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Lokales
Verwaltungsgericht Köln stärkt Meinungsfreiheit im öffentlichen Raum
Platzverweis für KVB und Polizei
Von Jochen Lubig

Bürgerrechte, Stadt Köln, Polizei und KVB - kann das gut gehen? Es kann, allerdings wohl nur, wenn im Verwaltungsgericht drei Berufsrichter sitzen, die die Rechtslage als „äußerst interessant" einstufen, sich mit unverhohlener Freude ins Verfahren stürzen und den angemaßten Monopolinhabem dieser Stadt ein paar Leviten lesen. Unser Gerichtskorrespondent hat die Lektüre mitgehört. - Die Redaktion.



Köln, mal wieder! Nein - ausnahmsweise nicht der berühmte Kölner "Klüngel". Diesmal geht es um Grundrechte und um "öffentlichen Raum" und darum, wer dort das Sagen hat. Und nicht zuletzt darum, ob eine erwünschte "Wohlfühlatmosphäre", hier speziell für die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB), aber auch die Stadtverwaltung und ein wenig noch für die Polizei, unbedingt über Grundrechten rangiert oder bedingt hinter diesen zurückzustehen hat.
 
Was war passiert?
 
Ein „ereignisreicher Tag" mit der KVB: Die Stadt Köln und die Kölner Verkehrs-Betriebe luden zu einer Veranstaltung unter dem Titel „Autofreier Tag - 20.09.2009 auf der Rheinuferstraße!" und versprachen ein „Großes Rahmenprogramm mit Purple Schulz und den Domstürmern." Eine amtlich angeordnete Wohlfühlatmosphäre also.
 
Für einen Teil des Fußweges der Rheinuferstraße hatte man sich die Berechtigung erwirkt, Buden - Verzeihung - Informationsstände aufzubauen. Eine städtische Sondernutzungsgenehmigung machte es möglich. „Erleben Sie mit uns gemeinsam einen ereignisreichen Tag!", lautete die Aufforderung im gemeinsamen Faltblatt von Stadt und KVB.
 
...doch nicht an jedes "KVB-Ereignis" darf erinnert werden
 
Das war der Rahmen, den ein wackerer Flugblattverteiler nutzte, um an vergangene Ereignisse zu erinnern und um vor zu befürchtenden zukünftigen Ereignissen zu warnen: „U-Bahn-Desaster kostet 1,2 Millionen extra" und „Trotz neuer Tunnel-Planung sollen 110 Bäume der Rheinufer-Lindenalle weg. U-Bahn-Fehlplanung bleibt Fehlplanung.", titelten die beiden Flugblätter, die der bekannte Kölner Öko-Aktivist Otmar Lattorf dort munter verteilte.
 
Dies brachte aber die Ereignis-Planung der Kölner Verkehrs-Betriebe zum Einsturz und die mitwirkende Stadt Köln auf den Plan. Amtlich wurde es schon mit der Aufforderung, das Verteilen von Flugblättern einzustellen. Aber hoheitlich wurde es um 13 Uhr 13 Minuten und 55 Sekunden, wie man dem Einsatzbericht der Polizei entnehmen kann. Mit der „Prioritätsstufe 5" wird dort verzeichnet, dass ein Eingreifen im Rahmen der Amtshilfe notwendig wurde.
 
„Hausrecht" nach kölscher Art
 
Die Aussagen widersprechen sich, doch kann man davon ausgehen, dass sich Stadt und herbeigerufene Polizei auf ein „Hausrecht" beriefen und einen Platzverweis mit im Weigerungsfalle anschließender Ingewahrsamnahme entweder aussprachen oder androhten. Der Störer des behördlichen Wohlbefindens wich der Gewalt und stellte die Verteilung der Flugblätter ein.
 
Eine daraufhin eingereichte Beschwerde beim Polizeipräsidium Köln wurde tatsächlich drei Monate später beantwortet, wobei man sich für die lange Bearbeitungszeit mit dem Hinweis, dieser Sachverhalt verlange „allerdings" eine eingehende Prüfung, entschuldigte.
 
Grundrechtsverletzer erteilt staatsbürgerlichen Unterricht
 
Die Polizei zeigte Verständnis für die Beschwerde: „Schließlich wurde Ihr Recht auf freie Meinungsäußerung tangiert." Mehr noch, man dozierte sogar im Sinne des Störers: „Dieses Grundrecht ist ein wichtiger Bestandteil unserer Demokratie." Es wurde in dieser Einleitung jedoch nicht erläutert, inwiefern das "Hausrecht" eines Verkehrsbetriebes im teilgemieteten öffentlichen Raum ein genauso wichtiger, wenn nicht sogar ein noch erhabenerer Bestandteil unserer Demokratie sei. Aber dazu geben die folgenden Ausführungen sicher einige Fingerzeige.
Im Kern ging es dem Schreiben des Polizeipräsidiums um den Gegensatz von freier Meinungsäußerung und der „ordnungsbehördlichen Erlaubnis zur Nutzung öffentlichen Straßenlandes" - aber nicht etwa in der Art des Preußischen Obrigkeitsstaates. Natürlich hätten die Herren in Pickelhaube das Flugblattverteilen auch verboten, aber sie hätten sicher keinerlei Verständnis für die Wirkung beim Bürger gehabt.
 
Anders die Kölner Polizei: „Für Sie persönlich mag die Androhung weiterer Maßnahmen, insbesondere einer Ingewahrsamnahme wie eine Bedrohung wirken und verständlicherweise regt sich bei Ihnen eine Abneigung gegen diese polizeiliche Maßnahme." Man hätte es nicht treffender formulieren können.
 
Mangelnde Rechtskenntnis legitimiert den Grundrechtseingriff
 
Aber: Die Polizei konnte eben nicht tatenlos zusehen, wie das hohe Gut des Hausrechts missachtet wurde und musste, so wie es der gesetzliche Auftrag der Polizei vorsieht, einschreiten, um eine drohende Straftat zu verhindern: „Würde die Polizei daneben stehen und nicht die Rechte anderer schützen, wäre das falsch und würde rechtlich eine Strafvereitelung darstellen.", heißt es weiter im Antwortschreiben.
 
Hier irrt aber der Beamte, denn eine Strafvereitelung verübt, so Paragraph 258 des Strafgesetzbuches, „wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft wird." Das hat nichts mit dem angeführten präventiven Einschreiten zu tun.
 
Aber vielleicht konnte man in diesem Falle nicht automatisch von einem allzu großen Verständnis für die Rechtslage ausgehen. Dieser Meinung war wohl auch unser immer noch nicht zufriedener Störer der guten (städtischen) Laune. Er rief das Kölner Verwaltungsgericht an und verklagte die Polizei bzw. das Land Nordrhein-Westfalen. Dort kam die Sache nun zur mündlichen Verhandlung.
 
Gerichtliche Grundrechtskunde für die Polizei
 
Auf den Mund gefallen war der Vorsitzende Richter ganz und gar nicht. Er überschüttete den beim Chronisten schon Mitleid erzeugenden Vertreter des Landes NRW mit einer ganzen Litanei von Rechtsstandpunkten, die aber auch rein gar nichts mit den Standpunkten der Polizei und der Stadt Köln zu tun hatten. Zusammengefaßt: Eine Befugnis zur „Aufstellung von Buden" reicht nun mal nicht aus, ein irgendwie geartetes Hausrecht zu konstruieren.
 
Doch selbst bei einem unterstellten Hausrecht hätte das Verteilen der Flugblätter nicht untersagt werden dürfen. Dazu wurde das erst kürzlich - im Zusammenhang mit Protesten gegen Abschiebeflüge auf dem Frankfurter Airport - ergangene „Fraport-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts zitiert, welches solche Aktivitäten z.B. auch innerhalb von Flughafengeländen erlaubt. (1)
 
Auch war keinerlei Störung der Veranstaltung von Stadt und KVB zu erkennen. Somit bliebe alleine das Unbehagen der KVB- und Stadtverantwortlichen infolge des kritischen Flugblattinhalts als Grundlage des Polizeieingriffs übrig. Doch in solch einem Fall, so schrieb das Bundesverfassungsgericht im „Fraport-Urteil" fest, „kann das Verbot des Verteilens von Flugblättern insbesondere auch nicht auf den Wunsch gestützt werden, eine 'Wohlfühlatmosphäre' in einer reinen Welt des Konsums zu schaffen, die von politischen Diskussionen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen frei bleibt."
 
In diesem Urteil zitierte, so die Rechtsvorlesung des Vorsitzenden Richters weiter, das Bundesverfassungsgericht ferner seinen eigenen schon zehn Jahre alten „Schockwerbungs"-Entscheid vom 12. Dezember 2000 (2), in dem es hieß: „Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf."
 
Das aber kann nicht nur für Bürger, sondern muß auch für Ordnungsbehörden und Einrichtungen des öffentlichen Personennahverkehrs gelten - so meinten jedenfalls die Kölner Verwaltungsrichter. Und - nur unter uns -: Das unbeschwerte Gemüt der Kölner Verkehrs-Betriebe kann in dieser Stadt sowieso kaum noch erreicht werden.
 
Hoffentlich mit Lerneffekt...
 
Die Parteien einigten sich im Lichte dieser Rechtserkenntnisse darauf, dass die Klage durch eine Erklärung des Landes Nordrhein-Westfalen erledigt wurde. Diese Erklärung endet mit der lapidaren Feststellung, dass „der erteilte (oder nicht erteilte) Platzverweis nicht rechtmäßig war."
 
Ein schöner Satz für das Poesiealbum der Behörden. Ob sie gelegentlich einmal darin lesen werden?
 
(1) BVerfG Urteil vom22. Februar 2011; 1 BvR 699/06; einsehbar unter
http.7/www.bundesverfassunqsqericht.de/entscheidunqen/rs20110222 1bvr069906.html
(2) BVerfGE 102, 347- „Schockwerbungsurteil 1" - 1 BvR 1762/95 ; 1 BvR 1787/95
sowie
BVerfGE 107, 275 - „Schockwerbungsurteil 2" vom 11. März 2003, -1 BvR 426/02


Online-Flyer Nr. 304  vom 01.06.2011

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