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Kultur und Wissen
Rezension des Buches "Être juif après Gaza“ von Esther Benbassa
„Die wahre Religion vieler Juden ist heute Israel“
Von Sabine Schiffer

Die Autorin nimmt die Leser mit in die Perspektive sephardischer Juden, die aus dem Maghreb nach Frankreich eingewandert sind – wie viele Muslime und häufig in engem Kontakt mit ihnen. Dies macht sie als einen Hauptgrund für ein starkes antiislamisches Ressentiment unter vielen Juden Frankreichs aus, was sich wiederum aus dem Kristallisationspunkt Nahostkonflikt ergibt.
 
Vor allem die teils stark opportunen und nicht unbedingt dem Völkerrecht verpflichteten Reaktionen bei Europas Eliten belasteten die Verständigung zwischen Juden und Muslimen. Aber das ist nicht das Hauptinteresse Esther Benbassas in diesem schmalen Bändchen des renommierten Forschungsinstituts CNRS. Ihr geht es um die jüdischen Werte der Aufklärung und Menschenfreundlichkeit, die sie durch die Politik Israels gefährdet sieht. In der geschickten Verquickung von Israels Politik mit den Juden weltweit sieht sie gar eine Gefahr für die Wahrnehmung des Jüdischen insgesamt.
 
Besonders nachdenklich habe sie in diesem Zusammenhang die Reaktion vieler Juden auf den Angriff auf den Gaza-Streifen zum Jahreswechsel 2008/2009 gemacht. Obwohl auch die Diaspora-Juden – also alle, die nicht in Israel leben – keine homogene Gruppe darstellen, wie Benbassa am Vergleich der Einstellungen US-amerikanischer und französischer Juden herausarbeitet, blieb für sie die kriegsbefürwortende Reaktion vieler Juden in und jenseits Israels zum Angriff auf das lange abgeriegelte Gaza in bitterer Erinnerung (S. 23f).
Dabei befürchtet sie nicht nur den Verrat an jüdischer Ethik, sondern gar den Verlust des Interesses an Israel von den für seine Politik überlebenswichtigen Diaspora-Gemeinden, die eher einen Mythos als ein realistisches Bild von diesem Staat pflegen, der sich ja nicht von anderen unterscheide – und auf keinen Fall dem eigenen Wunschdenken, man wäre besonders moralisch und demokratisch, entspreche. Dies entspricht der Analyse Jeff Halpers, dem Leiter des Israelischen Komittees gegen Häuserzerstörungen, die er anlässlich seiner Erfahrungen mit australischen Diasporagemeinden kürzlich verfaßte.
 
Benbassa kommt zu dem nüchternen Schluss, dass die wahre Religion vieler Juden heute Israel sei (S. 31). Die Verklärung dieses Staats mache ihn zur Metapher der Hoffnung und einer vermeintlichen Lebensgarantie, während die Palästinenser die biblische Rolle des Feindes Amalek übernähmen, was dem Mythos der Juden vom ewigen Opfer auch in Form des Staates Israel diene. Langfristig vermutet Benabassa aber eine selbsterhaltende Reaktion der Diaspora: „Israel wie ein verwöhntes Kind zu behandeln, ohne ihm jemals Grenzen aufzuzeigen, oder schlimmer noch, es wie eine Offenbarung zu behandeln, unberührbar und nicht zu hinterfragen, kann langfristig nur zu einem Ergebnis führen: nämlich dazu, dass sich bald die Juden von ihm abwenden – schlicht und ergreifend das Interesse verlieren, wie es jetzt bereits viele US-amerikanischen Juden tun. Warum sollte man ein Land unterstützen, das stört und das den Platz der Juden in der Diaspora destabilisiert?“ (S. 44)
 
Nur in der Rückkehr zur Ethik der Aufklärung, die wesentlich jüdisch geprägt war – wie unter anderen Rolf Verleger immer wieder betont –, könne Israel überleben (S. 60). Indem man damit aufhört, die Palästinenser mit Parasiten- und Krankheitsmetaphern zu entmenschlichen, sie zu dämonisieren, zu entrechten und schließlich zu vernichten, würde ein echter pro-Israelischer Beitrag geleistet. Nicht nur ein ehrlicher, sondern der einzige, der diesem Land zum Überleben nütze. (PK)
 
Esther Benbassa: "Être juif après Gaza“. Paris: CNRS. 74 Seiten, ISBN: 978-2-271-06887-3.
 
Ein TV-Interview mit Esther Benbassa finden Sie unter
http://www.estherbenbassa.net/etre-juif-apres-gaza-premieres-recensions.html


Online-Flyer Nr. 276  vom 17.11.2010

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