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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Literatur
Ein Gedicht des Feuilletonredakteurs der Neuen Rheinischen Zeitung
Heute morgen fuhr ich nach Düsseldorf
Von Georg Weerth (um 1848)

Heute morgen fuhr ich nach Düsseldorf
In sehr honneter Begleitung:
Ein Regierungsrat – der schimpfte sehr
Auf die Neue Rheinische Zeitung.
 















Georg Weerth
Quelle: wikipedia
 
„Die Redakteure dieses Blatts“,
so sprach er, „sind sämtlich Teufel;
sie fürchten weder den lieben Gott
noch den Ober-Prokurator Zweiffel.
 
Für alles irdische Missgeschick
Sehn sie die einzige Heilung
In der roten rötlichen Republik
Und vollkommener Güterteilung.
 
Die ganze Welt wird eingeteilt
In tausend Millionen Parzellen;
In so viel Land, in so viel Sand
Und in so viele Meereswellen.
 
Und alle Menschen bekommen ein Stück
Zu ihrer speziellen Erheitrung –
Die besten Brocken: die Redakteur’
Der Neuen Rheinischen Zeitung.
 
Auch nach Weibergemeinschaft steht ihr Sinn.
Abschaffen wolln sie die Ehe:
Dass alles in Zukunft ad libitum
Miteinander nach Bette gehe.
 
Tartar und Mongole mit Griechenfraun,
Cherusker mit gelben Chinesen,
Eisbären mit schwedischen Nachtigalln,
Türkinnen mit Irokesen.
 
Tranduftende Samojedinnen solln
Zu Briten und Römern sich betten,
Plattnasige düstre Kaffern zu
Alabasterweißen Grisetten.
 
Ja, ändern wird sich die ganze Welt
Durch diese moderne Leitung –
Doch die schönsten Weiber bekommen die
Redakteure der Rheinischen Zeitung!
 
Auflösen wollen sie alles schier;
Oh, Lästrer sind sie und Spötter;
Kein Mensch soll in Zukunft besitzen mehr
Privateigentümliche Götter.
 
Die Religion wird abgeschafft,
nicht glauben mehr soll man an Rhenus,
an den nusslaub- und rebenbekränzten, und nicht
an die Mediceische Venus.
 
Nicht glauben an Castor und Pollux – nicht
An Juno und Zeus Kronion,
An Isis nicht und Osiris
Und an deine Mauern Oh Zion!
 
Ja, weder an Odin glauben noch Thor,
An Allah nicht und an Brahma –
Die neue Rheinische Zeitung bleibt
Der einzige Dalai Lama“.
 
Dann schwieg der Herr Regierungsrat,
Und nicht wenig war ich verwundert:
"Sie scheinen ein sehr gescheiter Mann
Für unser verrückt Jahrhundert!
 
Ich bin entzückt, mein werter Herr,
von Ihrer honnetten Begleitung –
ich selber bin ein Redakteur
von der Neuen Rheinischen Zeitung.
 
Oh, fahren Sie fort, so unsern Ruhm
Zu tragen durch alle Lande –
Sie sind als Mensch und Regierungsrat
Von unbeschränktem Verstande.
 
Oh, fahr er fort, mein guter Mann –
Ich will ihm ein Denkmal setzen
In unserm heitern Feuilleton –
Sie wissen die Ehre zu schätzen.
 
Ja, wahrlich, nicht jeder Gimpel bekommt
Einen Tritt von unsern Füßen –
Ich habe, mein lieber Regierungsrat,
die Ehre, Sie höflich zu grüßen."
 
 
Georg Weerth (1822 – 1856) war ein aus einer Pfarrerfamilie stammender Kaufmann, Schriftsteller, Satiriker und Journalist. 1845 lernte er Karl Marx und Friedrich Engels kennen, schloss sich der kommunistischen Bewegung an und half im April 1848 Engels und Marx in Köln bei der Gründung der Neuen Rheinischen Zeitung. Bis zum Verbot der NRhZ arbeitete Weerth als Redakteur mit und leitete das Feuilleton. Sein hier wiedergegebenes Gedicht hat uns der Kölner Schriftsteller Erasmus Schöfer, u.a. Autor der Roman-Tetralogie "Die Kinder des Sisyfos" zukommen lassen.


Online-Flyer Nr. 321  vom 28.09.2011



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