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Inland
Nächste Runde im Prozess gegen Verfassungsschutz im Verwaltungsgericht Köln
Zur Langzeitüberwachung von Rolf Gössner
Von Peter Kleinert

Am Donnerstag, 20. Januar, findet der zweite und letzte mündliche Verhandlungstermin im Verfahren von Dr. Rolf Gössner gegen die Bundesrepublik Deutschland im Verwaltungsgericht Köln statt. Es wird dabei um die Frage gehen, ob die vier Jahrzehnte lange geheimdienstliche Beobachtung des Klägers und Vizepräsidenten der Internationalen Liga für Menschenrechte (ILMR) durch das beklagte Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ganz oder teilweise rechtmäßig oder rechtswidrig war. Bereits vor dem ersten Termin war es Ende 2008 zu einem großen Erfolg in diesem Verfahren gekommen - der Einstellung der Beobachtung Gössners - der ohne Klage wohl nie zustande gekommen wäre. (1)
 

Dr. Rolf Gössner
NRhZ-Archiv
Rolf Gössner, der in diesem Verfahren von ver.di - Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union und vom Verband Deutscher Schriftsteller unterstützt wird, stand, wie die ILMR mitteilt, seit 1970 ununterbrochen unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Das begann in seiner Zeit als Jurastudent, später als Gerichtsreferendar und wurde ein Arbeitsleben lang in allen seinen beruflichen und ehrenamtlichen Funktionen fortgesetzt: als Publizist, Rechtsanwalt und parlamentarischer Berater, später auch als Präsident und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und als Mitherausgeber des alljährlich erscheinenden Grundrechte-Reports. Auch als er 2007 gewähltes Mitglied der Innendeputation der Bremer Bürgerschaft wurde, und selbst als stellvertretenden Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen beobachtete ihn das BfV weiter. Erst Ende 2008, kurz vor der ersten mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht Köln, wurde die Beobachtung überraschend und mit erstaunlicher Begründung eingestellt.
 
"Die Beobachtung des Klägers“ sei "nach aktuell erfolgter Prüfung durch das Bundesministerium des Innern und das Bundesamt für Verfassungsschutz eingestellt worden... Die hier zum Kläger erfassten Daten werden ab sofort gesperrt. Von der Löschung der Daten wird - trotz ihrer Löschungsreife - insbesondere wegen der anhängigen Auskunftsklageverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss der Verfahren abgesehen", teilte das BfV damals mit.
 
Es dürfte die längste Dauerbeobachtung einer unabhängigen Einzelperson durch den Geheimdienst gewesen sein, die bislang dokumentiert werden konnte - ohne dass diese jemals selbst als „Extremist“ oder „Verfassungsfeind“ eingestuft wurde.
 
Zur Last gelegt werden dem Kläger berufliche und ehrenamtliche Kontakte zu angeblich "linksextremistischen“ und "linksextremistisch beeinflussten“ Gruppen und Veranstaltern – wie etwa DKP, Rote Hilfe oder die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), aber auch zu Presseorganen wie Demokratie und Recht, Blätter für deutsche und internationale Politik, Geheim, junge Welt oder Neues Deutschland, in denen er - neben vielen anderen Medien - veröffentlichte, denen er Interviews gab oder in denen über seine Aktivitäten berichtet wurde. Mit seinen Kontakten, publizistischen Beiträgen, Vorträgen und Diskussionen habe er diese Gruppen und Organe "nachhaltig unterstützt“, so der Vorwurf des BfV an den parteilosen Bürgerrechtler.
 
"Hier wurde aus vollkommen legalen und legitimen Berufskontakten eine verfassungswidrige ‚Kontaktschuld’ Gössners konstruiert“, so die Internationale Liga für Menschenrechte, "die schließlich als waghalsige Begründung für seine jahrzehntelange geheimdienstliche Beobachtung herhalten muss. Dies ist ein ungeheuerlicher Vorgang.“
 
Gössners Freiburger Rechtsanwalt Dr. Udo Kauß ergänzt: "Wahllos hat der Verfassungsschutz vier Jahrzehnte lang jede Nachricht, in der der Name Gössner vorkam, gespeichert. So entstand ein Personendossier von über 2.000 Seiten, das nach Aussagen des BfV ein 'Gesamtbild’ des Klägers ergeben und dessen 'Gesamtverhalten' widerspiegeln sollte. Das ist ein jahrzehntelanger Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit“.
 
Diese Personenakte wird Gössner im Übrigen aus "Geheimhaltungsgründen“ zu einem erheblichen Teil vorenthalten. Das BfV begnügt sich nicht allein mit den Kontakten Gössners, sondern macht sich inzwischen auch an die Interpretation seiner öffentlichen Äußerungen, maßt sich damit eine Deutungshoheit über seine Texte an und übt sie in geradezu inquisitorischer Weise aus. Diese ideologisch gesättigten Textinterpretationen "führen uns in die tiefsten 1960er und 70er Jahre des Kalten Krieges“ (so Anwalt Udo Kauß): Da wird schon zum 'Verfassungsfeind', wer das KPD-Verbotsurteil kritisiert oder den Begriff 'Berufsverbote' verwendet, die es in der Bundesrepublik angeblich nie gegeben habe. Da diffamieren die Bundesrepublik und ihre Staatsorgane praktisch jeden, der - wie der Geheimdienstkritiker Gössner - den Verfassungsschutz in Frage stellt und bestrafen ihn mit Verfassungsschutzbeobachtung nicht unter vier Jahrzehnten."
 
Die Liga ist überzeugt, dass unter solchen Überwachungsbedingungen ein Anwalt und Publizist seine beruflichen und verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnisse - also Mandatsgeheimnis und Informantenschutz - praktisch nicht mehr gewährleisten kann. So würden auch Berufs-, Presse-, Meinungs- und Informationsfreiheit stark beeinträchtigt, ebenso wie Gössners ehrenamtliche Menschenrechtsarbeit für die Liga. RA Kauß: "Eine solch skandalöse Dauerbeobachtung durch den Inlandsgeheimdienst, angeblich nur zur Abklärung eines Verdachts, ist mit einem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat schlichtweg unvereinbar“.
 
Rolf Gössners Klage ist auf vollständige Auskunft des BfV über alle zu seiner Person gespeicherten Daten gerichtet. Außerdem soll die Rechtmäßigkeit der Gesinnungsschnüffelei und Datenerfassung gerichtlich überprüft werden. Inzwischen verpflichtete das Gericht das BfV dazu, seine gesamte Personenakte vorzulegen. Dies ist auch geschehen - allerdings zum größten Teil mit entnommenen Seiten und geschwärzten Textstellen: Von allen über 2.000 vorgelegten Aktenseiten sind etwa 85 Prozent ganz oder teilweise unleserlich oder manipuliert oder gar nicht vorgelegt worden; nur rund 15 Prozent sind offen und vollständig lesbar.
 
Die Verheimlichung dieser Aktenteile geht auf umfangreiche Sperrerklärungen des Bundesinnenministeriums (BMI) als oberster Aufsichtsbehörde des BfV zurück. Begründung: Würde ihr Inhalt bekannt, könnte dies dem "Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten“; die Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes (VS) würde beeinträchtigt, wenn verdeckte Arbeitsweise und operative Interessen bekannt werden („Ausforschungsgefahr“). Die Geheimhaltung diene aber in erster Linie dem Schutz der Informationsquellen, deren Identität nicht enttarnt werden dürfe ("Quellenschutz“), weil ansonsten eine "Gefährdung von Leben, Gesundheit oder Freiheit“ von V-Leuten, Hinweisgebern und VS-Bediensteten zu befürchten sei.
 
Gegen diese Aktenverweigerung klagte Rolf Gössner parallel vor dem hierfür zuständigen Bundesverwaltungsgericht, um Sperrerklärungen und Geheimhaltung in einem so genannten In-camera-Verfahren überprüfen zu lassen. Dabei handelte es sich um ein rechtsstaatlich hoch problematisches Geheimverfahren ohne Mitwirkungsmöglichkeit des Klägers. Nach ihrer Auswertung der gesperrten Aktenteile in geheimer Sitzung kamen die höchsten Verwaltungsrichter zu dem von BMI und BfV geforderten Ergebnis, dass die entsprechenden Aktenteile weiterhin aus Gründen des Quellenschutzes, der Ausforschungsgefahr und des Staatswohls geheim gehalten werden müssten.
 
Rechtsanwalt Dr. Udo Kauß verweist auf die fatale Konsequenz dieses Urteils, "dass das Verwaltungsgericht Köln jetzt nur auf solch eingeschränkter Informationsbasis seine Entscheidung über Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit dieser Dauerbeobachtung zu treffen hat.“ Es dürfe jedoch nicht zu Lasten des rechtsuchenden Bürgers gehen, wenn die Überprüfung der vom BfV behaupteten Rechtmäßigkeit der Datenerfassung durch Abgabe einer Sperrerklärung vereitelt werde. "Denn in diesem Fall hat der Verfassungsschutz den ihm obliegenden Nachweis nicht erbracht und die Erfassung ist damit rechtswidrig.“
 
Offenbar weil es hier um mehr als um systematisches und mutmaßlich rechtswidriges staatliches Handeln zu Lasten eines Einzelnen geht, sondern um die Frage, wie viele Bürgerinnen und Bürger darüber hinaus von einer ähnlichen Beobachtungspraxis betroffen sind, erhielt Gössner breite öffentliche Unterstützung: Zahlreiche Bürgerrechtsorganisationen (u.a. Humanistische Union, Gustav-Heinemann-Initiative), Gewerkschaften, Juristenvereinigungen (u.a. Strafverteidigertag, Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen, Neue Richtervereinigung) und Schriftsteller des PEN - unter ihnen Günter Grass, Dieter Hildebrandt, Horst-Eberhard Richter - protestierten gegen seine Überwachung. 2008 wurde er als einer der Mitherausgeber des jährlich erscheinenden "Grundrechte-Report - Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland" mit der Theodor-Heuss-Medaille der Theodor-Heuss-Stiftung ausgezeichnet - für "vorbildliches demokratisches Verhalten, bemerkenswerte Zivilcourage und beispielhaften Einsatz für das Allgemeinwohl". (PK)
 
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13143
 
Für LeserInnen, die an dem Termin interessiert sind: 20. Januar, 13 Uhr im Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, Eingang Burgmauer, Saal 160, 1. Stock.


Online-Flyer Nr. 285  vom 19.01.2011



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