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Kultur und Wissen
Die Koalition der willigen Islamhasser wächst – bis hinein in die Linke
Feindbild Moslem
Von Sabine Schiffer

Dem Journalisten Kay Sokolowsky ist es zu weit gegangen. Er nimmt sich eine Reihe von Zeitdokumenten vor, um den Spuren der Islamfeindschaft nachzugehen, die auch er in unserer Gesellschaft ausmacht. Ja, er geht noch weiter und spricht von einem „Feindbild Moslem“. Sokolowsky schildert zwar die Missstände im deutschen Diskurs seit dem 11. September 2001, nachdem auffällig auf die „Islamismuskarte“ gesetzt wurde. Wichtig aber ist, dass er im analytischen ersten Teil seines Buches in die frühen 1990er Jahre zurück geht und seine Spurensammlung mit der (in-)offiziellen politischen Reaktion auf die Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte und das Wohnhaus der Familie Genc beginnt.
 
Als Urvater des Angsthabertums bzw. seiner weiteren Kultivierung nach der medialen Anti-Asylkampagne mit ihren pogromartigen Folgen macht der Autor den Leiter der Verfassungsabteilung Eckart Schiffer unter Innenminister Wolfgang Schäuble aus. Als „Chefdenker der Ausländerpolitik“ entwirft er nach den Ausschreitungen in Hoyerswerda die Blaupause für eine ausgrenzende Gesetzgebung, die der vielfach kolportierten Theorie vom „Ernstnehmenmüssen der Ängste der Gesellschaft“ folgt, ohne zu analysieren, wie die Ängste entstanden sind bzw. von wem sie wie geschürt wurden. Statt Minderheitenschutz propagiert E. Schiffer also Mehrheitsschutz mit allen Folgen für die weitere Stimmungsmache – bis heute. Diesem Mainstream-kompatiblen Grundkonzept verpflichtet, bildeten sich die kuriosesten Koalitionen: von Alice Schwarzer bis Stefan Aust, der bis zu seinem Ausscheiden das Magazin „Der Spiegel“ zu einem der führenden Kampfblätter antiislamischer Agitation machen sollte. So erklärt Sokolowsky die vielen Titelblätter zum Thema, die mit islamischer Symbolik im Kontext sämtlicher Missstände nur noch so um sich warfen.
 
Auch die inzwischen einschlägig bekannten Kronzeugen“ Necla Kelek, Henryk Broder und Ralph Giordano reihen sich in diese Koalition der willigen Islamhasser ein und Sokolowsky beschreibt kenntnisreich deren Lieferung von Vorlagen für die extreme Rechte. Wenn ich auch nicht jedes Detail der Analyse des Autors teile, so legt der „Konkret“-Journalist hier ein äußerst wichtiges Buch vor, das zudem spannend zu lesen ist. Die Logik, die hinter dem Aufbau aufscheint, könnte tatsächlich Realität werden und damit sendet er ein Signal vor allem an die Zielgruppe Linke, in deren Reihen immer wieder neurechte Parolen zu hören sind und offensichtlich einige Verwirrung herrscht. Da inzwischen ja auch offiziell bekannt ist, dass der antiislamische Spin – besonders die Frauenkarte – eine Strategie zur Bewerbung von Kriegseinsätzen ist, wogegen sich die politische Linke eigentlich ausspricht, ist klar, dass hier spaltende Kräfte wirken. Wer der Verwirrung etwas entgegen setzen und einer rationalen Analyse zuarbeiten will, dem sei das Buch wärmstens empfohlen.
 
Erfrischend anders, aber ebenso erhellend sind die vier Interviews am Schluss des im Rotbuch Verlag erschienenen Taschenbuchs. Neben Wolfgang Benz, Lale Akgün und „Quotentürke“ Bedo kommt auch eine Frau zu Wort, die sehr drastisch ihre Erfahrungen bei der Begleitung Betroffener zu Behörden schildert und den neuen Markt der sog. Integrationskurse kritisiert. Ihre Erfahrungen lassen nicht nur den Alltags- und den behördlichen Rassismus als Ausgrenzungsmechanismus plastisch werden, sondern werfen auch ein Licht auf die Wirkmöglichkeiten von Maßnahmen, die offensichtlich am Bedarf vorbeigehen. Spätestens hier wird deutlich, dass eine Debatte um die sog. Intregration ohne die Zurkenntnisnahme der Folgen von Rassismus nicht auskommen kann. (PK)
 
Kay Sokolowsky: „Feindbild Moslem“. Berlin: Rotbuch. 255 Seiten, 2009ISBN: 978-3-86789-083-0.


Online-Flyer Nr. 270  vom 06.10.2010

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