NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

Fenster schließen

Lokales
Ankündigung des Kölner Polizeipräsidenten – und was davon zu halten ist
„Die sicherste Stadt Deutschlands“
Von Klaus Jünschke

In den vergangenen Jahren hat Klaus Jünschke immer wieder die Veröffentlichung der Polizeilichen Kriminalstatistik in der NRhZ kritisch kommentiert. Jetzt kritisiert er vor der Präsentation der polizeilichen Daten, dass sich die Politik in Köln aus der Kriminaltätsdebatte heraushält und sie den Medien überlässt. – Die Redaktion
 

Kölns Polizeipräsident Klaus
Steffenhagen
Kölns Polizeipräsident Klaus Steffenhagen hatte vor sieben Jahren angekündigt, Köln werde bis 2010 zur sichersten Stadt Deutschlands. Am 9.2.2011 veröffentlichte Polizeireporter Tim Stinauer im Kölner Stadt-Anzeiger einen Artikel, in dem er daran erinnerte: „Polizei verpasst das große Ziel“. Danach gilt München nach wie vor als die Stadt mit der günstigsten Kriminalstatistik. Das bedeutet, dass die Bayrische Landeshauptstadt die Stadt in Deutsch- land mit den wenigsten registrierten Straftaten pro 100.000 Einwohner ist. Die Kölner Polizeiführung hat für ihre Niederlage im Wettbewerb mit München eine einfache Erklärung – Personalman- gel. Aus der Landeshauptstadt Düsseldorf wurde auch schon signalisi- ert, dass Köln in den nächsten Jahren mehr Polizistinnen und Polizisten zugeteilt bekommen wird. Und Klaus Steffenhagen hat versprochen, kleinere Brötchen zu backen: er will Köln nicht mehr mit München, sondern nur noch mit anderen Städten in Nordrhein-Westfalen vergleichen, z.B. mit Dortmund und Essen.
 
Diese Schlichtheit, mit der Klaus Steffenhagen mit mehr Personal die Zahl der Straftaten in Köln senken will, hat die Polizei selbst längst hinter sich gelassen.
 
Wer zur Polizei gehen will, muss Abitur haben. Und zu den Inhalten ihrer Ausbildung an den Fachhochschulen gehört ganz selbstverständlich nicht nur Kriminalistik sondern auch Kriminologie. In der Polizeiführungsakademie in Münster (www.dhpol.de) steht nicht nur Kriminalpolitik im Lehrplan, es gibt ein ganzes Fachgebiet Kriminologie und interdisziplinäre Kriminalprävention. Leiter des Fachgebiets Allgemeine Polizeiwissenschaften an dieser Hochschule ist Prof. Dr. Joachim Kersten, der sich schon vor 20 Jahren mit Jugendgangs und der Funktion des Geschlechts bei der Kriminalisierung junger Männer auseinandersetzte.
 
Auch der Polizei-Newsletter (www.polizei-newsletter.de ), den Prof. Dr. Thomas Feltes an der Bochumer Ruhruniversität herausgibt, macht deutlich, dass sich die Auseinandersetzung mit sinkenden oder steigenden Kriminalstatistiken nicht im Ruf nach mehr Polizei erschöpft. In der Februar-Ausgabe dieses Newsletters wurde z.B. auf die Strafvollzugsstatistik 2010 verwiesen, die vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht worden ist (https://www-ec.destatis.de/csp/shop/sfg/bpm.html.cms.cBroker.cls?CSPCHD=0000000100004kujughX0000003wx7mgybRQBQ3tw6jPc16Q--&cmspath=struktur,vollanzeige.csp&ID=1026530) Aus dieser Statistik kann man erfahren, dass in den deutschen Jugendgefängnissen im Jahr 2000 am Stichtag 31.3. fast 7.400 Gefangene einsaßen und 2010 nur noch 6.184. Von diesen Insassen des Jugendstrafvollzugs im Alter von 14 bis 24 waren nur 205 weiblich. Aber bei der Auseinandersetzung um das Thema „sichere Stadt“ kommt das Geschlecht der Täterinnen und Täter nicht vor.
 
Nichts davon in der Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Zahl der Straftaten gesenkt werden könnte. Das Thema wird den Rechtspopulisten und den Boulevard-Zeitungen überlassen. Sarrazin lässt grüßen.
 
Dass die Polizei mit ihren Mitteln dem sozialen Phänomen Kriminalität nicht beikommen kann, wissen alle Polizisten und alle Politiker. Daher ist das Ausbleiben einer Auseinandersetzung mit Law-and-Order in Köln umso erstaunlicher, weil hier in der Stadtspitze mehr Ex-Polizisten präsent sind, wie vermutlich in keiner anderen Stadt. Oberbürgermeister Jürgen Roters war Polizeispräsident in Köln, der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Rat, Winrich Granitzka, war Kölns oberster Kripo-Chef, und DGB-Chef Andreas Kossiski kam über seine Mitarbeit im Deutschen Forum für Kriminalprävention von Hamburg nach Köln.
 
In der NRhZ war am 6. Mai 2009 ein Interview zu lesen, das Anneliese Fikentscher mit Andreas Kossiski am 1.Mai 2009 führte www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13744. Er spricht in dem Interview vom Bündnis „Köln stellt sich quer“, das der DGB maßgeblich gegen den Anti-Islamisierungskongress von „Pro Köln“ organisierte und von der Berliner Gewerkschaftsdemonstration für ein soziales Europa. Er erzählt ausführlich aus seinem Leben, auch aus seiner Arbeit bei der Polizei. Aber zu der ihm bekannten Tatsache, dass in den Gefängnissen die Ärmsten und Ohnmächtigsten aus der Gesellschaft nahezu unter sich sind, kein Wort.
 

Andreas Kossitzki – Kölns DGB-Chef
NRhZ-Archiv
In Köln hat sich meines Wissens neben Prof. Dr. Michael Walter von der kriminologischen Forschungsstelle, nur Jörn Foegen, der verstorbene Leiter des Kölner Gefängnisses, für eine nichtautoritäre Kriminalpolitik öffentlich zu Wort gemeldet. Ohne ein politisches Echo.
 
Aus der Erfahrung, dass nahezu jeder zweite männliche Insasse der JVA suchtkrank war und über 70% der Gefangenen in der Frauenabteilung, hat Jörn Foegen immer wieder eine an Leidverminderung orientierte Drogenpolitik gefordert. Nach mehrjährigen Modellversuchen in mehreren Großstädten hat der Bundestag im Juli 2010 ein Gesetz verabschiedet, das Heroin als Medikament für Schwerstabhängige legalisiert. Beim letzten Treffen des Kölner Arbeitskreises Straffälligenhilfe hatte ich die Gelegenheit, Sozialarbeiterinnen der Drogenhilfe zu fragen, ob sie Auswirkungen dieses Gesetzes im Alltag erfahren haben. Sie haben das verneint. Statt dass den vielen Tausend Heroinabhängigen in Köln Zugang zu ihrer Droge gewährt wird, lässt man sie weiter in einem Alltag mit Beschaffungskriminalität und Prostitution.
 
Gegen die Kölner Jugendrichter wurde eine perfide Kampagne in den Boulevardmedien geführt, weil sie angeblich zu lasch gegen straffällig gewordene Jugendliche sind. Dabei sagen alle verfügbaren Rückfallforschungen, dass es die härtesten Maßnahmen gegen diese Jugendlichen sind, nämlich der Arrest und die Jugendstrafe ohne Bewährung, die zu 80% Rückfälle nach sich ziehen. Wieso sprechen sich Oberbürgermeister und DGB-Chef nicht offensiv gegen die Einsperrung von Jugendlichen aus? (PK)


Online-Flyer Nr. 291  vom 02.03.2011



Startseite           nach oben