsche Sprache war von seiner Hoffnung begleitet, „ethliche“ Juden zum christlichen Glauben zu bekehren, konnte sich nun doch jedermann im Lande, der des Lesens mächtig war, durch ein Bibelstudium von Luthers Theologie überzeugen lassen.

Seine Haltung gegenüber den Juden radikalisierte sich dramatisch, als die erwartete Bekehrung zum Christentum ausblieb. Seine theologisch begründete Judenkritik steigerte sich darauf zu einem Judenhass, der in dieser Intensität erst im 20. Jahrhundert wieder seinesgleichen fand. In seinem 1543 veröffentlichten Buch „Von den Jüden und iren Lügen“ nimmt er dann auch Abstand von dem Vorhaben, die Juden bekehren zu wollen: „Viel weniger gehe ich damit um, das ich die Jüden bekeren woll, denn das ist unmöglich. ... Ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes, durchteufeltes Ding ist’s um diese Juden, so diese 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen“.

Im letzten Drittel des Buches gibt er seinen „treuen Rat“, wie mit den Juden umzugehen sei und ruft dazu auf [1] „ihre Synagoga mit Feuer anzustecken“,
[2] „sie unter ein Dach oder Stall zu tun, wie die Zigeuner“, [3] „dass man
ihnen ihre Betbüchlein nimmt“, [4] „ihren Rabinern bei Leib und Leben
verbiete, hinfort zu lehren“, [5] „dass man den Juden das Geleit und Straße ganz und gar aufhebe“, [6] „ihnen alle Barschaft und Kleinod an Silber und Gold nehme“, [7] „die jungen Juden und Jüdinnen ihr Brot im Schweiß der Nasen verdienen lasse“  Dieses „Sieben-Punkte-Programm“ der „scharfen Barmherzigkeit“ liest sich wie die Anleitung zum Holocaust, dem 400 Jahre später 6 Millionen Juden zum Opfer fielen.

Das Verhältnis des sogenannten "späten Luther“ zu den Juden kam 400 Jahre später den Nazis als Rechtfertigungspotential für die Judenverfolgung im Dritten Reich sehr entgegen: „Luther war ein großer Mann, ein Riese. Mit einem Ruck durchbrach er die Dämmerung, sah den Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen beginnen“ (Adolf Hitler, 1923) 2). In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten in Deutschland die Synagogen. Auch jüdische Geschäfte, Wohnungen und Friedhöfe blieben nicht verschont. Die jüdische Bevölkerung wurde fortan verstärkt in die Konzentrationslager deportiert. Reichspogromnacht und die Verschleppung der Juden in die Konzen-trationslager erinnern frappierend an die beiden ersten Ratschläge Luthers. Im Grunde wurde sein treuer Rat von den Nazis de facto Punkt für Punkt umgesetzt. Auch Bücherverbrennung, Ausgangsverbot, Zwangsarisierung jüdischen Eigentums und der Einsatz von Juden zur Zwangsarbeit waren durch Luther schon geistig vorbereitet. Der deutsche Philosoph Karl Jaspers schrieb hierzu treffend 3) von „Luthers ... Ratschläge gegen die Juden (die Hitler genau ausgeführt hat).“


Wäre heute verfassungsfeindlich: Hitler-Vorbild Martin Luther
Quelle: wikipedia

Wie ist nun die Darstellung Martin Luthers in der Öffentlichkeit und wie informiert ist diese Öffentlichkeit über den "späten Luther“ und seine Wirkung auf den Nationalsozialismus? Die der breiten Öffentlichkeit zugängliche Information über Martin Luther ist seit 1945 einseitig auf Reformation, Bibel-übersetzung und Theologie beschränkt. Es ist einfach, Luthers Judenhass auszublenden, wenn man sich nur auf seine ersten 45 bis 50 Lebensjahre beschränkt.

Genau dies wird systematisch getan: Der Kinofilm "Luther“ aus dem Jahre 2003 unter der Regie von Eric Till mit Joseph Fiennes als Hauptdarsteller, beschreibt das Leben des Reformators bis ca. in das Jahr 1530. Sein Judenhass wird hierin vollständig unterschlagen. Produziert wurde dieser Film von der EIKON Film gGmbH, einer Gesellschaft, die nach ihrer Selbst-darstellung von evangelischen Landeskirchen und der EKD unterstützt und gefördert wird.

Im Rahmen der 10-teiligen ZDF-History-Serie "Die Deutschen“ wurde am 4. November 2008 zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr die Folge 4 mit dem Titel "Luther und die Nation“ ausgestrahlt. Die Macher des Fernsehfilms, mit Georg Prang als Hauptdarsteller, beschreiben Luthers Wirken vom Thesenanschlag 1517 bis zum Augsburger Reichstag 1530 und bringen das Kunststück fertig, dann direkt in das Jahr 1547, ein Jahr nach Luthers Tod, zu springen. Luthers Zeit des Judenhasses wird hier in einer fast dreist anmutenden Weise übersprungen.

In den geschriebenen Medien sieht es nicht anders aus. In allgemein zugänglichen Büchern über Luther, wie sie in Buchläden und öffentlichen Bibliotheken angeboten werden, wird seine Beziehung zu den Juden kaum thematisiert. In Zeitungen und Zeitschriften wird zwar relativ viel über Luther geschrieben, aber sein Verhältnis zu den Juden bleibt weitgehend tabuisiert. So bleiben die der breiten Öffentlichkeit zugänglichen Informationen über Martin Luther unvollständige Informationen.

Was bedeutet dies alles nun für eine Einschätzung des "vollständigen Luther“? Der 1938 in die USA emigrierte Literatur-Nobelpreisträger und Protestant Thomas Mann bekannte 1945 in seiner Rede „Deutschland und die Deutschen“ über „Martin Luther, eine riesenhafte Inkarnation deutschen Wesens“: „Ich liebe ihn nicht, das gestehe ich ganz offen“ und beschrieb ihn an anderer Stelle 4) als „schimpffroh, zanksüchtig, ein mächtiger Hasser, zum Blutvergießen von ganzem Herzen bereit“.

Dem gegenüber steht eine bedingungslos anmutende Verehrung Luthers innerhalb der evangelischen Christen, was bezweifeln läßt, ob diese Christen (in Deutschland gibt es zur Zeit ca. 24 Millionen Protestanten) in ihrer überwiegenden Mehrheit den "vollständigen Luther“ und nicht viel mehr nur den "zensierten Luther“ kennen. Man kann einen Menschen nicht nur in Teilen verehren. Luther zu verehren, heißt immer, ob gewollt oder ungewollt, den "vollständigen Luther“ zu bewundern und seine Judenfeindschaft als Rechtfertigungspotential für Antisemitismus aufrechtzuerhalten.

Die evangelischen Christen stecken hier in einem unauflösbaren Dilemma, und der Deutsche Bundestag verschließt hierzu die Augen. Die Abgeordnete von Bündnis90/Grüne, Agnes Krumwiede, wagte es, in der Bundestagsdebatte am 20. Oktober auf dieses Problem zaghaft hinzuweisen: „Einige Auszüge aus seinen Briefen und Predigten sind durch die Brille der jüngeren deutschen Vergangenheit schwer verdaulich. Diese Aspekte dürfen im Glanz der Lutherdekade nicht untergehen“. Der bisherige Verlauf der Lutherdekade erweckt jedoch nicht den Eindruck, dass die EKD an einer öffentlichen Verarbeitung von „Luthers beschämenden Aussagen zu den Juden“ wirklich interessiert ist. Für die 110 Millionen Euro Unterstützung hat der Steuerzahler aber schon einen Anspruch darauf, über Luther vollständig informiert zu werden. (PK)

Mehr über Luthers Hetze gegen die Juden finden Sie in Karlheinz Deschners Buch "Kriminalgeschichte des Christentums" Band 8, "Das 15. und 16. Jahr- hundert", im Kapitel "Der Judenstürmer" -  erschienen 2006 im Rowohlt Taschenbuch Verlag. 

____________________
1 Karl Gerhard Steck, Luther, Fischer Bücherei 1959, S. 2
2 Dietrich Eckart: „Zwiegespräche zwischen Adolf Hitler und mir“, München 1924, S. 2
3 Karl Jaspers, Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, Piper München 1962, S. 9
4 Bernd Hamacher, Thomas Manns letzter Werkplan „Luthers Hochzeit“, Frankfurt 1996, S. 75

 



Online-Flyer Nr. 326  vom 03.11.2011

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