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Literatur
„Schutzschirmsprache“ von Rudolph Bauer und Lothar Bührmann
Parteiliche Poesie und hintersinniger Humor
Von Paulo H. Bruder

Mit "Minima Politika" ist beim Horlemann-Verlag im rheinland-pfälzischen Unkel ein Band mit lyrischen Epigrammen und Cartoons der NRhZ-Mitarbeiter Wolfgang Bittners und Kostas Koufogiorgos erschienen. Es geht dabei u. a. um den zunehmenden Abbau demokratischer Rechte, um soziale Kälte, Korruption in Politik und Wirtschaft, Einschränkung von Menschenrechten und vieles mehr. Um gleiche, aber auch um weitere Themen - den Afghanistan- und den Gazakrieg, die Verletzung der Menschenrechte - oder um die Rolle von Alfred Nobel, Sarah Palin und Reinhard Mohn geht es auch in einer Neuerscheinung des Bremer Sujet-Verlags.
 
Der Band mit politischer Lyrik von Rudolph Bauer trägt den Titel „Schutzschirmsprache“ und enthält neben den Texten zahlreiche Cartoons dewsw Karikaturisten Lothar Bührmann. Letzterer stellt den politischen Gedichten Rudolph Bauers eine zeichnerische Eleganz an die Seite, wie sie dem Politischen gemeinhin nicht zueigen ist – erst recht nicht in der deutschen Tradition ideologischer Grabenkämpfe und erstarrter Erinnerungsrituale. Die Cartoons akzentuieren die Stoßrichtung der politischen Gedichte, indem sie deren kritischen, auf Veränderung angelegten Horizont erweitern um die Dimension eines feinen spöttischen Witzes, der zu beißen – und fallweise gezielt zuzubeißen – vermag. Solcherart begegnen sich ein engagierter Lyriker und ein kritischer Cartoonist, ergänzen sich parteiliche Poesie und spitze Feder, treffen nachdenklicher Protest und hintersinniger Humor aufeinander.
 


Volltreffer
Cartoon: Lothar Bührmann
 
RUDOLPH BAUER
 
Goldstone 
 
phosphorbomben wurden abgeworfen
fielen auf dicht besiedelte wohngebiete
auf wohnhäuser
auf lagerhäuser
auf spitäler
 
phosphor brennt
bleibt haften am menschlichen gewebe
große stücke und ganze muskeln
müssen chirurgen den opfern herausschneiden
 
phosphor brennt
dringt in menschliches gewebe ein
verursacht verbrennungen und tiefliegende organschäden
die nicht mehr behandelbar sind
 
streubomben mit pfeilmunition wurden eingesetzt
 
durch streuung
verursachen die pfeilgeschosse aus metall
vier zentimeter lang
großflächige wirkung großflächig
sind auch die verletzungen
beim aufschlag auf das menschliche gewebe der zivilisten
 
DIME-waffen wurden zum einsatz gebracht
 
die kleinen splitter der DIME-geschosshülsen
dringen ein in das menschliche gewebe
wo sie auch mit röntgenstrahlen nicht identifizierbar sind
 
ihre gehäuse aus kohlefasern
gefüllt mit einem gemisch von sprengstoff
und einem pulverisierten schwermetall
zum beispiel wolfram verursachen verletzungen
die tödlich sind oder eine amputation erfordern
 
weil es an zeit gemangelt hat
erklärt der bericht der goldstone-kommission der UNO
sei man der frage nicht nachgegangen
ob auch waffen
angereichert durch uran zum einsatz gelangt sind

 


Porträt Alfred Hrdlicka
Cartoon: Lothar Bührmann
 
RUDOLPH BAUER
 
Turteltäubchen 
 
hrdlicka bedeutet turteltäubchen
 
seinem renner an der wiener ringstraße
stand der opportunist
ins gesicht geschrieben
 
sein relief der seligen restituta kafka
ordensfrau und widerstandskämpferin
erregte die proteste
nicht nur kirchlicher kreise
 
um sein mahnmal gegen krieg und faschismus
tobte jahrelanger streit
 
er schimpfte sich uraltstalinist
von illegaler arbeit geprägt
war er lieber prolet als avantgardist
 
ein glas stolichnaya in der hand
prostete er dem gevatter zu
als der ansetzte
den letzten meissel
 
hrdlicka bedeutet turteltäubchen 
 
Lothar Bührmann, der Cartoonzeichner, lebt als freischaffender Künstler in der Nähe von Bremen. Seine Arbeiten wurden und werden auf zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland gezeigt. 1997 erhielt er den Friedens- und Kulturpreis der Villa Ichon in Bremen. 2003/2004 war er Stipendiat der Deutschen Akademie „Casa Baldi“ in Olevano Romana/Italien. Mit seinen grafischen Arbeiten öffnet Bührmann „überraschende Horizonte und verborgene Denk-Räume, er schafft unerwartete Ausblicke – ohne lärmende Fanfarenstöße, ohne schweren Gedanken-Ballast“ (Rainer B. Schossig in: Deutschlandradio Kultur). Seine literarischen Cartoons sind in Zeitungen und Zeitschriften sowie in Buchform erschienen: u. a. die Bände „Gekacheltes Innenleben“ sowie „Texte und Zeichen“ (beide 1996). 
 
Rudolph Bauer stammt aus Amberg/Oberpfalz, lebt seit 1971 in Bremen und hat als Lyrikautor in Literaturzeitschriften veröffentlicht und fünf Gedichtbände veröffentlicht: „Widerton“ (1986), „Ittinger Vignetten“ (1988), „Ätze terra“ (1989), „tanger und anderorts“ (2006) sowie „Lotusfrau Mondlicht“ (2010). Bis 2002 war er Professor der Sozialarbeitswissenschaft an der Universität Bremen. Aus seiner Forschungsarbeit sind zahlreiche Aufsatz- und Buchveröffentlichungen hervorgegangen, zuletzt die Studie „Personenbezogene Soziale Dienstleistungen. Begriff, Qualität und Zukunft“ (Westdeutscher Verlag 2001). Seine jüngsten Aufsatzveröffentlichungen befassen sich kritisch mit der Bertelsmann AG und der gleichnamigen Stiftung. Alfons Limbrunner notierte zu Bauers Gedichten: „Hier schreibt ganz bestimmt kein Weltverklärer, aber ein potentieller, sympathischer Weltverbesserer – einer, der jetzt weniger mit den Werkzeugen der Wissenschaft, sondern mit denen der Kunst agiert.“ (PK) 
 
Rudolph Bauer / Lothar Bührmann: "Schutzschirmsprache. Politische Lyrik und Cartoons". Sujet-Verlag 2010. ISBN 978-3-933995-59-9. - 14.80  €
Sujet-Verlag, Breitenweg 75, 28195 Bremen, T. 0421-703737 | www.sujet-verlag.de | kontakt@sujet-verlag.de


Online-Flyer Nr. 268  vom 22.09.2010

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