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Literatur
Kurzkrimi aus dem Buch "Das Lachsmesser im Marzipanschwein“
Huhn auf Genueser Art
Von Ulla Lessmann

In der „besonderen Krimi-Nacht“ mit Buchpremiere las die Kölner Schriftstellerin Ulla Lessmann am 29. Oktober auf den Krefelder Krimitagen aus ihrem neuen Buch "Das Lachsmesser im Marzipanschein". Eine Lesung in Köln findet am 3. November in der Brücker Buchhandlung statt. Ein Beispiel für den bitterböser Witz der Autorin, ihre psychologisch stimmigen Charaktere, ihren scharfer Blick auf die Absurditäten menschlicher Beziehungen liefert die folgende Kriminalgeschichte aus diesem Buch.
 

Ulla Lessmann
Man sollte doch hier eigentlich endlich so eine Art „Deutschen Club“ gründen, was meinst du? Ich ergreife da vielleicht mal die Initiative, sonst tut das ja keiner.
Nein, nein, nicht gegen die Einheimischen! Neulich sagte Luise „Eingeborene“, das fand ich lustig, wenn auch etwas übertrieben, ich meine, wir sind ja nicht im Dschungel. Also nicht gegen die Einheimischen, ich finde Einheimische klingt eigentlich gut, Ureinwohner wäre auch wieder eher so dschungelmäßig.
Nein, ich mache mir gar keine Gedanken über die richtige Bezeichnung, reg‘ dich doch nicht auf, ich fand das nur lustig. Wir unterhielten uns neulich in der einen Bar darüber, wie wir Deutschen eigentlich die Italiener nennen sollen. Also, jedenfalls würde so ein Club nicht gegen die Einheimischen gehen. Das wäre ja das letzte, wo man doch nun mal etwas mehr miteinander ins Gespräch kommt, nach so vielen Jahren.
Warum ich das glaube?
Na, ich jedenfalls komme jetzt mal ins Gespräch. Schließlich kann niemand erwarten, dass man perfekt Italienisch spricht, wenn man hier ein Haus kauft, die können ja schließlich auch kein Deutsch! Der italienische Mensch mit seinem Eiscafé bei uns in Köln, kann der denn etwa richtig deutsch?
Siehste! Ich gebe mir wirklich Mühe, was man nun wirklich nicht von allen sagen kann, Luise kann mal gerade „grazie“ und „prego“ sagen, stell‘ dir vor. Neulich auf dem Wochenmarkt traf ich diese eine Blondine von der unteren Gasse, diese unangenehme magere Blondine, du weißt schon, die mit dem BMW und dem komischen Mann, die konnte nicht mal ein Huhn kaufen! Ich meine, sie konnte es kaufen, weil sie drauf zeigte und auf dem Preisschild steht ja „Pollo“ und das hat die noch nicht mal ausgesprochen!
Wieso laut? Ich bin nicht laut, ich finde das nur unmöglich, wie manche Leute sich benehmen. Bloß weil sie den besten Meeresblick haben, glauben sie, sie brauchen nicht mal „Pollo“ zu kennen.
Da gibt‘ s nichts zu lachen, finde ich. Reich mir doch mal bitte die Tomaten rüber, danke.
Wenn so viele Deutsche hier im Dorf Häuser haben, könnte man doch eigentlich erwarten, dass die Einheimischen einem etwas entgegen kommen. Man ist doch im Grunde auch eine Bereicherung. Zu Hause bei uns sagen sie uns immer, die Ausländer sind eine Bereicherung für uns! Kulturell und sprachlich und überhaupt. Aber wenn wir im Ausland sind, müssen wir uns immer zurückhalten. Schließlich und endlich könnten wir für die Italiener auch eine Bereicherung sein. Deshalb finde ich, wir gründen mal einen „Deutschen Club“. Der Name ist ja ganz egal, eben einen Club, in dem man sich austauscht. 
Wie, worüber?
Über das Leben hier! Wo man die billigsten Fliesen kriegt und den billigsten Wein und das beste Öl, das gibt‘ s ja leider nicht billig und wer am wenigsten für‘ s Putzen nimmt und für‘ s Anstreichen und Mauern und so weiter und wie wir uns mit den Italienern auseinandersetzen und wie wir sie bereichern können. Vielleicht kann man dann Luise und der mageren Blondine auch mal ein paar Worte Italienisch beibringen. Leider gibt es im Moment ziemlich viele Engländer hier, komisch. Was ausgerechnet die Engländer plötzlich alle hier in Ligurien wollen! Und Holländer! Immerhin wenig Belgier.
Wieso?
Nein, ich habe nichts gegen Belgier, warum sollte ich etwas gegen Belgier haben? Aber müssen die nun auch noch nach Ligurien kommen? Ich finde, es gibt eine ganz besondere und traditionelle Verbundenheit zwischen Deutschen und Italienern, jedenfalls sind die doch zuerst, als allererste, zu uns nach Deutschland gekommen und jetzt kommen wir eben zu ihnen.
Was meinst du mit Goethe und Mozart?
Na, hör‘ mal, das ist doch was anderes, das waren deutsche Künstler und Genies, die sind natürlich nach Italien gegangen, weil sie sich inspirieren lassen wollten. Die Italiener sind ja nicht nach Deutschland gekommen, um sich inspirieren zu lassen, sondern um zu arbeiten.
Na und? Wieso sagst du „na und“?
Ich habe doch nichts dagegen, die sollen auch ihr Auskommen haben. Jetzt ist mir der ganze Zusammenhang verloren gegangen, das ist auch so was Italienisches, immer drumherum reden und am Thema vorbei und jetzt lasse ich mich davon anstecken. Das ist das Unangenehme, man fühlt sich eigentlich als Bereicherung, nimmt aber auch nach und nach viele unangenehme Eigenschaften mit an, wenn man nicht aufpasst.
Nein, das sage ich nicht, dass das alle machen mit dem Drumherumreden und ja, ja, ich habe das auch manchmal schon gemacht, bevor wir das Haus hier gekauft haben, aber es hat sich unter dem italienischen Einfluss sehr verstärkt.
Reg‘ dich doch nicht gleich auf, sie haben uns nach Deutschland die Pizza gebracht, das weiß ich, obwohl ich Pizza nicht mehr sehen kann, das liegt irgendwo auch so drin in den Italienern, dass sie es immer übertreiben müssen, eine Pizzeria neben der anderen! Hier bei sich halten sie sich zurück, aber bei uns konnten sie kein Ende finden.
Womit anfangen?
Ach so, ja sicher, ich bin doch schon dabei. So, die Tomaten sind überbrüht, bring' mich doch nicht raus, ich häute sie doch gerade! Das geht ganz fix, guck mal, das macht dir keine italienische Hausfrau schneller, Kerne weg, so.
Eigentlich ärgere ich mich, dass ich „Pollo Genovese“ mache. Dieses Messer müssen wir auch mal schleifen lassen. So, die Keulen sind ab. Ich hätte doch etwas Deutsches kochen sollen, das ist doch keine Bereicherung und es wirkt irgendwie so anpasserisch, was meinst du? Es hätte ja nicht Sauerkraut sein müssen, es isst niemand Sauerkraut in Deutschland, aber die Italiener essen wirklich dauernd Nudeln und Pizza, komisch. Über uns stimmen die Vorurteile gar nicht, über die Italiener stimmen sie.
Nein, nein, nicht alle! Ich weiß das, fang' nicht schon wieder an! Ich liebe Italien, ich liebe die Italiener, wer liebt sie mehr als ich?
Wo sind die Sardellen? Hast du die Sardellen gesehen?
Nun bleib doch mal hier, wo willst du denn hin?
Meinst du, ich sollte ein paar Sardellen mehr nehmen, damit die Gäste auch merken,
das welche dran sind? Das ist ja der Clou, die Sardellen zum Huhn, ziemlich raffiniert, das muß man sagen. Die italienische Küche ist ja die beste der Welt, wusstest du das? Ja?
Diese Vielfalt! Und diese Phantasie! Regionale Vielfalt sagt man jetzt. Ob die das selber wissen?
Na, manchmal weiß man doch nichts über sich selber bis die Ausländer kommen und das zu schätzen wissen! Vielfältiger ist die italienische Küche als die französische Küche auf jeden Fall, die französische hat das alles von der italienischen Küche gelernt. Das habe ich übrigens neulich erst unserem Bürgermeister erklärt, wirklich gut habe ich ihm das erklärt. Er war richtig beeindruckt.
Woher ich das weiß?
Er hat immer genickt und sich gefreut, du weißt doch, der Italiener ist fröhlich, deshalb sind wir Deutschen doch eine Bereicherung für sie mit unserem etwas ernsteren Charakter, das ergänzt sich eigentlich gut.
Ich sage doch gar nicht „seriös“! Das sagst jetzt du, dass ich das denke, das stimmt gar nicht, von „seriös“ war keine Rede. Du musst aber zugeben, dass sie sogar sonntags bauen und Lärm machen und dass die Engländer nicht an sie vermieten, weil sie angeblich zu laut sind. Doch, doch. Ich persönlich finde Engländer mindestens genauso laut, da muß ich die Italiener wirklich in Schutz nehmen, außer mit dem Bauen am Sonntag.
Gib mir mal bitte den Knoblauch rüber, grazie. Nun bleib doch mal hier!
Ach, da sind die Sardellen. Das ist ja französischer Knoblauch, na, das wird keiner merken. In Deutschland gibt es viel mehr Brotsorten, das wird von den Italienern nicht anerkannt, dass die vielen Brotsorten in Deutschland einmalig in der Welt sind. Ich hätte eigentlich viele verschiedene Brotsorten mitbringen sollen, da hätte ich unsere Gäste mehr bereichern können als mit ihrem eigenen Essen.
Sicher kann ich selbstkritisch sein, das brauchst du gar nicht so ironisch zu sagen. Ich sage doch schon die ganze Zeit, dass das eigentlich eine Fehlentscheidung war, unserem Bürgermeister und seiner Familie ausgerechnet „Pollo Genovese“ vorzusetzen, das ihnen wahrscheinlich aus den Ohren raus kommt, weil sie es ständig essen. Aber ich wollte ihnen doch zeigen, dass wir ihre Küche zu schätzen wissen und dass wir uns auskennen mit ihren Gebräuchen und sie nicht mit unserer eigenen Küche belästigen! Und vielleicht schmeckt mein Pollo sowieso irgendwie deutsch. Oder international, wegen dem französischen Knoblauch.
Warte mal, ich muß die Tomaten kleiner stellen, bleib doch mal hier!
Es könnte eigentlich besonders interessant werden. Was die sagen, wenn sie ihr eigenes Gericht vorgesetzt bekommen und sogar richtig ausgesprochen, „Pollo Genovese“ und nicht „Huhn auf Genueser Art“. Stell dir vor, diese Nürnbergerin, die immer so braun ist, die sagt „Huhn auf Genueser Art“. Schrecklich sind diese Leute, die sich nicht um die Kultur der Eingeborenen kümmern.
Ja, ist ja gut, „Einheimischen“ wollte ich sagen! Ich meine das positiv.
Ich koche das Pollo durch meine deutschen Augen gesehen, sozusagen, von mir mit deutscher Kultur bereichert.
Ich bin gar nicht albern, sag das nicht! Ich meine das ganz ernst, man muß sich einbringen, Mensch! Vielleicht nehme ich grüne Oliven statt schwarze? Guck mal, hier ist ein Glas mit griechischen grünen Oliven, die gab es neulich in Köln, die habe ich mitgebracht, zur Sicherheit.
Na, manchmal hat man doch Lust auf was anderes als immer nur auf diese schwarzen Oliven von hier.
Was meinst du dazu? Ich nehme mehr Sardellen als sonst, französischen Knoblauch und griechische Oliven, die Tomaten sind aber von hier und das Huhn ist übrigens aus dem Piemont. Das muß man ihnen lassen, von Hühnern verstehen sie dort etwas. Saftige Wiesen und so und Käse und Kühe. Hoffentlich merken die das hier in ihren Bergen und ihren Olivenhainen, dass ich darauf geachtet habe, gute Qualität aus ihrem eigenen Land zu kaufen, auch wenn es eine andere Provinz ist, aber das ist ja diese Vielfalt.
Ja, weiß ich, das hatten wir schon, die Italiener sagen auch immer alles dreimal.
Nein, ich will dich gar nicht ärgern, das war lustig gemeint! Laß‘ die Finger aus dem
Olivenglas!
Die schmecken nach Benzin?
Gib mal her. Quatsch, die schmecken griechisch, das wird die Gäste sehr überraschen, dass ich das Gericht mit grünen statt mit schwarzen Oliven koche und dass aber die Oliven aus Griechenland sind, das sagen wir natürlich nicht. Versprochen?
Na, immerhin, bist ein Schatz.
Hör‘ mal, in dem „Deutschen Club“ oder wie der dann heißt, da könnte man sich austauschen über die Bereicherung der italienischen Rezepte durch uns. Ich könnte erzählen, dass „Pollo Genovese“ mit griechischen grünen Oliven und ganz vielen Sardellen... wo sind die eigentlich her? Tunesien? Hm. Die habe ich aber im Supermarkt in Ventimiglia gekauft, also wirklich, diese Italiener, unglaublich, Sardellen aus Tunesien, das stand nicht dran, das sehe ich jetzt erst hier auf dem Glas.
Ja, ja, steht drauf, habe ich aber nicht gesehen.
Na, ist egal, das wird doch spannend, hör‘ mal! Mach mal das Glas auf! Bitte.
Danke. Grazie. Ich übe schon mal. „Buona sera. Benvenuto! Ecco, il Pollo!“ Wie findest du das?
Bleib doch mal hier, du kannst doch den Tisch decken.
Den Weißwein habe ich schon im Kühlschrank. Aber das ist ja Quatsch, der kommt ja ins Essen. Hihi, hi, ich bin ganz aufgeregt wegen dieser Idee mit dem Club. Ich hacke jetzt erst mal die Petersilie klein, das dauert immer so lange, aber da werden die sich wundern, wie fein wir das machen.
Wer wir?
Na wir, die Deutschen. Die Italiener, die schmeißen doch die Kräuter immer so rein. Schneid‘ mal die Sardellen klein oder nein, laß‘ mal, du sollst ja den Tisch decken, nun warte doch mal!
Die kennen das nur mit schwarzen Oliven und plötzlich komme ich und nehme grüne Oliven, das muß doch viel Gesprächsstoff geben nachher. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, worüber wir eigentlich mit denen reden sollen um das eigentliche Thema herum, man kann ja nicht mit der Tür ins Haus fallen, das mag der Italiener gar nicht, wenn man alles gleich offen und direkt sagt, das muss so mehr um die Ecke gehen.
Wie der Kölner? Also, wirklich, heute hast du aber Vorurteile! Der Rheinländer und „um die Ecke“, der ist doch ganz offen!
Laß‘ mich mal überlegen, was es für Themen geben könnte außer dem Dachausbau. Dass hier immer die Sonne scheint, wissen die selber und ihre Landschaft kennen sie auch in- und auswendig und mehr fällt mir gar nicht ein, über das man reden könnte, weil man doch sehr verschieden ist. Ich meine, die leben immer hier und sind geprägt. Vom Meer und von den Olivenbäumen und den Blumen, wusstest du, dass das hier „Blumenriviera“ heißt?
Ja? Schon immer? Komisch, mir ist das neulich erst aufgefallen, nach sieben Jahren, guck mal an, das ist ja das Schöne, das einem immer noch was Neues auffällt, sonst wäre es doch auch auf die Dauer langweilig.
Wie ich das meine?
Na, wie der Mensch eben geprägt ist von seiner Landschaft, Herrgott noch mal, wir sind doch auch geprägt von der deutschen Großstadtkultur, von der Urbanität, so nennt man das jetzt. Ich habe keine Ahnung, wie das auf Italienisch heißt. Und überhaupt sind wir von der deutschen Kultur geprägt, und die sind geprägt von der Sonne und den Bergen und dem Meer und ihren Oliven und ihrem Wein und ihrem einfachen Leben. Da kann man doch jetzt keine hohen Ansprüche an die Gesprächskultur stellen und ich versuche doch nur, einen Gesprächsstoff zu finden. Leider ist Italien kein Entwicklungsland mehr, das war doch früher anders, als man noch was beitragen konnte. Aber nun könnten wir mit ihnen vielleicht über meine Variationen des „Pollo Genovese“ reden, was meinst du?
Na gut, Schulterzucken ist auch eine Form der Kommunikation, aber ein bisschen besser gelaunt musst du nachher schon sein, sonst bleibt mal wieder alles an mir hängen, das Lächeln und Plaudern und so weiter!
Guck mal diesen Sonnenuntergang, einmalig! Guck mal bloß das Licht! Lila, rosa, orange und pink, göttlich! Ob die das überhaupt zu würdigen wissen? Ich meine, wenn man irgendwo immer lebt, sieht man das irgendwann gar nicht mehr. Ich werde das nachher mal sagen, dieses Licht, la luce, il sole ist einmalig, buona, buonissimo, dann merken sie erst mal wieder, wie toll und wunderbar sie es hier haben.
Nicht so klein schneiden die Sardellen! Und dann mit diesem großen Messer! Wenn überhaupt nimmt man das kleine. Aber ich hab' doch gesagt, du sollst lieber den Tisch decken, gib mal her.
Nein, nimm das weiße Tischtuch, doch ist doch wichtig, dass die sehen, wir essen mit Tischdecken, hier kriegst du selten Tischdecken und Silber. Das heißt ja auch „Osteria“ oder „Trattoria“, das weiß ich sehr wohl, dass man dort keine Tischdecken erwarten soll. Ich meine das doch nicht böse, nun mach‘ schon.
Ja, die guten Gläser, was denkst du denn? Nachher sind sie beleidigt und wir werden ermordet, weil das gegen die Ehre ist, wenn sie schlecht behandelt werden. Hi, hi.
Ja ich weiß, dass das mit der Ehre die Islamisten sind, Mensch, du bist aber heute völlig humorlos. Guck doch nicht so, das weiß doch aber jeder, dass die Mafia überall ist.
Das war ein Scherz, du meine Güte, nun krieg' dich wieder ein.
Korruption bei uns?
Das ist aber was ganz anderes, also entschuldige mal, bei uns passiert das in den Banken und in den Rathäusern und nicht auf der Straße und mit Mord. Aber das ist kein Thema, das ich mit denen besprechen würde. Das ist mir zu riskant, auch wenn das nur der Bürgermeister und die Blumenbauern sind. Außerdem kann ich zu dem Thema keine Worte außer „Mafia“ und das ist nun mal italienisch, es gibt ja nicht mal einen deutschen Ausdruck dafür. Fünf plus wir sind sieben. Eigentlich blöde, wir könnten vielleicht noch die Nachbarin einladen?
Zu spät?
Ist doch egal, ganz spontan, man sagt doch, der Italiener ist spontan und fröhlich, darüber wundert die sich doch nicht, die soll sich doch freuen, dass sie schon nach sieben Jahren bei uns eingeladen wird und dann gleich mit dem Bürgermeister und zu diesem köstlichen Essen und mit weißem Tischtuch! Also, weißt du, das ist eine wirklich gute Idee, die mir da jetzt gekommen ist. Sie hat doch auch einen Balkon mit Meeresblick und du weißt, dass Gretel und Herbert auch gerne ein Haus kaufen wollen und unverbauter Meeresblick ist nicht mehr zu bekommen.
Ja, ich weiß, dass die noch lebt, ist ja nur so eine Idee. Man könnte einfach mal so darüber plaudern, ob sie schon mal überlegt hat zu den Kindern runter nach Bordighera zu ziehen, weil die Beine auch nicht mehr so mitmachen...
Unterbrich mich doch nicht! Ist ja schon gut, laden wir sie eben nicht ein, ich dachte nur, sieben ist eine blöde Zahl.
Ich könnte auch einfach mal Kapern dran tun. Das haut die um, was meinst du?
Ich meine, wir müssen uns ja nicht stur an alles halten, nur um nicht aufzufallen, wir fallen sowieso auf. Obwohl die Italienerinnen jetzt alle blond sind, hast du das gesehen?
Klar, nicht alle. Heute legst du jedes Wort, das ich sage, auf die Goldwaage. Und sie haben mit die niedrigste Geburtenrate, habe ich gelesen. Das stimmt niemals, die zweite Tochter vom Metzger ist schon wieder schwanger, das dritte. Das sitzt da drin, das Katholische hier auf dem Dorf. Diese Statistiken stimmen einfach nicht. Und es laufen ja auch, na, du weißt schon, Inzucht und so, frei rum. Die lassen sie hier ja frei rumlaufen, bei uns sieht man die nicht oder es gibt einfach weniger.
Ich sag' ja gar nichts, reg‘ dich doch nicht auf, du bist heute so empfindlich, du meine Güte. Ich finde das doch toll, dass die die hier frei rumlaufen lassen, die tun ja auch keinem was! Ich sag' ja nur, hier ist auch nicht alles nur toll, nur wegen des Sonnenuntergangs.
Guck mal, guck mal, dieses Licht! Cezanne, ich sage nur Cezanne. Gibt es eigentlich italienische Maler? Ich meine, warum haben die ihr Licht nicht selber gemalt? Eher machen die in Musik und Fußball, viele Komponisten gibt‘ s und auch ein paar Schriftsteller, glaube ich, die kann ich aber nicht behalten.
Sag mal, Rosmarin auf jeden Fall? Ich muß mich mal konzentrieren. Die Tomaten schmecken hier einfach besser, das ist wahr. Die aus Hamburg mit den drei Terrassen, was ich übertrieben finde, die vermietet nie an Italiener, das weiß jeder. Sie sagt nicht, warum, aber an Engländer. Ja, ich weiß, dass ich das schon mal gesagt habe, fällt mir nur gerade ein wegen der Tomaten, die können sie wirklich. Reich mir mal das Rosmarin, per favore, das riecht auch anders als Zuhause, grazie.
Das habe ich aus dem Garten von diesem einen kleinen Alten.
Giovanni? Wenn du es sagst. Die heißen doch alle Giovanni oder Mario. Das kann ich mir nicht merken, wirklich nicht, das kann mir keiner übel nehmen, wenn die alle gleich heißen.
Nein, das sage ich nicht, dass sie alle gleich aussehen! Also hör mal, ich bin doch nicht rassistisch, das geht zu weit. Das würde ich nie sagen. Ich habe nur gesagt, die heißen alle gleich. Das gibt es bei uns natürlich auch, dass bestimmte Jahrgänge gleich heißen.
Was trinken wir denn? Warte mal, so, jetzt noch Pfeffer, den Sugo, oder heißt das „das“ Sugo? Und die Sardellen und Oliven rein, das sieht hübsch aus mit den grünen Oliven, rot die Tomaten, weiß das Huhn und der Knoblauch, das ist doch eine Reverenz an die italienische Fahne. Oder?
Gar nicht albern, ich finde das wirklich hübsch, sei doch nicht so misstrauisch.
Habe ich was vergessen? Knoblauch. Weißwein. Backofen ist an. Prima, jetzt deck' mal den Tisch, ich trinke schon mal was. Was trinken wir denn? Ich habe französischen und chilenischen Wein, den italienischen habe ich jetzt am Pollo dran.
Nun schimpf' doch nicht gleich!
Ja, das ist blöde, dass wir keinen italienischen mehr haben, der ist jetzt an der Soße. Ich kann mir das einfach nicht merken, was die hier anbauen, die sind nicht so berühmt, diese Weine von hier, das hat man nicht so im Kopf, also habe ich mal die französischen mitgebracht und den chilenischen aus dem Supermarkt, das passt doch prima und die merken das nicht, das sind Blumenbauern.
Jetzt bist du schon wieder sauer, man darf wirklich nichts sagen heute!
So, ich mache mal den Tisch fertig. Das sieht nicht gut aus mit sieben Gedecken, ich hab’ s irgendwie geahnt. Hör' mal, geh doch mal die Nachbarin fragen, bitte! Das wäre so günstig wegen Gretel! Wenn man ihr was Gutes vorsetzt und nett mit ihr redet. Das kannst du doch!
Nun warte doch mal! Wir müssen noch besprechen, wie du das dem Bürgermeister mit dem Aufstocken beibringst.
Sicher machst du das. Ich koche schön und bediene und bin nett und du redest mit ihm wegen des Ausbaus, dass er den Denkmalschutz mal eine Weile vergisst. Dafür laden wir ihn zu diesem guten Essen ein. Bleib' hier, habe ich gesagt! Wir müssen das noch genau planen wie das Gespräch laufen soll!
Wieso verwandt?
Mario!
Das hast du mir noch nie gesagt, dass diese Nachbarin deine Cousine ist. Hast du doch?
Wer soll sich denn in diesen riesigen italienischen Familien auskennen! Ich habe das nicht behalten. Du mit deinen Cousinen. Und ihr redet immer so schnell, damit ich nichts verstehe. Und immer so indirekt. Du willst das nur nicht wahrhaben. Also, mit dem Bürgermeister...
Was machst du denn da? Fuchtel‘ doch nicht mit dem Messer so rum.
Mario! Tu das weg, damit macht man keine Witze.
Mario! Tu das Messer weg, verdammt noch mal!
Mario? Mario!!
Das weiße Tischtusch... Nein!!
Mario?
Nein!!!!
Mario, der Backofen...
So viel Blut...
Wie die Tomaten.
Mario?
Mario...
 
 
Ulla Lessmann: „Das Lachsmesser im Marzipanschwein - Morde und andere Zufälle“
Leporello Verlag, 10/2010, ISBN-10: 3-936783-39-X, 252 Seiten, 9.90 Euro. Mehr über Ulla Lessmann, von der wir 2006 schon 17 Kurzgeschichten in der Serie „Sie sagen ja jetzt“ veröffentlicht haben, finden Sie unter http://www.ulla-lessmann.de (PK)


Online-Flyer Nr. 274  vom 03.11.2010

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