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Globales
Spende eines deutschen Lehrers ermöglicht Krankenhausbau in Afghanistan
Grundsteinlegung nahe Herat
Von Peter Kleinert

Die Hilfsorganisation "Komitee Cap Anamur / Deutsche Notärzte e. V" hat ein neues Hilfsprojekt in Shade, einem Ort im Distrikt Zinedjan, etwa 60 Kilometer von Herat entfernt in der Nähe der iranischen Grenze Afghanistans, in Gang gebracht. Hier soll in den kommenden sechs Monaten ein neues Krankenhaus entstehen. Möglich gemacht hat das nicht zuletzt Hanno Helms. Der pensionierte Lehrer aus Bad Hersfeld hat eine große Summe für den Bau gespendet. Am 27. Oktober war die Grundsteinlegung.

 
Grundsteinlegung mit Gästen für ein Krankenhaus in Afghanistan
Alle Fotos: Cap Anamur
 
Hanno Helms verfolgt die Situation in dem gequälten Land schon lange. „Die Not in Afghanistan ist groß, aber kommt Hilfe auch wirklich dort an, wo sie gebraucht wird? Bei Cap Anamur kann man sicher sein. Deshalb habe ich mich entschlossen, für dieses Projekt möglichst weitgehend das Gebäude zu finanzieren“, sagt er.
 
Im September vergangenen Jahres kam die Organisation durch den "Blue Planet Award 2010" in die Medien, den die Stiftung "ethecon" dem Menschenrechtsaktivisten Elias Bierdel verlieh. Elias Bierdel war als Leiter und Vorsitzender von Cap Anamur bekannt geworden. Als solcher war er, wie die NRhZ berichtete (1),  im Jahr 2004 an der Rettung von 37 afrikanischen Flüchtlingen beteiligt, die auf ihrer Überfahrt nach Europa in Seenot geraten waren. Drei Wochen lang wurde dem Rettungsschiff die Einfahrt in einen nahegelegenen italienischen Hafen verboten. Im Anschluss wurden Bierdel sowie der Kapitän und der erste Offizier wegen "Schlepperei" festgenommen, es drohten ihnen mehrjährige Haftstrafen und eine hohe Geldbuße. Außerdem wurde er nicht mehr in den Vorstand von Cap Anamur gewählt. Sein Freispruch erfolgte erst im Oktober 2009. Seit 2007 ist er Gründungsmitglied und Vorstand von "borderline europe - Menschenrechte ohne Grenzen e.V."
 
 
Das Grundstück für den Neubau des Krankenhauses im Afghanistan wurde von einheimischen Privatbürgern gespendet. Zur Grundsteinlegung am 27. Oktober 2010 versammelten sich in Shade Delegierte der Gesundheits-behörde, Volksabgeordnete der Stadt Herat, der Bürgermeister von Zindejan, sein Sicherheitsbeauftragter sowie zahlreiche Bürger und zwei Cap-Anamur-Vertreter.
 
Das Einzugsgebiet des neuen Krankenhauses umfasst 13 umliegende Dörfer mit insgesamt rund 45.000 Menschen. Cap Anamur wird sich in den ersten drei Jahren um die Ausstattung, das Personal und die Klinikführung kümmern. Während der Grundsteinlegung bedankte sich der Bürgermeister auch im Namen der Bevölkerung für die Hilfe, die Cap Anamur durch dieses Projekt den Menschen in Zindejan zukommen lässt und versicherte, wie Faisal Haidari berichtet, "uns tatkräftig bei der Arbeit zu unterstützen". 
 
Der 33jährige Faisal Haidari wurde in Herat geboren und hat viele Jahre in Kabul gelebt. Heute wohnt er in Deutschland. Schon im Jahr 2001 hat er zum ersten Mal für Cap Anamur gearbeitet und leitet seit Jahren immer wieder Projekte vor Ort. Erst vor wenigen Wochen ist er von einem aktuellen Afghanistaneinsatz zurückgekehrt.
 
Ausbildungsstation für Hebammen in Herat
 
Wie Faisal Haidari berichtet, hat Cap Anamur bereits neben der Betreuung

Faisal Haidari
einer sehr erfolgreich laufenden Klinik mit Entbindungsstation im Westen des Landes im Juni 2009 ein weiteres Projekt begonnen: Eine Ausbildungsstation für Hebammen in Herat. "Hier werden rund 30 junge Frauen aus ländlichen Regionen in Geburtshilfe geschult. Alle Teilnehmerinnen haben sich verpflichtet, nach ihrer zweijährigen Ausbildung zurück in ihre unterversorgten Heimatdörfer zu kehren, um dort als Hebammen zu arbeiten. Gerade für diese abgelegenen Regionen mit ihrer außergewöhnlich hohen Mutter- und Säuglingssterblichkeit werden die Frauen einen wertvollen Beitrag leisten. Cap Anamur war bereits in der Zeit von 1987 bis 1989 in Afghanistan tätig."

Kurz nachdem im August 2010 in einem entlegenen Berggebiet im Nordosten Afghanistans zehn Leichen von Mitarbeitern der christlichen Hilfsorganisation International Assistance Mission (IAM) aufgefunden worden waren, haben Faisal Haidaris Freunde von Cap Anamur ein mit ihm Interview geführt. Unter den Ermordeten, überwiegend ÄrztInnen, die alle von einer Gruppe unbekannter Männer erschossen und in einem dichten Waldgebiet in der Provinz Badaschan zurückgelassen worden waren, befanden sich sechs US-Amerikaner, eine Britin, zwei Afghanen sowie eine Deutsche. Nur der Fahrer des Teams überlebte den Angriff. Die Taliban bekannten sich kurz nach dem Erscheinen der ersten Medienberichte zu der Tat. Als Begründung erklärte ein Talibansprecher, die Mitarbeiter seien christliche Missionare. Hier das Interview:
 
Cap Anamur: Welche Konsequenten muss man aus diesem Vorfall ziehen?
 
Faisal Haidari: Es wäre schlimm, sich nun völlig aus dem Land zurückzuziehen. Die Zivilbevölkerung ist auf unsere Hilfe angewiesen. Man kann nur versuchen, noch vorsichtiger zu sein und sich den Gegebenheiten des Landes so gut es geht anzupassen. Das bedeutet zum Beispiel, niemandem mitzuteilen, wann man wo losfährt oder ankommt. Besonders wichtig ist es, Regelmäßigkeiten zu vermeiden. Und in sehr entlegene Regionen sollte man besser mit einheimischem Personal fahren, das nicht als Personal einer fremden Organisation zu erkennen ist - also keine Aufkleber auf den Autos. Eventuell sogar öffentliche Taxis benutzen.
 
Cap Anamur: In welcher Situation befinden sich Mitarbeiter von christlichen aber auch und nicht-religiösen Hilfsorganisationen in Afghanistan?
 
Faisal Haidari: Die Sicherheitslage spitzt sich seit Ende 2005 mehr und mehr zu. Ein Menschenleben ist nicht viel wert und die Polizei ist machtlos. Die Korruption zieht sich durch alle staatlichen Institutionen. Jeder ist gefährdet, unabhängig von seiner Nationalität und seiner Religionszugehörigkeit.
 
Cap Anamur: Die Taliban haben sich zu der Tat bekannt und den Helfern vorgeworfen, christliche Missionierung zu betreiben.
 
Faisal Haidari: In Herat haben wir Mitarbeiter der IAM kennen gelernt: Wir luden sie zu uns nach Gulron ein. Eines ihrer einheimischen Teams hat zwei Wochen lang in unseren Räumen Patienten unentgeltlich untersucht und in unserem OP Operationen durchgeführt, lediglich für die Kosten des Materials. Wir hatten nicht den Eindruck, dass sie in irgendeiner Form versuchen, zu missionieren.
 
Cap Anamur: In Medienberichten liest man auch von Zweifeln daran, dass die Taliban für diese Morde verantwortlich sind. Es werden Vermutungen geäußert, dass sie das Geschehen für sich reklamieren, um der Öffentlichkeit "Erfolge" zu präsentieren.
 
Faisal Haidari: Es ist durchaus möglich, dass die Taliban mit einer solchen Behauptung die Sympathien der Islamischen Welt gewinnen möchten. Aber das sind derzeit nur Vermutungen.
 
Cap Anamur: Was bedeutet dieser Vorfall für unsere Projektarbeit?
 
Faisal Haidari: Wir sind nach Bedrohungen, denen wir selbst schon ausgesetzt waren, sowieso sehr vorsichtig geworden. Im vergangen Jahr wurde einer unserer afghanischen Ärzte entführt. Nur mit viel Glück kam er mit dem Leben davon. Seitdem müssen wir gewisse Regionen meiden. Um dennoch Hilfe in diese entlegenen Gebiete zu bringen, haben wir ein Ausbildungsprogramm für einheimische Frauen aus weit von den Städten entfernten Orten ins Leben gerufen. Sie werden zu Hebammen geschult und kehren anschließend mit ihrem Fachwissen zurück in ihre Dörfer. Vor Kurzem haben wir ein ähnliches Projekt für weibliche Pflegekräfte begonnen. Auch hier kommen die Frauen aus entlegenen, gefährdeten und medizinisch unterversorgten Regionen. Außerdem planen wir den Bau einer Klinik in der Umgebung von Herat. Das Grundstück wurde uns bereits zur Verfügung gestellt. Die ersten Verhandlungen mit den Baufirmen habe ich letzten Monat vor Ort geführt. Wir haben nicht vor, die afghanische Zivilbevölkerung ihrem Schicksal zu überlassen.
 
Die NRhZ-Redaktion wird in den nächsten Monaten versuchen, die weitere Entwicklung dieses Cap Anamur-Krankenhauses und dessen Hilfe für die einheimische Bevölkerung zu dokumentieren. (PK)
 
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(1) siehe NRhZ 269 vom 29.09.2010 
 
Weitere Infos über die Arbeit von Cap Anamur in Afghanistan hier!
 


Online-Flyer Nr. 283  vom 05.01.2011

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