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Kommentar
Kommentar vom Fuße des Blauen
Mit Obama ist kein Staat zu machen
Von Evelyn Hecht-Galinski

Abbas hielt eine fulminante Rede, die alles an Menschenrechtsverletzungen und Unrecht, was die israelische Regierung dem palästinensischen Volk seit 63 Jahren antut, eindringlich an die Öffentlichkeit brachte. Er bekam "standing ovations", während Avigdor Lieberman den Saal verließ. Zwei Minuten später folgte Minister Yuri Edelstein, danach ging Israels UN-Botschafter Ron Prosor. Es schien, als flüchteten sie, weil sie die Aufzählung eigener Untaten - von ihnen täglich begangen und angeordnet - nicht mehr hören konnten. Es muss ihnen wie das Schofarblasen vorgekommen sein, was man auf einem Widderhorn macht, das zu Rosch Haschanah, dem Neujahrsfest, und Yom Kippur, dem Versöhnungsfest, benutzt wird, und ihnen (hoffentlich) in den Ohren dröhnte!  
 

Mahmud Abbas – bekam für seine Rede "standing ovations"
 
Ethnische Säuberung in Ost-Jerusalem, dem Westjordanland - Abbas sprach von den durch die israelische Armee Getöteten - auch am Tage dieser Rede gab es wieder einen unschuldig Getöteten im Westjordanland -, von der Willkür und Zerstörungswut der Siedler gegenüber den Palästinensern und ihrem Hab und Gut, von den Tausenden von Gefangenen und von der Blockade und Besatzung. Die Palästinenser sind die letzten Besetzten auf der Erde, und auch für sie sollte der arabische Frühling, sprich, der palästinensische Frühling, endlich kommen. Der aber kam in Gestalt von Netanjahu, der nicht gekommen war "um Applaus zu erhalten", nein, er kam im Namen von Israel "als Kerze und Licht" in der "Dunkelheit der UN". Ja in der Tat, er kam, um den Palästinensern "heim zu leuchten" - eine Lichtgestalt des jüdischen Staates - mit der ausgestreckten Hand, zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen, außer: Jerusalem, den Siedlungen und dem Rückkehrrecht für Palästinenser. Die Devise war: "Friss, oder stirb!".
 
Er kam als säkularer Politiker mit der Bibel in der Hand und berief sich auf Gott, der den Juden vor tausenden von Jahren Israel versprochen und gegeben hat. Netanjahu verlangt von den Palästinensern die Anerkennung als jüdischer Staat, die Palästinenser haben aber Israel bereits 1993 anerkannt. Wenn Israel seinen Namen in "jüdischer Staat" umändern will, muss es vor die UNO gehen und diese Namensänderung von allen Staaten absegnen lassen. Warum sollen ausgerechnet die Palästinenser Israel als jüdischen Staat anerkennen? Diese unannehmbare Forderung, einmalig auf der Welt, zeigt erneut, dass Israel alles will, nur keinen Frieden. Ebenso zeigen die Vorschläge des Nahost-quartetts, in denen keine Rede mehr von Siedlungsstopp, Grenzen von 1967, Teilung Jerusalems, geschweige denn vom Rückkehrrecht ist: diese "Vermittler" vermitteln nicht, sondern werden weiter hinhalten und hinauszögern, bis zum bitteren Ende, ohne greifbare Ergebnisse, aber damit Abbas, ohne Gesichtsverlust wieder in aussichtslose Verhandlungen einwilligt. Ein böses Spiel was diese Spieler gemeinsam dem palästinensischen Volk bieten.

Was schert den jüdischen Staat internationales Recht, Völkerrecht oder Menschenrechte, wenn Gott doch der einzige rechtmäßige Immobilienverkäufer ist, der den Juden, seinem auserwählten Volk, das Land Israel gegeben hat. Wohl aufgrund dieser Erkenntnis hat Israel auch eine neue Formel für den Begriff "besetzte Gebiete" gefunden. Es sind jetzt "umstrittene" Gebiete. In Deutschland hatte man ja den schon in der Welt einmaligen Begriff von "autonomen Gebieten".

Mal wieder einig gegen die Palästinenser: Netanjahu und Obama
NRhZ-Archiv 
 
Jedenfalls hat Netanjahu mit dieser Rede Israel weiter in die Isolation getrieben, mögen ihm auch Obama und der Kongress weiter "die Stange" halten. Hatte nicht der frühere amerikanische Präsident Bill Clinton Netanjahu Friedenswillen abgesprochen, weil dieser die Westbank nicht zurückgeben wollte? Daraufhin hatte Netanjahu im Weißen Haus angerufen, dass dieses sich von Clinton distanzieren sollte. Diese Aufgabe musste dann seine Frau Hillary Clinton als Außenministerin übernehmen. Netanjahu gab nun eine Vorstellung, wie sie entlarvender und beschämender nicht sein konnte, etwa, wenn er behauptete, nicht die Siedlungen seien das Problem, sondern sie seien als Reaktion auf den Konflikt entstanden. Als die Verhandlungen 1991 begannen, also während pro forma verhandelt wurde, entstanden immer neue Siedlungen, und die Palästinenser wurden von Beginn an immer nur hingehalten und betrogen. Die "Palestine Papers", die dieses Jahr in Al Jazeera vorgestellt wurden, zeigen in erschreckender Deutlichkeit, wie auch die Palästinensische Autonomiebehörde und Abbas Zugeständnisse über Zugeständnisse gegenüber Israel und den USA gemacht hatten, die schon an Verrat gegenüber dem palästinensischen Volk grenzten. Dafür benutzte Ali Abunimah, der brillante Analyst und Journalist, der in den USA die "Electronic Intifada" herausgibt, den Begriff von der "Vichy-Ramallah-Clique", diesen
Ausdruck benutzte er auch im vergangenen November auf der Palästina-Solidaritätskonferenz in Stuttgart.
 
Aus eben diesem Grund halte ich auch die noch so phantastische Rede von Abbas vor der Uno für eine Rede zum falschen Zeitpunkt. In Ramallah wurden Erwartungen geweckt, auch mit Hilfe von organisiertem Jubel, der vielleicht kurze Zeit anhalten wird und die Menschen dann umso tiefer in ein schwarzes Loch fallen lassen wird. Israel will alles, nur keinen Frieden. Netanjahu und andere israelische Politiker werden niemals wirklich gerechte Kompromisse machen, wie z.B. die Grenzen von 1967 einhalten, Jerusalem teilen und das verbriefte Recht auf Rückkehr der vertriebenen 6 Millionen Palästinenser anerkennen.
 
Warum sollten sie auch? Obama, hat es aufgegeben vom Siedlungsstopp oder den Grenzen von 1967 zu sprechen. Er, der inzwischen nur an seine Wiederwahl denkt und voll im Wahlkampf steht, lässt Israel gewähren, umgarnt die pro-israelische Lobby AIPAC und buhlt um seine wichtigen jüdischen Wähler, ist inzwischen zum "jüdischen Präsidenten" mutiert, wie es U.S.-amerikanische Zeitungen treffend schrieben. Allerdings ist es ziemlich fraglich, ob das den Israelis und jüdischen Wählern reicht, da sich die Republikaner und die Tea Party noch intimer an Israel anschleimen. Auch aus diesem Grund scheint mir dieser beginnende US-Wahlkampf äußerst ungünstig für die Wahl des Termins zur Staatsausrufung für Palästina.
 
Merke: Mit Obama ist kein Staat zu machen und sein Versprechen, den Palästinensern bis 2011 einen eigenen Staat zu liefern, kann und will er auch nicht einhalten. Das hat er mit Wirtschaftsminister Rösler gemeinsam: Der will auch liefern, kann es aber auch nicht. Die Zwei-Staaten-Lösung wird auch durch diesen Auftritt von Abbas nicht wahrscheinlicher, sondern durch die Haltung Amerikas immer unmöglicher gemacht. Kompromisse, wie sie wieder und wieder von den Palästinensern gefordert werden, haben diese bereits zur Genüge gemacht. Damit ist die Zwei-Staaten-Lösung wirklich zu einer Farce geworden, durch den Flickenteppich und den Landraub der Israelis. Durch die israelische Besatzung, Blockade, Besiedlung, mit immer neuen Gesetzen und Begriffen, die den Palästinensern das Leben zur Hölle machen. Unter ständiger israelischer Militärpräsenz, mit Checkpoints und Apartheidmauer wird diese Strangulierung immer unerträglicher. Nebenbei bemerkt: Auch Präsident Abbas muss, wenn er nach Ramallah zurückkehrt, über Checkpoints von Israels Gnaden wieder einreisen.
 
Israel hatte sich gut vorbereitet auf diesen Tag, 22.000 Soldaten und Polizisten waren im Westjordanland im Einsatz. In den Siedlungen rüsteten sich Patrouillen mit Tränengas und Schlagstöcken, Siedler-Frauen wurden an den Waffen ausgebildet. Die gute „Zusammenarbeit“ zwischen den Israelis und der palästinensischen Autonomiebehörde wurde von Israel gelobt. Was leider immer wieder von der deutschen Außenpolitik und deren Minister Westerwelle vergessen wird, wenn dieser immer mal wieder vollmundig in New York direkte Friedensverhandlungen und Kompromisse fordert: Deutsche Verantwortung besteht auch gegenüber den Palästinensern, die eben auch Opfer des Holocaust sind - wenn auch indirekt. Deutschland sollte nicht immer den USA hinterher "trotteln" und einseitig Partei für Israel ergreifen, unsere historische Verantwortung besteht auch für das palästinensische Volk.
 
Eben deshalb muss auch die Nakba-Leugnung aufhören. Dass man in Israel das Gedenken der Palästinenser an die Nakba, an ihre Vertreibung vor 63 Jahren, unter Strafe stellen will, ist eine Schande. Wie erzählte doch der ehemalige Israeli, heute in London lebende Aktivist für die Palästinenser und berühmte Jazz-Saxofonist Gilad Atzmon am 11. September auf der Freiburger Konferenz? Bis zu seinem 30. Lebensjahr habe er nichts über die Nakba gewusst. Versucht deshalb auch hierzulande die jüdische Lobby immer dort, wo eine Nakba-Ausstellung organisiert wird, diese zu verhindern? Holocaust-Gedenken ist wichtig, Nakba-Erinnerung aber eben auch. Beides gehört zur Geschichte der Juden und Palästinenser. Die Würde des Menschen ist unantastbar (und unteilbar), also haben die Palästinenser ein gleiches Recht, in Würde zu leben wie die Israelis, und es ist eine Schande wenn man ihnen diese Würde verweigert.
 
Am heutigen Samstag, dem 24. September, an dem ich diesen Kommentar schreibe, kommt der Stellvertreter von Christus auf Erden, Joseph Aloisius Ratzinger nach Freiburg. Dort sah ich eine Litfaßsäule, auf der stand: "Wir sind Papst" und "Ich bin Benedikt". Darunter klebte das Plakat einer Hausreinigungsfirma: "Wir bekehren Sie". Die jüdisch-christliche Leit/Leidkultur ist schon in Eintracht, dass zeigt sich immer wieder. So wie der Papst die Hoffnung auf mehr Ökumene enttäuschte, so ist für mich diese erst erreicht, wenn Christen aller Richtungen, Muslime und Juden in Deutschland zusammen eingebunden werden (insbesondere bei ökumenischen Gottesdiensten, wie z.B. am 3.Oktober). „Falsche Ökumene“ wird sich darstellen, wenn am 23. Oktober wieder Tausende zum Israel-Unterstützer-Kongress nach Frankfurt gebracht werden, dann trifft sich die Creme de la Creme der christlichen Zionisten und philosemitischen Israel-Versteher in trauter Eintracht. Ich werde zu gegebener Zeit auch darüber berichten. Ähnlich wie der Pontifex als "Brückenbauer" nur 5 Missbrauchsopfer empfing, obwohl ihn viele mehr sehen wollten, und der Vatikan nur 2 Millionen für alle Missbrauchsopfer übrig hat, während die aktuelle Papstreise allein den Vatikan über 30 Millionen Euro kostete, so hat der Zentralrat auch nichts für die "Wiedergutmachung" der Entrechtung der Palästinenser übrig. Man wird sich sicher auch in Frankfurt in christlich/jüdisch/zionistischem Verständnis begegnen.
 
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, sah den Papst in Berlin und die ehemalige Präsidentin Charlotte Knobloch trifft ihn heute in Freiburg. Mein Fazit: Israel wird mit unserer und besonders mit USA-Hilfe täglich neue Tatsachen schaffen, täglich neue Gesetze einbringen, täglich neue Forderungen aufstellen, die einen Frieden unmöglich machen und es für die Palästinenser (gewollt) unmöglich machen, menschenwürdig zu leben. Die ganze Welt hat ihren Aufschrei gehört und gesehen und kennt das Unrecht, duldet es aber schweigend. Damit muss endlich Schluss sein! Ich schäme mich als deutsche Jüdin für diese Politik gegenüber dem palästinensischen Volk. Genug ist genug, die Zeit ist reif für die Anerkennung eines Palästina/Israel, eines Staates für Muslime, Juden, Christen und Nichtgläubige auf gleicher Augenhöhe. Die Zeit ist reif für einen palästinensischen Frühling. (PK)
 
Evelyn Hecht-Galinski ist Publizistin und Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Mit diesem Kommentar setzt sie ihre Serie fort, die sie "vom Fuße des Blauen", ihrem 1186 m hohen "Hausberg" im Badischen, schreibt.


Online-Flyer Nr. 321  vom 28.09.2011



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