NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

Fenster schließen

Kultur und Wissen
Dem Zionisten und israelischen Patrioten Uri Avnery zum 87sten Geburtstag
Wie eine Feuersäule
Von Gideon Levy

An diesem Wochenende wird ein bedeutender Israeli seinen 87. Geburtstag feiern. Auch wenn er im selben Alter des israelischen Präsidenten ist und sein Einfluss auf Israels Geschichte nicht geringer als des letzteren ist, wird das Cameri-Theater keinen Galaabend zu seinen Ehren geben, noch werden die Hohen und Mächtigen ihn mit nichtssagenden Gesten der Liebe umarmen. Wahrscheinlich wird sein Geburtstag nicht einmal bemerkt werden.
 

Wurde am Samstag 87
Jahre alt – Uri Avnery
NRhZ-Archiv
Während sein Altergenosse Shimon Peres immer mit der Volksmenge ging, ist dieser Mann weit vor der Menge gegangen – wie eine Feuersäule. Sehr wach, originell, unabhängig, tapfer,mit klarem Kopf und rasierklingenscharfem Verstand hat er die Nation gestaltet – mehr als es der Nation bewusst geworden ist. Während Peres immer versuchte, jedermann zufrieden zu stellen, versuchte dieser Mann nur seiner eigenen Wahrheit zu folgen, die ziemlich spät die Wahrheit der meisten von uns wurde.
 
Und doch ist er übers Ohr gehauen worden. Vielleicht werden diese Zeilen, wenn auch in bescheidener Weise, die Ungerechtigkeit, die diesem unerkannten Propheten – Mister Hebräischer Journalismus – angetan wurde, wieder in Ordnung bringen. Während Avnery seinen 87. Geburtstag feiert und fast so lange auch öffentlich aktiv war, diskutiert Ministerpräsident Benyamin Netanyahu vom Likud die Ideen, die Avnery schon 40 Jahre vor ihm erhob. Zu einem Zeitpunkt, als mehr als die Hälfte des Landes und fast die ganze Welt von „zwei Staaten“ spricht, ist Avnery in Vergessenheit geraten. Wenn seine Vision wahr wird – als unverbesserlicher Optimist verliert er nie die Hoffnung, dass es so werden wird – wird wenigstens die Geschichte, wenn nicht ein Minister dieser Regierung daran erinnern, wer den Eckstein gesetzt hat.
 
Die israelische Gesellschaft sollte diesen besudelten und geächteten Mann schon um Vergebung gebeten und die verschwendeten Jahrzehnte mit unnötigem Blutvergießen bedauert haben, nur weil sein Rat nicht angenommen wurde. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, welche Art Israel wir haben würden, wenn Avnery die einflussreichen Posten inne gehabt hätte, auf denen Peres saß; hätten doch Netanyahu, Peres und ihresgleichen Avnerys Ideen zur rechten Zeit aufgenommen – und nicht so maßlos spät.
 
Im wahrsten Sinn des Wortes ist Avnery ein Zionist und damit ein wahrer israelischer Patriot. Er kämpfte 1948; und seitdem hat er mit derselben Entschlossenheit gegen die Beibehaltung der Politik von 1948 gekämpft, die traurigerweise nie endete. Als früheres Mitglied der Kampfeinheit „Samsons Füchse“ war er der erste und der tapferste, der gegen die Militärregierung aufstand, gegen die Landenteignung in Galiläa, gegen die Diskriminierung und die Übernahme der Demokratie durch den „Mechanismus der Dunkelheit“ – einen Ausdruck, den er für die Shin Beth-Sicherheitsdienste prägte. Er war unter den ersten, die zur Beendigung der Besatzung aufriefen, zu Errichtung von zwei Staaten und zu einem Treffen mit der PLO, als dies noch als Verrat angesehen wurde. Sein Einfluss als einsames Knessetmitglied war größer als der aller quasi-linken Parteien zusammen.
 
Als Herausgeber der Wochenzeitung Haolam Hazeh – etwa 42 Jahre lang – beeinflusste er die israelische Presse mehr als jeder andere Journalist. In Basel wurde der jüdische Staat gegründet; in der Gordonstraße in Tel Aviv, in der das Verlagsbüro von Haolam Hazeh sich befand, wurde eine unabhängige, anti-establishment Presse gegründet, die furchtlos gegen alle Arten von Korruption kämpfte, gegen den Diebstahl von Antiquitäten durch einen früheren Verteidigungsminister bis zum Diebstahl von Land durch die Siedler, selbst wenn dies auf der Rückseite eines Massenblattes erschien.
 
Eine ganze Generation bedeutender Journalisten wuchs mit dieser Wochenzeitung auf, Generationen junger Leute lasen sie, zuweilen heimlich, für den Fall, dass sie bei diesem ungeheuerlichen Akt erwischt wurden. Jeder verleumdete die Publikation, selbst wenn sie Schlange standen – wie die, die sich jeden Dienstagabend vor dem Zeitungsverkäufer am Eingang des Café Kassit in Tel Aviv bildete, und am nächsten Morgen in der Knessetbuchhandlung – um sie zu lesen.
 
Vom Hebräischen, das wir sprechen, über die Zeitungen, die wir lesen, bis zum Ministerpräsidenten, der jetzt mit seiner Stimme spricht – Avnerys Einfluss kann kaum überbewertet werden.
 
Jetzt überstrahlt die Fülle seiner Jahre seine Jugend. Dieser noble, ältere Herr schreibt, protestiert und kämpft. In der ultra-orthodoxen Welt würde er längst als oberster Führer angesehen werden; in der säkularen Welt ist er wie immer ein einsamer Soldat geblieben, der an den Rand gedrängt wurde. Vor langer Zeit erhielt er den Alternativen Nobelpreis. Keiner schlägt ihn als Kandidaten für den Israelpreis vor, obwohl dadurch der Preis eher aufgewertet werden würde als Avnery selbst. Eine ehrenhaftere und mutigere Gesellschaft würde wenigstens jetzt auf ihn hören und sich mit großem Respekt vor diesem wunderbaren Mann an seinem 87. Geburtstag verneigen.
 
Unsere herzlichen Glückwünsche, Uri Avnery und uns.
 
 
Dieser Artikel von Gideon Levy erschien zuerst am 6. September in Haaretz
http://www.haaretz.com/print-edition/opinion/like-a-pillar-of-fire-1.312215
Übersetzung: Ellen Rohlfs
Unter dem Suchwort Uri Avnery finden Sie einige Artikel von ihm in den zurückliegenden NRhZ-Ausgaben. (PK)


Online-Flyer Nr. 267  vom 15.09.2010



Startseite           nach oben