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Benedikt und eine katholische Welt in der Diaspora Thüringens
Der Papst war da
Von Uwe Pohlitz

Lange vor dem besonderen Ereignis bewegten und erregten sich die Gemüter über den Papstbesuch in Thüringen: Der Pontifex kommt an die Wiege der Reformation. Es ist wahrscheinlich ein Jahrtausendereignis. Für Ihn war es jedoch kein Gang nach Canossa.

Alle Fotos: Uwe Pohlitz
 
Ein kleiner Rückblick in die Geschichte bringt manchmal interessante Betrachtungsweisen zum aktuellen Geschehen. Im Jahr 1077 unterwarf sich König Heinrich IV. dem damaligen Papst. Es ging in einem langen Streit um die Macht im deutschen Reich. Wer hat den höchsten Rang und das Sagen im Land - das Papsttum oder der deutsche Herrscher? Dem deutschen Herrscher blieb die demütigende Selbstunterwerfung. Der Staatsgast aus dem Vatikan bestellte sich im Jahr 2011 die evangelische deutsche Kanzlerin in einen katholischen Bischhofsitz und negierte die Berliner Residenz. Die Rede des Papstes vor dem Bundestag wird immer noch viel Diskussionsstoff liefern und die Gemüter erhitzen. Die Thüringer, besonders die Erfurter, lebten einige Tage in einer Ausnahmesituation. Soviel Polizei und Sicherheitsmaßnahmen hatte die Stadt noch nie erlebt. 

Ein Stadtführer kommentierte das Geschehen mit folgenden Worten: „Der Dalai Lama der Christen kommt, das muss man sehen und miterleben.“ Er hatte diesen Vergleich keinesfalls abfällig oder verletzend gemeint. Dieser Mann brachte damit seine Auffassung von der Gleichwertigkeit der verschiedensten Religionen zum Ausdruck. Wer als Nichtkatholik mitten im Geschehen vor, während und nach der Heiligen Messe auf dem Erfurter Domplatz war, wurde zumindest über dieses Thema sehr nachdenklich.









Ab 4 Uhr in der kalten Morgenluft strömten die Menschen von den Parkplätzen am Stadtrand ins Zentrum des Geschehens. An den Unterwegshaltestellen stiegen kaum Erfurter hinzu. Eine katholische Welt in der Diaspora. Hinter mir in der Straßenbahn konnte ein junger Mann alle Päpste der letzten 200 Jahre aufsagen. Ein erstaunliches Wissen. Dann ging es durch die Sicherheits-schleuse mit Taschenkontrolle in Richtung Domplatz zur nächsten, ebenfalls mit Taschenkontrolle. Um uns herum Pilger aus Bayern, Hessen und dem Eichsfeld. Jeder Teilnehmer erhielt noch einmal ein Ticket für einen bestimmten Bereich. Es war sehr eng, doch mit hoher Disziplin der Teilnehmer wurde die Situation für mehrere Stunden erträglich. Mit Filmen über das Wirken der katholischen Kirche in Thüringen und vielen musikalischen Beiträgen wurde die Zeit überbrückt. Zwischendurch gab es immer wieder „Benedito-Sprechchöre“.



Nach einigen Stunden engster Nachbarschaft kamen auch Gespräche in Gang. Als Erfurter konnte man viele Tipps für den Rest des Tages geben. Ungewollt wurde ich auch Mithörer anderer lauter Gespräche. Einige Mitglieder studentischer Verbindungen machten deutlich, was sie unter Ökumene verstehen. Im Klartext hieß das: „Wenn ein Evangele zum katholischen Glauben konvertiert.“ Mit einer solchen Aussage wird mir auch das Ergebnis der Gespräche im Erfurter Augustinerkloster etwas bewusster. Bei zunehmender Helligkeit wurden auch die auf Dächern und Schallfenstern des Domes postierten Scharfschützen sichtbar. Die friedlichen Besucher diskutierten die Frage: Wie wollen die Schützen bei den Menschenmassen richtig zielen? Ein großes Friedensfest von Scharfschützen bewacht. Sind das die umgeschmiedeten Schwerter?



Nach einigen Stunden angespannten Wartens begann das große Ereignis. Eine grandiose Inszenierung für die Seele der Menschen. Das Papamobil rollte langsam durch die offenen Reihen zwischen den Besucherblöcken. Beifall und Beneditorufe begleiteten den Pontifex auf dem Weg zum riesigen Altar. Im folgten Kardinäle und Bischöfe. Ein prächtiger und majästätisch wirkender Aufzug .
 
Hier wurde Macht und Herrschaft demonstriert. In seiner kurzen Predigt sprach BenediktXVI auch von der braunen und roten Diktatur, welche die katholischen Gläubigen in Thüringen ertragen mussten. Mit den Braunen wurde bekanntlich ein Konkordat beschlossen, welches noch heute gültiges Recht ist. In der „roten Zeit“ mussten katholische Bürger des Eichsfeldes sogar Lehrer und manchmal auch Bürgermeister oder LPG Vorsitzende werden. Sie erhielten sogar staatliche Auszeichnungen.



Die Erinnerung daran fiel auch dem ehemaligen Landesvater Althaus schwer. Aus dem ehemaligen „Armenhaus Eichsfeld“ wurde in der DDR ein Gebiet mit Industrie, wo recht gut verdient wurde. Die sparsamen Menschen brachten es sogar für damalige Verhältnisse zu einem gewissen Wohlstand. Die Kirchen waren in einem guten baulichen Zustand und die Menschen gingen ungehindert zu ihrem Pfarrer. Wallfahrten sowie große kirchliche Feste fanden in der Öffentlichkeit statt. Auf Trennung von Staat und Kirche wurde allerdings streng geachtet. Manche staatliche Maßnahme mutet allerdings mit Abstand als überzogen an.




Wer nun auf eine Geste der Versöhnung gewartet hatte, wurde wieder einmal enttäuscht. Die Eucharistiefeier mit ihrer überwiegend lateinischen Liturgie erlebten die Teilnehmer sehr emotional. Der gewaltige Klang der Gloriosa, verbunden mit großartigen Orgelklängen vermittelte ein Gänsehautgefühl. Zum Finale wurden noch einmal im Sinne des Wortes alle Register gezogen. Sichtlich bewegt, strömten die Pilger in alle Himmelsrichtungen durch die Straßen der Stadt. Manchem Pilger begegneten auf dem Weg auch Widerspruch und unangenehme Fragestellungen durch Gegner dieses Events. Ob die Proteste Wirkung hinterließen, ist kaum überprüfbar. Die verschiedenen Auffassungen scheinen verhärtet. In Zukunft sollte besser ein intensiver Dialog angestrebt werden. Der Papst war da, nun ist er wieder weg. Das Leben geht weiter und stellt neue Herausforderungen. (PK)


Online-Flyer Nr. 322  vom 05.10.2011



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