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Inland
Wie man in Hessen Ministerpräsident, Minister oder sonst was in der Politik wird
Die „Tankstellen-Connection“ von Koch und Bouffier
Von Manfred Giebenhain

Auf Roland Koch folgt Volker Bouffier. Hessen wird auch nach dem Abgang des „brutalstmöglichen Aufklärers“ von einem rechtskonservativen Juristen regiert, der wie sein Vorgänger mit Skandalen gesegnet ist. Für seine besonderen Verdienste um die Verletzung der Privatsphäre und des Datenschutzes von Menschen wurde dem ehemaligen hessischen Innenminister (1999 – 2010) bereits zwei Mal der Negativpreis »Big Brother Award« verliehen. Kein anderer Politiker hat es in der kurzen Zeit von zehn Jahren geschafft, den von Big Brother Award Deutschland ins Leben gerufenen Titel - auch „Oskar für Datenkraken“ genannt - wiederholt zugesprochen zu bekommen.
 

Volker Bouffier
Fotos: Manfred Giebenhain
Schon 2002 machte Bouffier durch die von ihm betriebene Wiederbelebung der gerichtlich gerügten Rasterfahndung auf sich aufmerksam, die erst vom Oberlandesgericht Frankfurt und dann vom Bundesverfassungs-gericht untersagt wurde. Drei Jahre später erhielt er „den Preis für das ‚präventive‘ Orten und Abhören von Mobiltelefonen; für die DNA-Analyse bei Kindern unter 14 Jahren, die eine Straftat begangen haben, zu deren zukünftiger Strafverfolgung; für die Befugnis der hessischen Polizei, Kfz-Kennzeichen auch ohne Straftatverdacht zu scannen und für den Einsatz von Videoüber-wachung bei Personenkontrollen“. Auch hier konnten erst Gerichte dem Treiben Bouffiers teilweise einen Riegel vorschieben.

 

Roland Koch
Wie bei Koch, haben die Negativschlagzeilen bei dem sechs Jahre älteren treuen Weggefährten den Weg nach oben nicht verbaut. Immer dann, wenn Gerüchte über Kochs Ambitionen gestreut wurden, in das Bundeskabinett zu wechseln, fiel auch der Name Bouffier. Für ihn hat sich das Warten gelohnt. Generalstabsmäßig hat die Hessen-CDU den 58 Jahre alten verheirateten Vater von drei Kindern zuerst im Juni zum neuen Landesvorsitzenden der Union gewählt, nachdem Koch Ende Mai seinen Rücktritt angekündigt hatte. Am 1. September erhielt der angegraute Blonde in geheimer Wahl offensichtlich sogar alle 66 Stimmen aus dem CDU/FDP-Regierungslager bei der Wahl zum Hessischen Ministerpräsidenten. Für den auch als „Prinz Charles von Hessen“ verspotteten Kofferträger von Koch bestimmt eine gewisse Genugtuung; erhielt Koch doch im vorigen Jahr trotz klarem Wahlergebnis die Zustimmung von nur 62 Landtagsabgeordneten. Öffentlich gemurrt wird in der Hessen-CDU ohnehin nicht. Dieses Gesetz galt schon zu Zeiten von seinen Vorgängern Alfred Dregger, Manfred Kanther und Walter Wallmann.
 
Der Name Kanther steht nicht nur für die Hardlinerpolitik „Law and Order“ in seiner Zeit als Bundesinnenminister (1993 – 1998), sondern auch für den fast 20 Jahre praktizierten Verstoß gegen die Verfassung des Landes und andere Gesetze durch gefälschte Bilanzen, vertuschte Spenden und in die Schweiz verschobene 20 Millionen Mark aus der Parteikasse. Der Generalsekretär (1980 – 1987) und Vorgänger Kochs als Landesvorsitzender der hessischen CDU (1991 – 1998) transferierte insgesamt rund 25 Millionen Mark wieder zurück ins Land, die durch Mittelsmänner am Geldwäschegesetz vorbei gestückelt auf Treuhand-Anderkonten eingezahlt und für mehrere Wahlkämpfe eingesetzt wurden. So auch 1,4 Millionen Mark für Kochs Wahlkampf, die ihm 1999 zum Sieg verholfen hatten. Koch behauptete, von den als „jüdische Vermächtnisse“ deklarierten Geldern nichts gewusst zu haben, als der Skandal aufgeflogen war. Nicht Koch, inzwischen der Lüge überführt, sondern sein Spezi Franz-Josef Jung, Generalsekretär der Hessen-CDU von 1987 – 1991, musste gehen. In dessen Amtszeit fiel der Kauf der neuen Landesgeschäftsstelle, finanziert mit Schwarzgeld. Für sein Bauernopfer entschädigt wurde Jung bekanntlich mit dem Posten als Bundesver-teidigungsminister (2005 – 2009) und als Bundesarbeitsminister. Sein letztes Amt währte nur 33 Tage, bis ihn die Kundusaffäre eingeholt hatte, über die sie auch in dieser NRhZ-Ausgabe einiges lesen können.
 
Zurück zum neuen Ministerpräsidenten Volker Bouffier. Er wohnt im mittelhessischen Gießen, so auch sein Parteifreund Hans Langecker. Diesen hat Bouffier im Sommer 2009 zum neuen Präsidenten der hessischen Bereitschaftspolizei ernannt, obwohl der Verwaltungsgerichtshof in Kassel dies ein halbes Jahr zuvor ausdrücklich untersagt hatte. Der unterlegene Kandidat Wolfram Ritter hatte geklagt, weil er in einem ersten Verfahren ein Jahr zuvor nicht berücksichtigt wurde. Die Forderung des Gerichtshofs, ein erneutes Auswahlverfahren vorzunehmen, wurde am Schreibtisch im Innenministerium erledigt. Selbst Innenstaatssekretär Boris Rhein (CDU) gestand ein, dieses nicht ordentlich dokumentiert zu haben und im Gespräch mit dem unterlegenen Kandidaten keine klare Auskunft gegeben zu haben. Unzureichend informiert entschied das Kabinett sich am 6. Juli 2009 für Langecker. Tags darauf erhielt er von Bouffier die Ernennungsurkunde. Weshalb die Eile? Üblich ist eine Zweiwochenfrist, um Rechtssicherheit zu erlangen. Schließlich könnten andere Bewerber Rechtsmittel einlegen. Mit der Ernennung schaffte Bouffier nach dem Beamtenrecht jedoch Fakten. Bouffier ist Jurist und wusste, was er tat. „Wir hatten nur noch einen Bewerber, und dann gibt es auch kein Rechtsschutzbedürfnis mehr", lautete seine Erklärung dem ZDF gegenüber.
 
Bereits zu Beginn seiner Ära als Innenminister hatte der einstige Landesvorsitzende der Jungen Union mit einem Skandal seine Qualifikation für den Posten unter Beweis gestellt. 1999 ermittelte die Gießener Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen des Verdachts auf Parteienverrat. Als Rechtsanwalt hatte Bouffier in einem Scheidungsfall sowohl den Ehemann als auch später dessen Frau juristisch beraten. Erst ein Treffen zwischen dem Oberstaatsanwalt und einem Staatssekretär des hessischen Justizministeriums machte es möglich, dass die unliebsame Angelegenheit aus der Welt geschafft wurde. Gegen Zahlung von 8.000 Mark wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt.
 
Warum hat der Mann es trotzdem so weit gebracht? Ein Musterbeispiel dafür, wie Macht und Pöstchen in der CDU verteilt werden, bietet ein Blick in die Biografie von Roland Koch, die der Journalist Hajo Schumacher 2004 veröffentlicht hat. Gerne nannten sie sich die „jungen Wilden“ in der Union, die Anfang der Achtziger Jahre angetreten waren, einen Generationswechsel in der Hessen-CDU herbeizuführen. Die Rede ist von der „Tankstellen-Connection“, unter deren Dach sie regelmäßig in einem Hinterzimmer an der Autobahnraststätte Wetterau Pläne geschmiedet hatten, wie sie zuerst die Macht in der CDU und schließlich im Land an sich reißen könnten. Wie bei Seilschaften so üblich, schwuren die Nachwuchsgrößen, sich gegenseitig beim politischen Aufstieg zu helfen. Mit von der Partie waren natürlich Koch und „Buffi“, wie der neue Ministerpräsident damals noch von Weggefährten genannt wurde. Sie verstanden sich als „Blutsbrüder“: jeder war jedem verpflichtet.
 
Wie erfolgreich der Geheimbund schließlich wurde, bestätigen nicht nur die Politkarrieren von Koch und Bouffier. Mit am Tisch saßen auch Jung und der noch amtierende CDU-Fraktionschef Christean Wagner. Zu Ministerposten reichte es auch für Karlheinz Weimar (Finanzminister von 1999 - 2010), Karin Wolff (Kultusministerin von 1999 - 2008), Jürgen Banzer (Justizminister von 2005 – 2009 sowie Arbeitsminister von 2009 - 2010) sowie für Volker Hoff (Europaminister von 2006 - 2009). Auch die Karrieren der restlichen Tankstellen-Freunde können sich sehen lassen: Der Unternehmer Clemens Reif ist Mitglied des hessischen Landtags und Gründungsaktionär und Vorstand der Chrilian Aktiengesellschaft mit Sitz in Herborn. Bernd Siebert steht der hessischen Landesgruppe in der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag vor. Obwohl aus der Tankstellen-Ära nur noch Bouffier im neuen Kabinett übrig geblieben ist, funktioniert das System immer noch recht gut.
 
So bleibt nach elf Jahren im Amt als Ministerpräsident Roland Koch (1999 – 2010) dem hessischen Steuerzahler nicht nur als Pensionär erhalten. Das Kabinett des hoch verschuldeten Landes hat beschlossen, dem a. D. auch noch für weitere sechs Monate einen Dienstwagen mit Fahrer, eine Schreibkraft und einen Referenten zur Verfügung stellen. Da spielt es keine Rolle, dass sich während seiner Amtszeit die Verschuldung des Landes von 22,3 Milliarden auf über 42 Milliarden Euro fast verdoppelt hat. Erst kürzlich hat die CDU/FDP-Regierung beschlossen, den ohnehin schon bankrotten Kommunen weitere 400 Millionen Euro im kommunalen Finanzausgleich vorzuenthalten. (PK)
 
Quellen: Big Brother Award Deutschland, Darmstädter Echo, Der Spiegel, Frankfurter Rundschau, Hajo Schumacher im Fischer Taschenbuch Verlag 12/2004: „Roland Koch. Verehrt und verachtet“, Hessisch-Niedersächsische Allgemeine, Jusos Hessen, „Roland Kochs Schwarzgeldskandal“ (Hrg. SPD-Fraktion im Hessischen Landtag), ZDF.


Online-Flyer Nr. 267  vom 15.09.2010



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