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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Inland
"Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch"
"Ahnungslose" Heuchler
Von Hans Fricke

Union und FDP wollen das Stasi-Unterlagengesetz noch in diesem Jahr ändern. Derzeit ist es nur bis 2011 erlaubt, öffentlich Bedienstete auf eine Stasi-Mitarbeit hin zu überprüfen. Nach dem Willen der schwarz-gelben Koalition sollen die Regelüberprüfungen bis 2019 möglich bleiben, zitiert die "Mitteldeutsche Zeitung" den FDP-Berichterstatter im zuständigen Bundestagsausschuss für Kultur und Medien, Reiner Deutschmann. Zudem sei vorgesehen, den Kreis der Betroffenen auf Beamte und Angestellte in leitenden Funktionen und vergleichbaren verantwortungsvollen Tätigkeiten auszuweiten. Auch ehrenamtliche Bürgermeister dürfen demnach künftig überprüft werden.


CDU-MdB Monika Grütters: Neues Stasi-
Unterlagengesetz "in der Pipeline" 
Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen, bestätigte die Angaben und erklärte: "Wir halten an dem Vorhaben fest. Ich möchte nicht, dass man uns den Vorwurf mangelnder Aufarbeitung machen kann." Die Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien, Monika Grütters (CDU), teilte mit, eine Änderung des Gesetzes sei "in der Pipeline". Zu den herausragenden Aufgaben dieses Ausschusses, dem neben 22 weiteren Bundestagsabgeordneten Frau Grütters und Herr Deutschmann angehören, zählt die deutsche Erinnerungskultur. Ihr wird in einem Beitrag von Michael Braun für die Konrad-Adenauer- Stiftung e.V. vom 5. März 2010 eine außerordentliche Bedeutung zugemessen, wodurch sie in der Kulturwissenschaft und in der Politik Vorbildcharakter für Europa gewinnt. Besonders große Aufmerksamkeit würden dabei die Erinnerungen an Weltkrieg und Holocaust erfahren.
 
Man fragt sich, woher die drei Genannten und ihre schwarz-gelben Bundestagsfraktionen den Mut nehmen, die Überprüfungen auf Stasi-Mitarbeit um weitere acht Jahre zu verlängern, gleichzeitig den Kreis der davon Betroffenen zu erweitern und beides mit notwendiger "Aufarbeitung" zu begründen. Dabei pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass beide Parteien jahrzehntelang alle Hände voll zu tun hätten, um die braune Vergangenheit vieler ihrer Mitglieder "aufzuarbeiten" und sich mit den Rechtsradikalen in ihren eigenen Reihen und deren bis heute geduldeten rechtsextremistischen Aktivitäten auseinanderzusetzen. Um wieviel einfacher ist es für sie dagegen, vor ihrer eigenen Geschichte auch weiterhin die Augen zu verschließen und den Historikern, Medienmachern und Stasi-Jägern aus dem Hause Birthler erneut das eigentliche Aufgabenfeld für das nächste Jahrzehnt klarzumachen: der "Unrechtsstaat" DDR und das Ministerium für Staatssicherheit (MfS).
 

Dr. Albrecht Jebens, Vorstands-
mitglied der rechtsextremen
"Gesellschaft für Freie Publizistik"
Bereits in der PANORAMA-Sendung Nr. 614 vom 6. Juni 2002 zum Thema: "Vertuschen und verdrängen - Rechtsradikale in der CDU" hatten die Rechercheure Ariane Reimers und Volker Steinhoff ausführlich über Namen und Daten vom braunen Rand der CDU berichtet. Sie schilderten, wie zwei Wochen zuvor auf Schloss Welkersheim in Baden-Württemberg prominente CDU-Mitglieder zusammen mit Rechtsradikalen die Nationalhymne gesungen hatten und stellten fest, dass einige der Versammelten beides zusammen in einer Person waren: CDU-Mitglied und rechtsradikal. Etwa Dr. Albrecht Jebens, Vorstandsmitglied der rechtsextremen "Gesellschaft für Freie Publizistik", der auf die Frage der Interviewerin, ob das zusammen geht, Mitglied der CDU und gleichzeitig Funktionsträger der rechtsextremen Gesellschaft für Freie Publizistik zu sein, mit einem klaren "Natürlich geht das zusammen", antwortete. Dabei ist dem Verfassungsschutz diese Gesellschaft als durch Hetze gegen Juden und Verharmlosung des Holocaust bestens bekannt und gilt in den Verfassungsschutzberichten als "bedeutende rechtsextremistische Kulturvereinigung". Auch bei der vornehmen Gesellschaft in Welkersheim war dieses Vorstandsmitglied der rechtsextremistischen Organisation und CDU-Mitglied herzlich willkommen und umringt von prominenten Parteifreunden, darunter der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und der frühere brandenburgische Innenminister, General a.D. Jörg Schönbohrn (CDU), der eigentlich Rechtsradikale hatte bekämpfen sollen.
 
Helmut Rannacher vom Verfassungsschutz Baden-Württemberg erklärte dazu: "Ich hätte bei der Gesellschaft für Freie Publizistik gar keinen Zweifel, dass es sich hier um eine deutlich rechtsextremistische Organisation handelt. Wer dort auftritt, muss sich dies anrechnen lassen, und er muss vor allem auch wissen, dass er sich eindeutig im rechtsextremistischen Milieu bewegt. Doch auch hier klappte die Regie: Der Ex-CDU-Innenminister von Brandenburg erklärte, seinen rechtsradikalen Parteifreund Jeben nicht zu kennen und auch die CDU-Führung in Berlin gab sich ahnungslos. Ein anderer CDU-Mann, Professor Hans-Helmuth Knütter, erregte wegen seiner rechtsradikalen Auslassungen ebenfalls die Aufmerksamkeit von PANORAMA. Er referiert gern auf weniger öffentlichen Veranstaltungen, etwa in Hohenroda, einem entlegenen Dorf in Hessen, beim Gipfeltreffen der deutschen Naziszene. Kein Wunder, dass bei diesem Treffen Filmaufnahmen unerwünscht waren, denn hier trafen sich neben CDU-Mitgliedern wie Knütter auch führende NPD-Funktionäre, bekannte Auschwitz-Leugner und gewaltbereite Neonazis.
 
Eingeladen hatte die "Gesellschaft für Freie Publizistik". Den Mitarbeitern von PANORAMA gelang es nicht, in den Versammlungssaal zu gelangen, in dem 350 Rechtsradikale den Ausführungen von Professor Knütter lauschten. Dennoch gelangten sie an eine Tonaufnahme seines Vortrages, in dem er die schlagkräftigen jungen Kameraden lobte und Gewalt mit Leidenschaft propagierte.
 
Tonbandmitschnitt Prof.Hans-Helmuth Knütter
 
"Diese jüngeren Leute werden sich, wie Jüngere das tun können, mit persönlichem, mit körperlichem Einsatz für die Durchsetzung der politischen Ziele einsetzen, und das ist gut, das ist hervorragend. Die Älteren können aber auch etwas tun. Man wird auch den hier Anwesenden aufgrund ihres Alters wohl kaum zumuten können, sich an Saalschlachten und Straßenkämpfen zu beteiligen. Aber was sie tun können, ist natürlich: Geld sammeln, Aktionen ermöglichen." Dass seine aufputschenden Worte bei seinen Zuhörern auf fruchtbaren Boden fallen, zeigt zum Beispiel die Bedrohung des Bürgermeisters der Gemeinde Lalendorf in Mecklenburg-Vorpommern, Reinhard Knaak (DIE LINKE), durch ein knappes Dutzend Rechtsextreme, die von der Polizei nur durch den Einsatz von Pfefferspray von dessen Grundstück entfernt werden konnten. Ein sehr ernst zu nehmendes Vorkommnis, zu dem der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion erklärte: "Die Rechtsextremen verbreiten Angst und Schrecken und versuchen damit, aufrechte Kommunalpolitiker einzuschüchtern." DIE ZEIT Online und taz.de nannten diese Bedrohung Vorstufe bzw. Frühform des Terrors. Mittlerweile steht das Haus des Bürgermeisters unter Polizeischutz. Das beweisen aber auch die 57 Aufmärsche der extremen Rechten mit ca. 23 000 Teilnehmern in den ersten drei Quartalen dieses Jahres. Unter der Losung des "Kampfes um die Straße" gehören Kundgebungen und Demonstrationen zu ihrem typischen Aktionsrepertoire. Die Größe dieser Aufmärsche reicht von einer Mahnwache mit einem Dutzend bis zu Großdemonstrationen mit über 5.000 Teilnehmern. Die ca. 120 Rockkonzerte und Liederabende der extremen Rechten während dieser Zeit mit ca. 11.300 Teilnehmern zeigen ebenfalls eine steigende Tendenz (entnommen: der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE-Drucksachen 17/3415 und 17/3416-)
 
Ausgeprägt sind auch Aufsätze rechtsradikaler CDU-Mitglieder in Zeitschriften und Büchern rechtsradikaler Verlage so etwa im Verlagsimperium des rechtsextremen Grabert-Verlages. Ihre Themen sind dem Verfassungsschutz seit Jahren bekannt. Einer von ihnen ist der Geschichtsprofessor und CDU-Mann Prof.Dr. Klaus Hornung, der oft und gern publiziert und ebenfalls Vorträge in rechtsextremen Vereinigungen hält.
 
Helmut Rannacher vom Verfassungsschutz Baden-Württemberg dazu: "Das Thema Holocaust, Auschwitz-Lüge spielt natürlich eine Rolle. Wir haben tendenziell auch in einer Reihe von Werken rassistische Tendenzen, die hier immer wieder zu verfolgen sind. Also die gesamte Palette rechten, rechtsextremen Gedankenguts kommt hier immer wieder hoch.. .Wir gehen schon davon aus, dass sich jemand, der in einem entsprechenden Verlag veröffentlicht, der einen entsprechenden Vortrag hält bei einer Organisation, die im Verfassungsschutzbericht erscheint, dass der sich im klaren darüber ist, in welcher Gesellschaft er sich befindet."


Jörg Schönbohm (3.v.li.) bei der CDU in Rotenburg zum "20. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung"
Quelle: www.cdu-rotenburg.de
  
Auch Klaus Hornung trat im Schloss Welkersheim auf, war sogar Präsident dieses rechtskonservativen Treffens. Doch sein prominenter Stellvertreter, Ex-CDU-Innenminister Schönbohm, wollte von den Aktivitäten seines Parteifreundes bei den Rechtsradikalen ebenso wenig wissen, wie der damalige CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer. Die Liste rechtsextremistischer CDU-Mitglieder ist lang. Zu ihnen gehören laut PANORAMA beispielsweise auch Joachim Siegerist - nicht nur wegen Volksverhetzung verurteilt, sondern auch noch Chef des rechtsradikalen Vereins "Die deutschen Konservativen" oder Hannes Kaschkat - der Vertriebenenfunktionär der CSU publiziert im rechtsextremen Grabert-Verlag wie auch verschiedene Auschwitz-Leugner.
 
Nicht zu vergessen das Engagement von Mitgliedern der schwarz-gelben Koalitionsparteien in der Deutschen Burschenschaft (DB). Sie ist mit ca.110 Verbindungen und etwa 12.000 Mitgliedern einer der größten Dachverbände von Verbindungsstudenten und kann getrost als eine extrem rechte Vereinigung bezeichnet werden, aus der unter anderem die NPD ihren politischen Nachwuchs rekrutiert. Eine wichtige Funktion der DB besteht darin, als Bindeglied zwischen der extremen Rechten und rechtskonservativen Kreisen zu fungieren. Denn sowohl rechtskonservative CDU'ler, Bundeswehrgeneräle als auch Neonazis finden ihre Heimat in der Deutschen Burschenschaft. So gehört zum Beispiel Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) seit Jahrzehnten der DB-Burschenschaft Franco Bavaria München an. Auch zwei NPD-Landtagsabgeordnete aus Sachsen gehören zu einer DB-Mitgliedsvereinigung (Burschenschaft Dresdensia Rugia Geißen). Außerdem haben mehrere Abgeordnete der NPD in kommunalen Parlamenten die politische Sozialisation in einer Burschenschaft durchlaufen.
 
Neben Aktivisten der NPD gehören den Mitgliedsbünden viele Politiker der etablierten Parteien an, vor allem Politiker aus CDU. CSU und FDP. So zogen im Herbst 2009 unter anderem Mitglieder der Burschenschaften Adelphia Würzburg (Paul Lehrieder, CSU) und Alemannia Stuttgart (Joachim Pfeifer, CDU) in den Reichstag ein. Auch der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl gehört zur Münchner Burschenschaft Arminia-Rhenania). Uhl ist innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und in dieser Funktion auch mit dem Inlandsgeheimdienst ("Verfassungsschutz") befasst, der für die staatliche Beobachtung der extremen Rechten zuständig ist. Er gehört zudem dem Parlamentarischen Kontrollgremium an, das in gewissem Umfang die Geheimdienste kontrolliert. Sascha Jung (Burschenschaft Danubia) redete PANORAMA gegenüber Klartext: "Es ist halt so, dass zahlreiche Mitglieder der Aktivitas - die alten Herren ohnehin - Mitglieder von CDU und CSU sind oder Junge Union der CSU. Und das sind vor allem auch diejenigen, die in den letzten Jahren für die politische Arbeit meines Bundes, die eine sehr ausgeprägte politische Arbeit ist, also immer wieder für interessante Vorträge verantwortlich sind." Also CDU/CSU-Mitglieder als Extremisten in der vom damaligen bayerischen CSU-Innenminister Günther Beckstein als "eindeutig rechtsextremistisch" eingeordneten Burschenschaft Danubia. Da bleibt auch ihm als strammem Parteisoldaten nichts anderes übrig, als sich angesichts Sascha Jungs unmissverständlicher Aussage über die Aktivitäten seiner Parteifreunde unwissend und überrascht zu zeigen.
 
O-Ton Günther Beckstein/Laurenz Mayer
 
"Es muss unter Umständen eine Partei auch Leute ausschließen, wenn es sich herausstellen sollte, dass Extremisten in der Partei sind. Aber darüber habe ich keine Kenntnis. Für mich ist dieses Thema, ehrlich gesagt, bisher auch nicht aufgetaucht." Diese gespielte massive Ahnungslosigkeit von Parteioberen der Union veranlasste PANORAMA am 6. Juni 2002 zu einer Presserklärung mit folgender Überschrift: "CDU-Mitglieder in rechtsextremistischen Organisationen aktiv. Aufruf zu 'Straßenkämpfen und Saalschlachten' - Verharmlosung des Holocaust. CDU-Generalsekretär Laurenz Mayer beteuert Ahnungslosigkeit." Mit folgender "Bitte" gegenüber den PANORAMA-Mitarbeitern setzte der CDU-Generalsekretär seiner Heuchelei die Krone auf: "Da muss ich Sie wirklich schon bitten, wenn Sie da wirklich etwas haben, vielleicht dass Sie uns das einmal schriftlich geben. Und dann werden wir uns da selbstverständlich mit beschäftigen."
 
Wem diese skandalösen Ergebnisse der Recherchen von Ariane Reimers und Volker Steinhoff unglaubwürdig erscheinen, der möge sich nicht nur ihre Reportage, sondern auch die von ihnen dazu gelieferte Video-Cassette mit den Auslassungen rechtsradikaler CDU-Mitglieder, Länge 10:04 Minuten, ansehen (http://www.klick-nach-rechts.de/gegenrechts/2002/06/cdu-csu.htm). Erwartungsgemäß stellte PANORAMA in ihrer Sendung vom 2. November 2003 fest, dass die 1 1/2 Jahre zuvor in der Sendung Nr. 614 genannten rechtsextremistischen CDU/CSU-Leute noch immer Mitglieder ihrer Partei waren. Martin Hohmann CDU) war meines Wissens der einzige CDU-Mandatsträger, der wegen seiner antisemitischen Äußerungen aus der CDU-Bundestagsfraktiion und aus der Partei ausgeschlossen wurde.
 
PANORAMA stellte schon am 13. November 2003 fest, dass mit Hohmann "einer geht, viele bleiben", womit das Problem der CDU/CSU mit ihrem rechten Rand bestehen bleibe. Denn Hohmann habe viele Gesinnungsfreunde in der Union. Und auch andere Mitglieder würden immer wieder ganz unverhohlen mit rassistischen, antisemitischen oder sogar rechtsradikalen Parolen und Aktivitäten "glänzen". In einer Presserklärung vom gleichen Tag hieß es: "Eine Mehrheit der CDU-Wähler und -Sympathisanten hält die Äußerungen des umstrittenen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann nicht für antisemitisch. 49 Prozent im Unionslager finden sogar, dass Aussagen, wie Hohmann sie gemacht hat, heute möglich sein müssten. Und ein weiteres Mal wies PANORAMA nachdrücklich darauf hin, dass all das in der Berliner Parteizentrale längst bekannt sei und der CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer damit konfrontier wurde.
 
Kommen wir auf die Forderung der eingangs zitierten CDU- und FDP-PoltikerInnen des Bundestagsausschusses Kultur und Medien zurück, die sich für eine Verlängerung der Stasi-Überprüfungen um weitere acht Jahre und eine Erweiterung des Kreises der Betroffenen einsetzen und beides mit notwendiger "Aufarbeitung" begründen. Offenbar bedürfen sie ebenso wie viele Ihrer Fraktionskolleginnen, die noch in diesem Jahr die Änderung des Stasi-Unterlagengesetzes beschließen werden, zum Thema "Aufarbeitung" dringend der Nachhilfe. Wie es mit "Aufarbeitung" der nazistischen Vergangenheit vieler Parteioberen und Mandatsträger von CDU und CSU und deren Verantwortung für die flächendeckende Renazifizierung in der BRD nach 1945 aussieht, ist hinreichend bekannt. Es sei nur an Namen wie Globke, Filbinger und andere sowie an Karieren von Nazi und Kriegsverbrechern in der Adenauer-Ära vom Schlage eines Speidel, Heusinger, Gehlen, Foertsch, sowie an die vielen "Mörder in schwarzen Roben" der Freislerschen Terrorjustiz, und an die Übernahme schwer belasteter SS- und Polizeiführer in die Sicherheitsdienste der BRD erinnert.
 
Bekannt ist dagegen die ebenfalls bis heute unterlassene "Aufarbeitung" durch die FDP, der "Frontal 21" deshalb die Sendung vom 16. November 2010 unter der Überschrift: "Unbewältigte Vergangenheit
- Die FDP und die Nazis" von Joachim Bartz, Reinhard Laska und Key Meseberg widmete. Darin wird gezeigt, wie die FDP -  sie stellte in ihrer 42jährigen Regierungsverantwortung sechs Vizekanzler in 15 verschiedenen Kabinetten, vier Außenminister und zwei Bundespräsidenten - in den Nachkriegsjahren ganz gezielt versuchte, ehemaligen Nazis eine rechte Heimat zu bieten. Die 89-jährige ehemalige FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher berichtete im "Frontal 21"-Interview von liberalen Politikern mit nationalsozialistischem Hintergrund. Die habe es damals nicht nur in NRW, sondern auch in Hessen, Niedersachsen und Oberbayern gegeben. Über FDP-Parteitage Anfang der 50er Jahre sagte sie: "Es war gespenstisch".
 
Die Entnazifizierung war der FDP ein besonderer Dorn im Auge. Sie konnte sich nicht einmal mit einer wesentlichen Milderung des bisherigen Entnazifizierungsverfahrens anfreunden. Als der Bundestag Ende 1950 mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD-Opposition einen entsprechenden Antrag beschloss, stimmte die FDP gemeinsam mit der neonazistischen Deutschen Partei (DP) und der rechtsextremen Deutschen Reichspartei (DRP) dagegen. Auf ihrem Bundesparteitag im September 1951 in München verlangte die FDP die Freilassung aller "sogenannten Kriegsverbrecher" und begrüßte die kurz zuvor erfolgte Gründung eines "Verbandes Deutscher Soldaten" aus ehemaligen Wehrmachts- und SS-Angehörigen. Auf ihrem Essener Parteitag am 14.Juli 1952 bekräftigte sie ihre Forderung nach einer Generalamnestie für "sogenannte Kriegsverbrecher" und erklärte, niemand "dürfe wegen seiner politischen Gesinnung in der Vergangenheit Staatsbürger minderen Rechts oder Ansehens sein".(Hört, Hört! Herr Reiner Deutschmann und Jörg van Essen von der FDP; aber auch die Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien, Monika Grütters (CDU) sollte im Rahmen der angeblich vorbildlichen deutschen Erinnerungskultur über diese Worte nachdenken). Ein paar Tage später drohten zwei Dutzend FDP-Parlamentarier, sie würden die Ratifizierung des Deutschland-Vertrages und des EWG-Vertrages ablehnen, falls nicht bis zur dritten Lesung eine große Anzahl Kriegsverbrecher von den Alliierten freigelassen würden. Die FDP habe weder mit Freiheit noch mit Demokratie das Geringste zu tun, kritisierte der bayerische DGB-Vorsitzende Max Wönner im Oktober 1951. Sie stelle nichts anderes dar als eine deutsch-nationale Scharfmacherpartei, die im "edlen Wettstreit" mit der sozialistischen Reichspartei (SRP) stehe. (Die SRP war eine offen nationalsozialistische Partei in der BRD, die sich selbst in der Tradition der NSDAP sah. Sie wurde als erste Partei der BRD durch das Bundesverfassungsgericht verboten.)
 
Vor diesem Hintergrund war es dann nur folgerichtig, dass der Wehrmachtsmajor a.D., ehemaliger stellvertretender Kommandeur eines Infanterie-Regiments und Ritterkreuzträger, Erich Mende, 1960 Bundesvorsitzender der FDP wurde. Von 1963 bis 1966 war er Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen und Stellvertreter des Bundeskanzlers. Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhard Baum (FDP) bemängelte im "Frontal 21"-Interview bei den jüngeren Parteimitgliedern eine "eklatante Unkenntnis der Geschichte der eigenen Partei". Gleichzeitig forderte er eine Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit seiner Partei. Die hat es, so Baum gegenüber "Frontal 21", in der FDP bisher nicht gegeben und es sei an der Zeit, das nachzuholen.
 
Zum Vertuschen und Verdrängen der Vergangenheit der eigenen Partei, der folgenschweren Verharmlosung der neonazistischen Gefahr und der aktiven Mitarbeit von Mitgliedern der CDU/CSU und FDP in rechtsextremistischen Organisationen kommt noch die jüngste anmaßende Forderung der Landes-CDU von NRW, der stellvetretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im nordrhein-westfälischen Landtag, Rüdiger Sagel, solle sich dafür entschuldigen, dass er von deren Nazi-Vergangenheit gesprochen habe.
 
Zitat Rüdiger Sagel
 
Nachfolgend seine in "junge Welt" vom 4./5.12.2010 veröffentlichte treffliche Antwort: "Für meinen NS-Vorwurf an die NRW-CDU werde ich mich nicht entschuldigen, denn ich habe dies in der Veröffentlichung '60 Jahre Landtag NRW. Das vergessene braune Erbe' (München 2009) mit zahlreichen Dokumenten aus Archiven, unter anderem dem Bundesarchiv, in Berlin, belegt. CDU und noch in verstärktem Maße die FDP in NRW, mit zahlreichen Fraktionsvorsitzenden mit NS-Vergangenheit, haben ein bisher unbearbeitetes Problem damit. Beide Parteien hatten zahlreiche Abgeordnete mit Nazi-Vergangenheit im Landtag, die nach dem Krieg auch Führungspositionen innehatten und die strafrechtliche Verfolgung von Naziverbrechen behindert haben. Vielmehr sollte sich die CDU öffentlich entschuldigen, denn sie hat ihre NS-Vergangenheit bisher nicht aufgearbeitet. Wenn die CDU immer wieder auf den Verfassungsschutz hinweist, dann stellt sich die Frage, warum sich dieser nicht um die CDU und vor allem FDP gekümmert hat. Solange die CDU in NRW sich weigert ihre NS-Vergangenheit aufzuarbeiten, bleibt sie stets verbunden mit Namen wie dem des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Gerhard Holz, der schon vor 1933 in der NSDAP war, oder SS-Mitgliedern wie den späteren CDU-Abgeordneten Freiherr von Fürstenberg und Josef Hermann Dufhues. Viele weitere Namen von CDU-Honoratioren mit NS-Vergangenheit finden sich in der Broschüre "Das vergessene braune Erbe", darunter die ehemaligen FDP-Fraktionsvorsitzenden Willy Weyner, Eberhard Beine und Heinz Lange. (Die Broschüre im Internet: www.linksfraktion-nrw/fileadmin/iv/dokumente/Dateien/Brosch_Sagel_Vergessene_Erbe. pdf)
 
Es sollte ihnen doch zu denken geben, wenn der Vorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, und Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) darauf verweisen, dass selbst Mörder nach 15 Jahren aus dem Knast kommen und meinen, man sollte nun endlich mit dieser Art des Stasi-Umgangs Schluss machen. Ganz zu schweigen von der Meinung vieler Bürger, denen dieser Umgang schon lange, auch aus Gründen des menschlichen Anstands, zuwider ist. Nachdenkenswert auch der Pressebeitrag eines altbundesdeutschen Oberstaatsanwalts a.D. im Jahr 2004, in dem es abschließend heißt: "Mir müßte jemand erklären, warum es, wenn man in der DDR lebt, ganz schlimm ist, wenn man dem Ministerium für Staatssicherheit was erzählt, hingegen im Westen völlig o.k., wenn man den Militärischen Abschirmdienst (MAD) informiert."
 
Schließlich muss die Frage erlaubt sein, warum der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Landtag von NRW das provokatorische Verlangen der CDU nach Entschuldigung selbstbewusst und souverän zurückweist, während Verantwortungsträger der gleichen Partei in Mecklenburg-Vorpommern vor der jüngsten Provokation von BirthlerBehörde und "Bild"Zeitung an ihre Adresse nach meinem Eindruck als parteiloser Bürger von Mecklenburg-Vorpommern zurückweichen?
 
Bundespräsident in Mecklenburg-Vorpommern
 
Angesichts all dieser geschilderten Sachverhalte und der besorgniserregenden Zunahme der neonazistischen Gefahr ist dem größten deutschen Dramatiker des 20. Jahrhunderts Bertold Brecht unbedingt zuzustimmen, wenn er in seinem dramatischen Werk "Der unaufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" sagen lässt: "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch." Im Kampf gegen den Neonazismus sind allgemeine Erklärungen, wie sie von unserem Bundespräsidenten bei seinem Antrittsbesuch am 10.12.2010 in Mecklenburg-Vorpommern zu hören waren, nicht hilfreich. So sei ihm erzählt worden, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe die neuen Bundesländer besser meiden sollten und deshalb würde er als Gegenmittel die "Solidarität der Demokraten" empfehlen. Zu Recht wies Werner Pirker in seinem Kommentar "Tatarenmeldungen" ihn darauf hin, dass er damit eine Beschwörungsformel aus der alten BRD zur Rechtfertigung der fast ausschließlich gegen Linke gerichteten Berufsverbote aus dem Hut gezaubert habe. Ihm scheine außerdem entgangen zu sein, dass die wirkliche Rechtsgefahr nicht von den Unterschichten, sondern von den Oberschichten ausgehe. Nicht mehr bloß objektiv, sondern auch subjektiv. Spätestens die Sarrazin-Debatte sollte die Augen darüber geöffnet haben, dass die rabiatesten Stammtischbrüder in den feinen Salons sitzen. "Einer Studie des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld zufolge", so Werner Pirker weiter, "sei die Zunahme von Feindseligkeiten und Vorurteilen gegenüber sozialen Minderheiten nicht auf die Existenzängste der Armen und Geringverdiener zurückzuführen, sondern auf den Sozialdarwinismus der Besserverdienenden und Reichen."
 
Dem Kampf gegen den Neonazismus nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern wäre es gewiss dienlicher gewesen, wenn der Bundespräsident statt nichtssagender Worte der Bitte des Chefs der Staatskanzlei, Reinhard Meier (SPD), den von Neonazis bedrohten Bürgermeister von Lalendorf und ein Zentrum der Demokratie in MV zu besuchen gefolgt wäre. Darüber, dass Christian Wulff (CDU), darauf verzichtete, das demokratische Engagement des Lalendorfer Bürgermeisters demonstrativ zu würdigen, herrschte einer Meldung der "Schweriner Volkszeitung" vom 9.12.2010 zufolge in der Staatskanzlei Verstimmung. Auch die Schlagzeile des "Nordkuriers" vom 10. Dezember über den Besuch des Bundespräsidenten in Waren: "Christian Wulff nimmt sich nur wenig Zeit für sein Volk." bedarf kaum eines Kommentars. Wie der Bundespräsident angesichts der bekannten rechtsextremistischer Aktivitäten von CDU-Mitgliedern, so auch der oben zitierten scharfmacherischen Rede seines Parteifreundes Prof. Hans-Helmuth Knütter in Hohenroda, als Gegenmittel gegen Rechtsextremismus die "Solidarität der Demokraten" empfehlen und die schwarz-gelbe Bundesregierung von den Bürgern immer wieder aufs Neue mehr Zivilcourage gegen die Neonazis forden kann, ist für sehr viele Menschen nicht nachvollziehbar.
 
Das Bonner Auswärtige Amt eine Heimstatt für Kriegsverbrecher? BND und Verfassungsschutz nicht nur personell Nachfolgeorganisation des Reichssicherheitshauptamtes? Ist doch alles abgehakt. Der bundesdeutsche Medien- und Politikfilz kann sich wieder der "zweiten deutschen Diktatur" widmen. Deren "Verbrechen" lassen die der ersten glatt vergessen.
 
In seinem Beitrag "Zurück in die Gegenwart" ("junge Welt" vom 29.November 2010) schreibt Hans Daniel: "Gleichsam als Begleitmusik zur Veröffentlichung über das Fortwirken des faschistischen Diplomatenkorps im Nachkriegswestdeutschland, beschloss die schwarz-gelbe Bundesregierung die "Verlängerung der Stasi-Überprüfungen im Öffentlichen Dienst bis 2019... Um die Sache nicht aus dem Auge zu verlieren, übergab die inquisitorische BirthlerBehörde fast zeitgleich der "Bild"-Zeitung auf deren Antrag hin Unterlagen über Vertreter der Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern. Unter dem Motto '20 Jahre Einheit - Und die Stasi-Spitzel sind immer noch unter uns' ergab das dann am 11. November die Schlagzeile '5 Spitzenpolitiker der Linken unter Stasi-Verdacht'."
 
Ich persönlich finde es bedauerlich, wie verantwortliche Funktionäre der Partei DIE LINKE in Mecklenburg-Vorpommern auf diesen neuerlichen gezielten Einsatz der antikommunistischen Allzweckwaffe "Stasi" reagieren. Anstatt die durchsichtige Absicht von Birthler-Behörde und "Bild"Zeitung energisch zurückzuweisen und sich schützend vor ihre davon betroffenen Mitglieder zu stellen, von denen sich nicht eines eine strafbare Handlung hat zuschulden kommen lassen und die sich ohne Ausnahme jahrelang für die Ziele ihrer Partei eingesetzt. (PK)
  
Hans Fricke ist Autor des zur diesjährigen Leipziger Buchmesse im GNN-Verlag Schkeuditz erschienenen Buches "Eine feine Gesellschaft - Jubiläumsjahre und ihre Tücken", 250 Seiten, Preis 15.00 Euro, ISBN 978-3-89819-341-2


Online-Flyer Nr. 281  vom 22.12.2010

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