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Lokales
Wie Kölns Polizei und Staatsschutzstelle auf Volksverhetzung reagieren
Keine Zeit für Neonazis?
Von Peter Kleinert

Am 8. August schickte Ulrike Vestring vom Bonner Friedensbündnis dem Leitenden Oberstaatsanwalt in Köln "mit freundlichen Grüßen" einen Brief, in dem sie diesen auf drei Neonazis aufmerksam machte, die am 22. Juli dem engagierten Kölner Bürger Klaus Franke im Innenhof der Maybachstraße 167 von einem Auto aus "per Lautsprecher nazistische und rassistische Parolen" in seine Wohnung gebrüllt und dann versucht hatten, ihm seine "Kamera zu entreißen". Sie bat - weil die Polizei auf eine Anzeige des sich bedroht fühlenden Klaus Franke nicht reagiert hatte - darum, "die Vorgänge auf alle in Frage kommenden Straftatbestände, besonders auf Volksverhetzung zu prüfen."

Die drei Männer nach ihren Naziparolen vom Innenhof der Kölner Maybachstraße 167
Foto: Klaus Franke
 
Franke hatte Ulrike Vestring, die er durch ihre engagierte Friedensarbeit kennen gelernt hatte, über den Vorfall telefonisch informiert und um Hilfe gebeten, denn, so ihr Brief an den Leitenden Oberstaatsanwalt, er fühle sich nicht zum ersten Mal bedroht: "Dieser Hof, in dessen unterem Stockwerk sich Läden und Büros befinden, ist über eine Seitenstraße durch eine Tag und Nacht geöffnete Zufahrt jedermann zugänglich."

Auszüge aus dem Brief an den LOsta Heiko Manteuffel: "Vom Balkon seiner im 4. Stock gelegenen Wohnung beobachtete Klaus Franke im Hof einen blauen Fiat, dessen Nationalitätenschild auf Herkunft aus Rumänien schließen ließ. Bei dem Wagen stand ein Mann, der über Megaphon Naziparolen verbreitete. Dann verließ das Auto den Innenhof, drehte einige Runden um den nahegelegenen Ebertplatz bis in den Hansa-Ring hinein und erschien nach ca. 15 Minuten wieder im Innenhof. Klaus Franke hatte inzwischen seinen Fotoapparat aus der Wohnung geholt und es gelang ihm, aus einem Eingang heraus zunächst unbemerkt ein Foto von den drei Männern im oder am Auto zu machen. Auf dem Foto sind die Gesichter sowie das Kennzeichen des Autos klar zu erkennen."
 

Kölns Leitender Oberstaatsanwalt
Heiko Manteuffel
"In diesem Augenblick hatte einer der Insassen den fotografierenden Klaus Franke bemerkt. Er kam auf ihn zu mit den Worten „Was machst du da?" und versuchte, ihm die Kamera zu entreißen. Das wäre wohl auch gelungen, wenn nicht im selben Augenblick eine Passantin mit Kinderwagen in unmittelbarer Nähe erschienen wäre. Klaus Franke rief laut um Hilfe, darauf ging der Angreifer zum Auto zurück, jedoch nicht ohne Klaus Franke vorher ins Gesicht zu spucken. Das Auto fuhr davon.

Von seiner Wohnung rief Klaus Franke den Polizei-Notruf 110 an. Dort beschied man ihn, man habe viel zu tun. Es könne Stunden dauern, bis man vor Ort sein könne. Allerdings stellte man ihm anheim, bei der zuständigen Polizeiwache Anzeige zu erstatten. Klaus Franke druckte das Foto im nah gelegenen Drogeriemarkt aus und begab sich zur Polizeistation Stolkgasse, 50676 Köln. Auf dem Weg dahin wurde ihm klar, wo er den Angreifer, der ihm zuvor vage bekannt vorgekommen war, schon einmal gesehen hatte: als Teilnehmer an einem Treff von möglicherweise alkoholabhängigen und drogensüchtigen Wohnungslosen am U-Bahn-Eingang Ebertplatz."
 

Klaus Franke im Gespräch mit Passanten auf
der Kölner Domplatte
Auf der Polizeiwache erstattete Klaus Franke Anzeige gegen Unbekannt wegen Körperverletzung und versuchtem Raub. "Seine Anzeige wegen Volksverhetzung unter Vorlage des Fotos", so der Brief an Manteuffel, "wurde nicht angenommen. Begründung: dafür sei die Staatsschutzstelle zuständig. Allerdings berichtete eine diensthabende Polizistin, sie habe dieselben Leute am gleichen Tag mit ähnlichen Aktionen bei der Alten Feuerwache beobachtet. Da sie nicht im Dienst war, habe sie keinen Anlass gesehen, gegen deren nazistische Parolen einzuschreiten oder sie anzuzeigen. In Begleitung dieser Polizistin wurde Klaus Franke sodann im Streifenwagen zur Staatsschutzstelle gefahren. Dort schilderte er den Tathergang und legte das Foto vor. Eine Anzeige wegen Volksverhetzung konnte er auch dort nicht erstatten, man sagte ihm aber, die Angelegenheit würde weiter verfolgt."

In diesem Zusammenhang erinnerte Klaus Franke Ulrike Vestring an einen Vorfall bei der Klagemauer auf der Domplatte am 9. April 2011. "Dabei", so erfuhr auch Manteuffel durch den Brief, "wurde er von drei maskierten Männern angegriffen und verletzt. Sie gehörten zu einer Gruppe von ca. 30 schwarz Vermummten, die vor dem Dom verbotene Flaggen zeigten und nazistische Parolen grölten. Die Gruppe wurde später von der Polizei zum Hauptbahnhof gebracht und in einen Zug gesetzt. Personalien wurden nicht festgestellt. Klaus Frankes Anzeige wegen Volksverhetzung wurde sowohl von der Polizei wie von der Staatsschutzstelle abgelehnt: es gebe keine Zeugen und die Täter seien nicht identifiziert worden. Das Verfahren gegen die Gruppe wurde bereits vier Wochen später eingestellt. Die beiden in diesem Zusammenhang benannten Zeugen wurden nicht vernommen."

"Am Freitag, 5. August, berichtete Klaus Franke von einem Telefonanruf eines Herrn Schröder, "wahrscheinlich von der Staatsschutzstelle Köln". Herr Schröder habe ihm gesagt, ein Auto mit dem von ihm fotografierten Kennzeichen sei der Kölner Polizei vor Jahren aufgefallen. Im Übrigen könne die Polizei nicht jedem Drogenabhängigen hinterher laufen. Und schließlich: Anträge wie der von Klaus Franke vorgebrachte gehörten in den Müll", erfuhr der Leitende Oberstaatsanwalt nun aus Ulrike Vestrings Brief. Diese schrieb weiter an Manteuffel: "Ich kenne Klaus Franke seit längerem als engagierten aktiven Mitarbeiter der „Kölner Klagemauer". Im vergangenen Jahr hatte ich Gelegenheit, die Verhandlung vor dem Amtsgericht Köln zu verfolgen, in der er von einem gegen ihn erhobenen Vorwurf wegen „Volksverhetzung" frei gesprochen wurde. Bei dieser und anderen Gelegenheiten habe ich Klaus Franke als einen besonnenen Menschen erlebt, der aus Überzeugung gegen Rassismus und Rechtsradikalismus auftritt. Auf Grund seiner eigenen Lebenserfahrung setzt er sich für soziale Belange ein. Seine Präsenz an der Kölner Klagemauer ist für ihn ein Friedensdienst, den er mit Gewissenhaftigkeit und bewundernswerter Zivilcourage versieht. Dabei wurde er bereits des Öfteren angespuckt, beschimpft und bedroht.

Ich mache mir Sorgen um Klaus Frankes Sicherheit. Um ihn zu schützen, müssen Angriffe wie die oben beschriebenen verfolgt, die Täter identifiziert und Zeugenaussagen verwertet werden. Außerdem teile ich die Beunruhigung über die offenbar ungestraft mögliche öffentliche Verbreitung von Naziparolen. Ich bitte nachdrücklich, die Vorgänge auf alle in Frage kommenden Straftatbestände, besonders auf Volksverhetzung zu prüfen. Ich bitte, mir den Eingang dieses Schreibens zu bestätigen und mich über das Veranlasste zu unterrichten."
 
Zu ihrem oben wiedergegebenen Brief an Manteuffel habe Klaus Franke ihr gegenüber noch eine Anmerkung gemacht, so Ulrike Verstring zur NRhZ: "Bei dem Staatsschutz habe ich betont, dass ich sehr betroffen über die Naziparolen war, weil mein Vater einige Jahre im Arbeitslager im Steinbruch als Zwangsarbeiter am Westwall interniert war! Er war Halbjude."

Endlich - am 20. August - erhielt Ulrike Vestring von der Staatsanwaltschaft Köln unter dem Datum vom 18.8.11 und dem Aktenzeichen 121 UJs 293/11 folgendes Schreiben: "Sehr geehrte Frau Vestring, das auf Ihre Strafanzeige am 18.08.2011 eingeleitete Verfahren wird hier unter dem oben angegebenen Aktenzeichen bearbeitet. Hochachtungsvoll..." - Die NRhZ wird über das Verfahren berichten.
 
Abschließend ein Text neben dem Foto von Heiko Manteuffel auf der Webseite der Kölner Staatsanwaltschaft: "Wir freuen uns, Ihnen auf diesem Weg unsere Behörde und ihre Aufgaben vorstellen und Ihnen Informationen über die Staatsanwaltschaft und Hilfeleistungen anbieten zu können. Wir möchten unser Angebot ständig verbessern und sind auf Ihre (auch kritischen) Anregungen gespannt, die wir - soweit es uns möglich ist - gerne aufgreifen." (PK)


Online-Flyer Nr. 316  vom 24.08.2011

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