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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Kommentar
Das Nobel-Komitee darf den Zentren der Westmächte melden: Auftrag ausgeführt.
Preisvergabe per Giftspritze
Von Volker Bräutigam

Der chinesische Schriftsteller und Oppositionelle Liu Xiaobo bekommt den Friedensnobelpreis. Mario Vargas Llosa wird Nobelpreisträger für Literatur. Beide Ehrungen sind politisch motiviert. Man kann sie als in gleichem Ungeiste vergebene Würdigungen betrachten, als westlich-imperialistische Giftspritzerei.
 
Llosa begann einst als sozialkritischer Autor; seine frühen Romane blieben aber lange weithin unbekannt. Nach und nach wurde dieser peruanische

Liu Xiaobo    Quelle: NRhZ-Archiv

Schriftsteller zum Verräter an seinen eigenen Idealen. Ein Mann der die Privatisierung des Bankensenktors in Peru vorantreiben half, sich der peruanischen Oberschicht und der imperialen Politik der USA und ihrer Alliierten andienerte (und im Verdacht steht, sich von der CIA steuern zu lassen), in Europa, derzeit London ein gut bürgerliches Leben führt - ganz und gar der Typ sozialer Aufsteiger, der sich von seinen Ursprüngen abgekehrt hat. Er wurde sogar - obwohl er dort nichts verloren hat - Signatar in dem reaktionären Klub „Autorengemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland“, wo er sich per Unterschrift u.a. an Aktionen gegen die öffentlich-rechtliche Deutsche Welle und damit gegen die Rundfunkfreiheit in Deutschland engagierte. Ein Reaktionär.
 
Und Freund des Dalai Lama, versteht sich beinahe von selbst. Und damit haben wir nun die gedankliche Brücke, über die wir zum jüngsten

Mario Vargas Llosa
Quelle: http://www.justa.com.mx/
Friedensnobelpreisträger kommen. Als Schriftsteller ist Liu in China allerdings weithin unbekannt. Als Regimekritiker, als „Dissident“, übrigens ebenso.
 
Liu wurde wegen angeblich staatsfeindlicher Tätigkeit in Peking vor einigen Monaten zu elf Jahren Haft verurteilt. Genaues, Gesichertes, Beweisbares weiß man im Westen darüber nicht, denn gegen Liu wurde hinter verschlossenen Türen verhandelt. Man darf demnach sagen, dass Anklage und Verlauf des Geheimprozesses rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht standhalten. Das geradezu maßlose Urteil tut es ganz sicher nicht. Dies alles spricht entschieden gegen die chinesische Justiz. Aber spricht es zugleich tatsächlich für Liu, den Beklagten? Und: Ändert die Auszeichnung mit dem Friedenspreis etwas an den Sachverhalten? Macht sie irgend etwas besser? Hilft sie dem Häftling Liu? Oder stärkt sie nur die Selbstgerechtigkeit der westlichen Kritiker?
Erinnerungen an die Vergabe des Friedensnobelpreises an den KZ-Häftling Carl von Ossietzky drängen sich nur oberflächlich auf. Solche historisierenden Vergleiche taugen nichts. Im Falle des deutschlandweit bekannten „Weltbühne“-Chefredakteurs zeichnete die Nobel-Jury 1936 einen geradlinigen Journalisten aus, den die Nazis foltern ließen und für den das Komitee mit einigem Grund hoffen durfte, der Preis werde seine Lage zumindest erleichtern. Der Fall Liu liegt in vieler Hinsicht gänzlich anders.
Zunächst sind es keine Nazis, die das unvertretbare Urteil (elf Jahre!) gegen ihn fällten. Liu ist aber auch kein v. Ossietzky. Der war 1931 wegen angeblicher Spionage verurteilt worden, weil er die verbotene Aufrüstung der Reichswehr in der Weltbühne bekannt gemacht hatte. Sein Prozess erregte weltweit Aufsehen. Als die Nazis an die Macht gewählt wurden, nahmen sie ihn erneut in Haft und verschleppten ihn ohne Prozess und Urteil in die Konzentrationslager Sonnenburg und später Esterwege, wo er schwer misshandelt wurde. Den Friedensnobelpreis durfte er zwar nicht selbst annehmen, kam aber, wenn auch körperlich zerstört, wieder auf freien Fuß. Er starb in Freiheit, aber an den Folgen der KZ-Folter.
Liu hingegen wurde von einem chinesischen Gericht verurteilt. Ob und inwieweit rechtens (im Sinne von: legal nach chinesischem Recht) oder nicht, entzieht sich unserer Kenntnis. Unsere Vermutungen sind kein Ersatz für Wissen. Die Regierung der VR China muss nun die Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu als Affront sondergleichen empfinden, als Versuch des „Westens“, die Herrschaft der KP Chinas mit der Herrschaft der Nazis gleichzusetzen und die innerchinesische Opposition zu munitionieren. Das wird Liu Xiabos Schicksal, gleich wie unverdient es möglicherweise ist, in keiner Weise erleichtern. Eher kann es seine Aussichten auf Straferleichterung oder gar Straferlass zunichte machen. Das Nobel-Komitee liefert eine Portion Steine, mit denen arrogante Superdemokraten aus ihrem Glashaus nach der chinesischen Zielscheibe werfen können. Der Westen schafft sich Märtyrer im Lager des Gegners. Der seit 25 Jahren in einer Todeszelle sitzende schwarze US-Amerikaner Abu Mumia Jamal, ein vorzüglicher Schreiber, würde von diesem Komitee mit Sicherheit nie genobelt werden.

Liu ist Präsident des chinesischen PEN-Clubs und Begründer der Charta 08. In diesem Manifest fordern die Unterzeichner eine politische Modernisierung Chinas, einschließlich individueller Freiheit, Garantie der Menschenrechte und Gewaltenteilung. Sie skizzieren eine Utopie ohne jede vernünftige Beziehung zur politischen und kulturellen Realität in der VR China. "Die Rückständigkeit des gegenwärtigen Systems ist an einem Punkt angekommen, wo es ohne Reformen gar nicht mehr geht", heißt es in dem Text unter anderem. Das mag zwar zumindest partiell zutreffen. Die Charta enthält sich allerdings jeglicher präziser Darlegung, wie Reformen in der autoritär verfassten Volksrepublik China vonstatten gehen sollten, ohne dass es zu chaotischen, vorrevolutionären Verhältnissen in dem 1,5 Milliarden Einwohner zählenden, multi-sprachigen und multi-ethnischen Riesenreich käme, das nur von der Staatspartei zusammengehalten wird. Es wird Liu Xiabo und vielen seiner Berufskollegen klar sein, dass revolutionäre Veränderungen in China Bürgerkrieg und ein unvorstellbares Blutvergießen bedeuten würden.

So wie die heurige, politisch motivierte Nobelpreisvergabe dem Oppositionellen Liu nichts nützen wird, so schadet sie den internationalen Beziehungen zur VR China. Auf Bemühungen, die Volksrepublik in ein globales System zur Harmonisierung der Währungen (unter Zuhilfenahme des IWF) und damit in ein Friedenskonzept einzufügen, wirkt sie kontraproduktiv. Ohnehin sprechen schon viele Anzeichen dafür, dass ein Währungskrieg bevorsteht, weil die USA ihre Dollars ebenso künstlich verbilligen, wie die VR China ihren Renminbi zu niedrig bewertet, beides letztlich zum Schaden der Euro-Länder. Musste noch Öl in dieses Feuer gegossen werden?
Das Nobelpreiskomitee ist keine auswählende Runde der Realität enthobener Geistesgrößen und Honoratioren. Es ist eine Truppe akademisch-elitärer Dienstboten des westlichen Imperiums. Diese Figuren treten der Führung der Weltmacht China in voller Absicht auf die Füße. Cui bono?
 
In den Augen vieler chinesischer Bürger wird diese Preisvergabe den gleichen Negativ-Effekt haben wie seinerzeit die Preisvergabe an den Dalai Lama: Sie wird als Angriff empfunden, als Unterstützung für jemanden, der das Große Ganze der Volksrepublik infrage stellt und der das Verhältnis zum Ausland belastet. In den Augen vieler Chinesen sinkt das Ansehen des Friedensnobelpreises nun ebenso, wie einst in unseren Augen, als die Mörder Menachem Begin, Henry Kissinger und Frederik Willem de Klerk genobelt wurden.

Der Westen braucht die Regierung in Peking bei der Bewältigung existenzieller Probleme: im Kampf gegen den Klimagau, bei der Korrektur und Kontrolle der Finanzmärkte, der Regulierung des Welthandels, der Suche nach Währungs- und Zahlungsausgleich, bei der Bekämpfung der Cyberkriminalität, der Sicherung der Urheberrechte und der Lösung regionaler Konflikte. Nicht nur im Hinblick auf Korea, auf den Iran, auf Myanmar, Kaschmir usw. ist die Partnerschaft mit China als zweitgrößter Wirtschaftsmacht der Welt, Zahlmeister und Bürge US-amerikanischer und europäischer Pleitiers für den Westen unumgänglich. Spuckt man einem rettenden Partner von hinten an den Frack?

Nein, der Friedensnobelpreis für Liu Xiabo ist keine Großtat von vermeintlichen Vorkämpfern für Freiheit und Menschenrecht sondern ein Fehlentscheid, dem nur die Hardliner in den USA und ihre Wasserträger applaudieren dürften. Nachdenklichere und um Verständigung bemühte Mitmenschen müssen diese Preisvergabe nicht nur als heuchlerisch, sondern als so kontraproduktiv empfinden, wie sie vermutlich auch gemeint war. So sehr dem Geehrten Liu persönliche Freiheit und die Freiheit zur Äußerung seiner Gedanken auch zu wünschen wäre.
Hätte Helmut Kohl den Friedensnobelpreis bekommen, so hätte das in der VR China sicher Beifall gefunden. Und wir Linken in Deutschland hätten Stoff für gute Satire. Nach den Preisvergaben an Llosa und Liu vergeht uns das Lachen. Das Nobel-Komitee darf den Zentren der westlichen Mächte melden: Auftrag ausgeführt. (PK)


Online-Flyer Nr. 270  vom 09.10.2010

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